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Benutzername: 
Karl Feldkamp
Wohnort: 
Bergisch Gladbach

Bewertungen

Insgesamt 5 Bewertungen
Bewertung vom 06.11.2019
Tag für Tag
Luka, Saskia

Tag für Tag


ausgezeichnet

Heimsuchung

Selbstverständlich wird dem Begriff Heimsuchung allgemein eine andere Bedeutung zugedacht. Dennoch trifft er in gewisser Hinsicht auch - jedoch nicht nur als leidvoll zu ertragendes Schicksal - auf den Inhalt von Saskia Lukas Roman „Tag für Tag“ zu.
Maria, die Zigarillos rauchende Protaginistin dieses berührenden Familien-Romans sucht einerseits ihre Heimat und wird zugleich von ihren dortigen Erlebnissen immer wieder heimgesucht.
Kurz bevor ihr Mann unerwartet früh starb, holte die trauernde Maria ihre Mutter Lucia aus einem entlegenen kroatischen Dorf zu sich nach Bayern.
Anna, Marias 17-jährige Tochter, genießt die Anwesenheit ihrer Großmutter, während Maria sich mit dem Dreigenerationenhaushalt überfordert fühlt und zunächst kaum einen emotionalen Zugang zu ihrer alten Mutter und deren alten und neuen Gewohnheiten findet.
Neben der mühsamen Hausarbeit gilt es für Maria vor allem, jene scheinbar unlösbaren Konflikte, die sich aus dem Generationen- und Herkunftsunterschied der Dreifrauengemeinschaft ergeben, auszuhalten oder gar zu bewältigen.
Es fällt ihr sehr schwer, den Tod ihres Mannes zu verarbeiten. Zudem wird sie durch ihre Mutter von ihrer kroatischen Kindheit immer wieder eingeholt. Als dann auch ihre Mutter stirbt fährt sie in deren Heimatdorf, um sie dort zu begraben und noch eine Zeit lang im Haus der Mutter zu bleiben.
Die beeindruckende kroatische Gebirgslandschaft, deren Ruhe und die Stille sowie die Einfachheit des Dorflebens und die Weiten des Mittelmeeres helfen ihr bei der Trauer. Allmählich kommt sie zu sich und es gelingt ihr, sich auf neue Hoffnungen einzulassen.
So findet Maria, obwohl sie mit dem Tod ihres geliebten Mannes und dem ihrer zu Lebzeiten äußerst eigenwilligen Mutter zunächst die jeweilige Heimat verlor, bei ihrer Rückkehr nach Deutschland zu der kaum erwarteten Gewissheit, auch an durchaus verschiedenen Orten heimisch sein zu können.

Saskia Luka, 1980 in Köln geboren, lebt heute in Berlin und auf der dalmatinischen Insel Brac. Sie lässt ihre Romanheldin Maria als Malerin ihre jeweilige Umgebung eingehend beobachten und zu Bildern umgestalten, die stets unmittelbar aus ihren genauen Beobachtungen und tiefen Gefühlen entstehen.
Somit können die Leser*innen nahezu distanzlos an ihrer zweiweise inneren Zerrissenheit, an ihrer Trauer und den Konflikten mit ihrer Tochter und Mutter teilhaben.
Eindrucksvoll versteht es die Autorin, im Haus der Mutter Lucia, in der Abgelegenheit des Dorfes und unter den dort beteiligten Menschen eine Atmosphäre aufzubauen, die durch einfache Szenen besticht und tief in das Leben von Großmutter, Mutter und Tochter sowie in deren Umgebung hineinzieht: „Der Heimweg lag in der Abendsonne, die Bäume am Straßenrand warfen lange Schatten, Marias Sommerkleid flatterte. Lucia hatte offenbar Gefallen an ihrer Kutsche gefunden und ihr Gesicht in Freundenfalten gelegt. Sie thronte auf der Sitzbank und sang. Den Refrain sangen auch Anna und Maria mit. Anna legte theatralisch die Hand auf ihr Herz und verschluckte den Text mit ihrem Lachen… „
Dabei bemüht sich Maria immer wieder, mit Vernunft die eigenen Gefühle zu bändigen, bis sie sich endlich ganz auf sie einlassen kann.

Der Familienroman „Tag für Tag“ vermittelt und vermischt sowohl Migrationserfahrungen als auch die Auseinandersetzungen bei durchaus heftigen Generationskonflikten.
Damit ist er ein absolut liebenswertes Bekenntnis zu einem Leben mit unvermeidbaren Ereignissen, Fehlentscheidungen, Trauer und Abschieden, bis er schließlich auch die Leser*innen zur Rückkehr in die eigene Kindheit und zu einem mutigen Neuanfang voller Lebenslust verführen kann.
Auch wenn darin vor allem Frauen versuchen, ihr Leben zu meistern, ist er dennoch kein reiner Frauenroman. Immerhin sind Nebenrollen mit einfühlsamen Männern besetzt, die nicht als die üblichen Frauenversteher ihren Vorteil suchen. Sie tragen daher wesentlich zum Gelingen ihres und des Lebens der drei Frauen bei.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.01.2018
Der Schmierfink
Polz, Dana

Der Schmierfink


ausgezeichnet

Schule der Brutalität
Nicht nur in Deutschland beklagen viele die weltweite nahezu ungebremste Zunahme an Gewalt und Brutalität sowie an übler Hetze und Todesangst auslösenden Bedrohungen.
Kriege, Terrorismen, Hooligans, rechte Gewalttäter, politische Hetzer oder auch die rücksichtslose Fahrweise im Straßenverkehr sowie brutalste Raubüberfälle, nicht zuletzt von Jugendlichen an Jugendlichen ausgeübt, überschwemmen die Medien.

Somit ist es kaum verwunderlich, wenn auch eine Romanschreiberin sich mit gewaltätigen Geschehen und Fantasien auseinandersetzt.
Ungewöhnlich ist allerdings, wenn eine gerade einmal 22 Jahre alte Autorin sich abgrundtief – und somit zugleich alles andere als oberflächlich – dem Wesen und Entstehen lebensbedrohlicher, vorwiegend männlicher, Gewalttaten nähert.

Dana Polz, 1995 in Wiesbaden geboren und in der Bad Camberger Literaturszene beheimatet, hat mit „Der Schmierfink“ ein beachtenswertes Erstlingswerk als Romanautorin vorgelegt.
Und nicht zuletzt beweist damit auch die edition federleicht eine gehörige Portion verlegerischen Mutes und bietet einer weitgehend unbekannten jungen Literatin zu einem nicht gerade unbelasteten Thema eine derartige Chance.

Kaum eingeschult, fällt Linus Lopez, Hauptfigur dieses ungewöhnlichen Romans, durch extrem asoziales Verhalten auf. Mit durchaus nachfühlbarem Vergnügen pinkelt er einer Klassenkameradin in den offenen Schulranzen.
Weder die Empörung seiner Lehrerin noch die bemüht verständnisvollen pädagogischen Anstrengungen des Grundschulleiters halten den vom Vater misshandelten Sohn einer schwer drogenabhängigen Mutter von weiteren Untaten ab.

Da der Vater die süchtige Mutter und auch sich selbst umbringt, kommt Linus zu Pflegeeltern, von denen er schließlich auf ein Internat abgeschoben wird.

Zunächst scheint er sich dort innerhalb der Schülergemeinschaft positiv zu entwickeln.
Doch an dieser Heimschule leben, lernen und lehren ausschließlich Jungen und Männer. Somit ist es kaum verwunderlich, dass dort exessiv männliche Rituale der Macht und Ohnmacht gepflegt werden.
In dieser Erziehungseinrichtung herrscht ein streng hierarchisches Regiment, das ältere Schüler mit aufrecht zu erhalten helfen und dem ein scheinbar freundlicher, aber brutal konsequent durchgreifender Direktor vorsteht.
Sowohl er als auch andere Lehrer setzen ihre Macht und ihre Regeln unter anderem erbarmungslos mit schmerzhaften Stockschlägen und beißender, ehrverletzender Kritik durch.
Zudem birgt die Schule Geheimnisse, die an Brutalität und Lebensverachtung kaum zu überbieten sind.

Dana Polz bleibt als Erzählerin stets glaubwürdig. Sie schildert sprachgewaltig und zugleich mit einer gewissen, notwendigen Distanz jene unglaublichen Vorfälle im Leben des Linus Lopez.
Auch wenn die Autorin offensichtlich die aktuelle Jugendsprache ihres Protagonisten beherrscht, verwendet sie diese eher sparsam und schreibt damit nicht unbedingt ein Jugendbuch, sondern ebenso eines für Erwachsene auf der Suche nach Gründen für die zunehmende Brutalität in unserer derzeitigen deutschen Gesellschaft. Allerdings bietet sie keine intellektuellen Erklärungen an und überlässt somit die Geschehnisse deutungsfrei vor allem den Gefühlen ihrer Leserschaft.

Eine äußerst spannende Lektüre für nicht allzu zart besaitete Leserinnen und Leser.

Karl Feldkamp
Wallefeld im Januar 2018

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.