Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Yernaya
Wohnort: 
Linz

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 25.04.2024
Die Kriminalistinnen. Acht Schüsse im Schnee
Berg, Mathias

Die Kriminalistinnen. Acht Schüsse im Schnee


ausgezeichnet

Du weißt, du bist alt, wenn historische Romane zu deinen Lebzeiten spielen! Lucia Specht und ihre Kolleginnen ermitteln wieder. Mittlerweile haben die 70er Jahre begonnen, und der Flair der Zeit ist auf jeder Seite spürbar - im Positiven wie im Negativen. Wie schon Band 1 ist auch hier alles stimmig und super recherchiert. Man fühlt sich zurückversetzt in eine Zeit, in der Chauvinismus und Homophobie noch salonfähig waren, alte Nazis mit ihren Seilschaften fest im Sattel saßen und zugleich ein neuer Wind Einzug hält. Lucia Specht absolviert einen Ausbildungsabschnitt bei der Sittenpolizei. Das allein böte schon genug Stoff für eine ganze Romanreihe, denn 1970 waren noch Dinge strafbar, die heute völlig alltäglich sind. Wie gut, dass sich die Zeiten geändert haben. Während viele "moralische" Grenzen sehr eng gesteckt waren, entwickelte ich andererseits eine neue Freizügigkeit. In diesem Spannungsfeld ist auch der Kriminalfall angesiedelt, in dem Lucia ermittelt.

Auch das Innenleben der Polizei wird ausführlich beleuchtet. Für jüngere Leserinnen und Leser wird dadurch vielleicht deutlich, dass Frauenrechte - und nicht nur diese - nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft werden mussten. Auch die Ausbildung von Lucia, Petra, Renate, Mieze, Lillie und Ruth läuft weiterhin unter der Bezeichnung "Experiment".

Das gesamte Setting wäre schon ohne Lucias private Ermittlungen zum Todesfall ihrer Mutter unglaublich spannend, aber auch dieser Strang wird großartig weiterverfolgt. Ebenso wie ein Teil der Lebensgeschichten der anderen Frauen.

Den besonderen Charme des Buches macht aber die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten aus. Mode, Kultur und Musik im hippen Düsseldorf im Gegensatz zum Kohlenpott, der damals seinen Namen noch zu recht trug. Das Aufbegehren der Jugend, gerne mit einem revolutionärem Hauch, gegen das Establishment. Das alles bringt Mathias Berg auf "nur" 317 Seiten unter, die ich gerne mit einer aufrichtigen Leseempfehlung versehe. Ich wurde großartig unterhalten und freue mich auf die Fortsetzung der Serie um die Kriminalistinnen.

Bewertung vom 14.04.2024
Doch das Messer sieht man nicht
Callis, I.L.

Doch das Messer sieht man nicht


ausgezeichnet

Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger

Berlin 1927, eine Stadt, die sich noch nicht von den Schrecken des Ersten Weltkriegs erholt hat, während schon die Faschisten erstarken und sich mit Kommunisten und andersdenkenden Straßenschlachten liefern. Eine Stadt, in der das Nachtleben tobt, eine nie dagewesene Freizügigkeit herrscht, aber zugleich bittere Armut dazu führt, dass sich Frauen und Männer prostituieren, Familien ihre spärlichen Räume noch an Schlafgänger vermieten und Diebstahl als legitimes Mittel des Broterwerbs gilt. Eine Stadt, in der die “Besseren” rauschende Feste feiern und alles exotische attraktiv wirkt. Das Bürgertum geht in den Tiergarten zur Völkerschau oder in die Revue der zu der Zeit in Berlin gastierenden Josephine Baker. Erotik, Drogen und Spiritismus, Armut und Reichtum, bürgerliche Biederkeit und organisierte Kriminalität - in diesem historischen Setting platziert I.L.Callis ihren Kriminalroman “Doch das Messer sieht man nicht”. Nicht nur der Titel ist eine Hommage an Bertolt Brecht. Mehr als ein Krimi ist dieser Roman eine wunderbar geschriebene Sozial- und Milieustudie über die Weimarer Republik, mit jeder Zeile spannend, auch wenn der Kriminalfall dabei nicht die Hauptrolle spielt.

Ein Mörder geht um, er tötet Prostituierte mit dem Messer und erhält schnell den Beinamen “Ripper von Berlin”. Vergeben hat diesen die Hauptperson des Romans, die junge Journalistin Anaïs Maar, aus “gutem” Hause stammend und doch nicht zur Gänze akzeptiert, denn sie ist nicht nur eine Frau, sondern auch noch schwarz. 1927 keine Konstellation, die einer erfolgreichen Karriere förderlich war.

“Anaïs biss die Zähne zusammen. Sie war Berlinerin. Hier war sie geboren. Dies war ihre Stadt. Aber - war es denn noch ihre Heimat? War sie es jemals gewesen?” (S. 322)

“Doch das Messer sieht man nicht” ist ein politisches Buch, das viele Themen aufgreift und Handlungsstränge verfolgt. Diese Komplexität ist eine Herausforderung an die Leserschaft, die sich unbedingt lohnt. Ungeschminkt beschreibt Callis die oft brutale Realität der Armut und die rohe gesellschaftliche Gewalt, die abstoßende Gedankenwelt chauvinistischer Dreckskerle und die Laszivität und Prunksucht der feinen Gesellschaft. Besonders authentisch ist die Verwendung der direkten Rede. Callis lässt jeden Protagonisten gemäß seiner Herkunft sprechen, so dass Schichtzugehörigkeit, Bildungsgrad und Provenienz deutlich werden.

Callis hat diesen Roman Hejo Emons gewidmet; völlig zurecht, denn “Doch das Messer sieht man nicht” entspricht der klaren gesellschaftspolitischen Haltung des kürzlich verstorbenen Verlegers. Nicht nur deshalb eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.04.2024
Das Geheimnis von Dikholmen
Abresch, Michaela

Das Geheimnis von Dikholmen


gut

Michaela Abresch entführt uns in ihrem Frauenroman “Das Geheimnis von Dikholmen” auf eine kleine schwedische Schäreninsel. Die Erzählung beginnt im Jahre 1960 mit einer geheimnisvollen Frau, die ihren Mann und ihre Kinder verlässt, um diese zu schützen. Offenbar leidet sie an einer psychischen Krankheit: sie hört schon seit ihrer Kindheit Stimmen.

"Niemals wirst du uns entkommen. Wir bleiben bei dir, in dir, wohin auch immer du fliehst” (S. 35)

Dann ist da Inga, die 1968 ziemlich blauäugig die Flucht nach Dikholmen angetreten ist. Aus einer wohlhabenden Familie im städtischen Umfeld stammend hat sie keine Vorstellung vom Leben auf einer Schären-Insel, ist aber mutig genug, dieses Leben anzutreten, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen.

Und zuletzt Lillemor, die an der Lahn wohnt, aber aus Schweden stammt. Sie hat einen schweren Verlust erlitten, über den sie trotz langjähriger Therapie noch nicht hinweg gekommen ist. Ihre Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, was ich sehr stimmig finde. So erfahren wir nach und nach ihre Lebensgeschichte und erleben gleichzeitig, wie sie sich im Jahre 2019 zu einer mehrtägigen Wanderung aufmacht.

Michaela Abresch gelingt es, diese drei Frauenschicksale mit jeweils eigenen komplexen Handlungssträngen nach und nach zu verbinden. Sie hat einen angenehmen Erzählstil, schafft auch durch ihre Landschaftsbeschreibungen eine schöne Atmosphäre und führt uns durch die Lebensgeschichten ihrer drei Protagonistinnen.

Hier setzt aber mein leichtes Unbehagen mit dem Buch ein. Die Frauen in diesem Buch nehmen die Männer in ihrem Leben so hin, wie sie sind und arrangieren sich mit ihrer jeweiligen Situation. Den Schmerz des Lebens und die Last des Alltags alleine tragen sie alleine. So müssen sich die Männer nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegen. Sätze wie dieser formuliert die Autorin nur als Gedanken:

“Hinausfahren zu können, weg von Stegesund, von Dikholmen, raus aufs Meer. Frei zu sein, selbst Entscheidungen zu treffen, von niemandem abhängig zu sein, nie wieder.” (S. 404)

Ein Diskurs erwächst daraus nicht. So bleibt die Geschichte beständig auf einer individualisierenden Ebene.

Gut hat mir gefallen, dass das Altern und Kranksein hier nicht keinem Tabu unterliegen, sondern realistisch dargestellt werden.

Am Ende werden alle Stränge aufgelöst, ohne dass offene Enden bleiben. Allerdings wirkt manches dabei etwas konstruiert und vorhersehbar, es gibt für meinen Geschmack zu viele Zufälle und etwas zu viel Melodramatik.

Bewertung vom 25.03.2024
Malnata
Salvioni, Beatrice

Malnata


ausgezeichnet

Die Macht der Worte - Eine Geschichte über das Erwachsenwerden in Zeiten des Faschismus

Malnata - die "schlecht Geborene" - so bezeichnen die Einwohner von Monza anno 1935 die junge Maddalena, die mit einem Angiom zur Welt kam, im herrschenden Aberglauben als "Mal der Teufelslippen" stigmatisiert. Man sagt ihr nach, dass sie Unglück bringe, und selbst erwachsene Männer spucken als Abwehrzauber vor ihr aus.

Die junge gutbürgerliche Francesca ist fasziniert von der wilden und sich "ungehörig" benehmenden Malnata und freundet sich heimlich mit ihr an. Sie ist zwölf Jahre alt, schüchtern und unterwürfig - also das genaue Gegenteil der verarmten, schmutzigen und mit Jungens spielenden Maddalena. Die Freundschaft der beiden ist zunächst noch instabil: Von außen bedroht, da Francescas Familie und Umfeld diese Freundschaft nicht toleriert und ihr diesen Umgang verbieten möchte; Aber auch von innen, da sich Francesca hin- und hergerissen fühlt zwischen den Wertvorstellung und Erwartungen der Gesellschaft an ein junges Mädchen, und der Freiheit, die sich Maddalena nimmt, oft ohne Rücksicht auf Verluste.

Beatrice Salvioni zeichnet das düstere Bild der faschistischen Gesellschaft unter der Herrschaft Mussolinis: Gewalt, Chauvinismus und Diskriminierung prägen das Zusammenleben. Hinzu kommt der archaische Aberglaube. Es ist der komplette Gegenentwurf zum Dolce Vita. Hier werden schon Kinder, Jungen dazu erzogen, sich mit dem Recht des Stärkeren alles zu nehmen, wonach ihnen der Sinn steht:

"Wenn ich groß bin, will ich mitkämpfen", sagte Filippo, "dann lerne ich, mit der Muskete zu schießen, und nehme mir die Frauen des Feindes." (S.182)
"Wenn du ein Mann sein willst, muss du in der Lage sein zu töten. Mit oder ohne Krieg." (S. 183)

Gewalt ist ein probates Mittel der Erziehung, in der Familie und in der Schule. Niemand schreitet dagegen ein. Wer nicht für den Duce ist, der lernt seine Meinung zu verbergen. Lügen, Eitelkeit und Eigennutz bestimmen die Welt der Erwachsenen. In dieser Atmosphäre erlebt Francesca die Pubertät und lernt, was es bedeutet, sich als Frau gegen dies Regeln des Patriarchats aufzulehnen. Bildgewaltig und intensiv, aber auch schonungslos - und immer aus der Sicht der Ich-Erzählerin Francesca - konfrontiert Salvoni die Lesenden mit diesen Form der Gewalt, vor allem der sexualisierten Gewalt. Dabei herausgekommen ist ein faszinierender Roman über die Macht der Worte, über Freundschaft und Solidarität. Ich möchte deshalb eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung vom 25.11.2023
Eine Frau, ihr Bus und der unverschämt kluge Plan
Janson, Karin

Eine Frau, ihr Bus und der unverschämt kluge Plan


gut

FEELGOOD MIT ERNSTEN THEMEN

Annie hatte Brustkrebs und hat diesen überwunden. Das ist nur eines der vielen durchaus schwerwiegenden Themen, die Karin Janson in ihrem Debütroman anspricht. Annie fühlt sich in ihrer Ehe nicht mehr wohl, verliert ihren Job und startet neu durch in einem Oldtimer-Postbus aus dem Jahr 1963. Sie fährt über Land und verkauft Damenunterwäsche. Es ist eine Art Road Novel, in der uns auf 345 Seiten allerlei Menschen mit ihren ganz eigenen Problemen begegnen. So wie im wirklichen Leben. Kaum ein Thema, das in diesem Buch nicht angesprochen wird. Vielleicht ist genau das die Botschaft des Buches: Hej, das Leben ist nicht einfach und wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Aber lasst uns bitte nicht den Mut verlieren.

Ich habe das Buch sehr schnell durchgelesen. Es war unterhaltsam und keineswegs deprimierend, ganz im Gegenteil. Aber es war zugleich nicht sehr tiefgründig, fast schon oberflächlich. Eben ein Feelgood-Roman.

Der deutsche (!) Titel hat mich etwas an Filmtitel aus den frühen 1990ern erinnert, was in mir wahrscheinlich eine falsche Erwartungshaltung geweckt hat. Insgesamt finde ich das Zusammenspiel von Titel , Cover und Inhalt nach Lektüre des Buches nicht sehr stimmig. Annie hat keinen Plan, sie macht sich einfach auf die Reise. Und der Bus, der dabei eine wichtige Rolle spielt, ist auf dem Cover leider nicht zu sehen.

Fazit: Ein nettes Buch zum Abschalten, aber nichts, was mir nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

Bewertung vom 25.11.2023
Ein Mord - drei Tote
Bartsch, Ingo

Ein Mord - drei Tote


ausgezeichnet

PARANOIA UND SPUNDEKÄS: PROVINZ STATT HAUPTSTADT - EIN GESELLSCHAFTSKRITISCHER KRIMINALROMAN AUS DEM GRAFIT-VERLAG

Der Grafit-Verlag ist bekannt für gesellschaftskritische Regionalromane. Ingo Bartsch hätte sich keinen passenderen Verlag für sein neustes Buch "Ein Mord und drei Tote" aussuchen können, der hoffentlich Auftakt zu einer neuen Reihe ist. Im Mittelpunkt steht der psychisch angeschlagenen BKA-Fallanalytiker Adam Götzki, der sich in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt gesundheitlich stabilisieren und von den Nachwirkungen eines Falles erholen soll. Doch Götzki fremdelt mit der Stadt und ihren gesellschaftlichen Strukturen. Er kann sich weder auf ihre kulinarischen Besonderheiten einlassen, noch auf seine neue Dienststelle, in welcher nicht immer kriminalistische Erkenntnisse das Handeln bestimmen, sondern häufig auch die Interessen des als "Handkäs-Mafia bekannten Mainzer Filzgeflechts. "Denken Sie in Mainz immer in Netzwerken und Seilschaften" wird ihm geraten.

Der Tod einer Influencerin erweist sich schnell als Bewährungsprobe für Götzki, denn offenbar liegt niemandem etwas an einer gründlichen Ermittlung. Gekonnt und detailreich zeichnet Bartsch ein Sittenbild der Social Media Welt. Doch er begnügt sich nicht mit dieser Thematik, sondern baut geschickt weitere gesellschaftliche und politische Themen mit ein: Clankriminalität, politischer Extremismus, Vetternwirtschaft. Dies alles auf 287 Seiten unterzubringen ist gewagt, gelingt dem Autor jedoch hervorragend. Und trotz der ernsten Themen kommt auch der Humor nicht zu kurz, zum Glück kein Faschingsklamauk sondern dezent schwarzer Humor. Gut gezeichnete Charaktere, Wortwitz, Hintergrundwissen und - es ist schließlich ein Krimi - Spannung haben mich von diesem Buch überzeugt. Aus meiner Sicht einer der besten Kriminalromane des Jahres. Ich hoffe auf eine Fortsetzung und vergebe voller Überzeugung fünf Sterne.

Bewertung vom 10.11.2023
Schwaben. Meine kulinarische Heimat
Mangold, Matthias

Schwaben. Meine kulinarische Heimat


ausgezeichnet

Ein Kochbuch, dass mich mit allen Sinnen anspricht! Es beginnt mit einem sehr ästhetisches Cover, das Grün der Schrift passt gut zu den Linsen, von denen einige eine ähnliche Farbe aufweisen. Der Einband ist solide und zu meiner großen Freude gibt es ein Lesebändchen. Ein Buch, dass gut in die Küche passt, und man kann einen kleinen Fettspritzer leicht vom Cover abwischen. So ein Kochbuch will ja gelebt werden.

Bereits das Cover suggeriert, dass es sich um eine schlichte und bodenständige Küche handelt, ganz ohne Firlefanz.

Der Vorsatz stimmt ein auf die kulinarische Reise und zeigt der Leserin den Reiseweg des Autors und seiner Fotografen. Der Leserin? Ja richtig, denn Matthias F. Mangold hat mit "Schwaben - Meine kulinarische Heimat" nicht nur ein Kochbuch geschrieben, sondern zugleich einen spannenden Reisebericht. Er berichtet von seinen Begegnungen mit regionalen Produzenten und am liebsten möchten man gleich losfahren und diese selber aufsuchen. Im Anhang finden sich die Adressen und Kontaktdaten ebenso wie die Internetadressen der Anbieter. So ist es teils auch möglich, dort online zu bestellen.

Die ansprechenden Fotografien von Axel & Ralf Killian zeigen Land und Leute, ihre Arbeit, ihre Produkte und sie vermitteln mir dadurch den Eindruck von Engagement und Bodenständigkeit, von Leidenschaft und Genuss. Insgesamt überall Menschen, die ihren Beruf leben. Man spürt die Begeisterung. Und auch die Rezepte von passen dazu. Sie sind ehrlich und gut nachzukochen.

Mit großer Begeisterung habe ich diese Genussreise verfolgt und dabei viele interessante Dinge erfahren. Besonders beeindruckt haben mich die Wiederentdeckung der Alb-Linsen und die Zucht des Hällischen Landschweins.

Mangold berichtet auch von den Veränderungsprozesse, mit denen es seine Gesprächspartner zu tun haben, egal ob Traditionsbetriebe oder Neulinge. Wie sie Neues Probieren oder zu Althergebrachtem aber Vergessenem zurückkehren. Weg von der technisierten Massenproduktion, der Orientierung am Einheitsgeschmack - hin oder in diesem Fall auch zurück zur althergebrachten Hand- bzw. Fußarbeit. Ein wunderschönes Foto zeigt gummigestiefelten Füße beim Traubenstampfen.

Aber nicht jede Veränderung ist gewollt. So führt die nachlassende Bewirtschaftung der Streuobstwiesen dazu, dass alte Sorten aussterben. Veränderte Arbeitsprozesse und Abnahmemärkte auch bei der Schäferin. Frei von der üblichen Schäferromantik, den Blick gerichtet auf die wirtschaftlichen Bedingungen. Und natürlich steht bei allen am Ende das Produkt, das seinen Absatz finden muss. Aber es wird auch deutlich, dass Qualität und Handarbeit ihren Preis haben.

Nicht fehlen darf natürlich die Geschichte der Herrgotts-B'scheißerle. Ich kann diese unterhaltsame und anregende Reise nach Schwaben vollauf empfehlen und vergebe gerne fünf Sterne.

Bewertung vom 10.11.2023
Der Stein des Todes
Schwarzkopf, Margarete von

Der Stein des Todes


ausgezeichnet

Gerne werden Archäologen mit Kriminalisten verglichen, die in akribischer Weise mit Pinsel und Spaten nach Erkenntnisen suchen. Klassisch wird Agatha Christie erwähnt, die mit kolonialer Attitüde ihren zweiten Ehemann Max Mallowan zu Ausgrabungen begleitete und diese finanzierte. Und immer wieder werden seitdem archäologische Themen in Kriminalromanen aufgegriffen und Ausgrabungen als Setting verwendet. Oft bleibt der Fundplatz jedoch eine bloße Kulisse und es stellt sich heraus, dass sich der oder die Schreibende nicht wirklich mit der Materie auskennt.

Doch es geht auch anders, wie Margarete von Schwarzkopf mit ihrer Anna-Bentorp-Reihe überzeugend unter Beweis stellt. "Der Stein des Todes" ist bereits Band 7 dieser im emons-Verlag erschienenen Reihe.

Die Kunsthistorikerin Anna Bentorp verbringt ihren Urlaub auf Kreta und in Italien und stößt dabei auf Ereignisse aus dem Jahr 1908, in dem die Italienische Archäologische Mission auf Kreta unter Federico Halbherr und Luigi Pernier den legendären bronzezeitlichen Diskos von Phaistos ausgegraben haben. Es soll eine weitere Keramikscheibe gegeben haben und einen Mord. Auch in Italien stößt Bentorp auf einen 1946 ermordeten Archäologen. Und offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen.

Geschickt verwendet die Autorin dabei historische Fakten und spinnt diese fiktiv weiter. Aufgrund ihres fundierten Wissens und ihrer akribischen Recherche wirkt das Erzählte dabei so authentisch, dass ich mehr als einmal nachschlagen musste, um zu erkennen, was sich tatsächlich ereignet hat, und was der Phantasie und der Feder von Margarete von Schwarzkopf entsprungen ist. So fühlte ich mich stets gut unterhalten und zugleich angeregt mitzurätseln, worum es bei den lange zurückliegenden Morden ging, denen bald auch in der Gegenwart mysteriöse Todesfälle folgen. Dabei gerät auch Anna in Gefahr.

"Der Stein des Todes" ist ein anspruchsvoller Kriminalroman, denn er bewegt sich auf drei Zeitebenen und in mindestens drei Ländern, und es treten sehr viele Protagonisten auf. Ein Genuss für Liebhaber komplexer und detailreicher Geschichten.

Bewertung vom 23.10.2023
Strippen statt sticken!
Kruse, Tatjana

Strippen statt sticken!


ausgezeichnet

Krimödie im Swingerclub

Die ersten Pluspunkte erhält dieses Büchlein bereits für sein Äußeres. Es ist klein und handlich und passt in jede Damenhandtasche. Zudem wiegt es mit seinen 219 Seiten und den auffälligen runden Ecken nicht viel, so dass dabei die Henkel nicht abreißen. Vor allem aber ist das Titelbild ein echter Hingucker: da rekelt sich ein Gartenzwerg lasziv auf einer Blumenwiese und bedeckt seine "Zwergjuwelen" mit einem Feigenblatt.

Aber auch das schönste Cover braucht einen guten Inhalt, um von mir fünf Sterne ⭐⭐⭐⭐⭐ zu erhalten. Und die hat "Strippen statt sticken!" wirklich verdient. Der frühpensionierte Kommissar Siggi Seifferheld hat es mit einem skurrilen Mord in einem - Achtung! - Swingerclub zu tun, und das im beschaulichen Schwäbisch Hall. Beschaulich kommt vermutlich daher, dass hier jeder nach dem anderen schaut, und es so bald Stadtgespräch ist, dass der sympathische Pensionär in diesem Etablissement "verkehrt". Und dabei geht er doch gerade mit seiner Ehefrau Marianne zur Paartherapie. Man ahnt es schon, das ist Cosy Crime oder eben eine Krimödie. Kurzweilig, schräg und voller Momente zum Schmunzeln. So gibt es wunderbare Kapitelüberschriften und den Chattverlauf der Familien-WhatsApp-Gruppe.

Tatjana Kruse hat Kommissar Seifferheld bereits zum 9. Mal ermitteln lassen, aber auch für Neulinge ist dieses Büchlein bestens geeignet. Ein Personenregister am Ende des Buches erleichtert den Überblick, falls man durcheinanderkommen sollte.

Wenn mir etwas gefehlt hat, dann einzig eine Lesung der Autorin, die es dabei noch mehr versteht, ihr Publikum zum Lachen zu bringen. Schließlich nennt man sie auch die "Queen der Krimi-Comedians".

Bewertung vom 15.10.2023
Die letzte Welle
Sjögren, Cecilia

Die letzte Welle


sehr gut

Schweden-Krimi aus Grislehamn

Grisslehamn, heute ein beliebter Badeort an der schwedischen Ostseeküste, ist der Schauplatz von Cecilia Sjögrens Debütroman "Die letzte Welle". Man muss sich Zeit nehmen für dieses 593 Seiten starke Erstlingswerk, denn Sjögren erzählt eine verwobene Geschichte mit vielen Handlungssträngen und Themen, die sie gekonnt miteinander verbindet. Aktuelle Probleme und historische Ereignisse finden darin ebenso Platz wie grundlegende menschliche Fragen. Ausgangspunkt sind zwei Morde an alten Menschen, der eine begangen an einer Malerin auf Mallorca, der andere im Altenheim "Ömheten", direkt vor der Nase des von einem Schlaganfall gezeichneten ehemaligen Polizisten Tore Lindahl. Und das ist nicht das einzige Thema, mit dem sich die Heimleitung aktuell konfrontiert sieht, denn es gibt Missstände in der Einrichtung. Die Zeitungs-Praktikantin Veronika Wiklund sieht hier ihre Chance, ihre erste Titelstory zu schreiben, und beginnt mit ihren Recherchen. Dabei freunden sich Tore und Veronika miteinander an.

Ein weiterer Erzählstrang dreht sich um eine junge Frau mit einem sehr bewegenden Schicksal und spielt, ebenfalls in Grisslehamn, 1942. Auch in Schweden bleibt der Zweite Weltkrieg nicht ohne Folgen, und es Befürworter und Gegner des Nationalsozialismus. Schnell stellt sich die Frage, welche Verbindung zwischen den damaligen und den heutigen Ereignissen besteht. Einige Personen tauchen in beiden Zeitsträngen auf. Ihre Beschreibungen erinnern manchmal an die Bilder von Albert Engström, der in Grisslehamn wohnte und malte. Engström und das Museum werden von Sjögren mehrfach erwähnt.

Die Autorin erzählt langsam und dabei entstehen wunderbare Zeilen wie diese:

"Unentschlossen tauchte sie die Zehen ins dunkle Wasser. Sie ließ die Füße vorsichtig in die Kälte gleiten und ergab sich der Enttäuschung. Das Wasser schloss sich dunkel und kalt um ihre Füße. Ihr ganzer Körper schauderte und ihr Inneres erstarrte. Übrig blieb nur das Gefühl der Einsamkeit, kleine Füße in einem großen Meer. (S. 323)

Doch einige Motive wiederholen sich, was beim Lektorat hätte auffallen müssen. Ebenso gibt es Formulierungen, die sich eigentlich nur mit einem Übersetzungsfehler erklären lassen.

Doch Sjögren erzählt eine spannende Geschichte, ganz in der schwedischen Tradition, nicht nur ein Verbrechen zu schildern, sondern dieses in die - kritisch betrachtete - schwedische Gesellschaft und ihre Probleme einzubinden. Und so kann selbst das Mitsommerfest nicht die düsteren Schatten vertreiben.

Von mir eine klare Leseempfehlung mit vier Sternen ⭐⭐⭐⭐