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Ellinorliest

Bewertungen

Insgesamt 47 Bewertungen
Bewertung vom 02.12.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

Das Thomas Mann Jahr neigt sich dem Ende zu. Natürlich durfte neben einem Werk des Zauberers persönlich auch eine Lektüre über ihn nicht fehlen. Ging es in Thomas Mann macht Ferien trotz Krieg noch recht friedlich zu, schaut die Welt in Florian Illies‘ Wenn die Sonne untergeht schon etwas anders aus. Thomas Manns politische Einstellung hat sich grundlegend geändert, er ist nun glühender Verfechter der Demokratie. Dies macht ihn in den Augen der an die Macht kommenden Nationalsozialisten aufgrund seiner großen Prominenz zu einem gefährlichen Gegner. Eigentlich mehr durch Zufall befinden sich Thomas und seine Frau Erika zum Zeitpunkt der Machtübernahme im Ausland. Der Nobelpreisträger möchte nämlich zunächst nicht wahrhaben, was sich in seiner Heimat abspielt und wie schlimm die Dinge tatsächlich sind. Sein Bruder Heinrich ist in dieser Sicht schlauer, er schlägt gerade noch rechtzeitig die Flucht ein.
Die sechs Kinder von Erika und Thomas sind teilweise bei ihnen, teilweise in Deutschland, teilweise anderweitig im Ausland. Erst nach mehreren Monaten versammeln sich alle in Südfrankreich. In dem kleinen Ort Sanary landen sie auch eher zufällig. Dort halten sich auch einige andere Intellektuelle auf, die meisten ebenfalls auf der Flucht.
Ich habe schon einige Bücher von Florian Illies gelesen und mag seinen Stil sehr. Er schreibt sehr elegant, oft auch mit einer gewissen Prise Humor oder leichter Ironie. Er berichtet in kurzen, sorgfältig recherchierten Abschnitten. Bei ihm wird die Geschichte lebendig, die Personen erwachen zum Leben. Er beschönigt auch nichts. Thomas Mann kommt, um es etwas flapsig auszudrücken, nicht besonders sympathisch rüber, ganz besonders nicht, wenn man im Anhang vom Schicksal seines Sohnes Michael liest. Es mag der bessere Schriftsteller sein, sein Bruder Heinrich jedoch ist mir menschlich der liebere.
Wer noch nichts über oder von Thomas Mann gelesen hat, für den oder die ist dieses Buch ein guter Einstieg. Gleiches gilt für alle, die Florian Illies noch nicht kennen. Hier ist das Personal begrenzter als beispielsweise in 1913. Neben der Familie Mann (die an sich schon recht umfangreich ist) gibt es zwar immer noch etwa zwei Dutzend Personen, trotzdem ist alles überschaubarer.

Bewertung vom 26.11.2025
Maaß, Laura

Was du siehst


sehr gut

Wir schreiben das Jahr 1967. In einem kleinen Dorf in der griesen Gegend (ein Gebiet, das nahe der deutsch-deutschen Grenze liegt und teilweise Sperrgebiet war), taucht die schwangere Ruth auf. Nachdem sich der Vater des Ungeborenen scheinbar in den Westen abgesetzt hatte, wurde Ruth von ihrem Vater von Ost-Berlin zu ihrem Onkel in diese graue Gegend geschickt. Schnell werden ihre Tochter Jule und der gleichaltrige Abdi unzertrennlich, erst als Freunde, später als Paar. Die Zeit nimmt ihren Lauf und der Mauerfall ändert vieles. Jule nutzt die Chance und geht hinaus in die Welt, während Andi zurückbleibt.
Was du siehst ist ein Farbspiel: der Titel bezieht sich auf das bekannte Kinderspiel, das auch Andi und Jule jeden Tag im Bus spielen. Jedes Kapitel trägt eine andere Farbe als Überschrift: echte wie himmelblau oder rostrot, aber auch fantastische wie blaubeergrün oder schneewolkenorange. Dies verleiht dem Roman eine ganz besondere Note.
Sehr schön fand ich auch, dass es ein optimistischer DDR-Roman ist. Dies ist vor allem durch das Dorfleben begründet, weit weg von fast allem politischen, die Unterdrückung ist weniger stark spürbar als in den Städten.
Das Dorf und seine Bewohner wirken unglaublich lebendig und lebensnah. Ich hätte erwartet, dass die Freundschafts- und Liebesgeschichte zwischen Jule und Andi viel stärker im Fokus steht. Doch besonders in der ersten Hälfte des Romans sind es deren Familien, die den eigentlichen Mittelpunkt bilden, eine kluge Entscheidung in meinen Augen.
Mich hat das Buch sehr berührt. Es war schön und traurig zugleich zu lesen, wie manche Zufälle und Entscheidungen ganze Leben für immer verändern können.

Bewertung vom 25.11.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


gut

In Südkorea gibt es seit einigen Jahren sogenannte Scheinbeerdigungen. Interessierte können einen entsprechenden Kurs besuchen. Sie schreiben dann häufig ein Testament oder dergleichen. Danach gibt es eine Beerdigungszeremonie, bei der sich die Teilnehmer selbst in einen Sarg legen, wobei meist auch der Deckel kurz geschlossen wird. Der Sinn des Ganzen ist es, einen neuen Blick auf das Leben zu erhalten und dadurch eventuell einen Neuanfang zu ermöglichen.
In Das glückliche Leben wird Eric zufällig Zeuge einer solchen Scheinbeerdigung. In ihm löst das etwas aus, er beginnt viele Lebensentscheidungen zu überdenken und seinem Leben eine neue Richtung zu geben.
Das Buch liest sich sehr angenehm und ich fand auch die Grundidee recht spannend, einfach anders als vieles, was man so kennt. Mir blieb die Geschichte jedoch teilweise zu oberflächlich.

Bewertung vom 10.11.2025
Konishi, Masateru

Die Bibliothek meines Großvaters


gut

Als erstes muss ich feststellen, dass dieses Buch einfach wunderschön gestaltet ist: das Cover spricht mich total an und der Farbschnitt ist wirklich traumhaft. Auch der Titel ist sehr ansprechend, wie so ziemlich jedes Buch, dass Bücher schon im Titel hat.
Der Titel hatte bei mir auch andere Erwartungen geweckt. Im Vordergrund des Buches steht die Beziehung von Kaede und ihrem Großvater. Dieser weckte damals die Liebe zu Geschichten, besonders zu Kriminalromanen, in ihr. Nun ist er an Lewy-Körper-Demenz erkrankt, eine Form der Demenz, die mir bislang unbekannt war. Dabei haben die Patienten immer wieder Halluzinationen. So ruft Kaedes Großvater eines Tages die Polizei, weil er seine Enkelin blutverschmiert auf den Boden liegend zu sehen glaubt. Um ihrem Opa zu helfen, versucht Kaede immer wieder kleine Kriminalfälle aus dem Alltag mit ihm zu lösen. Die ersten beiden Male fand ich das recht spannend, mir gefiel auch die Herangehensweise. Spätestens beim dritten Mal jedoch fand ich es etwas ermüdend und die Lösungen auch häufig etwas weit hergeholt. Sehr gut gefielen mir jedoch Kaedes Fürsorge und die Beziehung der beiden.
Ich bin daher etwas hin und her gerissen. Das Buch ist kein Wohlfühlbuch im herkömmlichen Sinne, aber auch nicht tiefgründig genug. Es lest sich gut lesen, auf die Dauer fehlt jedoch die Abwechslung.

Bewertung vom 05.11.2025
Ganeshananthan, V. V.

Der brennende Garten


sehr gut

Der brennende Garten und ich - das ist ein klassischer Fall von falsches Buch zur falschen Zeit. Der Roman erzählt eine wirklich gute und wichtige Geschichte: Acht Jahre lang, von 1981 bis 1989 begleiten wir die zu Beginn etwa sechzehnjährige Sashi. Sie möchte Ärztin werden, wie ihr großer Bruder und dessen Freund K. Doch dann bricht auf Sri Lanka der Bürgerkrieg aus. Von einem Tag auf den anderen wird ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Ihr geliebter ältester Bruder stirbt, zwei weitere Brüder und K schließen sich einer Rebellengruppe an, den Tamil Tigers. Auch Sashi unterstützt sie in einem provisorischen Krankenhaus, als angehende Ärztin fühlt sie sich dazu verpflichtet. Doch auch in ihr wachsen Zweifel. Die Rebellengruppen sind untereinander zerstritten, bekämpfen sich teilweise gegenseitig. Unter diesen Umständen wird Sashis Familie immer weiter auseinandergerissen.
Ich habe mich durch dieses Buch gequält. Die Geschichte ist gut und wichtig, das Buch ist gut geschrieben und auch gut lesbar. Nur für mich war es einfach der falsche Moment. Das passiert leider manchmal. Vielleicht lag es auch daran, dass ich kurz zuvor ein anderes Buch mit einer sehr ähnlichen Thematik gelesen hatte, Jacaranda von Gaël Faye, welches den Bürgerkrieg in Ruanda thematisiert. Beiden Romanen ist gemein, dass sie über Bürgerkriege erzählen, bei denen sich zwei ethnische Gruppen bekämpfen. Einen von ihnen wurde während der Kolonialzeit jeweils von der fremden Regierung bevorzugt, was bei der anderen starken Unmut hervorrief. Dieser steigerte sich über die Jahrzehnte, bis es schließlich zu Krieg und Völkermord kam. Hätte ich nun mehr zeitlichen Abstand zwischen beiden Büchern gehabt, hätte ich vermutlich auch Der brennende Garten lieber gelesen. So kam es mir teilweise wie ein Aufguss von Jacaranda vor, was es selbstverständlich nicht ist. Trotz meiner Schwierigkeiten mit dem Buch gibt es eine klare Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 24.10.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Vor drei Jahren war Lügen über meine Mutter eines meiner absoluten Highlights. Als ich sah, dass Daniela Dröscher einen neuen Roman veröffentlichte, wollte ich diesen auch unbedingt lesen. Besonders reizte mich daran, dass er sich wie eine Fortsetzung von Elas Geschichte anhörte, der Protagonistin des anderen Buches. Nun, Junge Frau mit Katze ist eine Fortsetzung und ist es gleichzeitig nicht. Beide Bücher sind autofiktional, lesen sich also so, als könnten sie tatsächlich so im Leben der Autorin passiert sein. In Junge Frau mit Katze wurden jedoch einige Details geändert (Ela hat nun beispielsweise einen Bruder statt einer Schwester), wodurch ein stärkerer Abstand entsteht.
Lügen über meine Mutter löste damals eine unglaubliche Wut in mir aus und die Handlung ist immer noch sehr präsent. Diesmal jedoch sprach mich das Buch emotional nicht besonders an. Ela tat mir zwar einerseits leid, wie sie von einem Arzt zum nächsten geht, dabei die unterschiedlichsten, oft widersprüchliche Diagnosen erhält. Andererseits war mir die Handlung zu sehr auf diese medizinischen Diagnosen beschränkt und wurde mir nach einiger Zeit auch ein wenig lästig.
Daniela Dröscher schreibt gut lesbar, wodurch die etwa 300 Seiten wie im Flug vorbei waren. Dennoch blieb nicht wirklich etwas nachhaltig bei mir hängen.

Bewertung vom 30.09.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


sehr gut

Wie ist es, in einer Familie aufzuwachsen, in der praktisch alle verrückt sind? Nicht in dem Sinne, dass sie sich nicht unbedingt den gesellschaftlichen Normen entsprechend verhalten, sondern tatsächlich psychisch krank. Der Erzähler in Botanik des Wahnsinns hat wahnsinnige (pun intended) Angst, selbst verrückt zu werden. Um diese Angst zu bewältigen, wird er Psychiater. Bei seiner ersten Stelle sind nicht nur die Patienten verrückt, auch das System selbst ist es: Leon soll nicht nur praktisch ohne Einarbeitung eine Station übernehmen, er darf sich auch selbst analysieren.
Trotz der Ernsthaftigkeit des Themas erzählt Leon Engler alles mit einer guten Portion (bissigem) Humor. Die Kapitel sind in der Regel recht kurz und handeln meist von sehr unterschiedlichen Episoden, nicht nur aus Leons Leben, sondern auch von dem seiner Vorfahren. Mir war diese Struktur teilweise ein bisschen zu wild und auch die zeitlichen Zusammenhänge entbehrten manchmal einer gewissen Logik. Jedes Kapitel erforderte eine neues Eindenken, das ich oft als mühselig empfand. Botanik des Wahnsinns ist nur etwa 200 Seiten lang, sollte also eigentlich schnell gelesen sein. Dennoch benötige ich beinahe eine Woche dafür. Das Buch ist gut geschrieben, die Thematik sehr spannend, vieles ist geschickt gewählt. Doch der letzte Funke wollte leider nicht ganz überspringen.

Bewertung vom 27.09.2025
Schilp, Tina

KUNO KLAPPER hat nicht alle Knochen beisammen


sehr gut

Kuno Klapper ist ein Skelett. Hundert Jahre ist er schon alt und ausgerechnet jetzt fehlt ihm ein Knochen! Kuno ist ziemlich schusselig, daher kann es schon mal sein, dass er etwas verliert. Doch plötzlich vermissen auch andere Skelette Knochen. In Kuno wächst der Verdacht, dass es einen Knochendieb gibt. Gemeinsam mit seinen Freunden versucht er, das Rätsel zu lösen.
Kuno Klapper hat nicht alle Knochen zusammen ist eine total liebevolle, witzige und zugleich spannende und gruselige Geschichte für Leser*innen ab circa acht Jahren. Mit etwa 160 Seiten und zahlreichen Illustrationen ist das Buch nicht zu dick zum Selberlesen. Die Bilder sind gut getroffen, vor allem Kuno, der mit seinen hundert Jahren keinesfalls verstaubt wirkt (er wohnt übrigens immer noch bei seinen Eltern). Auch die Beschreibungen der einzelnen Skelette, Monster, Geister etc. sind sehr liebevoll und kindgerecht. Es ist genau die richtige Mischung aus Humor und etwas Grusel, die bei Kindern immer sehr gut ankommt. Eine wirklich schöne Lektüre, sehr passend für den Herbst und für Halloween.

Bewertung vom 05.09.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


ausgezeichnet

Nelio Biedermann, der Autor von Lázár, ist gerade einmal 22 Jahre alt. Junge Autoren gibt es viele. Die Anzahl an Autoren, die so schreiben können wie Nelio Biedermann ist gering, in diesem Alter geht sie gegen Null. Kein Wunder also, dass er als literarisches Wunderkind bezeichnet wird.
Mit deutschsprachiger Literatur tue ich mir manchmal schwer. Bei vielen Werken ist mir vieles zu sehr gewollt, die Handlung wird zu Gunsten von Sprache häufig zu sehr reduziert. Daher freut es mich umso mehr, dass bei dem vorliegenden Werk beides stimmt. Man merkt, dass jeder Satz, jedes Wort genauestens überlegt sind. Nelio Biedermann weiß genau, wann er etwas erzählen muss und wann es besser ist, eine Szene oder Situation der Vorstellung der Lesenden zu überlassen. Gleichzeitig wirkt das Ganze dabei nie bemüht.
Die Handlung ist von der Familiengeschichte des Autors inspiriert, ungarischen Adligen, die ebenfalls in die Schweiz flohen. Beim Schreiben profitierte er von diesen Erfahrungen. Das ist es aber nicht allein, was diesen Roman ausmacht. Es sind die einzelnen Personen, auch wenn sie teilweise nur am Rande vorkommen. Gerade Figuren wie der Onkel oder auch die Beschreibung von Lajos zu Beginn des Buches. Es sind diese Details, die an den richtigen Stellen platziert werden.
Der Roman will aufmerksam gelesen werden. Nicht immer ist sofort klar, aus wessen Sicht nun erzählt wird, teilweise musste ich Abschnitte zweimal lesen. Dies machte das Leseerlebnis für mich noch intensiver.
Für Lázár gibt es von mir eine ganz klare Leseempfehlung. Wenn Nelio Biedermann so weitermacht, können wir noch Großes von ihm erwarten.

Bewertung vom 22.08.2025
Everett, Percival

Dr. No


sehr gut

Es gibt mindestens genauso viele Parodien auf Agentenfilme, wie es richtige James Bond-Filme gibt. Viele davon haben ein paar gute Ideen, können diese aber nicht bis zum Schluss durchhalten. Parodien in Romanform sind noch einmal etwas anderes: Schriftlich wirkt vieles ganz anders als in Bildern. Damit hier tatsächlich alles funktioniert, bedarf es schon meisterhaften Könnens. Dieses zeigt Percival Everett einmal wieder.
Wala Kitu ist Professor an der Brown University. Sein Name bedeutet genau das, was sein Spezielgebiet ist: Nichts. Dieses für uns unvorstellbare Nichts, dass es gab, bevor das Universum entstand, das durch Schwarze Löcher entsteht. Durch dieses Spezialgebiet wird der Milliardär John Sill auf ihn aufmerksam, selbsternannter Oberschurke. Mit Wala Kitu möchte er einen Karton aus Fort Knox stehlen, der genau dieses nichts enthalten soll, und mit dem er (man ahnt es), die Weltherrschaft erreichen möchte.
Mit Wala Kitu erschafft Percival Everett einen klischeehaft absurden Mathematiker mit Asperger-Syndrom und Autismus-Spektrum-Störung, der durch diese Mischung aus messerscharfem Verstand und unglaublicher Naivität äußerst liebenswürdig wirkt, ein bisschen wie eine Mischung aus Don Tillman und Sheldon Cooper. Klar, dass dies zu aberwitzigen Konstellationen und Situationen führt. Gepaart ist das Ganze mit jeder Menge Mathematik und Philosophie, wobei man manchmal nichts versteht (zwinker zwonker). Percival Everett wird dabei nie geschmacklos und ist stilistisch wie immer perfekt. Ihm gelingt eine großartige Satire, die nebenbei genauestens Rassismus und Machtgefüge durchleuchtet.
Humor ist oft ein schwieriges Thema und so wird Dr No mit Sicherheit nicht allen gefallen. Ich fand es toll geschrieben und habe mich sehr amüsiert. Und der letzte Satz des Buches ist der perfekte Abschluss.