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Benutzername: 
Frankowiack
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Bewertung vom 25.03.2020
Angstfresser
Poppe, Grit

Angstfresser


ausgezeichnet

Eine pubertär Verliebte richtet ihre Sehnsucht auf einen erwachsenen Mann, will und bekommt den Kuss, vermutlich ihr Erster in der Liebe. Er überwindet gleich danach den antifaschistischen Schutzwall (Mauer) und da fällt ein Schuss, den die zwei Menschen mit in ihr weiteres Leben nehmen.
Der Schuss lastet sich beider Leben auf. Er ist das Trauma, was beide nicht loslässt.
Er kommt nie richtig dort an, wo er hinwollte. Ihr Trauma wird zunächst verlängert durch die DDR-üblichen Erziehungsmaßnahmen im Jugendwerkhof.
Die durch das Trauma ausgelöste Angst und Hilflosigkeit, die sich zur Paranoia steigernden Gedanken, die Schlafstörungen, die Reizbarkeit und das Abtriften ins Surreale wird in der Sprache der Autorin eindrücklich nachvollziehbar. Man wird förmlich hineingerissen in die tiefe Verzweiflung der Protagonisten und ist als Leser gleichsam froh, immer wieder aus dem Fenster schauend in der eigenen Welt zu sein.
Mit dem Tier, eine Art Blutegel, als Angstfresser, der alles Verstörende aus einem heraussaugen kann, findet die Autorin ein eindrückliches Bild, welches sich zudem noch einmal über China weltpolitisch verwebt. Wenn die Autorin da auch die schrecklichen Umerziehungsmaßnahmen der Volksrepublik China im Hinterkopf gehabt haben mag, die das schon in der DDR angelegte Erziehungssystem symptomatisch verlängern, so muss man, das Buch aktuell lesend, zwangsläufig auch an Covid 19 (Corona) denken. Wieviel Trauma mag dadurch durch diese Katastrophe neu in die Welt kommen. Da werden sicher noch viele Angstfresser gebraucht werden.
Zum Schluss steigert sich der Roman noch einmal stakkatoartig und strebt einem überraschenden Höhepunkt zu, auf dem die beiden traumatisierten Hauptakteure einen Weg noch einmal gehen, um dann den Leser in seine eigene Phantasie zu entlassen.

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