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Benutzername: 
Peter Jobst
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Bewertung vom 19.12.2010
Der heilige Schein
Berger, David

Der heilige Schein


ausgezeichnet

David Bergers Weg vom konservativen Vorzeige-Theologe bis zum Outing: Sein entwaffnend ehrliches Buch "Der Heilige Schein" erfährt überwältigendes Medien-Echo.

Die lateinische Messe zieht den Sohn liberaler Eltern in den Bann konservativer Theologen. Die Affinität schwuler Männer zu konservativen Religions-Praktiken erlebt er intensiv bei sich selbst.
Dem Priester-Wunsch steht der Wunsch nach Sexualität im Weg. Berger Kritik progressiver Theologien macht ihn unter liberalen Kollegen zum Außenseiter, in reaktionären Kreisen zum Hoffnungsträger. Solange er im konservativen Fahrwasser schwimmt, wird seine Karriere von kirchlichen Herren, für den Charme des Herrn Berger durchaus empfänglich, gefördert.
Man toleriert seinen Partner, offiziell sein Cousin. Die Kehrseite der Medaille wird ihm später bewusst. Er merkt allmählich, dass man seine Homosexualität bewusst einsetzt, um ihn gefügig, gehorsam und erpressbar zu machen.
Offen gelebte Homosexualität wird gerade von schwulen Geistlichen extrem diskriminiert, deren hoher Anteil (Selbst)Unterdrückung und verweiblichtes Verhalten fördert, das an die schwule Steinzeiten (§ 175) erinnert. Was die Kirche nach außen bekämpft, ist ihr ureigenstes Problem.
Dieses Unterdrückungssystem funktioniert perfekt, solange Homosexualität geächtet und bestraft wird. Deshalb werden liberale Gesetze mit verbissenem Eifer aus Furcht vor Machtverlust bekämpft.
Der Papst holt eifrig Gruppen wie die Pius-Bruderschaft oder das Engelwerk in die Kirche zurück. Man will Bergers Kritik mit Hinweisen (»Wir wissen was über dich«), subtiler Erpressung, Angriffen von Websites (www.kreuz.net) ersticken.
Der Schuss geht bei diesem kompetenten und Medien-erfahrenen Mann, der in Fitnessstudios, Universitäten und Internetportalen zu Hause ist, nach hinten los. Berger outet sich als schwul und rechnet in diesem Buch mit seinen ehemaligen Gönnern ab.
Er ist nicht länger erpressbar. Entsetzen, Panik, Polemiken, Rauswurf aus der päpstlichen Akademie; Bewunderung über Ehrlichkeit, Mut und Konsequenz. Die Reaktionen sind geteilt.

Der brennend aktuelle Insider-Bericht enthüllt hermetische Welten, die an Einfluss gewinnen: Hohe Würdenträger pendeln zwischen, Doppelmoral, Verdrängen, Leugnen, Größenwahn, Selbstmitleid und kindliche Hilflosigkeit bei Bekanntwerden von Missbrauchs-Fällen.
David Berger hat lange bei Machenschaften scheinheiliger Kirchenoberen »mit-gezündelt«, wie er im Spiegel einräumt. Aus Opportunismus, Ehrgeiz, Eitelkeit, Selbstschutz, Karrierestreben, Blindheit, Verdrängung?

Der authentische Bericht ist Beichte und leidenschaftlicher Appell zu Veränderung: Manche Kleriker werden dieses Buch wohl heimlich lesen. Denn Dinge heimlich zu tun, haben sie ja gut geübt. Jedenfalls bringt David Berger die Thematik Homosexualität und Kirchen klar und präzise auf den Punkt. (Peter Jobst)

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