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Benutzername: 
Amadea
Wohnort: 
Tangern

Bewertungen

Insgesamt 5 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Milieustudie aus der Wiener Vorstadt

Seethalers neues Buch ist ein sorgfältig erzählter Roman, in dem er in bilderreicher Sprache die Geschichte eines Mannes rekonstruiert, der sich im Wien der 1960er–Jahre mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält und schließlich einen langgehegten Lebenstraum erfüllt. Er übernimmt am tristen Karmelitermarkt ein heruntergekommenes Gastlokal. Als „Café ohne Namen“ haucht er ihm ein neues Leben ein.

Mit erstaunlichem Geschick schildert Seethaler den Mikrokosmos um das Karmeliterviertel, „eines der schmutzigsten und ärmlichsten in Wien“ (Seite 13). Er erzählt vom Alltag im „Tschecherl“. Von Robert, dem Wirt. Von Mila, seiner Bedienung. Von dem der Gäste, unter denen sich teils recht schräge Vögel und schrullige Charaktere finden. Wir erfahren von ihren Sorgen, Nöten, den kleinen und großen Dramen und den Leben, die ohne große Ansprüche gelebt werden.

Seethaler schickt uns Leser mitten hinein in eine kleinbürgerliche Welt, ohne dass er die Menschen billig vorführt. „Das Café ohne Namen“ ist ein Roman, in dem die 1960er und 70er–Jahre wiederauferstehen. Eine Epoche, in der die Zukunft für viele hoffnungsfroh wird. Träume und Sehnsüchte verknüpfen sich mit dem Um– und Aufbruch jener Tage. Schnörkellos sprudeln die Erinnerungen daher. Nie laut, sondern leise. Manchmal sogar weise wie auf Seite 157: „ Mit seinem Café hatte er sich seinen Traum verwirklicht, doch nun wurde ihm die schlichte Tatsache bewusst, dass jeder Traum verschwindet, sobald er sich erfüllt“.

Ich kann dieses Buch bedenkenlos empfehlen. Hier ist nämlich auf bewundernswerte Art aus banalen Alltagsgeschichten eine bunte Zeitcollage entstanden.

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Bewertung vom 26.04.2023
Solange wir leben
Safier, David

Solange wir leben


ausgezeichnet

Mit vielen einprägsamen Puzzleteilen setzt David Safier die Geschichte seiner Familie zusammen. Die Großeltern, polnische Juden, flüchten 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, vor den Pogromen nach Wien. Obwohl sie aus einem Landstrich kommen, der damals zur Habsburgermonarchie gehört, zählen sie hier als Ausländer und Jahrzehnte später tragischerweise auch zu den unschuldigen Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns. Der Großvater stirbt im KZ Buchenwald. Die Großmutter im Ghetto von Lodz.

Im Mittelpunkt des Buches steht anfangs Safiers Vater Joschi. Es war ein bewegtes Leben, das für ihn als Sohn eines armen Schneiders 1915 in Wien begann und 1997 in Bremen mit Selbstmord endete. Der Roman besticht durch seine Fülle an Details. Er schildert das Wien der Zwischenkriegszeit, Österreichs „Anschluss“ an das Deutsche Reich sowie den brutalen Antisemitismus, der von nun an die Stadt beherrscht.

Der Terror des Nazi–Regimes gipfelt für Joschi darin, dass er seine erste große Liebe verliert, das Studium gezwungenermaßen abbricht, von der Gestapo verhaftet wird, ihr aber durch eine schicksalshafte Fügung entkommt. Nach Monaten in einem Kellerversteck macht er sich schweren Herzens auf nach Palästina – zu seiner Schwester Rosl, der bereits die Flucht ins „gelobte Land“ gelungen ist.

Präzise und spannend entwickelt lässt uns Safier am weiteren Leben seines Vaters teilhaben. Gleichzeitig webt er nun als Doppelroman die Geschichte seiner Mutter Waltraud ein. Das Gedenken an die Familie wird zu einer Zeitreise durch viele Länder, Höhen und Tiefen. Es ist ein schonungsloser Roman über Verluste, Sehnsüchte, Ängste, über Aufstieg und Absturz ebenso wie von der tiefen Liebe der Eltern zueinander.

Lesen sie dieses Buch. Es berührt, macht nachdenklich und zugleich hoffnungsvoll, denn es ist trotz aller Tragik eine Hommage an das Leben. Selbst wenn immer wieder der Schmerz hervorbricht, beginnt stets auch etwas Neues!

Bewertung vom 26.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


gut

„3000 Yen fürs Glück“ ist ein Roman, der seinen Lesern die Tür zu vier Frauen der Familie Mikuriya öffnet – und damit zu einer anderen Kultur. Zu einer anderen Gedankenwelt. Zu anderen Bräuchen und einem gänzlich anderen Umgang mit Geld.

Alles in diesem Buch dreht sich ums Sparen. Wo und wie man den Rotstift ansetzt, was verzichtbar ist, wo welche Schnäppchen warten, wie man an Rabatte kommt. Das Mantra zu mehr Glück und Zufriedenheit: Lege Yen für Yen auf die hohe Kante, um gerüstet zu sein für den Kauf einer Wohnung oder eines Häuschens, der Ausbildung des Kindes oder um im Alter bequem über die Runden zu kommen. Wir lernen insbesondere die Großmutter der beiden jungen Protagonistinnen kennen, die täglich penibel ihr Haushaltsbuch führt, permanent nach Angeboten Ausschau hält und und nach einem kritischen Blick auf ihr Erspartes mit 73 (!) auf Jobsuche geht.

Das Buch ist in mehrere Kapitel aufgeteilt. Jeweils ein Familienmitglied steht im Mittelpunkt und nicht selten ein geradezu verbissenes Sparen, aber so gut wie nie auch nur der Hauch von einer Leichtigkeit des Seins. Selbst kleinste Freuden des Alltags, die einen Pappenstiel kosten, werden hinterfragt. Das nenne ich ein ziemlich freudloses Leben.

Meine Lesebilanz:

– „3000 Yen fürs Glück“ hat mich nicht glücklich gemacht. Meine Erwartungen an einen Bestseller sind etwas höher geschraubt.
– Lästig fand ich das ständige Umrechnen von Yen in Euro.
– Unglaubwürdig die auf Seite 102 ff.angeführten Lebenshaltungskosten. Tokio zählt zu den teuersten Städten der Welt. Dass man ausgerechnet dort für knapp 600 € eine Wohnung fände, gehört in den Bereich der Märchen.
– Dasselbe gilt für die monatlichen Lebensmittel–Ausgaben (3–Personen– Haushalt) von umgerechnet 135 €. Egal wie eng der Gürtel geschnallt wird, für diesen Betrag kriegt selbst der größte Sparfuchs niemanden satt.

Summa summarum vergebe ich 3 Sterne. Mehr ist das Buch trotz entzückendem Cover in meinen Augen einfach nicht wert.

Bewertung vom 26.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


gut

Vor Jahren habe ich Perdu durch „Das Lavendelzimmer“ kennengelernt. Ein etwas schrulliger Eigenbrötler, dennoch liebenswert, nett und unterhaltsam. So weit, so gut.

Nun also lief mir der Verschollene wieder über den Weg. Was sich partout nicht mehr einstellen wollte, war die Sympathie von damals. Das vermeintlich gemütliche dahin Schippern auf dem Bücherschiff war der sprichwörtliche Schlag ins Wasser.

Kurz und bündig auf den Punkt gebracht:
Das Buch hat mich über weite Stellen gewaltig genervt. Für meinen Geschmack ist es komplett überfrachtet. Mit den seitenlangen Einträgen, die einem als „Große Enzyklopädie der kleinen Gefühle“ verkauft werden, hat es George einfach übertrieben. Die Hälfte hätte allemal gereicht. Und was soll der Leser von einer über Nacht erfolgten Spontanheilung halten – außer nichts? Geht es noch unglaubwürdiger? Oh ja, spontan fallen mir dazu jene prominenten Namen ein, die unnötigerweise auch noch aus dem Hut gezaubert wurden.

Der Tipp auf das "Extra Buch" des Autors Jean Bagnol hat das Fass dann aber endgültig zum Überlaufen gebracht. Jean Bagnol? Wer bitte soll das sein? Des Rätsels Lösung: Es ist ein Pseudonym, hinter dem Nina George und ihr Mann stecken. Jetzt schlägt‘s wirklich 13!

Dieses Wimmelbuch kann ich niemanden empfehlen. Stattdessen gibt es von mir heute den gut gemeinten Warnhinweis „Hände weg von diesem Larifari“.

Um wenigstens etwas Positives von mir zu geben: Das Beste an dem Buch ist sein schönes Cover.

Bewertung vom 24.03.2023
Die spürst du nicht
Glattauer, Daniel

Die spürst du nicht


ausgezeichnet

Zwei befreundete Familien machen gemeinsam Urlaub in der Toskana. Mit von der Partie ist ein somalisches Flüchtlingskind, das mit einer der Töchter die Schulbank drückt. Alles ist perfekt: Das Feriendomizil. Das Wetter. Das Essen. Der Prosecco. Der Wein. Doch schon bald nach der Ankunft bricht die Idylle in sich zusammen. Es kommt es zu einem furchtbaren Unglück …

Von da an ist nichts mehr wie es war. Die heimatliche Presse kriegt Wind davon, was in Italien passiert ist. Es wird darüber berichtet. Zuerst ohne Namensnennung. Natürlich dauert es nicht lange und es kursiert der Name jener Politikerin durch die Gazetten, die das Mädchen in den Urlaub mitgenommen hat. Unzählige Kommentare folgen. Pro und Contra. Die einen getragen von Mitleid, die anderen gehässig, jenseits von Gut und Böse – so wie sie eben wohl jeder von uns kennt.

Das Buch seziert die Gefühlswelt der Betroffenen. Gedanken fahren in Endlosschleife Karussell. Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Der Alltag wird für Einzelne zur Qual. Die Hutschachteln der Erinnerungen tragen Trauer ebenso wie jeder Beteiligte sein eigenes Bündel mit sich herumschleppt, ohne zu wissen, wie man mit „so etwas“ fertig wird.

Mehr möchte ich nun aber wirklich nicht verraten. Nur so viel: Ich habe das Buch verschlungen. Bin förmlich durch den Roman gerast und habe mich hinterher gefragt, ob und wie man nach einem derartigen „Vorfall“ wieder zu seinem Seelenfrieden zurückfindet. Ja, es war teilweise eine „schwere Kost“, die der Autor hier präsentiert. Eines ist ihm zweifelsohne gelungen: Seine Figuren sind authentisch. Die Sprache nicht gekünstelt und die Schilderungen glaubhaft. Hut ab, Herr Glattauer!