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Ossi
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Merdingen

Bewertungen

Bewertung vom 03.09.2010
Anazarah
Kirchgäßner, Andreas

Anazarah


ausgezeichnet

Das Gesamturteil vorne weg: Ein Buch aus der Kategorie "Das-lege-ich-erst-wieder-weg-wenn-ich-durch-bin."

Sarah ist 14 und hat gerade die erste etwas unglückliche Jugendliebe hinter sich. Da trifft es sich nicht gerade passend, dass ihre Mutter frisch und glücklich in Thomas verliebt ist. Der ist so eine Art Globetrotter mit einer tiefen Liebe für Marokko und die Wüste. Diese Liebe will er eigentlich nur seiner neuen Freundin vermitteln, aber um ihren ersten Schwarm Tim zu vergessen fährt auch Sarah mit. Zunächst läuft das alles auch ganz wunderbar. Thomas verhandelt geschickt mit den Militärs in der Wüste und so werden sie in Ruhe gelassen. Auch als ein Sandsturm aufzieht handelt er umsichtig und routiniert und rettet die kleine Truppe in den Windschatten eines ausgetrockneten Flussbettes. Das war aber dann wohl doch keine gute Idee, denn ein Wolkenbruch führt zu einer Springflut. Die reisst Basti - den heiß geliebten Hund Sarahs - mit sich mit und da gibt es auch für das Mädchen kein Halten. Hinterher! Schon werden Hund und Mädchen von den Fluten weggerissen. Viel später wacht sie auf, geweckt von dem Beduinenjunge Abderrahmane, der sich um sie kümmert und sie durch die Wüste führt. Eine gefährliche Reise, wie man erwarten darf.

Anazarah ist ein Jugendroman und braucht deshalb zu allererst eine spannende Geschichte, die mitreisst und die Leserinnen und Leser fesselt. Eine solche Geschichte bietet Andreas Kirchgäßner ganz zweifellos. Es geht von Abenteuer zu Abenteuer und die beiden Helden  Sarah und Abderrahmane  wirken dabei immer glaubhaft, schwanken zwischen Hoffen und Bangen und verstehen sich mit der Zeit trotz der Sprachschwierigkeiten immer besser. Es geht eigentlich ganz gut voran. Bis schließlich das Militär beide aufstöbert, den Jungen gefangen nimmt und Abderrahmane als Entführer angeklagt wird. Er, der Sarah vor dem Tod in der Wüste gerettet hat ist nun in Lebensgefahr und auf Sarah angewiesen. Ob das gut geht und ob Sarah wirklich in der Fremde ihren neuen Freund retten kann? Das sei hier mal nicht verraten.

Die Geschichte allein macht aber nicht den Reiz des Buches aus. Es ist vielmehr der kundige Einblick in die fremde Welt der Beduinen und Araber. Hier profitiert Andreas Kirchgäßner von seinen vielen Afrikareisen und deshalb sind seine Beschreibungen nie oberflächlich oder nostalgievernebelt, sondern wirken authentisch und stellen sich in den Dienst der Geschichte. Dazu gehören die Farben des Marktes, das zumindest zunächst ungewohnte Essen, die Abscheu der Araber vor Hunden genau so, wie die Bestechlichkeit des Militärs (Dosenbier!) auf der einen Seite und die cleveren Überlebensstrategien der Beduinen in der Wüste auf der anderen.

Ein Highlight ist zum Beispiel die Person des Hajoub. Das ist Abderrahmanes Vater, der vor Jahren als Asylbewerber in Stuttgart versuchte zurecht zu kommen. Das scheiterte, er fühlte sich schlechter behandelt als ein Hund, was er anfangs an Sarah und viel mehr noch an Basti auslässt. Später hilft er dem Mädchen und schwäbelt dabei so herzerfrischend falsch in der Gegend rum, dass man öfter grinsen muss. Ebenso spannend und fremdartig klingt die Beschreibung des Frauenbades in das Sarah von Abderrahmanes Schwestern geführt wird. So viel Körperlichkeit passt nicht in unser Bild vom Leben arabischer Frauen.

Es sind diese Elemente, die einen immer wieder gefangen nehmen. Man mag wirklich nicht aufhören zu lesen und taucht ein gutes Stück in diese doch recht unbekannte Welt ein. Und wer schließlich noch wissen will, warum das Buch Anazarah heisst und wann, wo, warum und wie der "Herr Ober die Rechnung bitte" bringt, der sei an den Buchhändler seines Vertrauens verwiesen.