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Benutzername: 
Dorothea Weniger
Wohnort: 
München

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Bewertung vom 22.03.2011
Migration, Geschlecht und Arbeit

Migration, Geschlecht und Arbeit


sehr gut

Die vorliegende Studie geht dem Zusammenhang von Geschlecht, Migration und Arbeit sowie dem Verhältnis der Menschen mit Migrationshintergrund zur deutschen Mehrheitsgesellschaft nach.
Die Studie folgt dabei drei Analyseschwerpunkten: Im ersten Teil untersuchen die AutorInnen wichtige Faktoren der Migration anhand vorliegenden Datenmaterials. Grundlage des zweiten Teils sind Interviews, die die AutorInnen mit ArbeitsmarktexpertInnen führten. Im letzten Teil werden Analysen der Interviews mit Migrantinnen vorgestellt. Die abschließende Zusammenschau der Ergebnisse führt zu einem umfangreichen Forderungskatalog.
Bei der Datenanalyse wurde sowohl auf Daten des Bundes und zweier Bundesländer (Bayern, Brandenburg) sowie einiger Städte (Augsburg, München, Nürnberg, Potsdam) zurückgegriffen. Dabei bemängeln die AutorInnen, dass oft wichtige Datensätze fehlen.
Ein Abgleich des Datenmaterials mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen deckt Mängel bisheriger Interpretationen auf: So belegt das Datenmaterial scheinbar, dass v. a. Türkinnen eher eine „Familienorientierung statt Erwerbsorientierung“ (S. 42) aufweisen. Dies wird in der Regel als „vermeintliche kulturelle Andersartigkeit dieser Frauen … erklärt.“ (S. 51) Dabei beschert der deutsche Gesetzgeber Migrantinnen rechtliche Barrieren bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt. So wurde bis 2005 Frauen, die im Rahmen einer Heirat nach Deutschland kamen, zwei Jahre lang eine Arbeitserlaubnis verwehrt.
Die Studie belegt auch anhand von Interviews mit ArbeitsmarktexpertInnen, dass diese mit ihren Fördermaßnahmen oft in die Falle der Diskriminierung tappen. Grundlage dieses Verhaltens dürfte sein, dass keine der Befragten über eine professionelle, systematische Kompetenz in allen drei Bereichen Arbeitsmarkt, Migration und Gender verfügt. Unbewusst leiten sie mit ihren Maßnahmen einen Dequalifizierungsprozess ein, der sich bei den Betroffenen finanziell, sozial, physisch und psychisch nachteilig auswirkt.
Die Interviews mit den Migrantinnen zeigen, dass vor allem gegen Türkinnen und Frauen mit dunklerer Haut- und Haarfarbe Diskriminierungen vorgebracht werden, die bei ihnen langfristig Krankheit, Depression und Demotivation auslösen können. Und dies, obwohl ihr Selbstbild eine andere Sprache spricht: Sie empfinden sich als aktive Gestalterinnen ihrer Biografie, die sich für sich selbst und ihre Kinder vor allem eine hohe Schul- und Berufsausbildung und eine „gute“ Arbeit wünschen. Arbeit hat dabei den höchsten Stellenwert, da sie nicht nur Broterwerb, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung bedeutet. V. a. Türkinnen verbinden Arbeit mit einer starken sozialen Komponente. Der Schlüssel dafür wird von den befragten Migrantinnen in der deutschen Sprache gesehen.
Der Forderungskatalog der AutorInnen geht aus den Missständen, die die Studie aufdeckt, hervor. Er richtet sich an alle politischen VertreterInnen, letztendlich aber auch an alle Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, denn „Interkulturelle [Kompetenz] und Genderkompetenz sind … nicht angeborene Merkmale, sondern eine Qualifikation, die es zu erwerben gilt.“ (S. 245)
Verwunderlich finde ich die Forderung nach detaillierterem Datenmaterial, z. B. über körperliche Merkmale und das Tragen religiöser Symbole. Hier fehlt den AutorInnen meiner Meinung nach der kritische Umgang mit ihrer eigenen Feststellung, dass Rassismus und Diskriminierungen auch auf staatlichen Strukturen und Gesetzen beruhen.
Trotzdem empfehle ich dieses Buch allen, die mit MigrantInnen arbeiten und an gesellschaftlichen Verhältnissen interessiert sind.
Schade ist nur, dass der Verlag dem Buch eine redaktionelle Überarbeitung „erspart“ hat. So erschweren orthografische und grammatikalische Fehler unnötig den Lesefluss.
von Dorothea Weniger, München, doro_weniger@yahoo.de