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alicii

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2024
Der Ire
Mann, Peter

Der Ire


gut

Im Zentrum dieses Romans steht das Leben und die Spionagetätigkeit eines Iren in Deutschland während der Nazizeit. Die in den Trümmern von Berlin gefundenen Manuskripte bieten zwei Perspektiven auf die gleichen Erlebnisse, die sich oft ergänzen, bisweilen aber auch etwas widersprechen, so dass man sich selbst Gedanken machen muss, welcher Erzählung man eher Glauben schenkt. Der Autor nutzt diesen ungewöhnlichen Aufbau gekonnt zum Spannungsaufbau, es hilft, dass die Kapitel nicht immer zeitlich synchron sind - so erfährt man von Finn McCools Perspektive auf manche Ereignisse erst mehrere Kapitel später...

Ich habe zwei Kritikpunkte: den Schreibstil, spezifischer die Wortwahl, an etlichen Stellen und die Schwerpunktsetzung der Handlung. Vor allem die Kapitel aus der Sicht von Finn McCool waren manchmal etwas drüber, die Formulierungen und die Wortwahl oft sexistisch und voller Schimpfwörter. Manche mögen dies vielleicht als "zeitgemäß" bezeichnen, aber ich habe etliche andere Bücher gelesen, die in dieser Zeit spielen, die super ohne funktionierten. Daran knüpft mein zweiter Kritikpunkt an, ich fand den ganzen Erzählstrang der einseitigen Zuneigung/ Verknalltheit Adrians in der Form wie er erzählt wurde unnötig und für die Haupthandlung meiner Meinung nach auch nicht relevant.

Der Roman gewährt interessante Einblicke in die Stadt Berlin zu Zeiten des Krieges, die Spionageapparate des 3. Reichs und das Leben ausländischer Agenten in Deutschland.
Und bis zum Ende bleibt die Frage, was wirklich passiert ist...

Bewertung vom 30.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


sehr gut

Was bedeutet es, wenn man seine Heimat verlässt, aber nie irgendwo ankommt? Wenn man auf dem Weg zur eigenen Identität nicht nur auf innere, sondern auch auf äußere Widerstände und Hindernisse trifft? Und wodurch definieren sich Heimat und Identität überhaupt?
Mit diesen Fragen sieht sich der Ich-Erzähler dieses Romans nach der Flucht seiner Eltern aus dem Iran nach Bochum konfrontiert. Er wächst in den 80ern und 90ern in einem Umfeld auf, das nicht frei von Gewalt und Drogen ist. Nicht nur die Schicksale der Freunde aus der Nachbarschaft offenbaren die dort lauernden Abgründe, auch der Ich-Erzähler muss sich durch Höhen und Tiefen kämpfen.

Der Autor bewegt sich in diesem Roman auf einem beeindruckenden sprachlichen Niveau, das Mosaik aus Erinnerungen und Gedanken des Ich-Erzählers ist voller Metaphern und Vergleiche, dabei hält er sich oft nicht mit verschachtelten Sätzen auf, sondern überzeugt mit seinen direkten, ehrlichen Worten. Insgesamt zeugt der Schreibstil von einem beneidenswerten Gefühl für die deutsche Sprache und ihre Möglichkeiten.
Der Inhalt des Buches schmerzt noch mehr, wenn man sich bewusst macht, dass es dem Autor in seiner Jugend im Ruhrgebiet vielleicht nicht genau so, aber wahrscheinlich ähnlich erging.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.08.2024
Die schönste Version
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

Die schönste Version ihrer selbst wollte Jella für Yannick sein, die Jugend in der Platte hinter sich lassen, nicht mehr an ihre vergangenen Beziehungen und früheren Freundschaften denken, nur noch an eine gemeinsame Zukunft mit Yannick in ihrer gemeinsamen Wohnung im Stadtzentrum - sie wollte die Version sein, die Yannick lieben, die er begehren würde, die am besten zu ihm passen würde. Zu Yannick, den sie so sehr liebt.
Auch Yannick zeigt zu Beginn der Beziehung nicht seine komplette Persönlichkeit, zeigt die sanfte und sensible Seite, den Künstler, unterdrückt den Schmerz und die Wut, die er manchmal fühlt.

Es ist schwer, eine intakte und gesunde Beziehung zu führen, wenn man nicht komplett ehrlich ist, wenn man sich nicht komplett öffnen kann oder möchte, wenn man sich am Ende selbst nicht mehr wiedererkennt. Und so scheitert auch die Beziehung von Jella und Yannick, eskaliert in einem Streit, einer gewalttätigen Auseinandersetzung, am Ende findet Jella sich erst auf dem Polizeirevier, dann in ihrem Kinderzimmer in der Wohnung ihres Vaters wieder. Dort beginnt die Spurensuche in ihrer Vergangenheit, der lange Prozess der Verarbeitung und der Weg von "der Beziehung eine weitere Chance geben" zu "es ist genug".

Ruth-Maria Thomas hat einen starken Roman über ein komplexes Thema geschrieben. Ein Roman, der durch seine Sprache besticht, der schonungslos das Scheitern dieser nach außen so perfekten Beziehung seziert. Die Handlung erhält Tiefe durch die Einblicke in Jellas Jugend, ihr Heranwachsen in den 2000ern in einer ostdeutschen Kleinstadt, ihre ersten Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht, ihre so grundverschiedenen Eltern - all das mit einem Auge für die Details.
Es zeigt sich, welche Kraft Frauen-Freundschaften haben können, gerade in einer solchen Situation.

Ein beeindruckendes Debüt!

Bewertung vom 27.06.2024
Südlich von Porto wartet die Schuld
da Silva, Mariana

Südlich von Porto wartet die Schuld


sehr gut

Ria Almeida hat das Glück, dort arbeiten zu dürfen, wo andere Urlaub machen: Meer, Dünen, eine tägliche Laufrunde am Strand - was für ein Upgrade zu ihrem bisherigen Lebensschwerpunkt Stuttgart! Doch ganz gleich, wie idyllisch und dünn besiedelt ein Ort zu sein scheint, Morde passieren überall...

Die Autorin zeigt uns das tägliche Leben in Portugal ohne sich zu sehr in Details zu verlieren, an der Seite der sympathisch und authentisch wirkenden handelnden Figuren unternehmen wir sogar einen Ausflug ins Nachtleben Aveiros. Ich habe jetzt große Lust, dort einmal Urlaub zu machen!

Ich habe den ersten Band dieser Reihe nicht gelesen, das war aber kein Problem. Die Handlung war durchweg interessant und spannend, bisweilen auch etwas witzig, allerdings war die Auflösung etwas unspektakulär und vorhersehbar. Es gibt so viele Krimis, da freue ich mich über jede Überraschung...

Bewertung vom 22.03.2024
Das Lächeln der Königin
Gerhold, Stefanie

Das Lächeln der Königin


sehr gut

In diesem Roman gewährt uns die Autorin einen Einblick in die Irrungen und Wirrungen der Berliner Kunst- und Archäologieszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einer Zeit, in der ebenjene Kunstwerke gefunden wurden, die wir heute in den Museen bewundern können.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der jüdische Textilunternehmer und Mäzen James Simon und seine Familie. Er finanzierte die Ausgrabungen Ludwig Borchardts in Tell el-Amarna, die zum Fund der Nofretete führten. Am Beispiel der Simons zeichnet die Autorin die geschichtlich bedeutenden Ereignisse, aber auch die gesellschaftlichen Strömungen und Tendenzen dieser Zeit nach. So wird an Simons Beispiel auch deutlich, wie tief verwurzelt der Antisemitismus schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Gesellschaft war.
Auch die archäologischen Ausgrabungen waren nicht frei von politischen und gesellschaftlichen Verwicklungen. Dort liegen auch die Gründe dafür, dass die Nofretete erst nach Jahren im Museumslager erstmalig öffentlich ausgestellt wurde.

Durch den Fokus auf die Kunst- und Archäologieszene entsteht ein neuer Blickwinkel auf eine bereits vielfältig nacherzählte Periode deutscher Geschichte.
Ein gut recherchierter Roman voller Details, das interessante Thema trägt auch über kleine Schwächen im Erzählfluss. Auf nach Berlin zur Nofretete!

Bewertung vom 09.03.2024
Paris Requiem
Lloyd, Chris

Paris Requiem


ausgezeichnet

Paris ist seit drei Monaten von den Deutschen besetzt, die Lebensmittel rationiert, es herrscht eine bedrückte Stimmung unter der Bevölkerung - doch gemordet wird weiterhin.

Inspecteur Giral gelingt es, sich geschickt in der besetzten Stadt zu bewegen und der Leser erfährt an seiner Seite nicht nur viel über die verschlungenen Wege einer besetzten Stadt, sondern ebenso viel über seine Vergangenheit und Beweggründe. Doch selbst der hartnäckige, unbeirrbare Inspecteur schafft es nicht, seine Ermittlungen durchzuführen ohne sich in Abhängigkeiten und Versprechungen zu begeben. Er muss nicht länger DEN Deutschen, sondern den verschiedensten, oft konkurrierenden Organisationen wie der Abwehr, Gestapo und dem SD Rede und Antwort stehen. Da kann man schon mal den Überblick verlieren und weiß dann nicht, wer in dem Auto sitzt, das einen gerade verfolgt.

Chris Lloyd hat hier erneut einen düsteren, atmosphärischen Roman geschaffen, dessen Spannungslevel von Beginn bis Ende hoch ist. Erneut zeigt er sowohl bei den Personen als auch bei den Handlungsorten eine Liebe für Details und zeichnet ein umfangreiches Bild der besetzten Stadt. Zugleich kann man die fundierte und umfangreiche Recherche zu den historischen Hintergründen und Zusammenhängen zwischen den Zeilen herauslesen.

Bewertung vom 21.11.2023
Memoria
Beck, Zoë

Memoria


gut

Die Handlung dieses Romans ist in der Zukunft angesiedelt, in einer Welt, die in einigen Jahrzehnten die unsere sein könnte: die Schere zwischen arm und reich wächst unaufhaltsam und der Klimawandel verursacht extreme Hitze in Kombination mit vielen Waldbränden.
Doch dies ist nur der Rahmen für die Handlung, im Zentrum steht Harriet und die grundlegende Frage der Verlässlichkeit unserer Erinnerung. Denn wenn wir nicht mal mehr unserer Erinnerung trauen können, wie sollen wir dann anderen Menschen trauen können?

Der Roman ist wie ein spannendes Puzzle aufgebaut, erst zum Schluss ergibt sich ein komplettes Bild. Der Leser begleitet Harriet auf ihrer Spurensuche in der Vergangenheit, die einige Überraschungen bereit hält.
Insgesamt hat dieses Buch bei mir leider ein Gefühl der Unvollständigkeit hinterlassen. Ich habe das Gefühl, dass die Autorin bei weiten nicht die Möglichkeiten ausgeschöpft hat, die sich ihr durch die sehr gelungene Zukunftsvision unserer Welt und zugleich auch durch die spannende Thematik der Verlässlichkeit unserer Erinnerungen ergeben hätten. So scheint mir auch die Auflösung etwas zu gewöhnlich zu sein.
Ich hatte einfach etwas mehr erwartet!

Bewertung vom 27.09.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


sehr gut

"Irgendwann fahren wir in die Stadt rein, der Tag bricht an, die Menschen werden gerade wach. Ich könnte sie alle sein." - Nilufar reist zum ersten Mal in das Land ihres Vaters, den Iran. Ein Land, dessen Sprache sie kaum spricht und von dem sie eine durch Erzählungen, Romane und Nachrichten geformte Vorstellung hat. Ein Land, das zerrissen ist, dessen Bewohner sich nach dem Westen sehnen, sich aber nicht komplett von den politisch vorgegebenen Regeln und Traditionen lösen können. Nilufar ist auch zerrissen, sie sitzt zwischen den Stühlen, in Deutschland ist sie das Ausländerkind mit dem komischen Namen, im Iran ist sie die Ausländerin, die nicht die Sprache beherrscht und nicht allein das Haus verlassen darf. Sie schildert dieses Fremdsein sehr nachvollziehbar und zeichnet ein detailliertes Bild des Irans, ihrer persönlichen Eindrücke und der Erfahrungen, die sie dort macht. Sie stellt sich immer wieder die Frage, wie ein Leben im Iran für sie aussehen könnte. Wie sie in diese Gesellschaft passen könnte. Ob sie ein anderes Verhältnis zur Heimat ihres Vaters hätte, wenn ihre Mutter nicht die vor Jahren geplante Reise abgesagt hätte. Oder wenn ihr Vater nach der Trennung der Eltern nicht in den Iran zurückgegangen wäre.
Manchmal fehlte der Erzählung die Stringenz, einige Kapitel waren weniger gelungen, dadurch wurde es schwer vor allem die rückblickenden Erzählungen nachzuvollziehen. An manchen Stellen ist das Buch etwas überfrachtet, man verliert den Überblick zwischen den ganzen Namen. Diesbezüglich wäre es vielleicht hilfreich gewesen, wenn sich die Charaktere mehr entwickelten hätten.

Insgesamt ein sehr berührendes Buch, das nicht nur einen Einblick in den Iran gibt, sondern auch zeigt, welche Probleme es in der deutschen Gesellschaft auch heute noch für Menschen mit einem anderen Namen oder Aussehen gibt. Selbst wenn sie unsere Sprache akzentfrei sprechen.

Bewertung vom 27.09.2023
Die Geister von Triest
Klinger, Christian

Die Geister von Triest


ausgezeichnet

Gaetano Lamprecht ist wieder auf Verbrecherjagd. Handlungsort ist erneut Triest, doch während der vorherige Fall hauptsächlich politische Verstrickungen hatte, kommt in diesem Buch noch eine historische Dimension hinzu. Der politische Aspekt zeigt sich nun zu Beginn des 1. Weltkriegs vielmehr im alltäglichen Leben.

Insgesamt gelingt es dem Autor gut, die aufgeheizte Stimmung vor allem zwischen dem bekennend italienischen Teil der Bevölkerung und den Unterstützern Österreich darzustellen. Mir war vor der Lektüre auch nicht bewusst, in welchem politischen Verhältnis Italien und Österreich zu Beginn des 1. Weltkriegs zueinander standen. Auch zeigt dieses Buch den Kontrast zwischen der Kriegsbegeisterung der noch nicht Eingezogenen und der Resignation der aus dem Krieg Zurückkehrenden.

Das Arbeitspensum des jungen Gaetano ist in diesem Buch nachvollziehbarer dargestellt als im Vorgänger, auch die Zeitschiene der Ermittlungen scheint realistischer. Die Ermittlungen konzentrieren sich räumlich im Wesentlichen auf Triest, für die Nachvollziehbarkeit wäre eine Karte schön gewesen, dann würden die Straßen- und Ortsnamen ihre Beliebigkeit verlieren.
Ich finde es schön, dass Gaetanos Familie in die Handlung eingebunden ist und bin gespannt, wann Gaetano (hoffentlich unverletzt) in seine Heimatstadt zurückkehren und wieder Ermittlungen aufnehmen wird...

Bewertung vom 28.08.2023
Die Erfindung des Lächelns
Hillenbrand, Tom

Die Erfindung des Lächelns


sehr gut

"Alles in diesem Buch ist tatsächlich genau so passiert, abgesehen von den Dingen, die ich mir ausgedacht habe" - der Autor erzählt den aufsehenerregenden Diebstahl der Mona Lisa aus dem Louvre nach, der dieses Gemälde so berühmt machte. Der Zeitrahmen der Handlung erstreckt sich dabei vom Raub 1911 bis zur Rückgabe 1913. Der Autor füllt die Geschichte mit Details und schickt die Mona Lisa auf eine Reise durch verschiedene Pariser Gesellschaftskreise, die Anarchisten und Okkultisten geben der Geschichte neue, interessante Perspektiven.
Die Polizeiermittlungen laufen eher nebenbei, im Mittelpunkt steht vielmehr das pulsierende Leben im Paris der Belle Époque rund um die zwischenzeitlich des Diebstahls verdächtigten Picasso und Apollinaire, denen der Autor eine tragende Rolle zuteilt.
Die Geschichte ist sehr dicht, leider ist der Spannungsbogen nicht stark genug, um den Leser durch die detaillierten Beschreibungen und vielen Namen zu tragen. Erst zum Ende bin ich in einen richtigen Lesefluss gekommen. Ein Personenregister hätte bestimmt geholfen, vor allem bei den Mitgliedern der Polizei und der Anarchisten. Auch eine Karte von Paris hätte nicht geschadet.
Eine spannende Zeitreise, auf 500 gut recherchierten Seiten entsteht ein detailliertes, vielschichtiges Bild von Paris, voll Licht und Schatten.