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Benutzername: 
Shaeed
Wohnort: 
Reinickendorf

Bewertungen

Bewertung vom 23.03.2024
Mensch ohne Welt
Schauer, Alexandra

Mensch ohne Welt


gut

Schauers Buch nimmt explizit Bezug auf Anders und Adorno, deren Ansätze disparat waren (Anders spottete über Adornos Artifizialität des (Ver-)urteilens, Adorno lobbyierte in Frankfurt dagegen, dass man Anders als Philosoph berief). Den Eingang des Buches bildet ein Anders-Zitat, den Ausgang eins des andern, also eins von Adorno. Ich entnehme dem Buch wenig Thesen. Eine wird genannt, dass Kritik, richtig ausgeführt, verändern könne - doch welche Kritik ist gemeint, Anders' phänomenologische, Adornos marxistische? Wenn Kritik zu verändern vermag, dann fehlt mir, dass das Buch dafür Beispiele nennt. Stattdessen rekonstruiert es minuziös, wie sich die modernen Gesellschaften neue Verfahren gaben, um Zeit, parlamentarische Legislatur und Stadtwachstum zu ordnen. Mehrfach wird davon gesprochen, dass heute die Mitglieder der Gesellschaft sich in der von ihnen geschaffenen Gesellschaft nicht wiedererkennen. Werden hier Zeitebenen verkürzt? Die Gesellschaft, in die ich geboren werde, habe ich nicht geschaffen; und wie können sich Individuen in der sie umgebenden Gesellschaft (wieder-)erkennen? Mir scheint Schauders Buch ein Versuch, die Kritiken Anders' und Adornos, mit der die beiden in der Nachkriegszeit ihre Warnungen von einem zweiten Faschismus in Gestalt gebracht haben, ins Heute zu bringen, weil der zweite Faschismus, vor dem Anders und Adorno warnten, heute teilweise als ein scheinbar vernünftiger Ausweg aus der Krise herbeigewünscht wird. Schauers Buch richtet sich an Soziologen, vielleicht auch an Psyhchotherapeuten mit Zeit für mehrere Hundert Seiten. Welches Vorgehen sollen Laien oder Politiker aus ihrem Aufruf zur Kritik ableiten?