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Xirxe
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Insgesamt 876 Bewertungen
Bewertung vom 06.12.2025
Hacke, Axel

Wie fühlst du dich?


ausgezeichnet

In unruhigen, unsicheren Zeiten versucht Axel Hacke in diesem Buch, seine Gedanken, Erfahrungen und sein Wissen darüber zu teilen, wie es um uns und unsere Gesellschaft steht – und warum wir dort gelandet sind, wo wir heute stehen. Sein Fazit zieht er gleich zu Beginn und es ist unmissverständlich: Gefühle werden in unserer Zeit massiv unterschätzt und oft sogar unterdrückt, während dem Verstand fast überall der Vorrang gegeben wird. Hacke zeigt, dass dies geschichtlich keineswegs immer so war und es Zeiten gab, in denen der Verstand nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Dem Titel entsprechend widmet er sich in einzelnen Kapiteln den Gefühlen, die unsere Gesellschaft prägen – leider sind es überwiegend negative: Wut, Angst, Hass und Ohnmacht, Einsamkeit, Überforderung. Er verbindet persönliche Erfahrungen mit geschichtlicher Betrachtung, berichtet aus aktuellen Forschungen und zitiert sowohl zeitgenössische als auch historische Literatur. Zudem beschreibt er, wie Politik über Jahre hinweg das Gefühlsleben der Menschen missachtet hat – und wie Populisten dieses Vakuum nutzen, indem sie gezielt Angst, Wut und Hass schüren.
Doch Axel Hacke bleibt nicht beim Befund stehen. Er zeigt, wie wichtig es ist, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden, sie kennenzulernen und sie nicht von anderen missbrauchen zu lassen. In Kapiteln wie „Freude“, „Sinn“ oder „Dankbarkeit“ gibt er Denkanstöße, wie sich dem Negativen etwas entgegensetzen lässt – mit Wirkung auf die eigene Umgebung und das eigene Lebensgefühl. Axel Hacke ist ein Menschenfreund, und genau das macht dieses Buch aus. Es liest sich wie ein Gespräch mit einem guten Freund, der einem vertraut – und dem man selbst gern vertraut.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.12.2025
Pflüger, Andreas

Kälter


ausgezeichnet

Ich hab’s gelesen – und jetzt weiß ich wieder, warum Schlaf überbewertet ist 😀
Nach acht Jahren auf der Nordseeinsel Amrum glaubt Ex-Agentin Luzy Morgenroth, endlich Ruhe gefunden zu haben – bis die Vergangenheit sie gnadenlos einholt. Ihr Freund und Kollege Jörgen Quedens wird ermordet, und plötzlich taucht ein Name wieder auf, den sie längst beerdigt glaubte: Hagen List. Einst Doppelagent zwischen Ost und West, längst totgeglaubt und doch lebendiger denn je, gilt er als der gefährlichste Terrorist der Welt – ein Phantom, das Luzy schon einmal gegenüberstand.
Als eine alte Stasi-Akte beweist, dass List überlebt hat und für unzählige Anschläge verantwortlich ist, wird Luyzys Jagd nach Gerechtigkeit zu einem persönlichen Feldzug. Sie will nicht nur einen Terroristen finden – sie will die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurück. Pflüger lässt sie durch ein Europa taumeln, das gerade die Berliner Mauer fallen sieht, und webt historische Realität, Agentenmythos und seelische Abgründe zu einem intensiven, sprachlich brillanten Thriller.
Zwischen Amrum, Berlin, Wien und der Donau entfaltet sich eine Geschichte voller Tempo, Kraft und Melancholie, durchzogen von Pflügers unverwechselbarer Sprache: poetisch, hart, manchmal philosophisch, oft gnadenlos schön und, kaum zu glauben, immer wieder witzig. „Kälter“ ist nicht nur ein Roman über Schuld und Rache, sondern auch über die Sehnsucht nach Vertrauen in einer Welt, in der selbst das Lachen gefährlich sein kann.

Bewertung vom 21.10.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


sehr gut

Schon in Lügen über meine Mutter erzählte Daniela Dröscher von einem Körper – dem der Mutter. In Junge Frau mit Katze steht nun der Körper der Tochter im Mittelpunkt.
Die Erzählerin Ela lebt in Berlin, arbeitet an einem Uni-Projekt und steht kurz vor ihrer mündlichen Promotionsprüfung. Doch Prüfungsstress, Selbstzweifel und eine komplizierte Liebesgeschichte bringen sie körperlich aus dem Gleichgewicht: Halsschmerzen, Herzklopfen, Ausschlag, Allergien – ihr Körper rebelliert, während sie von Arzt zu Arzt läuft, auf der Suche nach einer Erklärung.
Bald verschwimmen Grenzen zwischen Psyche und Physis, Diagnose und Deutung. Dröscher schildert diese Odyssee mit feiner Ironie, sodass man trotz aller Selbstbespiegelung gern bei Ela bleibt. Ihr Leiden wird zur Bühne größerer Fragen: Wie normiert unsere Gesellschaft Körper? Was gilt als „gesund“, was als „krank“ – und wer entscheidet das? Wie reagiert das medizinische System auf weibliche Körper, oft bevormundend oder herablassend?
Dröscher verknüpft diese Themen mit literarischen Bezügen – etwa zu Virginia Woolf, Susan Sontag oder Siri Hustvedt – und zeigt, wie Krankheit, Identität und Sprache miteinander verwoben sind.
Am Ende steht nicht nur eine medizinische, sondern auch eine seelische Erkenntnis: Die junge Frau begreift ihr Leiden als Signal, sich selbst neu zu entwerfen – als Künstlerin, als Autorin, als eigenständige Person. So wird Junge Frau mit Katze zugleich ein Roman über Krankheit und Heilung, über Selbstermächtigung und die Kunst, im Chaos des Körpers sich selbst zu finden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.10.2025
Tidhar, Lavie

Adama


ausgezeichnet

Boah, ist das ein grandioses Buch! Spannend und aufwühlend wie ein Thriller, informativ wie ein Sachbuch über Israels Geschichte und zugleich emotional wie ein Familienroman.
Die Geschichte beginnt 2009 in Florida, als Esther im Beisein ihrer Tochter Hanna stirbt. In ihrem Nachlass findet Hanna eine alte Holzkiste mit Fotos, die die Lesenden auf eine Reise in die Vergangenheit führen – zurück ins Jahr 1946 nach Haifa, wo Ruth im Zentrum steht. Ruth kämpft mit aller Kraft um die Gründung eines Kibbuz und um das Recht, in diesem Land zu leben. Alles ordnet sie diesem Ziel unter – Familie, Liebe, selbst Mitgefühl.
Ihre Schwester Shosh, die das KZ überlebt hat, kommt widerwillig nach Palästina, heiratet Ruths früheren Geliebten Dov und bringt Jael zur Welt – Hannas Großmutter. Über drei Generationen hinweg zeichnet Tidhar das Schicksal dieser Familie nach: geprägt von Idealen, Verlusten und einer immer wiederkehrenden Spirale aus Gewalt.
Besonders schön sind die feinen Verbindungen zwischen den Generationen – die kleine Holzkiste, das wiederkehrende Lied, der alte Film aus dem Kibbuz – kleine Erinnerungsanker, die das große Ganze zusammenhalten.
Ganz nebenbei vermittelt das Buch viel über die Entstehung Israels und die verhärteten Fronten zwischen Briten, Juden und Palästinensern – und lässt erkennen, dass Gewalt immer nur neue Gewalt hervorbringt.
Ein kluges, intensives und zutiefst berührendes Buch – ein echtes Glanzstück!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.09.2025
Boyle, T. C.

No Way Home (deutschsprachige Ausgabe)


weniger gut

Als bekennende T.C.-Boyle-Leserin war ich begeistert, als ich sah, dass er ein neues Buch veröffentlicht hat. No Way Out klingt nach großem Drama: zwei Männer lieben dieselbe Frau – Bethany – und geraten sich dabei gehörig in die Quere. Das könnte spannend sein; Boyle hat mich schon mit deutlich unspektakuläreren Themen in seinen Bann gezogen.
Diesmal aber nicht. Nach rund 150 Seiten habe ich das Buch entnervt zugeklappt – von Spannung leider keine Spur. Stattdessen zieht sich die Handlung zäh dahin, was wohl auch daran liegt, dass ich das Verhalten der Hauptfigur Terry schlicht nicht nachvollziehen konnte.
Terry, ein angehender Facharzt, steht unter Dauerstress und ist vom überraschenden Tod seiner Mutter zusätzlich belastet. In dieser Situation trifft er im Ort seiner Mutter auf Bethany und ist sofort fasziniert. Doch was er danach alles hinnimmt, ließ mich nur noch kopfschüttelnd weiterlesen: Bethany besetzt kurzerhand das Haus seiner Mutter, nutzt deren Auto, lässt ihn nach einem gemeinsamen Abend einfach stehen und zieht auch noch eine Freundin ein, von der sie Miete kassiert – während Terry immer wieder wütend aufbegehrt, nur um dann doch klein beizugeben.
Auch Bethanys Ex-Freund ist noch immer verrückt nach ihr und warnt Terry sogar vor ihr. Was jedoch den Reiz dieser Frau ausmacht, bleibt für mich vollkommen im Dunkeln. Boyle gelingt es diesmal nicht, mir deutlich zu machen, warum Bethany beide Männer so um den Verstand bringt – zumal Terry sonst ein rationaler, fast unromantischer Typ ist. Mit jeder Seite wuchs mein Unverständnis, bis ich schließlich aufgab. Vielleicht verpasse ich damit die erlösende Erklärung für diese Obsession – aber so richtig glaube ich nicht mehr daran.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2025
Enders, Giulia

Organisch


gut

Giulia Enders zeigt in Organisch (Ullstein) den menschlichen Körper als lernendes Netzwerk statt als Maschine. In fünf Kapiteln – Lunge, Immunsystem, Haut, Muskeln und Gehirn – entfaltet sie ein anschauliches Bild davon, wie Organe kooperieren, Signale deuten und Prioritäten setzen. Wer Darm mit Charme kennt, findet hier weniger einzelne Aha-Gags, dafür einen umfassenderen, fast poetischen Blick auf unser Innenleben. Statt von „Kampf“ und „Maschinen“ zu reden, beschreibt Enders leise Strategien wie Zusammenarbeit, Anpassung und Regeneration – vom Immunsystem, das mit Mikroorganismen verhandelt, bis zur Haut, die nicht nur Barriere, sondern auch Kontakt- und Resilienzorgan ist.

Besonders stark sind ihre alltagsnahen Bezüge: Atemübungen, Schlaf, Wundheilung, Berührung und Muskelerholung werden nicht als Lifestyle-Tipps, sondern als biologische Grundlagen für Ruhe, Kraft und Selbstregulation erklärt. Jill Enders’ Illustrationen helfen, komplexe Abläufe zu verstehen und geben dem Buch Struktur. Der Ton ist zugänglich, wissenschaftlich sauber, aber weniger verspielt als in Enders’ Debüt – dafür nachhaltiger in der Wirkung.

Ich fand das Buch stellenweise sehr detailliert und musste mich manchmal durchkämpfen, wurde aber mit neuen Perspektiven belohnt: Statt schneller Hacks vermittelt Organisch eine verständige Aufmerksamkeit für das eigene Körperwissen – und zeigt, wie sehr wir von Kooperation, Vernetzung und Regeneration profitieren, nicht nur biologisch, sondern auch gesellschaftlich.

Bewertung vom 01.05.2025
Blöchl, Alexandra

Was das Meer verspricht


weniger gut

Ein schönes Cover, ein vielversprechender Klappentext – ich war gespannt. Eine kleine Insel hoch im Norden, 36 Seemeilen vom Festland entfernt, bildet die Kulisse. Dort lebt die 27-jährige Vida seit jeher mit ihren Eltern. Während ihr Bruder Zander schon früh den Absprung aufs Festland schaffte und dort blieb, scheint für Vida der Weg vorgezeichnet: weiterhin im elterlichen Lebensmittelladen helfen, Jannis heiraten, auf der Insel bleiben.
Doch mit der Ankunft von Marie – selbstbewusst, unabhängig, in allem das Gegenteil von Vida – gerät Vidas Weltbild ins Wanken. Die beiden Frauen freunden sich an, und Vida beginnt, ihr Leben infrage zu stellen. Als dann auch noch Zander zurückkehrt und Marie begegnet, nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
Die Geschichte beginnt durchaus vielversprechend. Der Schauplatz ist interessant gewählt, das Setting hat Potenzial. Allerdings fiel mir schon zu Beginn auf, wie bemüht atmosphärisch der Stil ist. Das führt leider zu eigenartigen Formulierungen wie: „Sie setzte sich auf, und dort logierte sie nun, am Rand der Kaimauer…“ oder „… rumpelige Weiden …“ – ungewöhnlich, manchmal irritierend. Anfangs kann man darüber noch hinweglesen, denn die Geschichte selbst trägt zunächst.
Doch etwa ab der Mitte, mit Zanders Rückkehr, verliert der Roman deutlich an Tempo. Immer wieder kreist die Ich-Erzählerin um dieselben inneren Konflikte, dieselben düsteren Vorahnungen. Das sich ständig wiederholende Hadern mit sich, der Welt und dem Bruder wirkt zunehmend ermüdend. Trotz der spannungsvollen Andeutungen verliert sich der Plot im Kreisen – und ich begann schließlich, nur noch querzulesen, um ans Ende zu kommen.
Mein Fazit:
Eine eigentlich gute Geschichte, erzählt in einem stilistisch durchwachsenen Ton, die mit zunehmender Länge an Schwung verliert. Auch ein Arbeitsstipendium für Literatur der Stadt München ist eben kein Garant für ein gutes Buch.

Bewertung vom 18.10.2024
Sanyal, Mithu

Antichristie


gut

Puh, das war mühsam. Nicht dass das Buch schwierig zu lesen wäre; es ist durchaus amüsant geschrieben. Und die Geschichte ist voller witziger Einfälle. Aber was einem bei dieser Lektüre auf über 530 Seiten um die Ohren gehauen wird, ist eine derartige Fülle von zumeist schrecklichen Informationen, die einen schier erschlägt. Doch der Reihe nach.
Durga, 50 Jahre alt, erfolgreiche Drehbuchautorin, Tochter einer Deutschen und eines Inders, fährt kurz nach dem Tod ihrer Mutter zu einem Workshop in London, wo in einer multikulturellen, diversen Gruppe an einer kritischen Verfilmung von Agatha Christies Werken gearbeitet werden soll. Als sie in der Stadt unterwegs ist, findet sie sich plötzlich im London von 1906 als junger Mann wieder und kommt in Kontakt mit indischen Nationalisten. Junge Männer, die ihr wohlbekannt sind durch ihre Mutter, die eine glühende Kämpferin für das unabhängige Indien war. Durga, jetzt ein junger indischer Mann namens Sanjeev, wird wohlwollend von der Gruppe aufgenommen, die im India House lebt, einem Studentenwohnheim für indische Studierende, das sich zur Basis der Revolutionäre entwickelt, die für die Unabhängigkeit Indiens kämpfen. Sanjeev, die sich als Durga stets für Gewaltfreiheit einsetzte und eine große Bewunderin Ghandis war, lernt nun eine Realität kennen, die viele seiner/ihrer Überzeugungen in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Parallel dazu ist Durga weiterhin Teilnehmerin des Workshops, der von heftigen Demonstrationen gegen die Neuverfilmung sowie lebhaften Diskussionen in der Gruppe über Kolonialismus, Rassismus, Unterdrückung usw. begleitet wird und muss gleichzeitig versuchen, mit ihrer Trauer über den Tod ihrer Mutter klar zu kommen.
Die Geschichte wird wirklich amüsant erzählt, aber man wird in recht kurzer Zeit derart mit Information zugeschüttet, dass man am Ende kaum noch weiß, wann wer wo was gemacht hat. Die kolonialen Verbrechen Englands (und das sind nicht wenige), über die kein Mensch redet und die dadurch kaum bekannt sind; die Lebenswege bekannter Persönlichkeiten wie beispielsweise Ghandi, der gegenüber Moslems ein Rassist ohnegleichen war; das ständige Springen in verschiedene Zeitebenen - und nicht nur die beiden von Durga; die vielen für zumindest mich ungewohnten Namen; der Wechsel zwischen realen und komplett erfundenen Geschehnissen wie auch Themen: Kolonialismus, Filmdrehbuch, Rassismus, Tod der Königin, Diskriminierung, Tod der Mutter. Zeitweise war es mir einfach zu viel und ich habe das Buch zur Seite gelegt, sodass es vergleichsweise lange dauerte, bis ich es durch hatte. Etwas weniger von Allem, weniger Themen, weniger Personen, weniger Zeitsprünge, weniger Zeitebenen - vermutlich hätte ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen. So war es leider eher eine mittlere Quälerei.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2024
Lombardo, Claire

Genau so, wie es immer war


weniger gut

Erzählt wird die Geschichte von Julia Ames, Ende fünfzig, die alles hat, was ein glückliches Leben ausmacht: zwei wohlgeratene Kinder, einen liebenden Ehemann, einen stabilen Freundeskreis, finanziell gut situiert. Doch als sie einer Freundin aus einer anderen Zeit begegnet und sich gleichzeitig unvorhergesehene Dinge in ihrer Familie ereignen, breitet sich in Julia eine Unruhe aus und sie beginnt, ihr Glück in Frage zu stellen.
In Rückblicken erfahren wir, wie Julia zu einer selbständigen, aber unsichereren Frau und ohne Vertrauen in Andere heranwuchs, bedingt durch den irgendwann nicht mehr existenten Vater und ihre empathielose Mutter. Immer wieder enttäuscht und verletzt durch ihre Mutter vertraut sie nur noch sich selbst und ist selbst in ihrer Ehe stets am Zweifeln, was nach der Geburt ihres ersten Kindes zu einer schweren Krise führt. Doch Julia und Mark, ihr Mann, raufen sich, wenn auch mühsam, wieder zusammen und so liegen nun 25 gemeinsame Jahre hinter ihnen, die meisten davon glücklich. Aber nun scheint sich neues Unheil anzubahnen ...
Keine Frage, Julia litt und leidet ihr ganzes Leben an ihrer unglücklichen Kindheit: der Vater, der sie verließ; die Mutter, Alkoholikerin, die ihr keine Beachtung schenkte und sie offensichtlich nicht liebte. Alle Versuche, eine Beziehung in späteren Jahren zu ihrer Mutter aufzubauen, blieben erfolglos und vergrösserten Julias Selbstzweifel stets aufs Neue. Auch wenn es richtig gut beschrieben wird: Leider wird dies in wirklich epischer Breite immer wieder aufs Neue ausgeführt, sodass es mir irgendwann zuviel wurde und ich diese Passagen nur noch überflog.
Schwierig empfand ich auch die Person Julia: Sie ist intelligent und reflektiert, aber nicht in der Lage sich auch nur ansatzweise in 40 Jahren in der Beziehung zu ihrer Mutter weiter zu entwickeln. Ihr Verhältnis zu ihr ist mit Ende 50 praktisch das gleiche wie als 17jährige - auf mich wirkte dies nicht sehr glaubwürdig.
So bleiben gemischte Gefühle bei dieser Lektüre: Einerseits ist es gut geschrieben, andererseits gibt es eine unglaubwürdige Protagonistin und stellenweise sehr langatmige Passagen. Eine Kürzung von 200 oder 300 Seiten hätten dem Buch vermutlich sehr gut getan.

Bewertung vom 21.06.2024
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


sehr gut

Hinter dem vergleichsweise belanglosen Titel verbirgt sich ein 170 Jahre umspannender Gesellschaftsroman, in dessen Mittelpunkt der berühmte Hengst Lexington steht, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der berühmteste Zuchthengst der USA war. Doch keine Sorge, Pferde sind hier nur ein Thema von vielen.
Drei Zeitebenen umfasst diese Geschichte, die ihren Ausgang in Kentucky 1850 nimmt und über das New York der 1950er Jahre bis ins Washington D.C. der Gegenwart reicht, wo sich die Wissenschaftlerin Jess und der Kunsthistoriker Theo begegnen, die sich unabhängig voneinander mit der Geschichte Lexingtons befassen.
Der zweite Erzählstrang beginnt im Jahr der Geburt des berühmten Hengstes und berichtet über das Leben des Jungen Jarret, der als Sklave auf der Farm lebt wo Lexington auf die Welt kommt und zeit seines Lebens stets mit diesem aussergewöhnlichen Pferd verbunden bleiben wird. Dabei werden anschaulich und durchaus auch drastisch die Lebensbedingungen der SklavInnen in den Südstaaten dargestellt, kurz vor Beginn des Bürgerkrieges.
Durch die sich immer wieder abwechselnden Erzählstränge gelingt es der Autorin deutlich aufzuzeigen, wie die Folgen von Sklaverei und Rassismus die Gesellschaft der USA bis in die Gegenwart prägen.
Auch wenn es recht viele Wechsel der Erzählperspektive gibt, nicht nur der Zeit, auch der Personen, hält sich die Verwirrung bald in Grenzen 😊 Anstrengender empfand ich die Vielzahl der Themen, die die Autorin einbringt. Es geht um Rassismus, Sklaverei, aber auch Wissenschaft, Kunst, Armut, Philosophie - ein bisschen viel um allem gerecht zu werden. Etwas weniger wäre vermutlich mehr gewesen, meiner Meinung nach. Dennoch: Ein interessanter Schmöker mit einem Ende, das mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem verschlug. Und dennoch nah an der Realität befürchte ich.