Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
helmut seeger
Wohnort: 
karlsruhe

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 02.01.2014
Gedichte (eBook, ePUB)
Zesen, Philipp von

Gedichte (eBook, ePUB)


gut

Die Sammlung beginnt mit einem gewaltigen Trauer- und Preisgedicht auf Kreuzigung und Auferstehung, das auch Ungläubige nicht kalt lassen dürfte, vielleicht das sprachmächtigste Werk dieser Art in Alexandrinern, das ich kenne.
"Fast ohne ein Nachsinnen" und "eylends" niedergeschrieben sind diese Gedichte, so der Autor entschuldigend in der Vorbemerkung. Das merkt man ihnen aber kaum an. Die schwungvolle und melodiöse Sprache lässt auch vergleichsweise Plattheiten verzeihen.
Neben Fleming ist von Zesen einer der bedeutenden Liederdichter seiner Zeit, insbesondere seine französischen Übertragungen sprechen von bemerkenswertem Talent, wenngleich das Gesamtwerk nicht den Einfallsreichtum eines Lohenstein und nicht die Modernität und Flüssigkeit der Verse eines Fleming oder Simon Dach erreichen mag.
Formal lehnt sich von Zesen stärker als seine Zeitgenossen an antiken Vorbildern (Pindar, Sappho) an, insbesondere was Versmaß und Strophenforma angeht. Öfter greift er auch zum lyrischen Dialog und verwendet antikes Personal, wie in den Schäfergedichten. Das mag an einigen Stellen heute antiquiert wirken, vermag aber in der Moral meist auch heute noch zu beeindrucken.
An Selbstbewusstsein fehlt es dieser Generation von Dichtern zu Recht nicht. Von Zesen postuliert in einem Gedicht, dass die Lyrik der Zeitgenossen wie Opitz oder Fleming der der antiken griechischen und römischen Vorbilder gar überlegen sei. Nach meinem Dafürhalten ist diese Behauptung gar nicht so abwegig.
Im Gedicht "Lustinne" gibt der Autor nebenbei einen Überblick über das Werk der zeitgenössischen Dichter, in dem er alle relevanten Namen aufführt, erstaunlicherweise sowohl Männer als auch Frauen.
Allein das - formal und inhaltlich - herausragende "dritte Lied auf das adliche Zimmer der Poeten", indem er den antiken Dichtern ein Denkmal setzt, beweist die poetische Potenz von Zesens.
Verblüffend auch ein sehr langes Loblied auf die Buchdruckkunst und auf deren Erfinder Gutenberg, welches nicht nur diesem und seinen Nachfolgern ein Denkmal setzt, sondern auch eine Reihe der damals verfügbaren (und teils heute noch existierenden) Schrifttypen im Detail vorstellt. Ein eindrucksvolles Beispiel für das Dichterhandwerk einerseits und für die Ehrung des Handwerks durch die Dichtkunst andererseits, wie man es in späteren Jahrhunderten nicht mehr findet, und Beispiel für eine ausgestorbene Tradition.
Auch von Zesen versteht sich auf das Preisen der Liebe, kann aber hier einem Lohenstein oder Neukirch nicht das Wasser reichen: "Wer hat der Venus solche Macht gegeben? Es muss ja alles ihr zu Willen leben / Wirft nicht Cupido über alle Lande / Ketten und Bande?"
Neben dem Griechischen beherrscht von Zesen auch das Niederländische, ein Gedicht zumindest ist in dieser Sprache verfasst.
Bemerkenswert auch an dieser Sammlung sind die Liebesgedichte, die von Zesens lyrisches Talent demonstrieren. Allein die Namen der angedichteten Frauen wie Klugemunde und Hildegunde sind einen Blick wert.

Bewertung vom 02.01.2014
Einsiedler und Genosse (eBook, ePUB)
Wille, Bruno

Einsiedler und Genosse (eBook, ePUB)


schlecht

Die Lyrik des Bürgertums sei in "leere Nichtigkeit" und "puren Formalismus" verfallen, heißt es in einem Vorwort von Julius Hart zu diesem Band. Dem gegenüber setze Wille in seiner Lyrik ein neues und kraftvolles Innenleben, die Zentren "Mitleid mit Armen und Unterdrückten" und den "Glauben an die ... Entwicklung der Menschheit und ... den Sozialismus" als Erlöser aus der Armut.
Der Autor des Vorworts muss aber ein anderes Werk gelesen haben. Von den zitierten Ansätzen ist in diesem Werk nur wenig zu finden.
Statt dessen viel Nichtssagendes und Erratisches wie das Gedicht über die Feier bei den Lilliputanern ("Da krabbeln aus den Häuschen / Die Lilliputaner hervor / Und kribbeln in bunten Schwärmen / Hinaus zum städtischen Thor"). Quasi als Gegensatz zur Idylle enthält dieses gleiche Gedicht einen rätselhaften Abschluss: "Ein weltenfernes Kometenvieh / Mit ungeschlachtem Schwanz / Beglotzt mit dummer Neugier / Den Erdenmückentanz."
Eine ganze Reihe der Werke dieses Dichters bleiben ähnlich rätselhaft, man fragt sich gelegentlich, was der Mann vor dem Schreiben wohl eingenommen hat.
Ansonsten liegt über diesem Werk aber eine bleierne Ödnis, die man beim Lesen drückend empfindet, die aber schwer in Worte zu fassen ist.
Schräge Bilder, Determinismus und Hoffnungslosigkeit bestimmen die Atmosphäre: "Zukunft ist ein Würfelbecher / Längst gefallen ist dein Los / Drum blicke auf den Becher / Ohne Furcht und hoffnungslos."

Wille ist andererseits auch ein Dichter der Innerlichkeit, nicht des Kampfes: "Ich war ein Kind mit großen Kinderaugen / Die nur zum träumerischen Schauen, nicht zum Berechnen und zum schlauen Erwerben taugen."
Am Ende fürchtet der Dichter, er werde frieren, darben und vielleicht bald sterben, aber dennoch: "[Ich] segne dankbar meinen Träumerblick / Er ließ mich lieben Flur und Himmelsbläue / Und diese Liebe war mein Lebensglück."
Willes Eigenart ist es, längere Zitate von Dichterkollegen seinen eigenen Werken voranzustellen. Das bringt Seiten und Sympathie. So finden sich sowohl Tolstoi als auch Julius Hart unter den Zitierten, was letzteren wohl zu dem oben zitierten Vorwort verleitet haben mag.
Etwas von Wut und Verzweiflung ist nur in der "Vogelscheuche" zu spüren, wo sich ein "elender Strolch", auf den soeben der feiste Gutsbesitzer noch die Hunde gehetzt hat, in der Nähe einer Vogelscheuche an einer Pappel erhängt.
Und in der "Straße" gelingt Wille ansatzweise ein Panorama des mitleidlosen Großstadtlebens.
Ansonsten regiert hier aber Tristesse und Verzweiflung, die am Leser abprallt: "In forstigen Dünsten, die zum Himmel qualmen / Verblutet die Sonne / ... / Stirb nicht, Mütterchen Sonne."
Es gibt allzu wenige Lichtblicke wie das folgende Fazit aus "Arme Leute": Selber arm und traurig / Folg ich der weinenden Wolke / Und denk an arme Leute / Und leide mit meinem Volke."
Am Ende gibt der Verfasser in etwas verquaster Sprache Einblick in sein Denken: Die Einsiedler-Gedichte stammen demnach aus der ersten Phase seines Lebens, als er "ergreifende Gespräche" mit Wolken, Bäumen und Stürmen geführt habe, abseits der "Hässlichkeit und Bösartigkeit" der Menschengesellschaft. In der zweiten Phase seines Lebens habe er sich dann zum Sozialisten entwickelt und als "höchste Lebensaufgabe die Mitarbeit an der Beseligung der Menschheit" entdeckt.
Angesichts der durchgehenden Tristesse und Hoffnungslosigkeit dieses Werkes gepaart mit den sprachlichen Unzulänglichkeiten könnte man sagen "Mission gescheitert".

Bewertung vom 02.01.2014
Scherzhafte Lieder (eBook, ePUB)
Weiße, Christian Felix

Scherzhafte Lieder (eBook, ePUB)


gut

Die deutsche Lyrikgeschichte mag manch Besonderheit aufweisen, überbordenden Humor ganz gewiss nicht. Es finden sich unter den gut 10 dutzend bedeutenden Lyrikern von Luther bis Rilke so wenige wirklich witzige Autoren, dass jeder einzelne davon besonders heraussticht.
Weisse ist so ein Fall. Zwar reicht es auch bei ihm kaum zu einem Lacher, aber zu einem gelegentlichen inneren Schmunzeln schon. Und das ist beabsichtigt, nicht unfreiwillig herbeigeführt wie bei manchem seiner Kollegen.
Weiße ist nicht derjenige, der die eigene Biografie ausnutzt: "Das wenigste hab ich gefühlet / Das meiste sing ich bloß aus Scherz.“ Seine Unterhaltungsabsicht ist bewusst und gewollt gewählt.
Sein Humor ist mit lockerer Hand gestreut und macht die üblichen Schäferweisen zu Wein, Weib und Gesang nicht nur erträglicher, sondern bisweilen sogar zum Vergnügen. Schade, dass der Autor selbst gelobt hatte, es bei der einen Sammlung zu belassen.
Der Dichter vertritt aber auch einen gewissen Anspruch: sein gesellschaftskritisches Gedicht "Der Zweifel" könnte man fast genau so auch heute noch unterschreiben - kritisch gegenüber den Verdiensten der Staatenlenker und der Heiligkeit der Kirche, die Korruption der Justiz anprangernd:
"Wenn Juden niederträchtig sinnen / Durch schlauen Wucher zu gewinnen / Auf Vortheil, nicht auf Ehre sehn. / Das lass ich gern geschehn. / Doch wenn vom Schweiß gedrückter Armen / Sich Fürsten mästen ohn Erbarmen / Da erndten, wo sie doch nicht sä'n / Das ist nicht auszustehn.
An anderer Stelle karikiert Weisse das Soldatenleben, indem er dessen "Vorzüge" und "Nachteile" satirisch nebeneinander stellt.
Kurz: Weiße ist einer der deutschen Dichter, der die Vorzüge genießt, mit seinen humorvollen Beiträgen eine gewisse Sonderstellung in der deutschen Lyrikgeschichte einzunehmen. Ein Blick ins Werk lohnt hier allemal.

Bewertung vom 02.01.2014
Wilde Rosen (eBook, ePUB)
Aston, Louise

Wilde Rosen (eBook, ePUB)


gut

Das Lebensmotto der Louise Aston, das sie in einem ihrer Gedichte angibt, "Freiem Leben, freiem Lieben, Bin ich immer treu geblieben!", scheint wohl auch für ihr eigenes Leben gegolten zu haben. Immer widerspenstig gegen äußere Zwänge, lehnt sie sich schon früh gegen ihre Zwangsverheiratung auf. Auch dieser dann doch statt gefundenen Hochzeit hat sie ein Klagegedicht gewidmet, wird später zur Revolutionärin (eine eigene Gedichtsammlung "Freischärler-Reminiszenzen" erscheint von ihr), und lange Jahre wird sie wegen "unzüchtiger Lebensführung" von der Polizei in mehreren deutschen Bundesstaaten beaufsichtigt, sofern sie nicht gleich ausgewiesen wird.
In den letzten Lebensjahren zieht sie mit ihrem letzten Mann, einem Arzt, in Europa hin und her.
Wie Heine ist Aston ein Feind und Spötter der Religion, wie George Sand, der sie ein Preisgedicht widmet, trägt sie Männerkleider und raucht in der Öffentlichkeit, was im preußischen Obrigkeitsstaat ein unerhörtes Vergehen darstellt.
Wie ihr Leben, so ihre Gedichte. Ihre Lyrik ist gegen obrigkeitliche und kirchliche Zwänge gerichtet und freiem Leben und freier Liebe gewidmet. Aston ist eine der starken Frauenfiguren der Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts, von denen es ja nicht allzu viele gibt.
Man könnte also über ihr Leben und Dichten folgendes von ihr selbst verfasste Fazit ziehen:

"Stürzt Gewittersturm, der wilde, / Jauchzend sich ins Meer hinein, / Schau' ich in dem Flammenbilde / Meines Lebens Wiederschein."

Bewertung vom 02.01.2014
Gedichte (eBook, ePUB)
Weckherlin, Georg Rodolf

Gedichte (eBook, ePUB)


weniger gut

Weckherlin war echt europäischer Dichter, mehrsprachig und für seinen schwäbischen Regenten zunächst in Frankreich, dann in England im Dienst, wo er dann auch heiratete und den 30jährigen Krieg von außen auf Seiten der Lutheraner kommentierte.
Der frühe Poet - und stellenweise auch der spätere - schmeißt sich mit einer Lust an seinen schwäbischen Herrscher und an andere Fürsten und deren Gattinnen ran, dass es eine Art hat.
Man lese beispielsweise das gefühlt ewig dauernde "Gemälde unvollkommenlich begreifend die unbegreifliche Vollkommenheit" der Amalia Elisabeth, Landgräfin zu Hessen. Das ist zwar von geringem poetischen Wert, aber allein durch die schiere Länge und Penetranz überwältigend.
Dennoch haben diese Verse auch die Leichtigkeit der Poesie, so dass sie nicht mal alle sauer aufstoßen. Wie bei Opitz spielt bei Weckherlin die Form eine entscheidende Rolle. Viele Gedichte sind endlos lang und mehr von formalen Aspekten als vom Inhalt getragen - als wäre der Dichter nach Zeilen bezahlt worden. Mit zunehmendem Verlauf dieser Epen gerät denn auch gelegentlich das Versmaß außer Kontrolle. Dennoch ist die Beherrschung der Form bei den Barockdichtern des 17. Jahrhunderts generell bewundernswert.
Bekannt wurde Weckherlin durch sein ellenlanges Preisgedicht auf den Schwedenkönig Gustav Adolf anlässlich dessen Todes 1633 (erstaunlicherweise findet sich auch eine Art Eloge auf Kardinal Richelieu, also quasi die Konkurrenz, im Werk), weniger bekannt sind seine beeindruckenden Ausflüge in die Erotik anlässlich eines Hochzeitsgedichts und seine die Trunkenheit schildernden Ergüsse.
Weckherlin ist vielleicht der distinguierteste unter den deutschen Dichtern des 30jährigen Krieges, er verfügt über eine gewisse englische Vornehmheit.
Nichtsdestotrotz gestaltet sich die Lektüre des gesamten Werkes recht zäh, was an den überlangen Oden und Gedichten liegt, die allzu häufig viele Worte um wenig Inhalt machen und eher der Form gehorchen. Für heutige Leser ist Weckherlins Werk insgesamt keine leichte Lektüre. Das soll aber nicht heißen, dass sich ein Blick in das Werk nicht lohnen kann.
Die "Konkurrenten" der Zeit wie Plavius, Fleming, Dach oder Gerhardt würde ich aber im Allgemeinen vorziehen.