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Sim

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Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 15.01.2011
Der Report der Magd
Atwood, Margaret

Der Report der Magd


ausgezeichnet

Gilead, ein fiktiver Militärstaat in den USA. Die Geburtenrate ist minimal, atomare Gaus haben zu Unfruchtbarkeit geführt. Ein totalitäres Regime übernimmt die Macht, schürt die Ängste der Bevölkerung und fokussiert sie auf allem was anders ist als. Andersgläubige, Andersdenkende, Andersliebende werden zu Feindbildern stilisiert, umerzogen, aus dem Weg geräumt oder in die Kolonien verbannt wo sie Giftmüll entsorgen müssen.

Frauen werden entrechtet, ihr Besitz geht an den Ehemann oder den nächsten männlichen Verwandten über, so dass ihnen nur die Möglichkeit bleibt, sich zu fügen oder als Verräterinnen aus dem Weg geschafft zu werden. Bibelzitate müssen herhalten, um den menschenverachtenden Ideologien eine Berechtigung zu geben. Es gibt keine freie Meinungsäußerung, keine freien Medien mehr, das Fernsehen ist zum Propaganda-Sprachrohr geworden. Frauen ist es verboten zu lesen.

Die Frauen werden in Kasten eingeteilt, aus denen es keinen anderen Ausweg gibt, als den Tod. Es gibt die Ehefrauen, die zur herrschenden Klasse gehören, Martas, die deren Haushalt führen und die Mägde, die wenigen fruchtbaren Frauen, die zu nichts anderem bestimmt sind, als die Kinder der hochrangigen Militärs zu gebären. Sie haben keine Rechte, keine Stimme, nicht einmal einen eigenen Namen.

Desfred, die Magd des Fred, erzählt ihre ganz persönliche Geschichte. Eine Geschichte über eine Frau, die vom Menschen zum Mittel-zum-Zweck degradiert wird. Eine Geschichte über Entwürdigung, Erniedrigung und Entrechtung. Eine Geschichte, die nicht nur eine Geschichte sein könnte. Und das ist es, was Margaret Atwoods Dystopie so eindringlich macht. Alles was sie beschreibt ist so oder ähnlich schon passiert und könnte wieder passieren.

Der Report der Magd ist nicht nur ein großartiger, sondern auch ein wichtiger Roman. Ein Roman, der zum Nachdenken anregt. Ich halte nichts von "Das muss man gelesen haben Listen", aber wenn ich eine anfertigen müsste, dann wäre dieses Buch darauf.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.11.2010
Lohn des Todes
Renk, Ulrike

Lohn des Todes


ausgezeichnet

Die Jugendpsychologin Constanze von Aken wurde Opfer eines Gewaltverbrechens, ist traumatisiert, ihre Beziehung zu ihrem Freund Martin abgekühlt. Sie sucht Ruhe in ihrem gemeinsamen Haus in der Eifel und wird dort mit neuen Problemen konfrontiert.

Ihr Freund hat eine Affäre mit einer Kollegin. Beide sind Mitglieder der OFA. Die Sondereinheit des BKA erstellt Täterprofile für sexuell motivierte Gewaltdelikte und arbeitet an einem neuen Fall, ausgerechnet an dem Ort, an dem Constanze Abstand gewinnen und zur Ruhe kommen will.

Die OFA sucht nach einem Serienkiller, der seine Opfer vergewaltigt, quält, verstümmelt und die Leichen öffentlich zur Schau stellt. Die Opfer haben scheinbar keine Gemeinsamkeiten. Eins ist die 17jährige Sonja, eine ehemalige Patientin von Constanze. Und ohne es zu wollen steckt die Psychologin mitten in den Ermittlungen.

Ulrike Renk schafft glaubhafte Charaktere ohne Schwarz-weiß-Malerei und verknüpft geschickt die Entwicklung des neuen Kriminalfalls und die Entwicklung der Protagonistin. Je tiefer Constanze sich in den Leiden der Opfer und den Motiven des Täters verstrickt, desto mehr befreit sie sich von ihrem eigenen Trauma.

Macht ist die übergeordnete Kraft in diesem Roman. Die Macht, die der Täter auf seine Opfer ausübt, die Macht, die Erinnerungen über Opfer immer noch haben, auch wenn die Tat ausgestanden ist. Überstanden ist eine solche Erfahrung wohl nie, aber wie wir an der Entwicklung von Constanze miterleben dürfen, kann man seine Ängste überwinden und vielleicht sogar in eine positive Richtung lenken.

Die Handlung beschränkt sich nicht nur auf die Tätersuche, man bekommt auch einen Einblick in Constanzes Privat- und Gefühlsleben, ohne dadurch aus der Primärhandlung gerissen zu werden. Die Handlungsstränge sind verbunden, eine sich gegenseitig tragende Einheit.

Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben und die Erzählsprache passt wirklich gut zu der Protagonistin, die Psychiaterin, die es gewohnt ist, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Der Stil hat mir unheimlich gut gefallen, weil er Constanze eine eigene Stimme gibt und einen mit nimmt.

Einziges keines Manko ist das Buchcover, das mich gedanklich in Richtung Bauernhofgeschichten geleitet hat. Aber davon sollte man sich nicht irritieren lassen und das schmälert auch nicht das Lesevergnügen.

Lohn des Todes ist der zweite von Ulrike Renks Eifelthrillern, kann aber durchaus gelesen werden, ohne dass man den ersten Teil kennt. Allerdings werde ich Teil eins nun noch nachholen.

Fazit: Ein gelungener Thriller, spannend, glaubwürdig, mit Figuren aus Fleisch und Blut.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.11.2010
Der Nebelkönig
Gerdom, Susanne

Der Nebelkönig


ausgezeichnet

Sallie ist Küchenmädchen in einem Herrenhaus, das ihre ganze Welt bedeutet, das ihre ganze Welt ist, denn das Haus und der Garten sind alles, was sie kennt und je gesehen hat. Dass es noch eine Welt außerhalb gibt, erkennt sie erst, als der Bibliothekar ihr Bücher zu lesen gibt, in denen von Bergen und Städten die Rede ist, Dinge, die sie noch nie gesehen hat, Dinge die sie glaubt noch nie gesehen zu haben.

Besonders gefangen nimmt Sallie die Geschichte des Nebelkönigs und der Katzenkönigin, eine Geschichte die sich immer mehr mit Sallies Geschichte vermischt, die immer mehr Raum in ihrem Leben, in ihren Gedanken einnimmt. Und schon bald verschwimmt die Wirklichkeit, wird dunstig wie der Nebel, der mehr und mehr von dem Herrenhaus Besitz ergreift.

Susanne Gerdom spielt gekonnt mit der Frage, was ist Realität, was bestimmt unsere ganz persönliche Wirklichkeit? Man entdeckt zusammen mit Sallie ihre Welt, mehr und mehr taucht man in die Geschichte ein, verliert sich im Nebel, um im nächsten Moment zu glauben der Wahrheit ein Stückchen näher gekommen zu sein, die sich dann doch als Täuschung entpuppt.

Die Geschichte spielt nur in diesem Haus, das so real und irreal ist, wie seine Bewohner und doch hat man das Gefühl die ganze Welt darum herum ein bisschen kennenzulernen, was an den wunderbaren Figuren liegt, die Sallies Welt bevölkern, eine jede stellvertretend für ein ganzes Volk, und an den gelungenen, teilweise wirklich poetischen, Beschreibungen. So bekommt man einen Eindruck davon, wie die Welt wohl ausgesehen haben mag, als der Nebelkönig noch nicht ... aber das lest selbst.

Es hat mir riesigen Spaß gemacht in Sallies Geschichte einzutauchen. Das ist wohl das schönste Fantasy-Märchen, das ich seit der Unendlichen Geschichte gelesen habe.

Wer vielleicht vergessen hat wie es war, die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und mit einer Taschenlampe bewaffnet bis spät in die Nacht zu lesen, der sollte es mit dem Nebelkönig nochmal versuchen, denn wenn man sich darauf einlässt, dann bekommt man nicht nur eine wunderschöne Geschichte, sondern ein bisschen von diesem Gefühl zurück.

Fazit: Eine spannende, bildhaft geschriebene und einfach wunderschöne Geschichte. Nicht nur für junge Leser.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.