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robertp
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Guntramsdorf

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2025
Drvenkar, Zoran

Asa


ausgezeichnet

Der Geist der Liebe
Asas Vater wurde vor ihren Augen ermordet. Als sie feststellt wer dahinter steckt, plant sie ihre Rache. Ein Generationen umspannender Roman um eine Familie, die nur das Beste will, aber dafür auch Menschenleben opfert.
Zoran Drvenkar, Kroate, freier Schriftsteller und seit Jahrzehnten Berliner, beschreibt das Leben einer Dorfgemeinschaft in der Uckermark – im Nordosten Brandenburgs, die sich vor äußeren Einflüssen abschottet und einen eigene Ehrenkodex entwickelt, um zu überleben.
Es ist ein Roman mit seltsamem Aufbau. Der Erzähler – der Geist der Liebe – ist tot und hat somit umfassende Gewalt über die Ereignisse. Lebendig war er mit Asa verheiratet und ihr Seelenverwandter. Eine falsche Entscheidung seinerseits bringt seinen Tod und er wird zum Kommentator der Geschehnisse.
Über ein Jahrhundert schildert der Erzähler die Geschichte der Familie Kolbert, die das Schicksal der Dorfgemeinschaft bestimmt. Die historischen Passagen sind die interessant zu lesen und stellen Stück für Stück den Zusammenhang mit der Gegenwart her. Diese Abschnitte wechseln sich in unzähligen Handlungssträngen mit der undurchsichtigen Lebensgeschichte Asas ab. Je weiter man sich durch die Geschichte liest desto klarer werden die Zusammenhänge. Da sich die Geschichte über mehrere Generationen ist es ratsam sich die Namen der Familienmitglieder gut zu merken. Diese überfluten die Geschichte mit ihren eigenen Biografien und machen die Aktionen Asas erst verständlich.
Für alle die gerne eine erbarmungslose Rachegeschichte und eine Familiensaga mit sehr vielen Darstellern lesen wollen. Die Geschichte ist bis zum Schluss spannend und weist viele interessante Finten auf. LeserInnen sind darauf angewiesen die einzelnen Puzzleteile an die richtige Stelle zu setzen, aber viele der Teile sind zunächst nur schneebedeckte Flächen (ehe sie in Blut getränkt werden).

Bewertung vom 16.08.2025
Doughty, Louise

Deckname: Bird


sehr gut

Flucht
Heather Berriman, genannt Bird, wird gejagt. Die Agentin einer Unterorganisation des englischen Geheimdienstes hat sich wegen hoher Steuerschulden verletzlich gemacht. Gedeckt von ihrem Vorgesetzten Kieron schien der Betrug lange Zeit gutzugehen, aber jetzt wird ein Opfer gesucht und in Bird gefunden. Heather hat sich vorbereitet, zu lange schon ist sie beim Geheimdienst, um zu wissen, irgendwann kommt alles ans Tageslicht. Sie taucht ab und flüchtet in die Einsamkeit des englischen Nordens. Skye, Inverness oder Thurso nennen sich die Dörfer wo sie kürzer oder länger verweilen kann, immer auf der Flucht, angespannt, immer allein.
Der Roman von Louise Doughty ist kein Thriller, sondern eine Beschreibung einer Frau, die auf sich allein gestellt in feindseliger Umgebung überleben muss. Tatsächlich ist ihre Schuld – sie hat ihre Kreditschulden nicht bei der Behörde gemeldet – gering, aber die Vertuschung gemeinsam mit ihrem korrupten Vorgesetzten macht sie erpressbar und zum Sündenbock.
Im Roman wird das Leben von Heather, ihre Freundschaft mit Flavia, eine Kameradin im WRAC (Woman‘s Royal Army Corps) in Rückblenden erzählt. Ihr Vater war selbst Spion und sie wird nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst als Agentin angeworben, wo sie gerne arbeitet. Mit Flavia, die ein Kind bekommt und aus der Armee ausscheiden muss, verbindet sie eine innige Freundschaft, die durch ein Missverständnis zerbricht.
Auf ihrer Flucht versucht sie zu verstehen, weshalb sie zur Zielscheibe geworden ist. Die Korruption ihres Vorgesetzten hat sie vorerst gar nicht wahrgenommen, erst mit den Jahren erkennt sie in welchem Dilemma sie steckt. Ihre Verstecke findet sie an den einsamsten kältesten Orten der Welt, sie findet keine Wärme und Geborgenheit. Zufällig findet sie heraus, das Flavia schon vor Jahren verstorben ist und mit dem Gedanken an deren Töchter Adelina findet sie einen Anker, der sie von einer Zukunft träumen lässt.
Für alle die sich einen Agentenroman ohne James Bond Aktion wünschen ist das der wohl geeignetste Protagonist. Er stellt das Geheimdienstleben trostlos dar, keine Freunden, kein Familienleben und keine Liebe. Wer sich auf ein solches Leben einlässt, kann niemandem vertrauen und bleibt sein Leben lang allein. Nur in der Distanz ist eine Bindung möglich und schwer zu behalten.

Bewertung vom 17.07.2025
Kitamura, Katie

Die Probe


gut

Zwei Gegenwarten
Eine Schauspielerin trifft sich zum Dinner mit einem jüngeren, gut aussehenden Mann, einer Affäre nicht abgeneigt, in einem Restaurant in New York. Der junge Mann, Xavier, überrascht sie mit der Feststellung ihr Sohn zu sein. Als auch ihr Mann Thomas das Lokal betritt, sich umsieht und wieder verlässt, erklärt sie Xavier niemals ein Kind geboren zu haben. Zuhause beginnt das Ehepaar sich und ihre Ehe in Frage zu stellen.
Im zweiten Teil wird die Annahme von Xavier zur Wirklichkeit. In dieser Gegenwart hat die Schauspielerin einen Sohn mit ihrem Ehemann. Xavier nistet sich im Apartment der Eltern ein, wie ein Parasit breitet er sich aus und übernimmt das Kommando. Seine Mutter zuerst erfreut über die Rückkehr des verlorenen Sohns sehnt sich schnell wieder danach ihn loszuwerden.
Die Autorin Katie Kitamura beschreibt das Leben der New Yorker Uperclass. Eingebettet in einem, über die Jahre erworbenen, Wohlstand kommt es durch einen Eindringling zu Unruhe, Verdächtigungen und Zweifel. Die Hauptperson – eine gefeierte Bühnenkünstlerin – ist es gewohnt in Rollen zu schlüpfen und mir als Leser erscheint es als ob sich der zweite Teil auch als Traum entpuppen könnte. Die Entscheidung liegt bei mir, denn „Was wäre wenn ..“ wird seitens der Autorin nicht kommentiert.
Für alle die lesen wollen, wie wenige Begegnungen eine Beziehung in Wanken bringen und eigene Ängste den Blick auf den Partner völlig verändern können. Welche Rolle spiele ich im Leben und wie wirke ich auf mein Gegenüber?

Bewertung vom 09.06.2025
Berkel, Christian

Sputnik


sehr gut

Im Mutterbauch
Christian Berkel, Schauspieler – bekannt als Kriminalist, beschreibt mit 67 Jahren wie er sich als Embryo im Bauch seiner Mutter fühlt. Langsam wird er größer, beginnt eine Kommunikation mit seiner Nahrungsquelle und ist dann sehr erstaunt, das Licht der Welt zu erblicken.
Ein interessanter Einstieg in eine Biografie der hier vor mir liegt. Die Welt wird immer größer und anstrengender. Langsam lernt man die Eltern kennen. Der Vater ist Arzt, die Mutter scheinbar krank – wahrscheinlich Krebs, doch beide kümmern sich um den Jungen, sobald Not am „Kind“ ist.
Einfach macht es Herr Berkel mir (den LeserInnen) es nicht. Seine Wörter verbinden sich zu Wortkaskaden, in denen wertvolle Information zu holen ist, aber man muss genau hinschauen (lesen). Was man merkt ist die Intensität mit der er lebt. Bereits in jungen Jahren ist er überzeugt immer das „Richtige“ für sich zu tun. Ein Egoist, ja, aber ein sympathischer. Von der Mutter lernt er die französische Sprache, de facto im Mutterbauch. Eine französische Bekanntschaft aus einem Urlaub ermöglicht ihm ein Semester Schule in Paris und seine Leidenschaft für diese Stadt und das Theater sind nicht mehr zu unterdrücken.
Christian gerät immer tiefer in die Boheme, die Theaterszene und das Kulturleben der französischen Hauptstadt. Er beschließt dort zu studieren (und seine Eltern müssen ihn unterstützen) und Schauspieler zu werden.
Die Welt außerhalb dieses Kosmos ist ihm unbekannt. Das aktuelle Geschehen und Begrifflichkeiten (RAF, Stammheim, D-Day) aktuell und vergangen kennt er nicht. Er lebt in einer Blase (Mutterbauch), in der er Mittelpunkt ist. Sein Egoismus ist grenzenlos, aber nicht unsympathisch. Seine Mentoren sind aus dem Hochadel der französischen Schauspielkunst (Barrault, Bertin, Dux), trotzdem fühlt er sich ihnen überlegen. Er will spielen und verfolgt dies mit der eigenen Selbstaufgabe.
Seine Eltern sind geprägt vom zweiten Weltkrieg. Ihre Biographien klingen an, sind dem jungen Schauspieler aber nicht wichtig. Erst spät erkennt er welche Mühsal seine Erzeuger ertragen mussten.
Für alle die eine Biographie eines Süchtigen nach Selbstdarstellung lesen wollen. Schwierig zu lesen, da Vorkenntnisse der diversen Schauspielschulen und in der Theaterwissenschaft notwendig sind, um zu erkennen welche „Berühmtheiten“ Berkel als Lehrer und Unterstützer fördern. Gleichzeitig auch eine Aufarbeitung der elterlichen Geschichte während der Nazizeit.

Bewertung vom 19.05.2025
Nicholas, Anna

Das Teufelshorn


sehr gut

Mallorca für Mörder
Isabel „Bel“ Flores Monserrat genießt die idyllische mallorquinische Atmosphäre ihrer Heimatstadt Sant Marti. Noch weiß sie nicht, dass sich ihr Leben innerhalb weniger Stunden massiv ändern wird.
Die ehemalige Kommissarin aus Madrid wird vom Bürgermeister überredet wieder in den Polizeidienst einzutreten. Ein Mädchen ist verschwunden, wahrscheinlich entführt worden und das sind nicht die Schlagzeilen die sich der Dorfchef wünscht. Schon bald werden weitere Leichen gefunden und Flores scheint einen Zusammenhang zwischen den Verbrechen zu ahnen. Die Ermittlerin beginnt – gemeinsam mit ihrem Kollegen Tolo Cabot – einen Wettlauf gegen die Zeit.
Anna Nicholas beschreibt das Meer, die Buchten und Berge Mallorcas wie in einem Urlaubsprospekt. Als Leser werde ich aufs Genaueste mit den Gassen, Geschäften und vor allem Bars und Cafés des Landes vertraut gemacht. Die herzliche Ermittlerin, die nebenbei als Vermieterin von Ferienwohnungen ihre Mutter unterstützt, hat ihre Eigenarten. Als Haustier hält sie sich ein Frettchen, als Dienstwagen einen, in die Jahre gekommenen, Fiat, welchen sie öfter, wegen der Geschindigkeit gegen eine Vespa eintauscht. Neben der Aufklärung der Entführung und Morde erfahren wir viel über Land und Leute. Die sonnigen Hügel und Berge sowie der lange Strand sind die Schauplätze der Handlung. Das Teufelshorn ist eine fiktive Felsnadel vor einer Höhle an der Küste, hier findet Flores einige Hinweise auf die Mörder.
Der Roman liest sich wie ein Butterbrot. Er erzeugt bei mir ein Urlaubsgefühl, wohl weil ich schon in Mallorca gewesen bin. Die Handlung wird sowohl durch die Ermittlungsergebnisse als auch Anekdoten im Umfeld der Kommissarin lesenswert und hält das Interesse wach. Es erschließt sich für mich nicht wie Flores ihren Alltag innerhalb von 24 Stunden unterbringen kann. Ihre Aktivitäten würden für einen Tag und eine Nacht zu kurz, aber was soll’s es ist unterhaltsam.
Für alle die einen Roman in der Art der Bruno Chef de Police von Martin Walker Geschichten mögen. Sie sind hier gut aufgehoben mit den Alltagsgeschichten einer Hauptkommissarin in einem Dorf voller liebenswerter Menschen und Mördern.

Bewertung vom 30.04.2025
Fox, Candice

Devil's Kitchen


gut

Kein Pfeffer in der Teufelsküche
Andrea „Andy“ Nearland wird undercover auf eine Einheit der New Yorker Feuerwehr angesetzt. Die Männer werden verdächtigt während ihrer Einsätze Diebstähle im großen Stil zu begehen. Außerdem sollen sie am Tod mehrerer Personen mitschuldig sein. Andy muss allein gegen eine verschworene Mannschaft antreten, die hemmungslos alles aus dem Weg schafft, das sie bedroht.
Während sich die Männer als eingeschworene Familie präsentieren muss Andy sich erst das Vertrauen der Bande erkämpfen. Durch ihre Einsätze gewohnt schlüpft sie rasch in das Leben einer Feuerwehrfrau, stellt ihren Mann und holt sich den Respekt der Bande.
Der leitende FBI Offizier der Aktion will von Andy rasche Ergebnisse und zwingt sie zu einigen gefährlichen Konfrontationen. Ihre Situation in der Gruppe wird immer angreifbarer und die Geschehnisse führen alsbald zu einem lebensbedrohenden Einsatz.
Candice Fox ist hier ein mäßig spannender Thriller aus der Hand geflossen. Die Handlung in einer Feuerwache in New York anzusiedeln und als Agentin eine Frau zu verwenden sind zwei Pluspunkte in einer Geschichte, die sich – leider – sehr lange hinzieht. Auch die Rückblenden in das Leben der Ermittlerin bringen nur bedingt Spannung in den Handlungsverlauf, zeigen aber unter welchen Mühen eine Identität erarbeitet werden muss. Das ist auch das „highlight“ der Geschichte. Die Lebensläufe der männlichen Protagonisten werden teilweise sehr langwierig erzählt. Ich konnte für keinen der Männer Sympathie aufbringen. Insgesamt haben sich alle dazu entschlossen Verbrechen zu begehen, ihre Motivation – Liebe, Spielschulden, etc. – macht sie für mich nicht sympathischer.
Candice Fox hat mich mit ihrer ersten (Hades)Trilogie verführt, daher habe ich diesen Roman lesen wollen, muss aber gestehen, dass ich die „Teufelsküche“ nicht weiterempfehlen möchte. Sie ist ein solider Krimi, aber ich fand ihn nicht überragend spannend.
Für alle die einen Roman über das Leben einer Undercoveragentin lesen wollen. Die Handlung und die Protagonisten werden im Verlauf des Romans etwas langatmig präsentiert.

Bewertung vom 24.03.2025
Schmidt, Dirk

Die Kurve


sehr gut

Carl kriegt die Kurve (nicht)
Eine dunkle Nacht, das verschwindende Sonnenlicht zeigt den kantigen Umriss eines Kohlenflözes. In der Mitte ein Lokal, wie ein Raumschiff geformt, von kaltem Licht bestrahlt. Davor zwei Knaben, in Jeansjacke, mit prüfenden Blicken auf das Objekt, vor dem ein Mädchen sitzt und aus einer Flasche trinkt. Das Umschlagbild zeigt Träume und Hoffnung. Der Inhalt eher weniger.
Carl aus Verne ist ein Unternehmer, der aussichtslose Fälle löst. Sein Geschäftsmodell ist nur wenigen Personen zugänglich. Eine dieser Personen ist Elisa, deren Vater nur knapp einem Attentat entkommen ist – Mafiageschäfte. Sie möchte nach Deutschland, Carl hilft.
Eine junge Frau stirbt, der Vater möchte wissen was vor ihrem Tod passiert ist – Carl schickt seine Agentin.
Die Gruppe um Carl kennt sich jahrelang. Als Kinder haben sie sich in der „Kurve“ (einem Hilfsprojekt) gefunden. Carl hat ihre Fähigkeiten entdeckt und weiter verbessert. Zu seinem und ihrem Glück.
Auf der Buchinnenseite sind die Fenster des Lokals geschlossen, nur mehr das kalte Neonlicht bildet eine Insel in der Dunkelheit. Wird Carl nun sein Geschäft schließen?
Fast hundert Seiten braucht es, damit ich mich in diesem Buch wohlfühle. Zu konstruiert sind die Geschichten, die als Vorgeschichte des Carl-Klans dienen sollen. Es dauert bis ich die Zusammenhänge erahnen kann, von verstehen ist bis kurz vor Ende nicht zu denken.
Die Geschichte handelt vom Tod, in der Gegenwart und auch Vergangenheit. Von Schuld und wie lange man sie zurückzahlen kann oder muss. Carl formt sich eine Truppe von SöldnerInnen, die ihm bis in den Tod folgen würden (und beinahe auch werden). Ein happy end ist nicht in Sicht.
Für alle die einen Krimi aus Deutschland lesen wollen, der die Eigenheiten der deutschen Landschaft mehr in den Vordergrund stellt, als seine Protagonisten. Es sind lange Reisen, die beschrieben werden. Nicht nur zu Orten, sondern auch zu sich selbst. Mord und brutale Übergriffe bilden ein Gerüst, auf dem sich eine Gemeinschaft findet, die über die Jahre zusammengefunden hat.

Bewertung vom 19.03.2025
Schroeder, Steffen

Der ewige Tanz


sehr gut

Leben für den Tanz
Das Titelbild zeigt ein Foto der Künstlerin in einem für die 1920iger Jahre etablierten Stil. Wenige Jahre später wird sie in einer Fotoserie der österreichischen Fotografin Madame d’Ora weitaus erotischer abgebildet werden.
Anita Berber, die ihre Karriere als Tänzerin während des ersten Weltkriegs in Berlin beginnt und in zahlreichen Stummfilmproduktionen spielt, ist im Jahr 1925 26 Jahre alt. Sie ist bereits eine öffentliche, skandalumwitterte Frau mit einem mehr als schillernden Ruf. Dazu tragen nicht nur ihre expressiven Bühnenprogramme, wie die „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ bei, auch ihr Privatleben ist von ungehemmter Selbstdarstellung, sowie von Alkohol- und Drogensucht gekennzeichnet. Für ihre Zeit ist sie ein „role model“ (unter anderem für Marlene Dietrich) als überhaupt erste Femme fatale im Smoking und Einglas (Lorgnon) und für die extravagante Garderobe ihrer Aufführungen. Diese, erotisch und lasziven Auftritte, führen sie von vollen Häusern in Berlin, Wien immer weiter in die Provinz, in Spelunken und halbseidene Etablissements. Schuld an ihrem Abstieg ist der Drogenkonsum, der ihr sowohl Geld als auch Gesundheit raubt.
Der Autor Steffen Schroeder hat seine Karriere als Schauspieler in Wien begonnen und lebt und arbeitet nun in Deutschland (Potsdam). Dies ist sein drittes Buch. Es beschreibt das Leben einer für die Kunst brennenden Schauspielerin.
Mir war nicht bekannt, wie populär Anita Berber ist. Gemeinsam mit Josephine Baker prägte sie den modernen Ausdruckstanz, den sie als Urkraft ihrer Karriere huldigt. Der Tanz war ihr Leben, die Drogen verstärkten die Ekstase und Intensität der Bewegung. Ihre Sinnlichkeit wurde von ihr hemmungslos dargestellt und von Voyeuren (Schleiertanz) bejubelt. Die Scheinheiligkeit der Zeit wird durch ihre immer ausverkauften Aufführungen düpiert. Sie starb mittellos 1928, mit 29 Jahren, an Tuberkulose, eigentlich am Zenit ihrer Kunst, da alsbald der Tonfilm ihrer Karriere ein Ende gemacht hätte. Bekannt ist sie der Nachwelt durch die Skandale, Fotos und Filme sowie ein Buch indem sie ihre Tanzkunst beschreibt.
Für alle die eine kompromisslose Frau und Tänzerin kennenlernen wollen, die Skandale provozierte und mit ihrer Art zu tanzen die Massen (vor allem Männer) beeindruckte. Ein Sittenbild des Deutschlands in den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
PS: Auf Seite 142 geht Anita mit ihrem Mann Sebastian Droste „Shopping“. Ein Wort, das in jener Zeit meiner Meinung nach unbekannt war.

Bewertung vom 06.03.2025
Dor, Milo;Federmann, Reinhard

Internationale Zone


ausgezeichnet

Stetig bergab
Aus der Haft vorzeitig entlassen versucht Boris Kostoff rasch wieder Fuß im 1953 viergeteilten Wien zu fassen. Als Anker ist ein großer Geldbetrag in der Schweiz deponiert, doch um diesen zu lukrieren muss er erst an eine Schriftprobe des bereits verstorbenen Kumpans Georgi Maniu aus seiner alten Wohnung abholen. Dies gelingt und wegen des raschen Erfolges feiert er mit alten Freunden im „Casino“. Etwas berauscht erinnert er sich an die Zeit gleich nach dem zweiten Weltkrieg.
Österreich ist von den Besatzungsmächten in vier Teile gegliedert worden. In Wien wird der erste Bezirk – die Internationale Zone – von allen Vieren verwaltet. Die Lebensverhältnisse sind einfach, es herrscht überall Not, um zu überleben wird man zum Schleichhändler. Alles was benötigt wird erhält man im Untergrund (heutige Parallele ist das „dark net“). Aber schon bald geht es aufwärts für die Bevölkerung, für die Strizzis allerding stetig bergab. Amerikanische Zigaretten, einst als Tauschmittel verwendet, werden immer mehr am Schwarzmarkt gehandelt, es müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden. Mit den Sowjets kann man Geschäfte machen – Menschenschmuggel. Dabei kommen Menschen ums Leben und Kostoff landet im Zuchthaus. Die Menschen, egal ob Mann oder Frau, sind alle mehr oder weniger in einer Spirale von Verbrechen gefangen, die sie immer weiter in den Orkus zieht.
Dor und Federmann haben den Weltkrieg mitgemacht und überlebt. Sie kennen die Halbwelt in der Strizzis wie Kostoff als Schwarzhändler reich geworden sind. Immer mit einem Fuß im Gefängnis und mit dem anderen unter den „oberen Zehntausend“ wo Geld keine Rolle spielt. Eine Zeit in der fast jeder sein ganzes Hab und Gut in einem Koffer untergebracht hat und man rasch sein Quartier wechseln musste. Der Roman ist 1953 erschienen und war einer der wenigen, die sich mit dem Leben in der besetzten Stadt auseinandergesetzt haben. Sie berichten direkt aus dem aktuellen Leben und nehmen auch Bezug auf aktuelle Ereignisse.

Für alle die sich für das Leben nach dem Krieg in Österreich interessieren. Ein Krimi ohne Polizei, jedoch mit Schwarzhandel, Geheimdiensten und Entführungen. Spannend sowieso und wer den Film „Der Dritte Mann“ kennt, weiß, warum sich die beiden Österreicher diesem Thema angenommen haben.

Bewertung vom 02.03.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

Giganten im Exil
Vorab möchte ich erwähnen weshalb ich dieses Buch ausgewählt habe.
Nach der Lektüre von Tilo Eckharts „Gefährliche Betrachtungen“ wollte ich noch etwas mehr über Literaturgiganten Thomas Mann erfahren. Dieses Buch schließt zeitlich an das Buch an, ist aber kein Roman, sondern einer detaillierte Beschreibung der Aktivitäten des Künstlers ab 1938 im Exil in Amerika. Von hier führte Mann einen Kampf gegen den Faschismus, eigentlich gegen Hitler persönlich.
Die Zahl der deutschen Exilanten in Kalifornien im Jahr 1938 ist scheinbar unendlich. Massenhaft haben Literaten, Schauspieler und Theatermacher den europäischen Kontinent verlassen, um sich vor dem drohenden Unglück des Nationalsozialismus in Sicherheit zu bringen.
Thomas Mann hat schon früh begonnen vor dem Faschismus zu warnen. Als Nobelpreisträger wird seine Stimme noch gewichtiger und er nutzt seine Berühmtheit für Lesereisen durch Amerika um den „zukünftigen Sieg der Demokratie“ zu predigen. Er ist privilegiert, reich (durch seine Romanverkäufe und den Nobelpreis) und populär. An der kalifornischen Küste errichtet er sich ein Heim, in dem er sich zurückziehen und in gewohnter („Wo ich bin ist Deutschland“) Umgebung am Schreibtisch (aus der Schweiz mitmigriert) unter Palmen mehrere Romane (Doktor Faustus, Joseph, Lotte in Weimar, ..) und viele Essays (u.a. Vom zukünftigen Sieg der Demokratie, Goethe und die Demokratie) zu schreiben. Als Appell an die im Krieg befindliche Bevölkerung verfasste er mehrere Reden, die gesendet und auch auf Schallplatte aufgenommen wurden. Trotz seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus werden auch ihm letztlich kommunistischer Umtriebe vorgeworfen. Er lässt sich aber nicht auf eine Verurteilung ein sondern kann, auf Grund seiner Popularität, unbeschadet wieder nach Europa zurückkehren.
Nach dieser Lektüre denke ich, dass Thomas Mann kein einfacher Zeitgenosse war. Er suchte sich seine Quellen ohne Rücksicht auf die Ursprünge und kam so mit vielen Exilanten ins Gespräch und in Streit (u.a. Schönberg).
Dem Autor Martin Mittermeier gelingt es die amerikanischen Jahre von T. Mann detailliert nachzuverfolgen. Sein Wissen und seine Bibliographie sind riesig. Tatsächlich fühlt sich das Buch wie eine Magisterarbeit an, die in etwas weniger Fachchinesisch niedergeschrieben wurde.
Pfiffig finde ich, dass die Quellenangaben aus dem Buch ausgelagert wurden. Per QR Code kann man zu den einzelnen Kapiteln nachschlagen, woher einzelne Ideen stammen.
Für alle die sich wirklich mit dem Phänomen Thomas Mann auseinander setzen wollen. Die Liste der Personen und Aktivitäten bis zur Rückkehr nach Europa (1952 Schweiz) ist ellenlang und man lernt einiges über die Arbeitsweise des Giganten der deutschen Literatur.