Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lilli33
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 492 Bewertungen
Bewertung vom 17.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


ausgezeichnet

Was für eine geniale Tragikomödie

Inhalt:
Endlich darf Oscar, knapp siebzehn und hochbegabt, sein Mathematikstudium beginnen. Davon hat er schon als kleiner Junge geträumt. Und natürlich hat er sich die Uni ausgesucht, an der sein größtes Idol einen Lehrstuhl innehat. Zunächst fühlt er sich von seiner Kommilitonin Moni, 53, gestört. Sie schleppt immer alles Mögliche mit sich herum, Einkaufstaschen, Brotboxen oder auch mal ihren Enkel, auf den sie aufpasst. Sie wird von allen belächelt und keiner traut ihr das Studium zu. Doch nach und nach entwickelt sich zwischen Oscar und Moni eine wunderbare Freundschaft, die beiden durchs Leben hilft.

Meine Meinung:
Alina Bronsky ist ja bekannt für ihre berührenden, tief schürfenden Romane. Aber mit ihrem neuesten Werk übertrifft sie sich selbst. Ich wusste nie, ob ich lachen oder weinen sollte ob der Lebensprobleme von Oscar und Moni. Es wirkt alles so absurd und gleichzeitig so nachvollziehbar.

Mathematik bedeutet für Oscar einfach alles. Freunde hat er nie gehabt und auch die Familie ist ihm vordergründig nicht so wichtig. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein arroganter, reicher Schnösel, entpuppt sich aber dann doch als Junge mit Herz, auch wenn er das selbst nie zugeben würde.

Mit Moni verhält es genau anders herum. Sie ist eine bodenständige, erfahrene Frau mit einem großen Herzen, die sich um alle kümmert - nur nicht um sich selbst. Wie sie ausgerechnet auf die Idee kommt, mit 53 Jahren Mathematik zu studieren? Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Es lohnt sich auf jeden Fall.

Erzählt wird die Geschichte aus Oscars Perspektive in der ersten Person. Dies mag mit dazu beitragen, dass man ihn trotz all seiner Fehler mag. Denn durch den Einblick in seine Gedanken und Gefühle wird einem klar, dass er eigentlich gar nichts dafür kann, dass er so ist, wie er nun mal ist, und dass er es bei aller Überheblichkeit gar nicht böse meint. Gefangen in seinen selbst auferlegten strengen Regularien und seinem Tunneldenken steht er sich auf dem Weg zu seinem Glück selbst im Weg. Da ist es gut, dass Moni es schafft, ihn ein bisschen aufzubrechen.

Auch wenn sich die Story um Mathematik dreht, muss man kein Mathegenie sein, um sie genießen zu können. Diesen Roman möchte ich allen Menschen ans Herz legen, weil er so viele verschiedene Facetten aufweist, dass jede*r etwas für sich daraus mitnehmen kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.08.2024
Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1


sehr gut

Leider mit Längen

Inhalt:
Nach dem Unfalltod seiner Frau kehrt Jon Nordh nach einer Auszeit wieder in den Job bei der Polizei in Malmö zurück. Für seinen neuen Fall wird ihm eine junge Polizistin, strafversetzt aus Stockholm, zur Seite gestellt, Svea Karhuu. Die beiden ungleichen Ermittler sollen den Mord an dem dreizehnjährigen Rashid aufklären, der bei einem Drive-in-Shooting ums Leben kam. War Rashid wirklich das Ziel oder nur ein zufälliges Opfer?

Meine Meinung:
Ich habe einige Bände aus der Reihe "Nyström und Forss“ dieses Autoren-Duos gelesen. Insofern waren mir die beiden nicht neu. Allerdings hat mir der Auftaktband der neuen Reihe leider nicht ganz so gut gefallen wie die vorherigen.

Der Anfang einer neuen Reihe zieht sich erfahrungsgemäß oft in die Länge, weil die Protagonist*innen und die äußeren Umstände ausführlich eingeführt werden. Das ist auch bei diesem Buch so. Hinzu kommt hier aber noch, dass immer wieder unnütze Details seitenweise ausgeführt werden.

Kurzes Beispiel: Karhuu verfolgt einen gewalttätigen Verdächtigen, der in ein Haus geht und mit einem langen Futteral über der Schulter wieder herauskommt. Das Gewicht schätzt sie auf zwanzig Kilo. Sie grübelt, was da wohl drin sein könnte: Skier? Angelruten? - Hä, wie kommt sie denn darauf??? Irgendwann macht es dann bei der intelligenten Frau klick und sie reimt sich zusammen, dass es ein Gewehr sein muss. Hier kam ich mir richtig veräppelt vor.

Der Fall ist äußerst komplex und ich musste mich beim Lesen schon ziemlich konzentrieren, um die ganzen losen Fäden im Auge zu behalten. Aber das empfand ich eher als positiv. Was mich störte, war, dass sowohl Jon als auch Svea viele offene Baustellen in ihrem Vorleben bzw. Privatleben haben, die in diesem Kriminalroman für meinen Geschmack zu viel Raum einnahmen. Daher schwanke ich zwischen 3 und 4 Sternen, runde aber wohlwollend auf.

Die Reihe:
1. Tode, die wir sterben
2. Schwüre, die wir brechen (ET voraussichtlich im August 2025)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2024
Blutanger
Herrmann, Elisabeth

Blutanger


sehr gut

Kriminalroman mit Gesellschaftskritik

Inhalt:
Ein rumänischer Saisonarbeiter wird unter Mordverdacht verhaftet und gesteht, seinen Arbeitgeber Christian Grundmann ermordet zu haben. Rechtsanwalt Vernau übernimmt den Fall, hat jedoch sofort das Gefühl, dass Lucian Sandu mit seinem Geständnis jemanden schützen will. Er ermittelt auf dem Grundmann-Hof in Brandenburg mit nicht ganz freiwilliger Hilfe seiner Kanzleipartnerin Marie-Luise. Sein Weg führt ihn sogar bis nach Rumänien. Dabei reihen sich immer mehr Tote ein …

Meine Meinung:
„Blutanger“ ist bereits der 8. Band der Reihe um den Berliner Rechtsanwalt Joachim Vernau, kann meines Erachtens aber durchaus auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden, da der Fall abgeschlossen ist.

Ich mag Elisabeth Herrmanns Schreibstil sehr. Er ist leicht zu lesen, locker, aber nicht zu simpel. Ich werde unweigerlich mitten in die Handlung hineingezogen und mein Kopfkino übersetzt mir das Gelesene live und in Farbe. So macht Lesen richtig Spaß.

„Blutanger“ ist ein Kriminalroman mit Betonung auf „Roman“. Natürlich gibt es Verbrechen und polizeiliche Ermittlungen, aber diese spielten für mich gar nicht die größte Rolle. Vielmehr haben mich die Schicksale der einzelnen Personen berührt, über die sich eine Tragödie wie ein Spinnennetz legt. Elisabeth Herrmann versteht es, einen nah an die Charaktere heranzuführen, sodass man mit ihnen mitleidet und mitfiebert. Trotzdem hatte ich gerade beim Protagonisten Joachim Vernau hin und wieder Probleme, seine Handlungsweisen nachzuvollziehen, besonders, was seine chaotische Gefühlswelt angeht. Das war mir zu gekünstelt. Auch wie er Marie-Luise ausnutzt, geht mir manchmal gegen den Strich. Ich denke, einen Vernau würde ich selbst in meinem Leben nicht wollen. ;-)

Was mir aber wirklich sehr gut gefallen hat, ist, wie die Autorin Missstände in unserer Gesellschaft aufs Tapet bringt. Das passiert ganz nebenbei, fügt sich super in die Handlung ein und bringt hoffentlich ganz viele Lesende zum Nach- und Umdenken.

Die Joachim Vernau-Reihe:
1. Das Kindermädchen
2. Die siebte Stunde
3. Die letzte Instanz
4. Versunkene Gräber
5. Totengebet
6. Requiem für einen Freund
7. Düstersee
8. Blutanger

Bewertung vom 14.08.2024
Yoko
Aichner, Bernhard

Yoko


ausgezeichnet

Aichner, wie man ihn kennt

Triggerwarnung (bei Bedarf bitte rückwärts lesen):
TLAWEG GNUGITLAWEGREV HCUARBSSIMSEDNIK

Inhalt:
Als Yoko einen kleinen Hund vor seinen Peinigern retten will, wird sie selbst zum Opfer. Ihr Leben, wie es einmal war, zerbricht. Ihr wird alles genommen, was ihr wichtig ist.

Aber Yoko wehrt sich - nicht ahnend, auf welchen Gegner sie sich einlässt. Die Spirale der Gewalt schraubt sich immer weiter in die Höhe.

Meine Meinung:
Wer Bernhard Aichner noch nicht kennt, sollten einen Blick in die Leseprobe werfen. Denn die Bücher von Bernhard Aichner mag man oder man mag sie nicht. Sein Schreibstil ist unverwechselbar und etwas ganz Besonderes. Durch knappe Sätze oder auch nur Halbsätze, in denen kein überflüssiges Wort vorkommt, und Dialogen, die mit Bindestrichen abgesetzt sind, entsteht ein rasantes Erzähltempo und ein Sog, dem zumindest ich mich nicht entziehen kann.

Man ist ganz nah dran an der Protagonistin, identifiziert sich mit ihr und kann ihre Handlungsweisen gut nachvollziehen, auch wenn sie nicht immer die richtige Entscheidung trifft. Sie verstrickt sich immer mehr in die Sache, wird gejagt, dreht den Spieß um, wächst über sich hinaus und entwickelt ungeahnte Fähigkeiten.

Wie wahrscheinlich das alles ist, sei dahingestellt. Spannend und nervenaufreibend ist es auf jeden Fall. Und nichts für empfindliche Gemüter. Es geht hier ordentlich zur Sache. Dem ein oder anderen könnten manche Szenen auf den Magen schlagen.

Fazit:
Der Schreibstil ist typisch Aichner, die Story auch. Manch eine*r wird sich vielleicht grob an Blum erinnert fühlen. Da ich die „Totenhaus“-Trilogie sehr mochte, empfand ich das nicht als störend.

Die Reihe:
1. Yoko
2. John (erscheint voraussichtlich am 17. Juni 2025)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.08.2024
Das größte Rätsel aller Zeiten
Burr, Samuel

Das größte Rätsel aller Zeiten


sehr gut

Ein sehr warmherziger Roman

Inhalt:
Miss Pippa Allsbrook ist Gründerin und Präsidentin der Gemeinschaft der Rätselmacher. Zusammen mit anderen Rätselbegeisterten lebt sie in einem alten englischen Herrenhaus. Sie ist bereits 64 Jahre alt, als ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung geht: ein Baby. Es liegt eines Tages in einer Hutschachtel vor der Tür, und die Gemeinschaft nimmt sich seiner liebevoll an. Als Pippa 25 Jahre später stirbt, drängt es Clayton, endlich etwas über seine eigentliche Herkunft zu erfahren. Dafür hat Pippa vor ihrem Tod vorgesorgt. Sie hat eine Spur gelegt, sodass Clayton nun in einer Art Schnitzeljagd ein Rätsel nach dem anderen lösen muss, bis er schließlich ans Ziel kommt. Dabei lernt er nicht nur viel über die Welt außerhalb seines Zuhauses, sondern auch über sich selbst.

Meine Meinung:
„Das größte Rätsel aller Zeiten“ ist ein richtiges Wohlfühlbuch. Die mehr oder weniger skurrilen Personen muss man einfach mögen. Es fällt hier kaum ein harsches Wort, der Umgang miteinander ist geprägt von Respekt, Liebe und Fürsorge. Obwohl der junge Clayton in einer „Familie“ von Senioren aufwuchs, fehlte es ihm an nichts. Er hat eine tadellose Erziehung genossen, die ihm sein „Abenteuer in der richtigen Welt“ erleichtert, auch wenn er vieles nicht kennt und einiges lernen muss.

Die Handlung ist in zwei Erzählebenen aufgeteilt. Aus Pippas Perspektive erfahren wir alles über die Geschichte der Gemeinschaft der Rätselmacher und ihre Mitglieder. Es beginnt im Jahr 1979 und reicht schließlich bis in die Gegenwart. Claytons Suche nach seiner Identität spielt sich in der Gegenwart ab. Beides wechselt sich ab und greift wie Zahnräder ineinander. Das hat mir sehr gut gefallen.

Samuel Burrs Schreibstil ist sehr angenehm und passt wunderbar zu den betulichen Figuren, leicht zu lesen, aber nicht trivial. Hin und wieder entstanden kleine Längen, das ist aber auch schon meine einzige Kritik an diesem wunderbaren Roman, der mich sehr positiv überrascht hat, denn eigentlich ist das gar nicht so mein Genre. Wenn mich ein Autor dann trotzdem so fesseln kann, spricht das absolut für das Buch.

Bewertung vom 12.08.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


sehr gut

Berührende Coming of Age Story

Inhalt:
Linda ist fünfzehn und fühlt sich in ihrem Leben nicht zu Hause. Am liebsten würde sie alles hinschmeißen und vor ein Auto laufen. Aber noch wird sie gebraucht: von dem jüngeren Kevin, der sich tierische Sorgen um die Welt macht, und dem alten Hubert, der dement in seiner eigenen Welt vor sich hin lebt.

Meine Meinung:
Linda habe ich bereits auf der ersten Seite in mein Herz geschlossen, ebenso wie Kevin, Hubert und Ewa, dessen polnische Pflegerin. Warum sich Linda allerdings mit Selbstmordgedanken trägt, ist für mich nicht klar geworden. Sicher, es läuft nicht alles rund in ihrem Leben. Schule und Elternhaus könnten es besser mit ihr meinen, aber etwas wirklich Dramatisches ist ihr nicht passiert. Für eine Depression wirkt sie auf mich durchweg zu gut drauf, entschlossen, zupackend. Aber ich muss zugeben, ich kenne mich da nicht wirklich aus. Mir kam Linda eher wie ein ganz normaler, leicht rebellischer Teenager vor, der eine ehrenvolle Aufgabe übernommen hat.

Es hat mich sehr berührt, wie Linda sich einfühlsam und ideenreich um den dementen Hubert kümmert, wie sie in der patenten und außergewöhnlichen Ewa eine Freundin findet. Zusammen bemühen sich Linda und Ewa sehr liebevoll um Hubert, auch wenn es nicht immer leicht ist. Hier denke ich, dass sich manch Angehörige*r von an Demenz Erkrankten eine Scheibe abschneiden und ein paar Ideen holen könnte.

Der Schreibstil ist sehr ansprechend, jugendlich leicht und mitreißend. Es wird aus Lindas Ich-Perspektive erzählt, sodass man ganz nah an der Protagonistin durch die Handlung geführt wird. Petra Pellini hat viel Erfahrung in der Pflege demenzkranker Menschen. Das merkt man hier sehr deutlich.

Fazit:
Eine berührende Geschichte um Leben und Sterben, die ich gerne weiter empfehle.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.08.2024
In den Farben des Dunkels
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


sehr gut

Eine vielschichtige Geschichte, die ihre Zeit braucht

Inhalt:
Patch und Saint sind Außenseiter und ihre Freundschaft für beide ein Glücksfall. Sie sind 13 Jahre alt, als Patch entführt wird. Saint setzt alle Hebel in Bewegung, um ihn zu finden, auch als alle anderen schon die Hoffnung aufgegeben haben. Tatsächlich kann Patch nach monatelanger Gefangenschaft befreit werden. Er berichtet, dass ein Mädchen bei ihm war, doch dieses ist unauffindbar. Hat Patch sie sich nur eingebildet? Er setzt alles daran, Grace zu finden, ist wie besessen davon und richtet sein ganzes Leben daraufhin aus. Saint unterstützt ihn auf ihre Weise.

Meine Meinung:
Das Buch beginnt interessant und atmosphärisch. Man kann sich die Kinder im Jahr 1975 gut vorstellen, ihre Rollen nachvollziehen. Hier konnte mich Chris Whitaker locker abholen. Doch dann entwickelt sich die Handlung sehr zäh weiter mit Beschreibungen bis ins kleinste Detail und etlichen Wiederholungen. Es sind die Monate von Patchs Gefangenschaft, die sich schier endlos hinziehen. Sicher sind sie ihm auch so lange vorgekommen, aber für mich war es eine Qual. Ich musste mich regelrecht zum Weiterlesen zwingen. Zum Glück sind die Kapitel äußerst kurz, sodass man immer mal noch eins lesen kann und so doch weiterkommt. Erst in der zweiten Hälfte hat mich das Buch dann richtig gepackt. Die verschiedenen Charaktere bekommen über die Jahrzehnte immer klarere Konturen. Geheimnisse werden aufgedeckt, Verbindungen geknüpft. Wie ein Mosaik wird das Geschehen für die Leserschaft zusammengesetzt. Hier erwarteten mich einige Überraschungen. Vor allem wuchsen mir aber auch die Protagonist*innen ans Herz, und zwar nicht nur Patch und Saint, sondern auch noch andere wichtige Figuren. Patch und Saint hangeln sich von einer Zwickmühle zur anderen und stehen dabei öfter auf verschiedenen Seiten, obwohl sie das gar nicht wollen. Mir persönlich fiel es schwer, mich auf eine Seite zu schlagen. Ich konnte beide gut nachvollziehen.

Am Ende stellt sich alles als eine sehr vielschichtige Geschichte heraus, die eben ihre Zeit braucht, um sich zu entwickeln, mich dann aber mitreißen und fesseln konnte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.07.2024
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Stanisic, Sasa

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne


ausgezeichnet

Wunderbar warmherziges Lesevergnügen

Dieses Buch mit dem sperrigen Titel, den ich einfach nur genial finde, besteht aus 12 Kurzgeschichten, die in ihrer Gesamtheit allerdings einem Roman nicht unähnlich sind. Der Aufforderung des Autors, diese Geschichten in der angegebenen Reihenfolge zu lesen, sollte man unbedingt Folge leisten, denn sie hängen wie ein Netz zusammen, bauen teilweise aufeinander auf und laufen schließlich auf einen gemeinsamen Punkt zu.

Ich bin eigentlich kein Fan von Kurzgeschichten, aber ein Fan von Saša Stanišić. Und was soll ich sagen? Er konnte mich auch mit diesem Buch wieder richtig begeistern. Er nimmt sich literarisch der Außenseiter, der weniger vom Leben Begünstigten an und erzählt ihre Geschichten in einer starken poetischen Sprache mit Witz und Tiefgang. Manche Sätze musste ich einfach mehrmals lesen, um sie mir genüsslich auf der Zunge zergehen zu lassen.

„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist ein buntes Sammelsurium verschiedenster Protagonisten und Lebensentwürfe. Ein Werk, in dem immer wieder Gesellschaftskritik aufblitzt, das Negatives aufzeigt und dabei so positiv wirkt. Ein wunderbar warmherziges Lesevergnügen!

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.07.2024
Anna O.
Blake, Matthew

Anna O.


gut

Originell, aber nicht ganz rund

Inhalt:
Die fünfundzwanzigjährige Anna Ogilvy schlafwandelt. Eines Nachts wird sie neben den blutüberströmten Leichen ihrer zwei Freunde gefunden. In der Hand hält sie ein Messer. Doch Anna kann sich nicht zur Tat äußern, denn sie ist in einen Tiefschlaf gefallen, aus dem sie vier Jahre lang nicht mehr aufwacht. Mit neuen Behandlungsmethoden will Dr. Benedict Prince Anna wecken, damit sie endlich vor Gericht gestellt werden kann. Anfänglich von dem Fall sehr berührt, muss Ben bald feststellen, dass er tiefer darin verstrickt ist, als ihm lieb sein kann.

Meine Meinung:
Die Ausgangssituation empfand ich als sehr originell, interessant und Spannung verheißend. Auch die Erzählweise, nämlich aus verschiedenen Perspektiven, fand ich gelungen und passend. Den Hauptteil nimmt Ben in der Gegenwart ein. Viele Infos erhalten wir aber auch durch Annas Tagebuch, das die Ereignisse vor der und um die Tat erläutert. Die unterschiedlichen Perspektiven beleuchten das Geschehen von allen Seiten und erzeugten bei mir oft widersprüchliche Gefühle und Erwartungen. Die Liste meiner Verdachtsmomente war lang und ständig musste ich meine Meinung revidieren. Matthew Blake führte mich immer wieder auf falsche Fährten. Was mich dabei aber störte, war, dass dies sehr oft durch irgendwelche Andeutungen geschieht, die jeder Grundlage entbehren und anscheinend nur deshalb eingeflochten wurden, um eben diesen Effekt zu erzielen. Vieles erscheint dadurch verwirrend und nicht nachvollziehbar.

Die Auflösung war für mich logisch, beruht aber auf sehr vielen Zufällen, was ich auch nicht wirklich befriedigend fand. Leider werden nicht alle losen Fäden verbunden. Einige Fragen bleiben unbeantwortet und der Interpretation der Lesenden überlassen.

Für einen Thriller ist die Spannung auf eher niedrigem Niveau gehalten. Schlaflose Nächte, wie in der Werbung suggeriert, muss man nicht befürchten.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2024
Das Ende ist nah
Gudarzi, Amir

Das Ende ist nah


gut

Bewertung fällt mir schwer

Inhalt:
Der Student A. nimmt 2009 an den Protesten im Iran teil und ist schließlich gezwungen, sein Land zu verlassen. Er strandet in Österreich, wo er Asyl beantragt. Die Demütigungen und Anfeindungen, denen er hier ausgesetzt ist, sind kaum weniger schlimm als das, was er im Iran erlebt hat. Man verhöhnt ihn, beutet ihn aus. Die Beziehung zu Sarah gibt ihm eine Zeit lang Halt, ebenso wie ihr, entwickelt sich mit der Zeit aber sehr ungut.

Meine Meinung:
Bei diesem Buch handelt es sich möglicherweise um einen autobiographischen Roman. In den Grundzügen hat der Autor Amir Gudarzi denselben Hintergrund wie sein Protagonist A. Dadurch wirkt die Handlung sehr authentisch. Gudarzi erzählt aus drei Perspektiven: Die Zeit im Iran aus der 3. Person, die Zeit in Österreich aus der 1. Person und aus Sarahs Sicht. Bis zum Ende konnte ich mich dabei nicht mit der Bezeichnung „A.“ für den Protagonisten anfreunden. Es wirkt einfach nur holprig. Ansonsten wechselt der Schreibstil zwischen sehr einfach und sehr anspruchsvoll.

Die erste Hälfte des Buches hat mich enorm gefesselt. Ich war interessiert und litt mit dem Protagonisten mit, hatte Sympathien für ihn, die sich jedoch nach und nach verloren. Sein Verhalten fand ich zunehmend inakzeptabel. Auch das Fortschreiten seiner Depressionen erleichterten das Lesen nicht gerade.

Eine Bewertung fällt mir sehr schwer, weil ich die Handlung für mehr oder weniger real halte und mir daher kein Urteil anmaßen will. Deshalb rette ich mich auf mittlere drei Sterne.