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Jackolino
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Rheinland-Pfalz

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Insgesamt 74 Bewertungen
Bewertung vom 12.11.2025
Lewis, Caryl

Wilder Honig


ausgezeichnet

Caryl Lewis hat eine kleine Farm in Wales zum Schauplatz ihres Romans „Wilder Honig“ gemacht.

Hannah hat ihr ganzes Leben dort verbracht, anders als ihre Schwester Sadie ist sie nie von zuhause weggezogen. Ganz im Gegenteil, ihr Mann John zog zu ihr und ihren Eltern in das Haus, schrieb dort seine Bücher und pflegte seine Bienen.

Nun ist er gestorben und Hannah ist untröstlich. Der Roman beginnt mit der Beerdigung, mit der walisischen Tradition, eine Witwe während der ersten Trauerzeit nicht alleine zu lassen. Dabei hatte Hannah sich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich zur Ruhe zu kommen. Kurz danach taucht ihre Schwester Sadie bei ihr auf und quartiert sich zunächst einmal in ihrem alten Zimmer ein. Und mit Megan kommt eine weitere Besucherin.

John hat seiner Frau 11 Liebesbriefe hinterlassen, er beichtet ihr darin, was er ihr nie sagen konnte, aber er versichert sie andererseits seiner Liebe über den Tod hinaus. Diese Liebesbriefe sind sehr poetisch und lehnen sich eng an das Leben der Bienen an, die John Zeit seines Lebens ans Herz gewachsen waren.

Im über die Weihnachtszeit eingeschneiten Wales nähern sich die drei Frauen einander an. War da am Anfang noch Eifersucht, Misstrauen und Angst so schaffen sie es, sich durch Gespräche und Ehrlichkeit miteinander anzufreunden. Aus einem Besuch wird ein längerer Aufenthalt.

Es ist bemerkenswert, dass 95 % der Handlung tatsächlich nur auf diesem Hof und im Obstgarten spielen. Dabei ist der Garten, sind die Apfelbäume ebenso wichtig zur Heilung von Hannahs Seele wie die sie umgebenden wenigen Menschen. Der Roman ist einfühlsam geschrieben und wirkt, da nicht wirklich viel passiert, entschleunigend. Mit den Bienen und den Obstbäumen gehen wir durch ein ganzes Jahr, wir starten in der Ruhephase im Winter, erleben wie im Frühling wieder das Leben zurückkehrt und auch Hannah sich wieder soweit erholt hat, dass sie ihre lange gereiften Ideen für den Apfelgarten nun endlich verwirklichen kann. Megan hingegen widmet sich den Bienen und lernt von Jack, einem jungen Mann aus dem Dorf und ehemaligen Schüler von John alles über ihre Pflege. Gemeinsam holen sie im Herbst die Ernte ein und bereiten den Garten auf den nächsten Winter vor.

Als Leser war ich beeindruckt, wie sehr das Leben der Bienen dem der Menschen ähneln kann. Gemeinsinn wird großgeschrieben, jeder kennt seinen Platz und erfüllt seine Verpflichtungen. John schreibt in seinen Briefen an Hannah viel von Bienen, er überträgt es aber auch immer wieder auf das menschliche Zusammenleben und er versucht ihr damit zu erklären, was er ihr nie sagen konnte. Und ich denke, Hannah hat ihn zum Schluss verstanden. Sie hat den Weg zurück ins Leben gefunden.

Bewertung vom 06.11.2025
Weiß, Sabine

Die Chemie des Verbrechens - Die Fährte


ausgezeichnet

Dr. May Barven hat sich kürzlich als Strafverteidigerin selbstständig gemacht, nachdem sie zuvor und noch vor einem Jurastudium lange Jahre als DNA-Forensikerin gearbeitet hatte. Bisher sind es eher unbedeutende kleine Mandate, die sie erringen konnte und sie träumt vom großen Durchbruch.
Da geht der Fall des Unternehmers Ruben Rickleffs durch die Presse. Seine DNA-Daten scheinen identisch mit denen eines Mörders zu sein, also ein idealer Fall für Dr. May Barven, an dem sie sich in ihren beiden Fachgebieten beweisen kann.
Ruben Rickleffs ist Chef eines Reiseportals, der darüber hinaus auch seinen Kunden anbietet, per DNA-Abgleich ihre ursprüngliche geografische Herkunft zu ermitteln. Unter dem Motto „Reisen Sie dahin, wo Ihre Ahnen herkommen“ hat er eine Lawine losgetreten und werbewirksam auch seine eigene DNA bestimmen lassen. Das wird ihm nun zum Verhängnis, denn seine DNA stimmt mit dem Erbgut aus einem Cold Case von vor 15 Jahren überein.
Ruben Rickleffs beteuert seine Unschuld. Er will nichts zu tun haben mit einem Fall, der in seine Jugendzeit hineinreicht. In Kirchwerder war damals ein junges Mädchen ermordet worden und an ihrem Schal fanden sich Spuren, die erst mit der neuen Technologie weiterverfolgt werden können.
Der Leser wandert zwischen der Jetzt-Zeit und dem Jahr 2007 hin und her und erfährt scheibchenweise, was sich damals zugetragen hat. Die später tot aufgefundene Ute war Teil einer Clique von jungen Leuten, die zusammen nach einem Fest noch in einer ehemaligen Gärtnerei abhingen. Am nächsten Morgen wurde sie von ihrer jüngeren Schwester Beate tot aufgefunden und der Vater hatte, bevor die Polizei eintraf, noch einen Schal seiner Tochter einstecken können. An diesem Schal wird später die Spur gefunden, die auf Ruben Rickleffs als Täter hindeutet.
Die Polizei hatte lange ermittelt, aber jeder der zuvor anwesenden jungen Leute hatte für die Tatnacht ein Alibi und so hatte der Mord nie aufgeklärt werden können.
May hat während einer Autofahrt aus dem Autoradio von der Anschuldigung erfahren und erfasst sofort, dass dieser Fall wie auf sie zugeschnitten ist. Tatsächlich gelingt es ihr, Ruben zu überzeugen, sie als seine Strafverteidigerin zu engagieren und das gegen namhafte Kanzleien aus Hamburg.
Zunächst einmal scheint alles gegen Ruben zu sprechen und er ist seiner Anwältin auch nicht sonderlich sympathisch. Er ist arrogant und gewohnt, alles mit Geld regeln zu können. Die Justiz lässt sich allerdings nicht korrumpieren und er muss in Untersuchungshaft.
Vorher konnte er noch seinen alten Freund und Detektiv Tarek anheuern, der seiner Anwältin zuarbeiten soll. Auch bei diesen beiden ist es alles andere als Sympathie auf den ersten Blick. Sie misstrauen einander und erst nach einiger Zeit und ersten positiven Ermittlungsergebnissen wächst das Vertrauen.
Als Leser hat man zunächst einmal das Gefühl, dass May sich mit dem Fall zu viel zugemutet hat. Manchmal wirkt sie unsicher, aber die Ablehnung und der Neid aus Kollegenkreisen lässt sie an sich selber wachsen. Sicherheit gibt ihr die eigene Familie, ihr Mann Adrian nimmt ihr tatsächlich ganz oft die Hausarbeit und die Kinder ab, so dass sie sich ganz auf den Fall konzentrieren kann, der, je weiter er voranschreitet, auch immer mehr Zeit beansprucht.
Als Leser lernt man eine ganze Menge über DNA-Abgleiche und ihre Aussagekraft. So reicht es nicht, wenn nur einzelne Loki übereinstimmen, die Analysemethoden sind mit der Zeit immer ausgereifter geworden.
Der Fall ist durchgehend spannend und der Leser schwankt hin und her zwischen verschiedenen Verdächtigen. Der medizinische Hintergrund ist ein weiteres Add-on, welches dem Fall zusätzliche Spannung verleiht.
Wir erleben aber auch die Entwicklung der Protagonisten während der Ermittlungen und ersten Gerichtsstage. War May am Anfang noch eher unbedarft, und gelang es ihr nicht, ihren Klienten aus der Untersuchungshaft herauszuholen, so ist ihr Opening Statement schon deutlich überzeugender. Sie muss sich gegen einen voreingenommenen Richter und eine Verteidigung durchsetzen, die ihr Urteil bereits gefällt haben und da bedarf es eines perfekten Auftritts und Statements.
Aber auch der arrogante Ruben reift im Gefängnis. Er muss erkennen, dass nicht alles mit Geld zu bezahlen ist und reagiert empathisch auf die Schilderung der Eltern, wie sie den Tod ihrer Tochter empfunden haben.
Tarek war eigentlich von Anfang an auch für May eine gute Unterstützung. Ihr anfängliches Misstrauen wandelt sich im Laufe der Ermittlungen in eine sehr gute und hilfreiche Kooperation.
Das Buch soll der erste Band einer neuen Serie sein und schon jetzt ist abzusehen, dass die Protogonisten aus Band 1 auch in weiteren Bänden wieder eine Rolle spielen könnten.
Ganz kleine Einschränkungen ergeben sich durch Lektoratsfehler bzw. -versäumnisse, dass hin und wieder die Namen verwechselt werden oder der gleiche Richter unter zwei unterschiedlichen Namen geführt wird. Das könnte man in einer zweiten Auflage noch korrigieren.

Bewertung vom 10.10.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


sehr gut

Der Titel, aber auch das Buchcover sind schon mal ausgesprochen passend, oft hat man wirklich das Gefühl, in der Weite der Landschaft die Marsch flüstern zu hören. Die Landschaftsbeschreibungen sind sehr bildhaft, die Marsch ist rau und abgelegen, trotzdem kann man verstehen, was die Menschen, die von dort kommen, immer wieder zurück in ihre Heimat zieht.
Ich habe lange an diesem Buch gelesen, habe immer wieder Passagen auch zweimal gelesen und mich dann durch die 300 Seiten gekämpft. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Inhalt nicht so mit mir gesprochen hat, wie ich es mir erhofft hatte. Vielleicht lag es daran, dass da ganz unterschiedliche Lebensläufe nebeneinandergestellt wurden, von denen man nicht wusste, wie sie zusammengehören. Dazu kam die zeitliche Diskrepanz.
Außerdem waren mir die Charaktere nicht durchgehend sympathisch. Mona fand ich noch am nettesten, Karl und Stefan waren mir unsympathisch und Sven nichtssagend. Vielleicht habe ich mich in dem großen Haus mit Reetdach ähnlich unwohl gefühlt wie Mona und Janne, die auch mit den Schwiegereltern bzw. Großeltern nie so richtig warm wurden.
Katja Keweritsch erzählt von Frauen, die unter gesellschaftlichen Erwartungen und familiären Zwängen leiden, und von Männern, die sich in ihrer Bequemlichkeit eingerichtet haben. Jede der Frauen reagiert anders auf diese Zwänge: Annemie schweigt, Janne erlebt einen burnout, Sabine flüchtet ins Ausland, Freya fühlt sich verloren. Erst die nächste Generation packt das Problem an: Mona sucht nach Gründen.
Auch sie befindet sich in einer Sondersituation und anfangs scheint sich bei ihr zu wiederholen, was schon in den Generationen vorher passiert war. Aber glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert, Frauen sind viel selbstbewusster undSchwangerschaften ohne familiäre Bindung sind heute zwar immer noch eine Herausforderung aber sie ziehen keine gesellschaftliche Ächtung mehr nach sich.

Bewertung vom 10.10.2025
Trost, Dirk

Seemannsgrab für Norderney


sehr gut

Bei "Seemannsgrab für Norderney" handelt es sich um den 12. Fall für den Anwalt Jan de Fries.

Als im Hafen von Norddeich eine Leiche aus dem Hafenbecken gefischt wird, findet die Ausflugsfahrt des ehemaligen Strafverteidigers Jan de Fries ein vorzeitiges Ende. Seine gute Bekannte Doro, ihres Zeichens Hauptkommissarin in Oldenburg findet die Todesumstände mysteriös, zumal in der Tasche des Toten eine Visitenkarte des Anwalts gefunden wurde.
Der Tote, so finden die beiden schnell heraus, gehörte zu einer Filmcrew, die gerade auf Norderney einen mittelalterlichen Film drehen. Und dort wartet bereits die zweite Tote auf Doro und Jan. Eine Frau wurde mit Klebeband an hölzerne Pfähle im Meer gekettet und musste mit ansehen, wie die Ebbe langsam der Flut wich. Die Tote wird erst bei der nächsten Ebbe gefunden. Es handelt sich um die Produzentin des Films und somit auch um die Geldgeberin

Mehr zufällig als absichtlich wird Jan, als sie in Norderney bei dem Filmteam eintreffen, direkt als Komparse verpflichtet. Das gibt ihm in der Tat die Möglichkeit, das Team näher kennenzulernen und Motive für einen Mord zu finden. Vom Täter ganz zu schweigen.

Jan erfährt als Komparse von seinen Kollegen bald mehr zum Hintergrund. Sie alle fürchten, nun nicht mehr bezahlt werden zu können. Sie erzählen ihm von dem jungen Mann, der im Hafenbecken gefunden wurde und dass er ein guter Bekannter von ihnen war. So kann Jan schon am ersten Tag wertvolle Informationen sammeln, die ihm dabei helfen, Licht in das Dunkel der Ermittlungen zu bringen. Zwischendurch ergeben sich immer mal wieder Gelegenheiten, der Hauptkommissarin seine neuesten Erkenntnisse mitzuteilen.
Sein Herumschnüffeln führt ihn quer über die Insel und recht gezielt in eine große Gefahr.

Ich fand das Buch zwar spannend aber nicht immer leicht nachvollziehbar. Und die Spannung führte dann auch dazu, dass man die einzelnen Schritte nicht unbedingt hinterfragte. Beim ersten Lesen blieb das Motiv für die Morde für mich im Dunkeln und ist mir auch nach einem zweiten Durchgang noch nicht ganz klargeworden. Die Beschreibungen des Filmsets und vor allem der Wetterbedingungen an der Nordsee, wenn ein Orkan droht, waren aber gut nachvollziehbar und trugen ihren Teil zu der Spannung bei.

Bewertung vom 29.09.2025
Izquierdo, Andreas

Über die Toten nur Gutes / Ein Trauerredner ermittelt Bd.1


sehr gut

Mads Madsen ist Trauerredner und liebt seinen Beruf. Für ihn gibt es kaum etwas Schöneres, als einem Leben nachzuspüren und denen, die gehen mussten, einen würdigen Abgang zu verschaffen.

Er arbeitet fest mit dem Bestattungsunternehmen Amelung zusammen und der Junior des Unternehmens Fiete ist einer seiner besten Freunde.

Eines Tages erfährt er, dass sein Freund Patrick aus Kindheitstagen bei einem Unfall ums Leben kam, bei dem wohl nicht alles mit rechten Dingen zuging. Jedenfalls ermittelt die Mordkommission, verantwortlich für die Auflösung des Falles ist eine chronisch schlecht gelaunte Kommissarin namens Luisa Mills.

Mads wird von Patricks Mutter, aber auch von ihm selbst - sozusagen aus dem Jenseits – mit der Trauerrede beauftragt und macht sich auf die Suche nach Kontaktpersonen, Freunden, Kollegen.

Und damit bringt er nicht nur sich selbst, sondern die ganze Familie in Schwierigkeiten. Denn da gibt es doch einige, die es gar nicht gut finden, dass Mads in ihrem Leben herumstochert und recherchiert.

Für mich war es ein merkwürdiges Buch. Auf der einen Seite oft total überzeichnet und eher unrealistisch, auf der anderen Seite schon fast philosophisch und tiefgründig. Wobei mir die tiefgründige Seite von Andreas Izquierdo besser gefällt, da ist doch oft vieles, über das es sich lohnt, einmal nachzudenken.

Ein Zitat von Gabriel Garcia Marquez rahmte die gesamte Handlung ein:

„Nicht, was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen“.

Dieses Zitat steht ganz am Anfang und damit beschließt Mads auch seine Trauerrede für Patrick und söhnt sich so mit ihm, aber auch mit seinem Vater aus. Denn auch der hatte aus dem Leben der früh verstorbenen Mutter eine Legende gemacht, so wie er sie erinnern wollte.

Bewertung vom 31.07.2025
Teige, Trude

Wir sehen uns wieder am Meer


ausgezeichnet

Es handelt sich hier um den letzten Teil einer Trilogie. Die beiden früheren Bände "Als Großmutter im Regen tanzte" sowie "Und Großvater atmete mit den Wellen" sind seit Jahren Bestseller.

Schon der Titel drückt ganz viel Hoffnung aus. Hoffnung auf ein Wiedersehen, Hoffnung auf bessere Zeiten, auf Erholung, Urlaub, Spaß und das Titelbild unterstützt diesen Eindruck noch. Drei Frauen, die ihr Wiedersehen feiern, die gemeinsam tanzen und ihr Leben genießen. Die Grundstimmung und Farbgebung des Covers passt sich außerdem den beiden Vorgängerbänden an.

Diese Hoffnung zieht sich durch Birgits Leben. Der unbeschwerten Jugend und ihrer Freundschaft mit Tekla, die wir schon aus Band 1 kennen, folgt während des Krieges die Entscheidung, etwas Sinnvolles zu tun, Menschen in Not zu helfen und so lässt Birgit sich nach Nord-Norwegen versetzen an ein Krankenhaus in Bodø. Schnell stellt sie fest, dass die Deutschen gerade den Norden fest im Griff haben und dass es auch Norweger gibt, die sie dabei unterstützen.

Die Arbeit im Krankenhaus ist sinnvoll und erfüllend. Aber sie stellt auch fest, dass außerhalb des Krankenhauses Dinge passieren, von denen kaum jemand etwas weiß. Da gibt es Fremdarbeiter-Lager, in denen die Insassen täglich zur harten Arbeit in der Fischverarbeitung gezwungen werden und die Umgangsformen sind alles andere als höflich und zugewandt. Eine junge Frau fällt ihr auf, Nadia, die von den Deutschen aus der Ukraine nach Norwegen verschleppt wurde. Deren Freundin Daria wird mit einer akuten Blinddarmentzündung eingeliefert und operiert, Nadia hatte sie ins Krankenhaus begleitet. Da Birgit fließend Russisch spricht, wird sie die Ansprechpartnerin für russische Patienten, wenn die Deutschen tatsächlich einmal die Verlegung von Patienten in eine norwegische Klinik erlauben.

Das Buch ist, wie auch seine Vorgänger, so geschrieben, dass man es nur schlecht wieder aus der Hand legen kann. Man leidet mit den Lagerinsassen und Kriegsgefangenen und man leidet mit Birgit, als sie in den letzten Tagen des Krieges noch von den Nazis festgenommen wird. Die fanatischen Mitläufer wollen ihre Niederlage selbst dann noch nicht eingestehen, als international bekanntgegeben wird, dass Hitler Selbstmord begangen hat und sie quälen ihre Opfer weiter.

Sowohl Birgit als auch Nadia fällt es schwer, über die schlimmen Erlebnisse zu reden, sich jemandem anzuvertrauen. Birgit sehnt sich nach ihrer Freundin Tekla, von der sie nur weiß, dass sie Norwegen in Richtung Deutschland verlassen hat. So oft muss sie an Teklas Worte denken“ Wir können verurteilen, was sie tut, aber nicht sie selbst.“

Alle drei Freundinnen waren Opfer ihrer Zeit, der zweite Weltkrieg beendete alle ihre Träume, vereitelte ihre Pläne und die Nachkriegszeit bedeutete noch lange nicht das Ende ihres Leides. Trotzdem behielten sie sich ihre positive Grundeinstellung, tanzten im Regen und unterstützen sich gegenseitig. Trude Teiges Augenmerk liegt auf den Frauen, die während des Krieges an Stärke gewannen und über sich hinauswuchsen. Es waren starke Frauenfiguren, die sehr authentisch wirken.

Mir gefielen bereits die beiden Vorgängerbände ausgesprochen gut, sie ließen mich eine Menge über die Geschichte Norwegens während der Nazizeit lernen. Auch für diesen Band spreche ich gerne eine Leseempfehlung mit voller Punktzahl aus.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2025
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


ausgezeichnet

Das Geschehen spielt auf zwei Zeitebenen und wird aus Sicht von Beth erzählt, die zu Anfang, 1955, gerade 17 Jahre alt ist. Handlungsort ist der Ort Hemston in der Grafschaft Dorset, ein offenbar fiktives Dorf.

1955 verliebt sich Beth in Gabriel, einen Jungen aus einer ganz anderen Gesellschaftsschicht. Seinen Eltern gehört das Herrenhaus, das sich in der Nachbarschaft von Beth‘ Elternhaus befindet. Die längste Zeit seiner Kindheit hat er in Internaten verbracht.

Sie verbringen zusammen einen berauschenden Sommer, doch ihr Glück zerbricht am Ende der Ferien, als Gabriel sein Studium in Oxford aufnimmt und seine Mutter die Beziehung der beiden hintertreibt.

1968 lebt Beth mit ihrem Mann Frank auf einer Farm. Sie kümmern sich aufopferungsvoll um Land und Tiere und genießen ihre Liebe. Lediglich der drei Jahre zurückliegende Unfalltod ihres Sohnes Bobby trübt ihr Glück.

Eines Tages aber kehrt Gabriel in das Dorf zurück und Beth alte Gewissheit, diese Zeit hinter sich gelassen zu haben, gerät ins Wanken. Ein Chaos der Gefühle bricht mit Wucht über sie herein, zunächst vor allem ausgelöst durch Leo, Gabriels Sohn, der ihrem verstorbenen Sohn Bobby ähnelt.

Risse in der Erde entstehen dann, wenn es lange nicht geregnet hat, wenn Wasser fehlt.

Auch in der Ehe von Beth und Frank fehlt seit dem Tod des kleinen Bobby etwas, beide vermissen den Jungen und doch können sie sich nicht richtig darüber austauschen. Beth beschreibt es wie folgt:

„Frank und ich tanzen um unseren Kummer herum. Jedes Paar, das ein Kind verloren hat, wird dasselbe erzählen. Man sieht den Schmerz im anderen, aber es ist, als säße man auf einer Wippe der Trauer und wollte den anderen bloß nicht nach unten fallen lassen.“

Die Arbeit ist das, was beide ablenkt und so schuften sie von früh bis spät auf ihrer Farm, ohne dass wirklich viel dabei herumkommt.

Beth freundet sich langsam mit Leo, Gabriels Sohn an und damit beginnt sie auch unwillkürlich wieder den Kontakt mit Gabriel.

Frank sieht das überhaupt nicht gerne, aber er reißt sich zusammen. Er gibt sich die Schuld am Tod von Bobby und weiß, dass Beth in Leo einen Ersatz gefunden hat. Und am Anfang ist Beth sich auch sicher, dass ihre Beziehung zu Frank stärker ist als Gabriels Anziehungskraft. Aber so langsam tun sich Risse auf in ihrer Beziehung und sie werden tiefer, je häufiger Beth sich mit Gabriel und seinem Sohn trifft. Und so kommt es, wie es kommen muss und die alte Liebe zwischen den beiden flammt wieder auf.

Beth lüftet die Wahrheit scheibchenweise, sie ist die Einzige, die alles weiß. Weder Frank noch Gabriel sind in alle Geheimnisse eingeweiht und auch Beth Eltern, die ihr immer eine große Stütze waren, kennen nicht die ganze Geschichte.

Durch die Erzählung in der Ich-Form erleben wir als Leser ihre innere Zerrissenheit und ihre Gewissensbisse hautnah, aber natürlich auch das Glück und die Leidenschaft der jungen Liebe und der wiederaufgenommenen Beziehung. Wir können aber auch ermessen, dass sie auch Frank herzlich zugetan ist, sie spielt ihm kein Theater vor, wenn sie ihm sagt, dass sie ihn liebt.

Aber es geht nicht nur um eine Dreiecksbeziehung, das wäre viel zu kurz gegriffen. Tragische Ereignisse sind jeweils die Folge von Entscheidungen, die getroffen werden und sie waren zum Zeitpunkt ihrer Fällung nicht unbedingt falsch, sondern eher folgerichtig und für Beth eine gute und gangbare Lösung. Die letzte Entscheidung, die sie treffen muss, verlangt ihr einiges ab, aber ich denke, es ist die richtige Entscheidung.

Ich hatte das Buch in einem Rutsch gelesen, weil ich es flüssig und spannend geschrieben fand. Ich habe es dann aber ein zweites Mal zur Hand genommen, es bietet doch einiges mehr zum Nachdenken, als man mit einem schnellen Konsum erfassen könnte.

Ich gebe gerne eine Leseempfehlung und volle Punktzahl.

Bewertung vom 17.04.2025
Prödel, Kurt

Klapper


sehr gut

Das Titelbild des Buches ist Klappers erstem Kontakt mit Drogen nachempfunden. „Er sah dort, wo eigentlich die Sonne sein sollte, eine aufgeschnittene, saftige Zitrone, die den Himmel dominierte wie ein religiöses Monument“.

Eine Handlung spielt im Jahr 2025. Klapper ist in einem mittelständischen Unternehmen für die IT-Sicherheit zuständig, aber eigentlich hasst er sein Job. Er fordert ihn nicht, alles ist Langeweile. Eines Tages ploppt zuhause auf seinem Laptop in einem schon ewig nicht mehr angeklickten Ordner die Nachricht auf: Bär, offline seit 4891 Tagen. Dieser eine Satz bricht alte Wunden wieder auf und erinnert Klapper an die Ereignisse rundum Bär im Jahr 2011.

Klapper – so genannt aufgrund seiner klappernden Gelenke – ist 16, als nach den Sommerferien 2011 ein neues Mädchen in seine Klasse kommt und sich neben ihn, den blassen Außenseiter, setzt. Vivi will Bär genannt werden, sie ist groß, stark und unbeeindruckt von sozialen Normen und auch sie spielt gerne Counter-Strike, genau wie Klapper.

Nach einer Zeit des gegenseitigen Sondierens und Beobachtens ohne je miteinander zu sprechen kommt der Tag, an dem zwei Mitschüler ihm auf dem Schulhof auflauern und angreifen. Sie zwingen ihn, eine widerliche Brühe aus Regenwasser, kaltem Tabak und Erdbeerjoghurt zu trinken. Bär verpasst den beiden eine solche Abreibung, dass die Fronten geklärt sind. Und endlich platzt auch zwischen den beiden der Knoten und sie schaffen es doch, miteinander zu reden. Zunächst verläuft die Unterhaltung allerdings so, dass Bär Klapper alle Infos aus der Nase ziehen muss. Aber Counter-Strike ist endlich ein gemeinsames Thema.

Bär wohnt in einer vermeintlich wohlhabenden Straße, aber die Familie ist eher unkonventionell. Die Probleme der Eltern miteinander werden am Rande sichtbar, immer wieder muss Bär bei den jüngeren Geschwistern die Elternrolle übernehmen. Sie flüchtet sich in Rap und Drogen.

Klapper ist mit seinen Eltern auch nicht gerade glücklich. Seine Mutter muss immer mal wieder wegen Depressionen in eine Klinik, die Tage verlaufen nach der Uhr und es ist wichtig, dass man nach außen die Fassade aufrechterhält.

Mein erster Eindruck war, dass mich ein vielversprechender Klappentext mal wieder auf eine falsche Fährte gelockt hatte, zunächst einmal war das Buch so gar nicht meins. Ich habe es dann nachwirken lassen, finde es zwar immer noch nicht sonderlich lustig, aber kann ihm mittlerweile doch einiges abgewinnen. Auf jeden Fall ist es für Nerds gar nicht so einfach, erwachsen zu werden.

Bewertung vom 23.03.2025
Hagena, Katharina

Flusslinien


sehr gut

Das Buch fällt auf durch ein sehr schönes atmosphärisches Cover, die Wildgänse fliegen über die Elbe und das gegenüberliegende Ufer ist durch den Nebel kaum zu erkennen. Etwas oberhalb liegt der Römische Garten, den Elsa Hoffa Anfang des 20. Jh. angelegt hat. Es ist der Lieblingsort der 102-jährigen Margret. Hierhin lässt sie sich von Arthur, dem Fahrer der Seniorenresidenz täglich bringen, weil der Garten Erinnerungen an ihre Mutter birgt. Ihre Mutter Johanne war die Freundin der Gärtnerin. Margret war in ihrem Berufsleben Therapeutin für Stimmbildung und Atemübungen. Auch heute noch nimmt das richtige Atmen in ihrem Leben einen wichtigen Platz ein.


Margret hat eine Enkelin Luzie, ihr Sohn Frieder lebt seit Jahren in Australien. Luzie ist traumatisiert aus Australien zurückgekehrt und hat kürzlich kurz vor dem Abitur die Schule verlassen. Mit ihrer Mutter Brisko verbindet sie ein eher schwieriges Verhältnis, mit ihrer Großmutter befindet sie sich eher auf einer Wellenlänge. Luzie träumt von einer Karriere als Tattoo Artist und sie ist auch tatsächlich gut in dem, was sie macht.
Die dritte Person, deren Schicksal an zwölf Frühsommertagen an der Elbe beleuchtet wird, ist Arthur, der Fahrer. Auch er hat seinen Weg noch nicht gefunden. Er taucht, erfindet Sprachen für Computerspiele und fährt die Patienten der Seniorenresidenz zu ihren Terminen. Und nebenbei trägt er an einer Schuld, die ihn nicht loslässt.
Das Buch ist abwechselnd aus Sicht der drei Hauptfiguren Margrit, Luzie und Arthur geschrieben und durch Rückblenden oder ihre Gedanken und Gespräche miteinander erfahren wir beim Lesen die volle Geschichte der drei. Luzies Wut und Verzweiflung über das was in Australien geschah, wird dabei deutlich spürbar.
Vielleicht ist das, was die drei Charaktere verbindet, die Sprache. Margret kann allein schon am Atmen ihres Gegenübers erkennen, wie er oder sie sich fühlt. Luzie drückt sich durch ihre Bilder und Tattoos aus und Arthur entwirft vollkommen neue Sprachen.
Margrit stellt sich Luzie als Übungsobjekt für ihre Tattoos zur Verfügung und Luzie entwirft einen Flusslauf mit wesentlichen Stationen aus Margrits Leben. Dass Margret sich tätowieren lässt, kann ich noch nachvollziehen, denn damit erhält sie Zugang zu Luzie und ihren Gedanken. Bei den Altersgenossen in der Seniorenresidenz kamen mir aber doch Zweifel. Auch wenn Gregor es vielleicht aus Zuneigung zu Margret in Erwägung gezogen hat.
Margret und ihre Enkelin sind sich herzlich zugetan und genau diese Liebe ist es auch, die beide im Umgang miteinander milder werden lässt. Während Luzie ihrer Umwelt meistens ziemlich wütend gegenübersteht, sieht sie ihrer Oma schon allein aus Altersgründen einiges nach. Die Tattoos sind ein Verständigungsmittel, damit teilt sie sich ihrer Umwelt mit.
Katharina Hagenas Sprache lehnt sich an das wunderschöne Cover an und ist häufig naturbezogen. Das Buch liest sich gut und flüssig, zählt aber nicht so ganz zu meinen Highlights, obwohl ich sicher bin, dass es sehr viele Fans finden wird.

Bewertung vom 04.02.2025
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


ausgezeichnet

Anika Deckers neuer Roman widmet sich neben der Liebe und dem Altern einem Thema, das nach dem Klappentext eher nicht vermuten würde: dem Machtmissbrauch in der Filmindustrie.

Der Titel ist geschickt gewählt und macht zumindest neugierig.

Es geht um Nina. Sie ist knapp 50, Mutter zweier erwachsener Kinder und seit einigen Jahren geschieden. Ein Ehevertrag hat sie recht mittellos zurückgelassen, so dass sie froh war, einen schlecht bezahlten Job als Produktionsassistentin in einem Filmstudio zu bekommen. Mit ihrer Kollegin Zeynep kopiert sie tagein/ tagaus Drehbücher und ist erste Anlaufstelle für neue Schauspieler. Beide betreuen zusammen eine Krimiserie mit einem Serienhelden, dem man übergriffiges Verhalten nachsagt.

Nina hat einiges an Familie in der Nähe. Wir lernen ihre Mutter Karin, ihre Schwester Lena mit Familie sowie ihre Kinder Ben und Marie kennen. Dazu kommt ihr Ex-Mann Phil und während einer Geburtstagsparty für Phils neue Kinder begegnet sie David, einem knapp 30jährigen jungen Mann mit ganz viel Charme. Beide verlieben sich ineinander. Dem Himmelhochjauchzend folgt aber schon ganz bald das zu Tode betrübt sein, denn welche Chance hat denn bitte eine Liaison einer 50jährigen mit einem 30jährigen? Bei ihrem Ex hat sich das niemand gefragt, dass er in seinem Alter noch einmal Chancen bei einer jungen Frau hatte und sogar noch Zwillinge gezeugt hat, das hat ihm sogar Respekt und Bewunderung eingebracht. Bei Nina regen sich alle nur auf, und Nina selbst macht da keine Ausnahme. Lediglich David scheint sich von Anfang an nichts aus dem Altersunterschied zu machen und ich würde seine Zuneigung zu Nina auch nicht als Ödipus-Komplex bezeichnen.

Diese Beziehung nimmt im Buch zwar viel Raum ein, mindestens genauso wichtig sind aber die Themen „Altern in der Familie“ und „Sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz“. Es war bestürzend zu lesen, mit welchen Mitteln von den Filmproduzenten gegen Opfer von sexueller Gewalt vorgegangen wird. Auch wenn es sich um Fiktion handelt, so wird es doch Parallelen in der Wirklichkeit haben.

Die Geschichte ist jeweils aus der Sicht eines der Protagonisten geschrieben, hauptsächlich kommt die Familie zu Wort, weil es um sehr viel Ungesagtes, um lange zurückliegende Verletzungen geht. Erst als am Krankenbett der Mutter die Situation zwischen Kindern und Enkeln eskaliert und man zum ersten Mal ehrlich miteinander ist, ergibt sich dadurch auch eine neue Basis.

Anika Decker hat ein Buch mit viel Humor geschrieben, die Passagen rund um die Influencerin Lulu und ihre Followerinnen fand ich köstlich und habe mehrere Male laut gelacht. Aber auch Zeynep ist nicht auf den Mund gefallen. Mir ihr kann Nina so ehrlich sein, wie sie es sich mit ihrer Familie gewünscht hätte.

Für mich war das Buch mehr als nur eine Liebesgeschichte zweier Menschen mit einem großen Altersunterschied, gerade auch die anderen Themen gaben dem Buch Tiefe und Gehalt.