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Krimifan
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Berge

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Insgesamt 5 Bewertungen
Bewertung vom 30.09.2013
Die Tote von Schönbrunn
Kneifl, Edith

Die Tote von Schönbrunn


ausgezeichnet

Meine hohen Erwartungen an eine bekannte Autorin wurden mit diesem Buch mehr als erfüllt. Ein interessanter und spannender Spaziergang durch das Wien der Jahrhundertwende. Voller Sympathie folgt man als Leser/in gedanklich dem Detektiv auf seiner Suche nach einem Serienfrauenmörder, der immer wieder junge Frauen ermordet, wenn Frau es nicht erwartet. Was kann ein Lokalkrimi mehr bieten, als dass er seine Leser einen Abend/ ein Buch lang einlädt mit seinem Detektiv durch Wien zu flanieren? Mit Charme und Distanz bewegt Gustav von Karoly, sich im Hochadel, in den Kaffeehäusern, dem Hoftheater, im direkten Umfeld des Kaisers, in Schloss Schönbrunn und in den Kneipen der Arbeiter. Er kennt seine Stadt, seine Mitmenschen und nimmt uns mit auf die Phantomsuche. Wir sehen sie vor uns, die Bilder des Sezessionisten Gustav Klimt, die Aufführungen des Sommernachtstraums, die Maiglöckchen im Bad von Kaiserin Sissi und wir erfreuen uns an Krimi und Kultur. Auch wenn ich es eigentlich nicht mag, wenn die Morde genau geschildert werden; hier wird kursiv vorgewarnt - und so folgte ich gebannt der Autorin beim Tathergang, ohne Voyeurismus, ohne Angst und Abscheu. Eine Meisterleistung.
Die offiziellen Ermittlungen führt Rudi Kasper, Polizei- Oberkommisar und verlässlicher Jugendfreund des Detektivs. Wir erleben ein Billardspiel auf Leben und Tod, ein modernisierter Ehrenkodex, ein modernes Duell.
Die Frauen im Krimi sind nicht nur Opfer. Sie sind tatkräftig an der Aufklärung des Falles beteiligt. Sie setzen sich ein für die Frauenrechte und Emanzipation. Sie erkämpfen einen Studienplatz und sind aufgeschlossen für die Lehren von Sigmund Freud. Sie sind gegen Vernunftehen. Sie erkennen den Wahnsinn einiger adliger Männer als Spätfolge der Syphilis und analysieren die Dekadenz des Hochadels, entstanden durch Inzest. Damit tragen sie wesentlich zum Lebensunterhalt (zur Unterhaltung?) und zur Auflösung des Falles bei.
Wir erfahren viel über das Leben und Lieben im Wien der Jahrhundertwende. Wir lernen einen sympathischen Detektiv kennen, der nicht nur an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert steht, mit Elektrizität und ersten Autos, sondern der sich außer mit Mord, auch mit den emanzipatorischen Idealen der Frauen in seinem Haushalt auseinander setzen muss.
Ich freue mich schon auf den nächsten Krimi von Frau Kneifel und bin sehr gespannt, wie Gustav die Trennung von seiner Angebeteten verkraftet und welche Abenteuer ihn in Wien oder der Schweiz erwarten. Damit das Warten nicht so lang wird, werde ich jetzt schnell den ersten Band von Gustav von Karolyn lesen: „Der Tod fährt Riesenrad".
Ich kann diesen kleinen Krimi nur wärmstens weiterempfehlen. Edith Kneifl - für mich die österreichische Ingrid Noll!

Bewertung vom 30.09.2013
DZ
Özdogan, Selim

DZ


ausgezeichnet

Seit ich dieses Buch gelesen habe, habe ich einen neuen Lieblingsschriftsteller. Selim Özdogan zeigt in DZ eine auf den ersten Blick „Schöne neue Drogenwelt“ des Internets. Aber durch die Hauptfiguren Damian und seine Freundin Zoe erfahren wir, dass die Menschen die dort leben, noch die „alten Menschen“ sind. Es gibt viele Arme und wenig Reiche, die totale Überwachung auch in den ferngesteuerten Rikschas, Geheimagenten, die durch Drogen gefügig gemacht werden. Regelungen im Gebrauch und der Verbreitung von Drogen gibt es auch hier. Drei Pharmakonzerne (be)herrschen die DZ, sie bestimmen welche Drogen, wann, zu welchem Preis zu haben sind.
Ein neues, gefährliches Stimulans verstärkt die Wahrnehmung. Ein Sohn, Damian ist dem Ruf der Drogen gefolgt und lebt in der DZ, einer Welt in Ostasien in der Drogen zum Teil erlaubt sind. Er probiert mit seiner Freundin alles aus, kennt sich aus und lässt uns teilhaben an den Drogenerfahrungen. Aber eine neue Droge bringt Damian in Gefahr, er taucht unter in den Bergen. Seine Mutter, eine Frau aus der „Flower-Power-Zeit“ wird bald sterben und regelt ihren Abschied abgeklärt und souverän, bewundernswert. Ein letzter Wunsch ist, ihren verlorenen Sohn noch einmal zu sehen. Ihr angepasster zweiter Sohn, der Akademiker Ziggy versucht ihr diesen Wunsch zu erfüllen.
Er blieb im Land, hat studiert, forscht über Träume und hat immer noch viel zu viele Fragen. Er sucht seinen Bruder im Internet, in gefährlichen verbotenen Foren des Drogenhandels. Er hält sich auf in versteckten, geschlossenen Foren und agiert mit Verschlüsslungen, damit er nicht entdeckt wird. Auch er lebt in einem Überwachungsstaat -alles zum Wohle der Bürger. Im Internet lernt er neue Leute kennen, neue Wege und Möglichkeiten tun sich auf, er entdeckt sich neu. Was er nicht weiß: Auch seine Tochter surft auf den gefährlichen Seiten.
In diesem spannenden Buch findet sich vieles aus der alten Welt: Weisheiten mischen sich mit neuen Ideen. Die „gute“ Welt ist eine geregelte Welt.
Der Autor zeigt wie eine Familie zusammenhält: Jeder gehört dazu alle hören ihr gemeinsames Lied. Spannende Seiten habe ich zweimal gelesen, weil Unerwartetes passierte und ich es nicht fassen konnte, ich war oft total überrascht. Das Schlimmste an der Welt der Zukunft: Bücher gibt es nur noch antiquarisch (eine Horrorvorstellung) –und sie sind fast so schwer zu besorgen wie Drogen.
Es gibt weise Frauen, die beide Welten vereinen, wie die nutzlosen Nonnen, die eine starke Frauengemeinde bilden und es gibt Celia, ein Wesen in der Geschichte aus dem parallelen Universum oder doch nur eine Traumfrau?
Ich wünsche diesem Buch viele Leser. Es ist ein Buch das Freude macht, spannend ist, den Horizont erweitert und auch Undenkbares einfach beschreibt und überzeugend möglich werden lässt. Ein traumhaftes Buch!

Bewertung vom 13.09.2009
Der gelbe Diwan
Grond, Walter

Der gelbe Diwan


ausgezeichnet

Der gelbe Diwan Walter Grond September 2009
Beziehungen gestalten, spielen, leben
Der literarische Roman ist eine sympathische Hommage an Flaubert.
Eine interessante Lektüre für frankophile 68er und Nach68er, die Freude an der französischen Literatur und Lebensart haben. Sie werden eine geschickte Verbindung von Vergangenheit (Flaubert) und Gegenwart (Houellebecq) finden. Der Autor gibt eine Retrospektive der Lebensbewältigung der nach 68er von der Sinnsuche in Indien bis zur „Himmelfahrt“ und er richtet den Blick auf die heutigen Weltenbürger und wie wir unser Leben erfinden und Beziehung versuchen zu gestalten.
Der Autor beschreibt, wie der gleichgültige, glücklose, durchschnittliche Ex-Ehemann, alleinerziehende Vater und erfolgreiche Reisejournalist Paul Clement sich über fünf Jahre auf seinen gelben Diwan zurück zieht und den Schriftsteller Gustave Flaubert auf seiner Orientreise und nach Frankreich begleitet. Clement macht Notizen und Berichte, aus seinen Rückschauen und Erlebnissen entsteht ein Roman. Auf dem gelben Diwan erreicht ihn die Todesnachricht seines früheren väterlichen Schriftstellerfreundes Johan, dessen Selbst-Auslöschung in seiner Wahlheimat Saint-Marc-sur-Mer.
Clement fährt zur Beerdigung, in sein verlorenes Paradies. Er versucht den verlorenen Freund zu verstehen und spürt ihm nach. Clement lebte als revolutionierender, rebellierender Bohemien in Johans Welt, bis er verbannt wurde. Der Leser folgt dem Autor gespannt ins wildromantische Frankreich und flüchtet mit ihm in die Weltereignisse der Gegenwart. Die Spurensuche führt zu gemeinsamen Bekannten und Verwandten bis an den Ursprung Jonas, in den ehemaligen Slums, den Bulak der Großstadt, der heutigen Kommandozentrale der IT-Branche.
Clement stellt sich den Schatten seiner Vergangenheit. Die Zeiten der Trennungen und Wiedervereinigungen ziehen an ihm vorbei und wie ein roter Faden durch das Buch.
Die Beziehungen schwanken zwischen panischer Eifersucht und kalter Zurückweisung. Behle, seine Exfrau, eine wohlerzogene Weltbürgerin, ist dabei sich zu emanzipieren, von ihrem anatolischen Vorfahren(Vater) und ihrem Ehemann, von dem sie das dritte gemeinsame Kind erwartet. Sie scheint in der Mutterrolle aufzugehen und zwingt Clement, der seit seiner Kindheit geübt hat: „sich tot zu stellen“ aus seiner vergangenheitskranken Agonie zu erwachen und die Liebe zu lernen.
Ein spannendes Gegenwartspanorama über Beziehungen, über Frauen- und Männeremanzipation.
Ein Roman der Unterschiede im Okzident und Orient nachspürt. Ali, ein Mohammedaner, als Biograph auf Johans Spuren wandelt, er spürt der europäischen Conditio humana nach und sammelt okzidentale Sonderbarkeiten und humanistische Unsinnigkeiten.
Ein sehr großes, umfassendes, weit reichendes schönes Buch.

Bewertung vom 04.09.2009
Wohin auch immer
Müller-Wieland, Birgit

Wohin auch immer


ausgezeichnet

Die bemerkenswerte Autorin Birgit Müller Wieland schreibt wunderschöne Erzählungen und Novellen. Ein Wechselbad der Gefühle erwartet den Leser. Erlebnisse werden kurz und knapp dargestellt, Emotionen direkt oder subtil in kurzen Sätzen angedeutet, Stimmungen und Reaktionen mit interessanten Wortschöpfungen unterstrichen, sodass der Leser oft denkt „ dasdarfnichtsein“. „ Der Besuch“ deckt durch sein Geschenk, das Doppelbödige der Mutter-Tochter Beziehung auf. Mein Interesse war geweckt und hellwach las ich die Erzählungen mit steigendem Interesse.
Immer wieder war ich überrascht, die beklemmenden Erfahrungen von Liebe und Verrat in Familienbeziehungen aufleuchten zu sehen. Ich spürte „Blick“ des Gendarmen und wartete mit der Ehefrau verzweifelt auf die Ankunft ihrer Schwester Mia.
Großmütter wollen nicht an ihren Alltag erinnert werden und bitten: „Erzähl mir was Schönes“. Liebevoll um hegt die Enkelin ihre Großmutter und erinnert sich an das Leben.
In der Erzählung „Hand aufs Herz“ berichtet die Tochter wie unterschiedlich ihre Familie mit dem Verschwinden des Vaters umging und welche sozialen und familiären Erwartungen unsere Reaktionen beeinflussen. Die Autorin schreibt mit Sympathie für die Protagonisten, die Leserin übernimmt die Interpretation.
Wie gestalten wir selbstbestimmte Nähe fragen sich Marie und Paul, als die fremdbestimmt Nähe des eisernen Vorhangs wegfällt. Die beeindruckende Ost West Beziehung getragen von großer emotionaler, zeitlicher und örtlicher Distanz zeigt, wie schwierig ein gemeinsames Leben oder Ziel sein kann.
Die Titelgeschichte „ Wohin auch immer“ war am beeindrucktesten. Dort verteidigt eine Frau ihren Rückzug aus der Welt und der Paarbeziehung. Sie braucht diese Distanz um zu Überleben, um zu ihrem Partner zurückzukehren, für den Aufbruch ins neue Leben. Subtil, unaufdringlich, nachhaltig wirksam konnte ich als Leserin die Protagonisten verstehen, ihren Schmerz und ihren Verlust sowie ihren Rückzug nachempfinden, umso mehr konnte ich mich mit ihnen auf den Weg in die Zukunft machen und hoffen das die Erinnerung an Verlust und Verrat immer weniger weh tut.
Ein sehr empfehlenswertes Buch, das ich mit Spannung gelesen habe. Die Autorin schildert anscheinend ganz normale Situationen, intensive Augenblicke an denen sich das Lebensgefüge ändert oder in Frage gestellt wird und eine Neuorientierung angedeutete wird.

Bewertung vom 04.09.2009
Polt
Komarek, Alfred

Polt


ausgezeichnet

Frauenpower im Wiesenbachtal
Weintrinker und Weinbauer unter sich, Männerfreundschaft und „männlichem Lot“, das Dorfleben pur, zwischen Tradition und Neuerung, Frauenpower und Frauensolidarität waren gestern Hexenkünste, heute sind es konspirative Treffen und Vorträge über „den Mann als notwendiges Übel“ .Männer flüchten in den Weinkeller und Frauen in den Scheintod oder in den Kurzurlaub.
Mein erster Polt Krimi hat mich bin begeistert. Der Autor Komarek lässt die Ermittlung langsam fließen. Interessiert begleite ich den Sonntagswirt und ehemaligen Gendarmen im selbstgewählten Ruhestand, Simon Polt, ins Wiesenbachtal, ins Presshaus und ins Kaufhaus zu seiner „Watson“ Aloisia Habesam, wo er mit schlecht gespieltem Diensteifer, bedächtig inne hält. Polt erfährt von seiner Langzeitfreundin Karin, dass er Vater wird. Sie stehen in „liebevoller Ratlosigkeit“ vor Ehe und Familie.
Ein beschauliches Winzerdorf und wenige Personen und Beziehungen bestimmen die ruhige Atmosphäre des Krimis. Ein Toter im Weinberg des befreundeten Ehepaars Birgit und Norbert Sailer, Selbstmord oder Mord, kann den Frühling im Tal nicht erschüttern. Keiner scheint diesen Fremden zu kennen und nicht nur der ortsunkundige Ermittlungsleiter mit „Bluthundinstinkt Bastian Priml wird getäuscht durch das Mauscheln, Mauern und Hintertreiben der Mannsbilder und Frauenzimmer in den Kellergassen.
Verdächtig sind der störende Nachbar, ein gewalttätiger Weingauner, der nur noch als Mörder entlarvt werden muss und ein Säufer, Weinwurm Rudi, ein ehemaliger besserer Kollege, der jetzt als Kleinkrimineller und „Bruder Lustig“ die Witwen tröstet.
Aber was bedeutet Freundschaft, wie gut kennt Polt seinen ehemaligen Kollegen Norbert und dessen Frau Birgit Sailer? Wie gestaltet sich Beziehung, Ehe, Freundschaft? Der Tote im Weinberg sorgt für Risse in der Freundschaft und lüftete den Mantel des Schweigens.
Es sind Polts Frauen, seine Arbeitgeberin Habesam, die nicht nur mit dem überschrittenen Verfallsdatum ihrer Waren kreativ umgeht und die „unerschrockene“ Grete Hahn, seit Jahren eine lustige Witwe, die mit „weiblichen Hinterlist“ zur Aufklärung des Lesers und des Falles beitragen
Seine eher zögerlichen Ermittlungen im Umfeld der Weinkeller und im Weingenuss schwanken zwischen männlicher Sympathie und kollegialen Verständnis, zerrissen und unsicher macht sich Simon Polt auf den Weg, sein Leben neu zu ordnen, schließlich wird er Vater und Ehemann. Überrascht wird er von dem Ehearrangement seines Freundes.
Ein tiefgründiger kleiner Krimi, der nachhaltig wirkt.