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Bewertungswiesel

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 30.04.2025
Urlaub vom Patriarchat
Oertel, Friederike

Urlaub vom Patriarchat


sehr gut

Ein wunderbar leuchtendes Cover, das uns auf Mexiko einstimmt, dazu das verheißungsvolle Wort Urlaub, und im Klappentext die Hoffnung auf ein Leben fernab patriarchaler Strukturen.
Die Autorin hat sich auf den Weg gemacht, ein sogenanntes Matriarchat zu besuchen - keine Umkehrung des Patriarchats, sondern eine Gesellschaftsform, in der Frauen das Sagen haben sollen, und auch ein drittes Geschlecht traditionell akzeptiert ist.
Tatsächlich treiben in Juchitán die Frauen Handel auf dem Markt, betreuen nebenbei ihre Kleinkinder, vererben den Grundbesitz an die jüngste Tochter. In der Politik sind sie aber nicht aktiv.
Eigene Reisebeobachtungen, Gespräche mit Einheimischen, sowie einiges allzu Persönliche werden immer wieder abrupt von Fakten über die Geschichte des Patriarchats und der Forschung zum Matriarchat unterbrochen, um das Buch als Sachbuch zu qualifizieren. Vieles ist interessant, ebenso vieles aus dem Themenbereich Feminismus / Gendergerechtigkeit leider überhaupt nicht neu. Es wurden sehr viele Quellen herangezogen. Eine solch gründliche Recherche verdient Respekt.
Wer sich allerdings auf ein empowerndes Buch gefreut hat, wird enttäuscht.
Diese Reiseerfahrung lässt starke Zweifel aufkommen, ob die Lebensweise der Zapotek:innen tatsächlich mehr Raum für alle, die keine cis-Männer sind, lässt.
Die gesellschaftliche Erwartung an die Frauen und Muxe, das dritte Geschlecht, ist hoch, die Mordrate in Mexiko astronomisch. In einem Netz von Traditionen darf vor allem niemand aus der Rolle fallen.
Die Autorin schafft es, mit dieser Reise für drei Monate ihr Alltagsleben hinter sich zu lassen, das ist, wie fast jede Reise, bereichernd. Es wird viel gefeiert, die Frauen zahlen alles und haben auch die ganze Arbeit damit.
Das Leseerlebnis hat mit Urlaub rein gar nichts zu tun, es macht keinerlei Hoffnung, dass es irgendwo möglich sein könnte, das Patriarchat als weltweite Gesellschaftsform zu überwinden, im Gegenteil. Für dieses Ergebnis kann die Autorin nichts. Dennoch wäre es angebracht, mit der Titelgebung eher völkerkundlich und soziologisch interessierte Menschen anzusprechen, statt Hoffnung bei derjenigen Leserschaft zu schüren, die sich in erster Linie Gerechtigkeit wünscht.
Kein Leuchtturm für den Feminismus, erweitert es immerhin unseren Horizont um einige anthropologische Einsichten.

Bewertung vom 23.04.2025
Das ist Glück
Williams , Niall

Das ist Glück


ausgezeichnet

Das ist Glück, diesen Roman lesen zu dürfen! Angesiedelt im Frühling 1958 an einem sehr abgelegenen Ost an der irischen Südwestküste, schenkt er uns eine erholsame Zeitreise.
Der Ort soll mit 50 Jahren Verspätung ans Stromnetz angeschlossen werden, die Bewohner sind so verschroben, dass diese Errungenschaft nicht alle gleichermaßen begeistert. Noe ist 17 Jahre alt und freundet sich mit dem über 60 Jahre alten Untermieter seiner Großeltern an.
Die Sprache ist der Zeit angemessen und wirkt etwas großväterlich, denn der Erzähler ist ein 78-Jähriger, der sich an seinen Aufenthalt dort erinnert, und dabei die eine oder andere Lebensweisheit einstreut. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.
Die Atmosphäre, die durch detailreiche Beschreibungen erzeugt wird, ist aber so mitreißend, dass ich durchgehend das Gefühl hatte, in dem irischen Dorf selbst dabei zu sein, inclusive der klammen Wäschestücke, die beim endlich aufkommenden Sonnenschein zum Trocknen ins Freie gebracht werden.
Es geht um Identitätsfindung, Liebe, Glaube, Hoffnung sowie Reue, Vergebung und Krankheit, also um alles, was die Menschen schon immer bewegt hat. Dabei ist niemals etwas platt, das Buch hat Tiefe und ein Gespür für die Feinheiten, die das Dorf für den Leser lebendig machen.
Es gelingt dem Autor, trotz der eher überschaubaren Handlung eine Spannung aufzubauen, die den gesamten Roman trägt.
Ich würde es nicht unbedingt ganz jungen Lesern empfehlen, sonst aber allen, die Irland mögen oder kennenlernen möchten.

Bewertung vom 10.04.2025
Der Duft des Wals
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


ausgezeichnet

Dieses Buch ist mehr als außergewöhnlich. Vermutlich das einzige Buch, das Umweltprobleme aufgreift und dennoch nicht düster, sondern extrem unterhaltsam geschrieben ist, gespickt mit grotesken Szenen, begleitet von einer irrwitzigen Komik. Die Charaktere sind teilweise höchst bizarr, vor allem die Flugbegleiterin Celèste, aber auch die zehnjährige Tochter des Ehepaars, viel zu reif für ihr Alter und künstlerisch unterwegs mit Hang zum Morbiden.
Die Rettung der Ehe von Hugo und Judith im vermeintlichen Paradies steht als Ziel, an das sehr bald niemand mehr glaubt. Parallel dazu versucht das Hotel-Team mit allen Mitteln, etwas vorzutäuschen, das schon längst nicht mehr existiert. Früh morgens wird der Strand von angeschwemmtem Müll befreit. Der Verwesungsgeruch des gestrandeten Wals soll mit den teuersten Düften aus dem Duty-Free-Shop übertüncht werden.
Unberechenbare Wendungen und wechselnde Erzähl-Perspektiven machen das Buch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Furioses Ende, das Ganze bietet brillanten Stoff für eine Kinokomödie. Oder aber auch eine bitterböse Satire. Es wird nicht allen gefallen.
Ich würde von der Lektüre auf der Sonnenliege abraten, es ist kein Urlaubsroman, obwohl, oder gerade weil er an einem Urlaubsort spielt. Allzuoft wird dem touristisch-hedonistischem Treiben der Spiegel vorgehalten, und dieser zeigt die Fratze einer ausbeuterischen Gesellschaft.
Das Buch ist eher geeignet für Kulturpessimisten und Systemkritiker, die sich hiermit auch mal etwas Leichtigkeit gönnen können. Alle, die keinen Cluburlaub machen: Lest das!

Bewertung vom 01.04.2025
Der Junge aus dem Meer
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Dieses Debüt hat einen flüssigen Schreibstil, die Hauptfiguren sind wunderbar charakterisiert, es hat Spaß gemacht, ihr Romanleben zu verfolgen. Der gefundene Junge Brendan erlangt in seiner Kindheit geradezu biblische Aufmerksamkeit, der leibliche Sohn leidet unter quälender Eifersucht. Etwas irritiert hat mich der allwissende WIR-Erzähler, der das irische Dorf repräsentiert und jede Menge Bewohner quasi wie Statisten erwähnt, von denen sonst kaum etwas oder gar nichts erzählt wird. Es soll damit wohl das Gemeinschaftsgefühl dargestellt werden, das in Donegal zur Zeit des Geschehens lebendig war. Mir wären Dialoge mit einzelnen Dorfbewohnern lieber gewesen. Das Thema Fischerei ist außergewöhnlich detailliert recherchiert und beschrieben, auch der Wandel durch den Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Viele Wörter musste der Übersetzer durch ein deutsches Wort austauschen, das mir ebensowenig bekannt war, also wohl aus dem Fachbuch für Schiffskundige und Fischer. Auch wenn diese Passagen recht spannend geschrieben waren, kam die Familie, die Schwestern Christine und Phyllis mit dem alten Vater und der Sohn mit dem Adoptivbruder etwas kurz. Hier hätte für meinen Geschmack noch mehr Spannung aufgebaut werden können. Wer sich mit der irischen Westküste und dem Meer verbunden fühlt, wird mit diesem Buch glücklich.

Bewertung vom 19.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

Mit dem futuristisch gestalteten Buch ist Samira Ben Saoud ein phantasievolles Debüt gelungen. Überlebende des Klimawandels haben sich in nahezu komplett isolierte Siedlungsgemeinschaften aufgespalten. Es handelt sich offenbar um eine nicht übermäßig überwachte Diktatur mit den zu erwartenden widersprüchlichen Regeln. Einerseits herrscht ein sogenanntes Gewaltverbot, andererseits geschehen Morde und Fälle von Verschwinden, deren Aufklärung niemanden interessiert. Die Versorgung mit Gütern erfolgt über LKW, die kontaktlos liefern. Die Fahrer wissen nichts über die Menschen in den Siedlungen. Für alle anderen ist es unmöglich, ihr Siedlungsgebiet zu verlassen und zurückzukehren, jeder Versuch ein Selbstmord. Eventuelle Eindringlinge würden auf Anweisung der für Gewaltfreiheit plädierenden Obrigkeit getötet, Aber es gibt keine. Offensichtlich arrangieren sich fast alle mit einer derart eingeschränkten Lebensweise und überschreiten nicht die weiße Linie. Es existiert auch ein Vergangenheitsverbot, dennoch erhalten die Bewohner Zugang zu einem Naturkunde-Museum, es taucht sogar ein tatsächlich funktionierendes Endgerät für Videos auf.
Das gesamte Setting ist faszinierend beschrieben, auch die Hauptfigur, die ihren Namen nicht kennt, und ihr besonderer Beruf. Über viele Seiten hat mich die Handlung mitgerissen. Ich konnte mich in die Frau, deren Job das Weiterführen gescheiterter Beziehungen ist, hineinversetzen, die Beziehungen, die sie nachstellt, und die, die sie nicht eingeht. Etwa nach der Hälfte bei Kapitel 30 kommt jedoch ein Kipppunkt. Wahrscheinlich soll es ab da richtig spannend werden, mir persönlich wird es zu absurd, die Vorkommnisse unlogisch. Die Grenze verwischt irrational, und damit verpuffen all die interessanten Fragen über Identität und die Existenz des einzelnen in einer existentiell bedrohten Lebensform.
Wer Untergangs-Szenarien mag, wird Freude an diesem Buch haben, sollte allerdings nicht davor zurückschrecken, physikalische Gegebenheiten zu ignorieren!

Bewertung vom 03.03.2025
Die Summe unserer Teile
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


sehr gut

Das Cover verbirgt mehr, als es zeigt, was schon darauf hindeutet, dass es dunkle Bereiche in der Vergangenheit gibt, die es zu ergründen gilt.
Wir begleiten drei Frauen über drei Zeitebenen durch mehrere Länder: Tochter Lucy, Mutter Daria und Großmutter Lyudmila - Wissenschaftlerinnen. Hochintelligent, aber eher weniger kommunikationsstark. Vor allem nicht im Umgang miteinander. Vermutlich, weil sie gar keine gemeinsame Muttersprache haben.
Das Buch lässt sich leicht lesen und ist auch recht spannend. Mir gefällt die Eingangsszene mit dem Konzertflügel, der enorme Beklemmungen in Lucy auslöst. Schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen bieten einen nahrhaften Boden für tiefgründige Familiengeschichten. Allerdings gibt es ein paar Unstimmigkeiten im Handlungsverlauf. Auf den Spuren ihrer quasi unbekannten, bereits verstorbenen Großmutter reist Lucy allein nach Polen. Das erscheint mir wenig logisch, denn der einzige Anhaltspunkt, den sie hat, ist ein Ferienort, an den die Großmutter mit zwölf Jahren zu ihrer Tante abgehauen sein soll. Natürlich gibt es an diesem Ort auch keine näheren Hinweise. Aber Lucy folgt einem Zugschaffner namens Wladek, der ihre Sprache spricht, und erzählt ihm nach nur drei Sätzen von dem Problem mit ihrer Mutter. Das kann in einem Stadium tiefer Verzweiflung vielleicht passieren, unrealistisch ist aber, dass Wladek sich davon nicht abschrecken lässt.
Die beste Freundin Phil und Lucys Mitbewohner Oliver sind zwei weitere Figuren, die mir nicht sehr authentisch erscheinen, eher aus dramaturgischen Gründen entwickelt, aber in ihrer Unterstützung etwas wankelmütig.
Nicht auszuklammern als tragende Figuren im Hintergrund: die Ehemänner/ Väter! Robert ist der am wenigsten kommunikative Akteur in der Familie, unterdrücktes Opfer der starken Frau Daria?
Insgesamt gesehen ein Buch für alle, die Interesse an komplizierten Lebensgeschichten haben. Kein Geschenk zum nächsten Muttertag!

Bewertung vom 02.03.2025
Hase und ich
Dalton, Chloe

Hase und ich


ausgezeichnet

Das wiesengrüne Buch wirkt optisch wie ein Kinderbuch aus früheren Zeiten. Schlägt man es auf, sieht man eine detaillierte Zeichnung des Schauplatzes, auch jedes der 15 Kapitel wird von einer weiteren Zeichnung und einem alten Vers über Hasen eingeleitet. Nun wimmelt es ja gerade zur Osterzeit von mehr oder weniger unsinnigen Kinderbüchern mit vermenschlicht dargestellten, Eier bemalenden Hasen. Dieses Buch ist völlig anders und auch kein Kinderbuch.
Die Autorin erzählt mit viel Gespür für Feinheiten von ihrer gemeinsamen Zeit mit einem geretteten Hasen. Natürlich besteht bei einem solchen Thema die Gefahr der Rührseligkeit. Einige Tierfreunde in einer solchen Situation hätten dem Hasen wohl ziemlich bald einen Namen verpasst, sein Geschlecht erkundet, es vielleicht als ihren Besitz, ihr neues Haustier zum Tierarzt geschleppt.
Was dieses Buch so angenehm macht, und dem empfindlichen Wildtier vermutlich überhaupt das Weiterleben ermöglicht: Chloe Dalton verzichtet auf all das und gewährt dem Tier nur die Hilfe, die es anfangs braucht, und den Freiraum für sein weiteres artgerechtes, wenn auch ungewöhnliches Leben. Die Geschichte wird trotz der reduzierten Handlung mit sehr wenigen Akteuren nicht langweilig, denn die Autorin hat jede Menge spannende Fakten und auch einige Mythen über Feldhasen zusammengetragen, sie ist eine genaue Beobachterin und kann so ihr Erlebnis im lebendige Worte fassen.
Es lohnt sich für uns alle, dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken, fördert die Achtsamkeit in der Natur und bereichert diejenigen, die sich darauf einlassen. Beim Lesen stellt sich eine tiefe Entspannung ein, die perfekte Loslösung vom Alltag!

Bewertung vom 22.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

Zentrales Thema ist die pro-russische Gesinnung der Mutter des in Kiew geborenen Ich-Erzählers. Seine Perspektive bleibt durchgehend die einzige, ungewöhnlich für Neuerscheinungen.
Wir lesen hier die anekdotenreiche und zugleich feinfühlige Bestandsaufnahme einer jüdischen Kontingentflüchtlingsfamilie von den 90ern bis heute.
Der Roman besteht aus zwei Teilen. Der erste ist deutlich ausschweifender, sehr humorvoll, gespickt mit viel Ost-algie. Der zweite, direkt aus dem Kriegsgebiet, ging mir sehr nah, dennoch hochinteressant.
Der Protagonist beherrscht die russische Sprache, nicht aber das angesichts der Lage angemessenere Ukrainisch.
Die Aktualität des Themas lässt einem das berüchtigte Blut in den Adern gefrieren.
Sogar für die Motive der Putin-Anhängerin gibt es den Versuch einer Erklärung.
Der Autor dieses sehr originell fishy erscheinenden Buches ist ein Meister der Wortspielereien. Er kreiert eine sprachliche Neuschöpfung nach der anderen, spart aber auch nicht an gekonnt eingesetzten Wiederholungen. Es gelingt ihm zum Beispiel, das Adjektiv russisch bis zu sieben mal in einem Absatz unterzubringen. Der Handlungsstrang selbst wirkt ziemlich reduziert, die hin und zurück schwingenden Zeitebenen lassen sich manchmal nicht sofort voneinander trennen.
Mich hat dieser Schreibstil zunächst begeistert, zur Mitte hin auch etwas angestrengt. Der zweite Teil ist meiner Ansicht nach der stärkere, lebendig und mitreißend. Der Humor tritt nun zu Recht in den Hintergrund.
In dieser innovativen Form offenbaren sich Inhalte, die Westeuropa größtenteils so noch nicht wahrgenommen hat, trotz aller Berichterstattungen über Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Leser, denen die politische Debatte über den Krieg nicht genügt, erhalten mit diesem Roman die Chance, die Mentalität der Ukrainer etwas besser kennenzulernen.

Bewertung vom 08.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Das traumhafte Cover mit nur einer kleinen Ecke Haus und ganz vielen Wolken könnte nicht passender gewählt sein. Mit authentischer Darstellung der Hausbewohner und außerordentlich prägnanten Sätzen schafft Sara Gmuer genau die Atmosphäre, die es braucht, um einerseits prekären Alltag zu beschreiben, und zugleich Raum für Träume zu lassen.
Solange wir uns im Milieu der unteren Gesellschaftsschichten bewegen, überzeugt das Buch komplett. Wanda stellt eine vielschichtige Identifikationsfigur dar, die das Beste für ihr Kind will, es aber dennoch, oder gerade deshalb, der Verwahrlosung aussetzt. Aylins Mama… das Fehlen eines Vornamens ist ihre zentrale Charaktereigenschaft. Sie ist bodenständig, immer da, stellt das Gegen-Modell einer alleinerziehenden Mutter, einer mit ausschließlichem Fokus auf das Kind dar.
Leider erlebe ich den Wechsel in die Szenerie der Filmwelt als etwas holprig, die hier beschriebenen Personen bleiben eindimensional, agieren oft unlogisch, die Handlung wirkt unglaubwürdig, alles ist selbst für eine Filmproduktion zu irreal. Ich konnte nicht richtig in die weitere Handlung eintauchen. Vielleicht soll es einfach eine Hommage an nicht aufgegebene Träume sein. Eine schöne Idee, mit einer aber nicht ganz schlüssigen Erzählweise. Zu Beginn ein Sozialdrama, neigt das Buch im weiteren Verlauf zu einer absurden Tragikomödie.
Dies ist vor allem ein Buch für Mütter!

Bewertung vom 01.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Dieses Buch zeigt außen ein idyllisches Gemälde, inhaltlich stellt es ein kunstvolles Werk mit deutlich mehr Abgründen dar, das sich auf die soziale Ungleichheit innerhalb Europas fokussiert.
Paulína ist 38, Mutter, berufstätig. Klara ist auch 38, auch Mutter, auch berufstätig. Jedoch unterscheidet sie nicht nur die geographische Region, in der sie aufwuchsen. Paulína verdient in der Slowakei in der Krankenpflege so wenig, dass sie keine andere Möglichkeit sieht, als in Österreich jeweils zwei Wochen des Monats rund um die Uhr eine alte Dame nach deren Schlaganfall zu betreuen, Das bedeutet, ihre zehn und sechzehn Jahre jungen Söhne in der Obhut der Schwiegermutter zu lassen. Der Vater arbeitet ebenfalls im Ausland. Die Österreicherin Klara hingegen ist eine sehr erfolgreiche Architektin, die den Unterhalt für die gesamte Familie erwirtschaftet, wobei noch reichlich Geld übrig bleibt. Weil sie solch eine Freude an ihrer Arbeit, und so wenig Interesse an der Betreuung der eigenen Tochter und kranken Mutter hat, engagiert sie Paulína über eine Agentur. Sie und ihr freiberuflich als Fotograf tätiger Ehemann verstehen sich selbst als Wohltäter, indem sie immer wieder Umschläge mit Geld anbieten, um zusätzliche Dienstleistungen zu erkaufen. Paulína entfremdet sich mehr und mehr von ihrer eigenen Familie - und fühlt sich komplett unverstanden in der neuen. Klara hingegen sieht das Verhältnis als eine Art Freundschaft.
Es ist der Autorin hervorragend gelungen, die einzelnen Figuren zu porträtieren. Ihr Schreibstil ist packend und wird dem schwierigen Thema in vollem Umfang gerecht. Besonders deutlich wird das durch die wechselnden Perspektiven, inneren Monologe und Verzicht auf wörtliche Rede. Mich hat dieses Buch sehr beschäftigt.
Natürlich ist es nicht nur ein Buch über das sogenannte Ost- und Westeuropa, sondern dreht sich vor allem auch um die Rolle der Frauen. Es sind hier eben sie, die die Familien zusammenzuhalten versuchen, und dennoch sind sie oft die weniger beliebten bei den Kindern.
Ich empfehle dieses Buch dementsprechend ganz besonders Männern:)