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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 247 Bewertungen
Bewertung vom 10.12.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

Man meint, mit der Familie am Tisch zu sitzen, wenn sie sich zum Mittagessen versammelt. Man glaubt, dabei zu sein, wenn Thomas und Heinrich Mann am Meer spazieren gehen. Man windet sich mit den Kindern, die aus Angst vor dem Übervater zittern und sich nichts zu sagen trauen. Man leidet mit „Tommy“, dem Nobelpreisträger, der sich so sehr entwurzelt fühlt.
Das geniale Buch von Florian Illies – so wunderbar geschrieben, so perfekt Stimmungen beschreibend und Personen entlarvend – liest sich wie ein spannender, humorvoller und sehr sensibler Roman. Durch dessen Seiten man jagt, die man nicht schnell genug umblättern kann, so sehr fesselt das Erzählte.
Etwas mehr als ein halbes Jahr folgt Illies den Geschehnissen und Handlungen der Familie Mann. Beginnend im Februar 1933 zeichnet er das Bild einer heimatlos gewordenen Sippe, hin und her taumelnd, von Ort zu Ort ziehend, ohne sich wirklich heimisch fühlen zu können.
Thomas Mann, auf Vortragsreise in Amsterdam und in der Schweiz, kann plötzlich nicht mehr nach Deutschland zurückkehren. Seine politische Haltung macht ihn im nationalsozialistischen Deutschland zur unerwünschten Person. Aber er begreift das erst nach und nach, will es nicht wahrhaben, hofft, dass sich alles aufklärt, dass dieser Spuk vorübergeht.
Seine ältesten Kinder Erika und Klaus sehen das klarer, realistischer. Sie drängen ihn, mit Deutschland abzuschließen, sein im Werden begriffenes neues Buch nicht mehr dort erscheinen zu lassen. Dabei sind sie selbst Gejagte, werden selbst nicht sesshaft. Erika zieht es zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Therese Giese in die Schweiz, während Klaus in den Niederlanden eine neue Zeitschrift gründen will.
Derweil muss der drittälteste Sohn Golo die dem Vater wichtigsten Dinge aus dem Haushalt in München retten, dabei ist er doch selbst ebenfalls mit sich selbst nicht im Reinen. Und dann sind da noch Moni, die ungeliebte Tochter, die niemand vermisst, wenn sie fehlt. Sowie die beiden jüngsten, Elisabeth, genannt Medi, Thomas Manns Lieblingskind und Michael, der Geige spielende und ebenfalls den Vater fürchtende.
Sie alle landen schließlich für die Sommermonate in Sanary sur Mer, in Südfrankreich nahe Nizza. Doch nicht nur die Manns stranden dort in diesen Monaten, immer mehr Geflüchtete kommen aus Deutschland. Thomas‘ Bruder Heinrich, Lion Feuchtwanger und seine Frau, Aldous Huxley, Bertold Brecht, Arnold Zweig, Ludwig Marcuse und viele mehr. Man trifft sich, man diskutiert, es werden Lesungen veranstaltet, Liebschaften beginnen und enden. Und dazwischen immer Thomas Mann, der unendlich leidet, sich nicht entscheiden kann, der seine Heimat, sein Haus, seine gewohnte Umgebung vermisst. Der es nicht über sich bringt, deutlich und öffentlich seine Meinung über die Nazis zu bekunden.
All das erzählt Florian Illies auf so unnachahmliche Weise, dass man jede Szene, jede Begebenheit hautnah miterlebt. Seine Art, seine Sprache sind so genial, so unglaublich witzig, ohne dabei entblößend oder verunglimpfend zu sein, sein Blick auf die Stimmungen, die Manieriertheiten der Literaten und Künstler so klar und gleichzeitig auch auf eine gewisse Weise liebevoll. Nie verurteilt er, aber er beschönigt auch nicht.
Dazu die herrlich formulierten Sätze, die ich manchmal zwei- oder dreimal las, einfach um sie zu genießen. Daran hätte vermutlich auch Thomas Mann seine große Freude gehabt. Die Art der Darstellung, die kurzen Streiflichter, die mal auf dieses, mal auf jenes Familienmitglied gerichtet sind, erinnerte mich an die Bücher „Marseille 1940“ und „Februar 33“ von Uwe Wittstock. Diese beiden Bücher und das vorliegende geniale neue Buch von Florian Illies muss man einfach gelesen haben.
Uneingeschränkt und auf jeden Fall ein Jahreshighlight. Ganz große Empfehlung (fünf Sterne reichen dafür nicht)
Florian Illies - Wenn die Sonne untergeht: Familie Mann in Sanary
S. Fischer, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 329 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 08.12.2025
Falk, Rita

Apfelstrudel-Alibi / Franz Eberhofer Bd.13


ausgezeichnet

Dreizehn Bände umfasst die Reihe um den Dorfsheriff Franz Eberhofer inzwischen – und ich habe sie alle gelesen. Darunter waren wirklich gelungene, bei denen man Tränen lachen musste oder vor Spannung an den Fingernägeln knabberte. Aber es gab auch Bücher in dieser Serie, die waren eher mittelmäßig, dumpf humorig, hatten wenig von einem Krimi, dafür umso mehr von einer Klamotte. Doch dieser dreizehnte, der ist wieder gut geworden.
Denn diesmal vermeidet die so fleißige Autorin allzu tumben Witz, allzu viele Kalauer, legt mehr Wert auf den Krimipart der Handlung. Wiewohl auch wieder das Privatleben des Eberhofer eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle spielt.
Hadert der ziemlich aus der Zeit gefallene Macho doch mit der neuen Karriere seiner Susi, die inzwischen zur Bürgermeisterin von Niederkaltenkirchen aufgestiegen ist. Was es mit sich bringt, dass sie kaum noch zu Hause ist und wenig Zeit für den gemeinsamen Sohn Paul und noch weniger für Franz hat (und auch meist keine Lust zum Schnackseln…). Und auch Paul, inzwischen neun Jahre alt, hat durchaus seinen eigenen Kopf und genaue Vorstellungen von seinem Leben. Die nicht immer mit denen des Vaters harmonieren.
Da kommt es gelegen, dass Richter Moratschek den Franz um Hilfe bittet. Seine Patentochter ist bei einem Unglück in den Südtiroler Bergen ums Leben gekommen und Moratschek wittert Unrat, sprich, er verdächtigt den frischgebackenen Ehemann der Toten, bei dem Unfall nachgeholfen zu haben. So bricht Eberhofer also auf nach Südtirol, während der unvermeidliche Spezi Rudi Birkenberger auf dem von besagtem Ehemann angeblich geführten Campingplatz ermitteln soll.
Dass dabei nicht alles glatt läuft, dass Rudi das heimliche Recherchieren wieder mal verbockt, so dass Franz zusammen mit Sohn Paul nun selbst zum Campen fahren muss, das erzählt Rita Falk auf gewohnte Weise voller Tempo, voller Witz und Charme. Dabei darf Franz diesmal auch recht viel Gefühl zeigen, immer dann, wenn es um seinen Sohn geht, auf den er so ungemein stolz ist. Und auch, sobald die Oma ins Spiel kommt, wird Franz ganz weichherzig. Sie wird langsam klapprig, vergisst viel, ist bettlägerig und ist trotzdem, neben Paul und Susi die wichtige Person in Franz‘ Leben.
Man fragt sich allerdings zwischendurch immer wieder, womit der Franz eigentlich sein Geld verdient, denn im gesamten Roman war er nicht ein einziges Mal auf seiner Dienststelle, geschweige denn, dass er Urlaub nahm für seine Recherchen in Südtirol oder sonst irgendetwas berufliches täte.
Am Ende klärt sich selbstverständlich der Fall um den Tod von Moratscheks Patentochter auf, wenn auch ganz anders als man erwartet. Auch das ist Rita Falk diesmal sehr gut gelungen, sie hat immer noch eine Überraschung in petto. Und dennoch, irgendwann sollte es vielleicht mal gut sein, nach so vielen Bänden. Andererseits, man wüsste ja schon gern, wie es mit Franz, Susi und Paul weitergeht…
Rita Falk – Apfelstrudelalibi
dtv, Oktober 2025
Taschenbuch, 336 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 05.12.2025
Greifenstein, Gina;Grießer, Anne;Saladin, Barbara

Das kleine Café am Friedhof


gut

Was bei diesem Buch zu Beginn auffällt, und zwar leider negativ, ist die Tatsache, dass die ersten 100 bis 150 Seiten nur aus Rückblicken bestehen. Und damit nicht genug, wird es im weiteren Verlauf immer wieder Rückblicke geben.
Erzählt werden im Grunde drei von einander unabhängige Geschichten, in deren Mittelpunkt jeweils eine von drei befreundeten älteren Damen steht. Agnes, Waltraut und Erika, genannt Ricky, haben alle eine Vergangenheit, von der es etwas zu verbergen gilt. Alle drei tragen sich mit Schuldgefühlen und glauben sich ertappt, als sie bei der Ausübung ihres liebsten Hobbys, dem Besuch fremder Beerdigungen, von einem unbekannten Mann beobachtet werden.
Damit beginnt der Roman. Jede der drei Frauen glaubt in diesem Mann jemand anderen wiederzuerkennen, jemanden, der ihr auf die Schliche gekommen sein könnte, der ihr übel wollen könnte. Daraufhin erzählt der Roman dann nacheinander die Geschichten der drei, nur jeweils durch kurze, manchmal nur aus wenigen Sätzen bestehenden Einschüben unterbrochen, die im „Jetzt“ spielen und die Drei beim Zusammensitzen im titelgebenden Café zeigen.
Soviel darf man verraten, dass alle drei mit einem Tötungsdelikt in Verbindung stehen, welches nach so vielen Jahren bis heute nicht als solches entdeckt wurde. Der Mann, der sie beobachtet, entpuppt sich jedoch schließlich nicht als der von ihnen jeweils befürchtete, sondern ist jemand ganz anderes.
Dann aber wird es komplett abstrus und absurd, die Geschichte oder vielmehr die drei voneinander unabhängigen Geschichten nehmen einen ganz neuen Verlauf. Was geschieht und als was sich das Ganze schließlich herausstellt, darf ich hier nicht verraten. So richtig überzeugen konnte mich es aber nicht, auch wenn es recht witzig und immerhin ziemlich ungewöhnlich ist.
Es kann nur vermutet werden, aber auf mich wirkt der Roman, der immerhin von ebenfalls drei Damen verfasst wurde, als hätte jede von ihnen sich eine der Protagonistinnen ausgewählt und deren Geschichte geschrieben. Dann wurde drumherum eine Rahmenhandlung geschaffen, die aber so wenig wirkliche Handlung hat, dass man sie glatt überlesen kann. Auch die im Klappentext als patent und nervenstark beschriebene Kellnerin im besagten Café spielt eine eher untergeordnete Rolle, erst ganz am Schluss kommt ihr noch eine gewisse Bedeutung zu.
So ist dieses Buch zwar recht unterhaltsam, die Hauptfiguren sind jedoch ziemliche Abziehbilder, wenn man von ihren vergangenen Verfehlungen mal absieht, präsentieren sie sich als wandelnde Klischees von älteren Frauen. Die erwähnte Pointe ist zwar ebenfalls einigermaßen überraschend und wirklich nicht vorhersehbar, aber andererseits auch nicht unbedingt so ganz geschickt umgesetzt.
Insgesamt also eine nette Geschichte oder vielmehr drei nette Geschichten, die aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Gina Greifenstein, Anne Grießer, Barbara Saladin - Das kleine Café am Friedhof
KBV, Oktober 2025
Taschenbuch, 317 Seiten, 15,00 €

Bewertung vom 01.12.2025

LONELY PLANET Bildband Toiletten der Welt


ausgezeichnet

Wer kommt bloß auf die Idee, ein Buch über Toiletten der Welt zu machen. Doch es macht viel Spaß, durch die Seiten dieses Fotobandes zu blättern. Und sich über so manchen absurden stillen Ort, manches merkwürdige Klo und einige besonders abgelegene Toiletten zu wundern.
Einhundert solcher Örtlichkeiten sind hier versammelt, von extrem modern, außerordentlich bunt, ungewöhnlich groß oder auch klein bis hin zu simplen Holzbuden oder Donnerbalken.
Da gibt es die Urinale im bis 2023 höchsten Gebäude Japans, bei denen man dem spektakulären Ausblick den Rücken zukehrt, sofern man muss. Da gibt es die ironisch beschrifteten Betonhäuschen in den Salzpfannen Tunesiens oder das schilfgedeckte Spitzdach-Hüttchen in der Matsalu-Bucht in Estland.
Oder man kann in den Niederlanden auf der Batavia, dem Nachbau einer Galeone aus dem 17. Jahrhundert eine dortige Toilette aufsuchen, wie sie damals genutzt wurde. Oder man besucht das Bucket-List-Bad auf der Isle of Bute in Schottland, wo ein einst von König Charles benutztes Urinal sein Wappen trägt (Tja, auch Könige müssen müssen…).
Besuchen könnte man auch „Hadrians Stuhl“ in Northumberland in England, wo sich römische Infanteristen und Legionäre im 2. Jahrhundert n.Chr. Gemeinschaftslatrinen teilten, die man heute noch besichtigen kann.
So geht es durch das ganze Buch und man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Sei es, dass die Toiletten hypermodern gestaltet sind wie in Norwegen oder lediglich aus einem wackligen Zelt bestehen wie auf dem Mount Everest, seien sie im Dschungel von Papua-Neuguinea oder mitten in den White Sands in New Mexico. Überall gibt es sie und überall werden sie eben einfach auch gebracht.
Von jedem Örtchen gibt es ein großformatiges beindruckendes Foto und ein kurze, knappe Information zu Art, Ort und evtl. Alter.
Dieses Buch ist witzig, informativ und bietet neben den 100 Toiletten zwischendurch noch besondere Schmankerln in Form von zusätzlichen Informationen wie beispielsweise Berühmte oder berüchtigte Toiletten, Toiletten der Superlative oder Alte Örtchen in neuem Look.
Hilfreich mag auch sicher hin und wieder sein, dass das Buch gleich zu Beginn die Frage nach der Toilette in mehrere Sprachen übersetzt. Darüber hinaus gibt es auch noch einen Zeitstrahl über die Geschichte der Toiletten von 3000 v. Chr. bis heute.
Ein Buch, das man immer wieder mal gerne durchblättert und das sich auch als unterhaltsames Geschenk empfiehlt.
Lonely Planet - Toiletten der Welt
MAIRDUMONT, September 2025
Gebundene Ausgabe, 144 Seiten, 19,95 €

Bewertung vom 26.11.2025
Reynolds, Stewart

Von Katzen lernen, den Faschismus zu überstehen


sehr gut

Als Katzenliebhaberin fühlte ich mich natürlich berufen, dieses schmale Bändchen zu lesen. Doch ich muss zugeben, dass es mich ein wenig ratlos machte, denn nicht alles, was der kanadische Komiker und Moderator Stewart Reynolds hier schreibt, ist für mich nachvollziehbar, logisch oder verständlich.
In wirklich sehr kurzen, selten mehr als eine oder eineinhalb Seiten langen Betrachtungen versucht er, das Verhalten von Katzen auf Menschen zu übertragen. Man solle, so der nicht ganz ernst gemeinte Ratschlag, beispielsweise ähnlich wie die Stubentiger, unberechenbar bleiben, wendig und stets seinem Naturell folgen.
Die kleinen Texte sind überschrieben mit Titeln wie „Weigere dich, ein Halsband zu tragen“ oder „Meistere die Kunst des Verschwindens“ oder „Schlag Vorteil aus deiner Niedlichkeit“ oder „Achte darauf, dass deine Krallen immer gut geschärft sind“.
Im letztgenannten Kurztext vertritt Reynolds die Meinung, dass man, wie die Katzen den Gegner, sprich die Faschisten, durch plötzliche Angriffe überrumpeln sollte. Denn diese seien „auf diese Art der kalkulierten Vergeltung nicht im Geringsten vorbereitet.“ (S. 58). Beim Widerstand gehe es nicht „um ständige Aggression – es geht darum, zu wissen, wann du handeln muss. Und wenn der Moment gekommen ist, kratze zurück.“ (S. 59).
Inwieweit sich das mehr oder weniger auf den passenden Umgang mit Faschisten übertragen lässt, muss jeder und jede für sich selbst herausfinden. Manches ist ganz witzig, manches ein bisschen sehr an den (Schnurr-)Haaren herbeigezogen, manches hingegen mag durchaus in die Praxis umsetzbar erscheinen.
Ehrlich gesagt konnte ich in diesen und ähnlichen Vorschlägen, selbst wenn man Ironie, Sarkasmus und Humor unterstellt, keine wirklich weiterführende Hilfestellung im Umgang mit Faschisten erkennen. Nichtsdestotrotz lasen sich die kleinen Texte recht nett, auch wenn sich vieles oft wiederholt. So viel gibt das kätzische Verhalten dann eben doch nicht her. So umfasst das schmale Buch dann auch nur 71 Seiten, davon einige nur halb gefüllt, andere, jeweils zu Kapitelbeginn mit netten kleinen Zeichnungen.
Besonderen Spaß allerdings machten die vielen, kaum verborgenen Anspielungen auf Trump, immerhin Präsident des Nachbarlands von Reynolds, und vielleicht auch deswegen so treffend und so geschickt eingebaut.
Ein Buch, das unterhaltsam ist, aber am Ende doch irgendwie unbefriedigend bleibt.
Stewart Reynolds - Von Katzen lernen, den Faschismus zu überstehen
Originaltitel: Lessons from Cats for Surviving Fascism
aus dem Englischen von Hanna Große
hanserblau, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 71 Seiten, 12,00 €

Bewertung vom 24.11.2025
Anour, René

Der Doktor und der liebe Mord


ausgezeichnet

Wenn ein bislang völlig unbescholtener junger Tierarzt, ein schüchterner Mann, der es immer allen recht machen will, plötzlich zum Mörder wird, dann hat das mindestens ungeahnte Folgen. Auf jeden Fall aber zieht es ein erhebliches Durcheinander nach sich, inklusive der Frage, wohin mit der Leiche, wie vertusche ich die Tat und wie komme ich aus all dem jemals wieder raus.
Der arme Severin Herr, seines Zeichens Assistent beim berühmten Startierarzt Professor Thalheim, der auch einen Gnadenhof und Tierpark betreibt, gerät genau in diese Situation. Denn als besagter Chef ihm eine Veruntreuung in die Schuhe schieben will, greift Severin zur Spritze und prompt liegt Thalheim tot in der Praxis. Panisch entsorgt Severin die Leiche, nur um kurz darauf zu erkennen, dass er nun nicht nur den von ihm begangenen Mord vertuschen, sondern auch eine immense Summe Geld auftreiben muss, um den Tierpark erhalten zu können.
Zum Glück erweisen sich Jedna, die eigentlich nur die Praxis putzen soll, und ihr Neffe, der neue Tierarzthelfer Tristan, als ausgesprochen nützlich bei den zu erledigenden Aufgaben. Wäre da nicht das Problem, dass nun Severin selbst mit dem Tod bedroht wird, ohne dass er wüsste, von wem und warum.
Da kommt es gelegen, dass Severin zarte Band zur Politikerin Isabelle knüpft, die ihm hilft, eine Spendengala für den Tierpark auf die Beine zu stellen. Doch plötzlich gibt es weitere Probleme, Severin gerät in tödliche Gefahr und Jedna hat nach andere attraktive Ideen, wie man zu Geld kommen könnte.
Turbulent geht es zu in diesem Roman, den man geradezu wegsuchtet. Denn nicht nur ist die Handlung temporeich, spannend und voller Überraschungen, auch die Figuren Severin mit seinem goldenen Herzen, Jedna mit ihrer geheimnisvollen Vergangenheit und der gutmütige und tapfere Tristan sind absolut liebenswert. Alle haben ihre Schrullen und Fehler, alle drei sind völlig überfordert mit den ständigen Situationen, in die sie sich selbst bringen und dazu kommt dann noch die eigentlich gar nicht zuständige, aber dennoch ermittelnde Kommissarin Sommerfeld-Stur (nomen est omen), die Severin heftig auf dem Kieker hat, sowie Severins nicht minder skurrile Eltern. Als Tüpfelchen auf dem I gibt es obendrauf noch sehr sympathische Tiere, wie das Riesenross Tyrion mit seiner Mentorin, der Eselin mit Namen Merkel. Und nicht zu vergessen das Eulenküken Knuddelpiep, das noch eine wichtige Rolle in dem Ganzen zu spielen haben wird.
Dem Autor René Anour, selbst Veterinärmediziner, der als Schreibender bisher im Genre der historischen Romane zuhause war, ist hier ein Roman gelungen, der unglaublich viel Spaß macht, der Klischees und Vorurteile geschickt platziert und der auf jeden Fall große Lust macht, den drei Protagonisten (und den Tieren) wieder zu begegnen.
René Anour - Der Doktor und der liebe Mord
rororo, Oktober 2025
Taschenbuch, 381 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 21.11.2025
Baugstø, Line

Evil Grandma


sehr gut

Dies ist mal wieder so ein Roman, dessen Klappentext ziemlich in die Irre führt, weil er nämlich nicht das beschreibt, was wirklich erzählt wird. Der Einstieg passt, aber was dann daraus führt, ist nicht vollkommen überzeugend.
Mona, nur noch wenige Jahre von der Rente entfernt, wird mit der Nachricht überrascht, dass ihr Sohn und dessen Freundin Eltern werden. Sie ist aber überhaupt noch nicht dazu bereit, Großmutter zu werden. Im Gegenteil, gerne würde sie endlich zu leben beginnen, würde eine neue Beziehung wünschen, wäre gerne wirklich frei.
Doch stattdessen ziehen Thomas und Alma auch noch für etliche Wochen zu ihr in ihre winzige Wohnung, weil ihre eigene durch einen Wasserschaden angeblich unbewohnbar ist. Nun muss Mona nicht nur ihr Bett abtreten, sondern hat auch noch ständig die beiden in ihre Handys versunkenen jungen Leute auf dem Sofa sitzen. Während Mona damit beschäftigt ist, hinter den unerwünschten Mitbewohnern aufzuräumen.
Dazu kommt ihre innere Empörung, als sie entdeckt, dass Alma, die sich als Mama-Influencerin betätigt, auf ihrem Kanal immer wieder über Mona herzieht, sich über sie lustig macht und dabei sich selbst wahlweise als Heldin oder Opfer darstellt. Irgendwann braucht Mona eine Auszeit und so fährt sie mit ihrer Freundin ein paar Tage aufs Land.
Aber auch dieser Aufenthalt verläuft nicht wie geplant, doch am Ende hat Mona plötzlich auch einen eigenen Instagram-Kanal mit dem Namen evilgrandma65. Natürlich ganz geheim, niemand darf wissen, dass sie hier postet.
Wieder daheim versucht Monas Freundin Annemor, sie mit einem Bekannten ihres Mannes zu verkuppeln. Nach einigem Zögern willigt Mona ein, den Mann zu treffen, doch das Ganze endet in einem Desaster.
Diese ganze Geschichte ist zwar nett und unterhaltsam, aber irgendwie wirkte sie auf mich nicht völlig ausgegoren, nicht zu Ende gedacht. Zu viel wird miteinander verwoben, der Handlungsstrang um Monas Instagram-Account verläuft eher unter ferner liefen, wird nur hin und wieder mal erwähnt, als wäre er der Autorin plötzlich wieder eingefallen. Dazu der unnötige Handlungszweig um ihre Treffen mit dem potentiellen Beziehungskandidaten, der zwar manchen Gag beinhaltet, aber dennoch nicht so richtig zündet.
Dazu kommen die ziemlich überzeichneten Figuren von Monas Sohn und dessen Freundin, die wie Abziehbilder, wie absolute Stereotypen dargestellt sind. Und schließlich hatte ich grundsätzliche Probleme, mit Mona warm zu werden, denn so rundherum sympathisch wirkt sie nicht. Nicht all ihre Handlungen sind schlüssig, dazu kommt, dass sie selten zu Ende führen, sie verhungern auf halber Strecke, Pläne versickern, Gedanken werden nicht ausgeführt.
So bleibt der Roman für mich am Ende unbefriedigend, ein wenig wie gewollt und nicht gekonnt. Obwohl der Schreibstil an sich durchaus gefällt, viele gute Bilder, gute Vergleiche gelingen der Autorin. Insgesamt aber fehlt doch das gewisse Etwas.
Line Baugstø - Evil Grandma
Originaltitel: Evil Grandma
aus dem Norwegischen von Nora Pröfrock
Rowohlt Wunderlich, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 255 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 19.11.2025
Maly, Beate

Aurelia und die Jagd nach dem Glück / Ein Fall für Aurelia von Kolowitz Bd.3


ausgezeichnet

Nahezu nahtlos schließt dieser Roman an den vorigen Band an, den ich ebenfalls gerade las und rezensierte. Wieder mischt sich die junge Aurelia, die einer wohlhabenden Familie entstammt, in die Ermittlungen des Polizeiagenten Janek ein. Die sich diesmal um die Ermordung eines reichen Lottokönigs drehen.
Der Ermordete war mit dem Verkauf von Lottospielen und eigenem Gewinnen aus ebensolchen zu unermesslichem Reichtum gelangt. Aber sonderlich beliebt waren er und seine Gattin nicht, im Gegenteil, die beiden sehr egoistischen und überheblichen Menschen wurden von vielen abgelehnt und hatten vor allem unter denjenigen, die sie um ihren Lottogewinn betrogen hatten, ausschließlich Feinde. Was bedeutet, dass es reichlich Verdächtige gibt, die den Mord begangen haben könnten.
Janek, inzwischen Oberinspektor, muss ermitteln und natürlich führt ihn seine Untersuchung auch wieder in die Nähe von Aurelia. Die diesmal allerdings auch dabei hilft, Janek ein bisschen zu belügen, denn ausgerechnet ein Freund ihres Freundes Nepomuk gilt als Hauptverdächtiger, hat allerdings ein Alibi, welches jedoch nicht erwähnt werden darf. Alles ziemlich kompliziert.
Was mit dem großen und gefährlichen Geheimnis Nepomuks zu tun hat, der früher einmal der beste Freund Janeks war. Was das für ein Geheimnis ist, ahnt man nur zu früh, zumal es (unnötig) oft erwähnt und angedeutet wird.
Bei den Ermittlungen, in die sich Aurelia wie gehabt einmischt, werden wieder diverse Abgründe aufgedeckt, lernt Aurelia neue Freundinnen kennen, darf sie sogar mit Janek ausgehen und gerät in große Gefahr. Dass sie nebenbei sich wieder damit beschäftigt, wie ungerecht Frauen zu ihrer Zeit behandelt und unterdrückt werden, womit sie sich nicht abfinden will, macht diese Figur ungemein sympathisch.
In diesem Band steigert sich die Spannung noch einmal, sind die Nebenhandlungsstränge fast noch besser aufgebaut. Auch vermeidet die Autorin diesmal die mir im vorigen Band etwas zu dick aufgetragenen Schilderungen von Janeks Gefühlen und sein Selbstmitleid. Diesmal schwingt ein bisschen mehr Humor mit, ein bisschen mehr Leichtigkeit. Was aber weder der Spannung noch der Tiefe der Geschichten einen Abbruch tut.
Die Aufklärung des Mordes am Ende gestaltet sich in der Tat überraschend und zeigt wieder einmal, wie gut es Beate Maly gelingt, einen Kriminalroman zu strukturieren und aufzubauen. Dazu die sympathischen und recht natürlich agierenden Hauptfiguren und ein flotter Erzählstil machen die Romane zu einem großen Lese-Spaß. So kann ich es kaum erwarten, Aurelia, Janek und Nepomuk wieder zu treffen.
Beate Maly - Aurelia und die Jagd nach dem Glück
DuMont, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 350 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 17.11.2025
Maly, Beate

Aurelia und die Melodie des Todes / Ein Fall für Aurelia von Kolowitz Bd.2


sehr gut

Der zweite Band (den ersten habe ich leider verpasst) um die aus gutem Hause stammende Aurelia von Kolowitz, die gerne mal bei polizeilichen Ermittlungen mitmischt, führt uns in das Wien des Jahres 1871. Hier beobachtet der Leierkastenmann Pepi, wie ein bekannter Industrieller aus dem Fenster seiner Wohnung fällt.
Dass nicht nur diese Beobachtung Pepi nicht gut bekommen wird, ahnt man da bereits. Doch was genau dahintersteckt, ob es ein Unfall, Selbstmord oder gar Mord war, wie der Ziegelbaron Auerbach zu Tode kam, diesen Fall muss Polizeiagent Janek Pokorny aufklären. Dabei findet er nicht gerade viel Unterstützung bei seinem Vorgesetzen, der eher am eigenen Wohlergehen interessiert ist.
Dafür fühlt sich die junge Aurelia, die Janek bereits aus dem erwähnten ersten Band kennt, berufen, den vom Tod von Auerbach Betroffenen einige Fragen zu stellen. Passenderweise ist sie eng befreundet mit dessen Schwester, die allerdings nervlich ein Wrack zu sein scheint, so sehr, dass sie Gefahr läuft, bald in ein Irrenhaus eingewiesen zu werden. Wozu eine bei einer Séance ihr gegenüber ausgesprochene Drohung immens beiträgt.
Aurelia, die den Polizeiagenten ungemein sympathisch findet, wohl wissend, dass die unterschiedlichen Schichten, aus denen sie stammen, eine engere Freundschaft oder gar mehr völlig unmöglich machen, findet einiges heraus. Immer wieder hilft ihr dabei auch ein guter Freund, der Anwalt Nepomuk Hofmeister.
Dieser wiederum ist oder vielmehr war früher der allerbeste Freund von Janek bis zu einem Vorfall, den dieser Nepomuk bis heute nicht verziehen hat. Daher ist die Atmosphäre zwischen den beiden Männern immer recht angespannt, zumal Janek, der ebenfalls Gefühle für Aurelia hat, ziemlich eifersüchtig ist auf Nepomuk. Dabei hat dieser ein gefährliches Geheimnis, das eine Beziehung zu Aurelia unmöglich macht.
Diese Nebenschauplätze, die sich rund um den eigentlichen Kriminalfall abspielen, sorgen für zusätzliche Spannung in dem ohnehin sehr gut konstruierten und strukturierten Roman. Aber anders kennt man es ja nicht von Beate Maly, deren Fan ich inzwischen wirklich geworden bin.
Man ahnt zwar recht früh, was sich an diversen Geheimnissen und üblen Machenschaften verbirgt, doch das wird eben so gut erzählt, dass man die Seiten überfliegt. Allerdings sind mir in diesem Band die Gefühle vor allem Janeks ein bisschen zu dick aufgetragen, nehmen zu viel Raum ein. Zumal sie ausgesprochen negativ sind, er versinkt immer wieder in tiefem Selbstmitleid über seine Situation, die er mit der Nepomuks vergleicht. Da wäre vielleicht weniger mehr gewesen.
Dafür gelingen Beate Maly wie gewohnt sehr gute Cliffhanger und natürlich, ihr Steckenpferd, wunderbar perfekte Beschreibungen vom historischen Wien, von der Situation der verschiedenen Klassen, wobei sie immer wieder Wert auf die Schilderung der Lebensverhältnisse armer Menschen legt. Darüber hinaus wird auch den damaligen Zuständen in Irrenanstalten Raum gegeben, was die Authentizität der Romane Malys wieder einmal belegt. Hinzu kommt, was mir besonders viel Spaß macht, Aurelias Aufmüpfigkeit, die sich nicht mit der Unterdrückung der Frauen zu ihrer Zeit abfinden will.
Insgesamt ein wirklich lesens- und empfehlenswerter Roman, der viel mehr ist als bloß ein Krimi.
Beate Maly - Aurelia und die Melodie des Todes
DuMont, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 318 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 14.11.2025
Schnalke, Christian

Ich bin der beste Freund des Menschen


ausgezeichnet

Wie rezensiert man ein Buch, welches Zeichnungen mit unglaublich witzigen Texten kombiniert, ohne beides zeigen zu können? Dieses kleine Büchlein von Christian Schnalke, dessen Romane ich lieben lernte, muss man einfach gesehen haben, man muss es besitzen und man muss es unbedingt all jenen Menschen zum Geschenk machen, die Bücher lieben.
Denn nicht, wie immer fälschlicherweise behauptet, der Hund, sondern natürlich das Buch ist der beste Freund des Menschen. Und so zeigt Christian Schnalke folgerichtig Bücher, die als unsere Freunde mit am Tisch sitzen und Buchstabensuppe löffeln, das Buch als Gondoliere, das fragt, wer denn schon Casanova wäre, ihn, das Buch, nähmen alle mit ins Bett.
Oder das bedauernswerte Buch, welches in 13 Sprachen übersetzt wurde, das aber trotzdem niemand versteht. Oder jenes Buch, das beim Psychiater auf Couch klagt, es hätte einen unzuverlässigen Erzähler. Oder der schönste Gag meiner Meinung nach, jene Bücher an Bord eines Rettungsbootes, welche, während hinter ihnen der Dampfer im Meer versinkt, in die Runde fragen, ob ein Ratgeber an Bord sei.
Dabei ist es ganz schwer, überhaupt zu sagen, welches der gelungenste Witz, die pointierteste Zeichnung ist. Alle sind ganz wunderbar, mal poetisch, mal irrsinnig komisch, mal herrlich zweideutig, mal nachdenklich und durchaus auch mal den Finger in diverse Wunden legend.
Dieses kleine schmale Buch ist so perfekt gestaltet, mit genau der richtigen Mischung aus Witz und Pointe, aus gelungenen Zeichnungen und treffenden Texten, dass man es immer wieder zur Hand nehmen kann und möchte. Wer dieses Buch nicht mag, wer es nicht an Freunde und Familie verschenkt, der hat wirklich etwas verpasst.
Christian Schnalke - Ich bin der beste Freund des Menschen
DuMont, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 111 Seiten, 18,00 €