Dieses Buch trifft mitten ins Zentrum eines Themas, das wir als Gesellschaft gern wegschieben, obwohl es uns täglich anstarrt. Die Autorin lässt viele Stimmen sprechen – keine davon laut, aber jede unüberhörbar. Gerade diese Vielstimmigkeit macht das Grauen greifbar, ohne je sensationsheischend zu wirken. Man spürt, wie unterschiedlich Menschen versuchen, mit einem unfassbaren Verlust klarzukommen, und wie hilflos sie doch alle darin sind.
Interessanterweise hat mich das Buch weniger emotional überrollt als andere Werke der Autorin. Vermutlich liegt es an der Breite der Perspektiven: Man springt häufiger zwischen Welten, statt sich komplett in einer einzigen zu verlieren. Gleichzeitig ist genau das die Stärke. Die Fragmentierung ermöglicht einen umfassenderen Blick, den ich nicht missen möchte.
Unterm Strich: ein dringendes, klug erzähltes Buch, das lange nachhallt – nicht durch große Gesten, sondern durch diese leise, stetige Wucht, die man erst beim Weglegen richtig hört.
„Der brennende Garten“ ist kein Buch, das man einfach so nebenbei liest. Es braucht etwas Zeit, bis man mit der Erzählweise und den Figuren warm wird – aber dann entfaltet es eine erstaunliche Tiefe. V. V. Ganeshananthan erzählt ruhig, fast sachlich, und gerade das macht die Geschichte so eindringlich.
Im Zentrum steht Sashi, die mitten im Bürgerkrieg Sri Lankas versucht, Ärztin zu werden, während ihre Familie zwischen Loyalität, Verlust und politischem Druck zerreißt. Die Gewalt ist nie reißerisch beschrieben, sondern wird in den Alltag eingewoben – und dadurch umso greifbarer. Beeindruckend ist, wie viel Recherche und Genauigkeit spürbar sind, ohne dass der Roman je trocken wirkt.
Manchmal hätte ich mir mehr emotionale Nähe zu den Figuren gewünscht, aber das leise Erzählen passt letztlich zur Geschichte. Kein leichtes, aber ein lohnendes Buch – klug, sensibel und mit einer Kraft, die sich erst nach und nach zeigt.
Ich hatte bisher keinen Roman von Vea Kaiser gelesen – und der Einstieg war für mich durchaus eine kleine Herausforderung. Vielleicht liegt es an meiner norddeutschen Herkunft, aber mit dem Wiener Dialekt und Kaisers sehr eigenen Sprachmelodie musste ich erst zurechtkommen. Nach einigen Anläufen hat mich die Geschichte dann aber doch gepackt: Ein traditionsreiches Wiener Hotel, eine Buchhalterin mit moralischen Grauzonen und ein Verbrechen, das ebenso banal wie tragisch entsteht – das ist klug konstruiert und atmosphärisch dicht erzählt. Kaisers Figuren wirken lebendig und eigenwillig, ihr Blick auf die Welt oft charmant und scharf zugleich. Trotzdem: Der Roman ist sehr umfangreich und hätte an manchen Stellen durchaus etwas Straffung vertragen. Gerade im letzten Drittel verliert sich die Spannung ein wenig im Glanz und Glamour. Insgesamt ein gutes, ungewöhnliches Buch – sprachlich besonders, inhaltlich stark, aber kein Werk, das ich jedem ohne Einschränkung empfehlen würde.
Der Roman startet stark – witzig, pointiert und mit einem scharfen Blick auf das Großstadtleben zwischen Mietenwahnsinn und Selbstverwirklichungsdruck. Leonie ist eine angenehm unaufgeräumte Heldin: bissig, kreativ und herrlich fehlbar. Besonders gelungen ist, wie der Text weibliche Freundschaft ins Zentrum rückt – solidarisch, ehrlich und ohne Kitsch.
Im weiteren Verlauf verliert die Geschichte etwas an Schwung. Manche Ideen wiederholen sich, einige Figuren bleiben blasser, als man es sich wünschen würde. Trotzdem liest sich das Ganze leichtfüßig und mit genug Witz, um dranzubleiben. Der Roman will vielleicht ein bisschen mehr, als er am Ende einlöst, bleibt aber sympathisch und klug beobachtet. Eine unterhaltsame, moderne Geschichte über Freundinnenschaft und das Überleben in einer absurden Stadt – lesenswert, auch wenn sie nicht ganz die Tiefe anderer feministischer Romane erreicht. Solide vier Sterne.
„Das Geschenk“ liest sich wie eine Mischung aus Polit-Satire und Dystopie: Über Nacht tauchen Elefanten in Deutschland auf und stellen die Politik in Berlin vor ein kaum lösbares Problem. Die Grundidee ist schräg, aber genial – und der Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs wirkt überraschend echt, mal ironisch, mal ziemlich bitter. Die Handlung bleibt durchweg spannend, schnell erzählt und hat etwas bedrückend Unausweichliches: Man spürt förmlich, wie die Figuren im Strudel der Ereignisse immer mehr die Kontrolle verlieren. Gleichzeitig bleibt das Ganze eher auf der Beobachtungsebene. Die Personen sind funktional für die Story, aber emotional fehlt die Tiefe – man fiebert mit, ohne sich wirklich zu binden. Perfekt ist der Roman also nicht, aber er bietet eine packende, originelle Idee, solide umgesetzt und in einem Zug wegzulesen. Ein Buch, das nachhallt, auch wenn man es rasch beendet hat.
„Das Geschenk des Meeres“ riecht nach Salz, klingt nach Sturm und fühlt sich an wie ein endloser Winter – genau das ist seine Stärke. Auf einer abgelegenen Insel vor Schottlands Küste entfaltet sich eine Geschichte, die zwischen drei Zeitebenen pendelt und Schicht für Schicht ein Geflecht aus Schweigen, Misstrauen und alten Verletzungen freilegt. Kein Wohlfühlroman, sondern rau, bedrückend und manchmal schwer zu ertragen – aber eben auch fesselnd. Die Sprache ist so bildhaft, dass man den Wind fast im Gesicht spürt, das Meer tosen hört und den nassen Sand unter den Füßen fühlt. Die Atmosphäre saugt einen hinein, bis man das Gefühl hat, selbst Teil dieser abgeschlossenen, von Gerüchten zerfressenen Dorfgemeinschaft zu sein. Nicht alles gelingt: Manche Figuren bleiben schemenhaft, und erzählerisch wird das vorhandene Potenzial nicht voll ausgeschöpft. Doch wer sich auf die beklemmende Stimmung einlässt, bekommt ein spannendes, sprachlich starkes und stimmungsvolles Inseldrama, das lange nachhallt.
„Gym“ ist so ein Buch, das man eigentlich nur mal kurz anlesen will – und dann plötzlich auf der letzten Seite landet. Klingt harmlos: eine Frau, ein Fitnessstudio, drei Sätze. Aber was Verena Keßler hier draus macht, ist komplett irre. Die Story beginnt fast banal, doch Stück für Stück kippt alles ins Absurde, bis man mit offenem Mund dasteht und denkt: *Wie bitte?*
Die Protagonistin ist dabei kein Mensch, den man mögen will – und genau das macht den Reiz aus. Sie verkörpert Selbstoptimierung im Endstadium: Neid, Gier, Vergleich, immer härter, immer weiter. Das tut manchmal weh, weil man unweigerlich kleine Spiegelungen von sich selbst entdeckt (wer schon mal im Gym stand und dachte: „Noch ein Satz geht“ – erwischt!).
Und trotzdem liest es sich federleicht: knapp 200 Seiten, schnelle Sprache, fast wie ein Trainingsprogramm im Sprinttempo. Für alle, die Lust haben, mal auf die absurdeste Version unserer Leistungs- und Fitnesskultur zu schauen – mit ordentlich schwarzem Humor und überraschenden Wendungen.
Martina Behm ist mit "Hier draußen" ein bemerkenswert stimmiger Roman gelungen, der das Leben in einem norddeutschen Dorf mit leiser Intensität und großer Beobachtungsgabe erzählt. Was auf den ersten Blick wie eine klassische Stadtflucht-Geschichte wirkt – junge Familie zieht aufs Land – entfaltet sich schnell zu einem vielschichtigen Porträt einer Gemeinschaft, in der Vergangenheit und Gegenwart eng verwoben sind.
Das Besondere an diesem Roman ist der Ton: ruhig, klar und mit einer bildhaften Sprache, die sofort Atmosphäre schafft. Man hört das Knacken der alten Dielen, riecht den Herbstregen auf frisch umgepflügtem Feld, spürt die Nähe der Tiere – und der Menschen, die sich nicht immer leicht tun mit Nähe. Die Kapitel sind kompakt, flüssig zu lesen und dennoch nie oberflächlich.
Behm gelingt es, das Dorf Fehrdorf als Mikrokosmos darzustellen – mit all seinen Eigenheiten, Sehnsüchten, Spannungen und jener Mischung aus Herzlichkeit und Verschlossenheit, die vielen Norddeutschen vertraut vorkommen dürfte. Als Leserin mit norddeutschem Hintergrund fühlte ich mich oft an reale Orte erinnert, an Gespräche auf dem Wochenmarkt oder Begegnungen im Dorfcafé.
Besonders beeindruckend ist die Art, wie die Autorin ihre Figuren zeichnet: ohne Kitsch, ohne große Gesten, aber mit Tiefe. Niemand wird bloßgestellt, niemand idealisiert. Es sind Menschen mit Brüchen – wie das Haus, das die Hauptfiguren renovieren – und mit dem Wunsch, irgendwo anzukommen.
"Hier draußen" ist kein lautes Buch, aber eines, das lange nachhallt. Es lädt dazu ein, über eigene Vorstellungen vom guten Leben nachzudenken – und über die Geschichten, die unter der ruhigen Oberfläche des Landlebens verborgen liegen.
"Ab ins Bett, Winnifrett!" ist ein Bilderbuch für Kinder ab 2 Jahren, das mit liebevollen Illustrationen überzeugt. Es erzählt die Geschichte des kleinen Frettchens Winnifrett, das noch nicht schlafen will und stattdessen allerlei Dinge unternimmt, um wach zu bleiben.
Die farbenfrohen und detailreichen Bilder machen das Buch besonders ansprechend und laden Kinder dazu ein, sich intensiv mit den Szenen zu beschäftigen. Zudem gibt es kleine Suchaufgaben, die das Betrachten der Illustrationen noch spannender gestalten. Der Text ist in Reimform geschrieben, was grundsätzlich eine schöne Idee ist, aber an manchen Stellen etwas holprig wirkt.
Als klassische Gutenachtgeschichte ist das Buch für uns nicht ideal, da es recht lang ist und eher anregend als beruhigend wirkt. Statt die Kleinen schläfrig zu machen, gibt Winnifrett ihnen eher neue Ideen, was sie vor dem Schlafengehen noch alles tun könnten. Deshalb eignet sich das Buch für uns besser zum Vorlesen am Tag. Insgesamt eine hübsch gestaltete Geschichte, die aber wahrscheinlich kein Dauerbrenner in unserer Sammlung wird.
Susanne Gregors Roman "Halbe Leben" erzählt die Geschichte von Klara, einer Geschäftsfrau, und Paulina, einer slowakischen Altenpflegerin. Ihre Beziehung scheint durch ein klares Machtgefälle bestimmt, doch bald zeigt sich, wie ähnlich ihre Lebensrealitäten sind.
Der Roman beginnt mit einem tragischen Ereignis und entrollt die Geschichte rückwärts, was die Spannung hochhält. Die Leserinnen und Leser tauchen tief in die Gedankenwelt der Figuren ein.
Besonders eindrücklich ist der Blick auf Macht und Abhängigkeit. Beide Frauen kämpfen mit gesellschaftlichen Erwartungen und persönlichen Unsicherheiten. Während Klara trotz finanzieller Unabhängigkeit oft fremdbestimmt wirkt, ist Paulina hin- und hergerissen zwischen zwei Welten.
Gregor schreibt klar und einfühlsam, ohne die harten Realitäten zu beschönigen. "Halbe Leben" regt zum Nachdenken über soziale Gerechtigkeit, Pflegearbeit und Selbstbestimmung an. Ein bewegendes Buch, das sich leicht liest und nachwirkt.
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