Benutzer
Benutzername: 
Anne
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2025
Haubs, Theresa

Cozy baking time


sehr gut

Mit diesem Backbuch können Herbst und Winter kommen! Auf über 150 Seiten hat Theresa Haubs Backrezepte für die kalten Jahreszeiten zusammengestellt und liebevoll aufbereitet. Neben allen möglichen Kuchen und Muffins gibt es auch Rezepte für Crumbles, Cookies, Croissants und vieles mehr. Neben erwartbaren Zutaten wie Zimt, Marzipan und Orangen war ich besonders gespannt auf etwas modernere Rezepte wie die Plätzchen mit Salted Caramel. Auch wenn noch nicht Weihnachten ist, habe ich die als erstes nachgebacken und konnte der Anleitung ohne Probleme folgen. Während ich es gut fand, dass ich das Salted Caramel nicht selbst zubereiten musste (wäre mir zu aufwendig gewesen), sondern auf ein fertiges Produkt zurückgreifen konnte, hatte ich doch etwas Probleme, ein passendes Produkt zu finden und es letztendlich online bestellt. ganz so einfach wie behauptet, sind also doch nicht alle Rezepte. Die Apfelrosen habe ich auch schon probiert, ein toller Tipp und mit gängigen Zutatetn zuzubereiten.

Sehr appetitlich und ansprechend finde ich die Fotos. Die kleinen Smilys und die Untertitel in Schreibschrift geben den Rezepten eine persönliche und sympathische Note. Im Vergleich zum Cover, das wirklich sehr "cozy" daherkommt, sind die Rezeptseiten dann aber doch recht clean und schlicht gehalten, das fällt beim physischen Durchblättern noch einmal mehr auf als bei der digitalen Leseprobe. Insgesamt aber ein schönes, wenn auch nicht revolutionäres Rezeptbuch, das sich auch gut als Geschenk eignet für alle Jüngeren, die gerne backen.

Bewertung vom 29.09.2025
Yueran, Zhang

Schwanentage


ausgezeichnet

Der Schwan ist eigentlich eine Gans und auch sonst ist vieles nicht, wie es scheint. Zhang Yueran gibt in ihrem mitreißenden Roman "Schwanentage" Einblicke in das Leben einer wohlhabenden Familie, die weit oben in der chinesischen Gesellschaft steht, und deren Hausangestellten. Das eingespielte Leben wird plötzlich durch mehrere Ereignisse komplett auf den Kopf gestellt. Der Großteil der Handlung spielt im Haus der Familie und die Autorin schafft einen Mikrokosmos, in dem sehr unterschiedliche Lebensmodelle, Erwartungen und Wünsche aufeinanderprallen.

"Für ärmere Leute ist Geld etwas Persönliches, für Reiche ist es eine Familienangelegenheit." (S.191)

Klasse und Klassenunterschiede sind ein zentrales Motiv des Romans. Da die 2 wichtigsten Hausangestellten im Haus der Familie leben und dort ihr eigenes Zimmer haben, sind ihre Leben völlig mit dem der Familie verwoben. Die Autorin zeigt geschickt den Unterschied zwischen den Hausherren, obwohl die während der Geschichte fast vollständig abwesend sind, und besonders dem Kindermädchen Yu Ling. Gleichzeitig verdeutlicht sie aber auch, dass die im Haus lebenden Angestellten ganz anders leben als Bedienstete, die beispielsweise Lebensmittel liefern, aber nicht in direkten Kontakt mit den wohlhabenden Familien stehen. Die im Haus wohnenden Angestellten erhalten nicht nur Einblicke in Geheimnisse der Reichen und Mächtigen, sie erleben deren Luxus auch hautnah mit, ohne wirklich selbst daran teilhaben zu können. Dieser Widerspruch zeigt sich besonders gut im Kindermädchen Yu Ling, die den Sohn der Familie mit Liebe betreut und ihn zum Mittelpunkt ihres Lebens macht, und ihn gleichzeitig für eine fingierte Entführung nutzen will, um Geld von ihrem Arbeitgeber zu erpressen und selbst mit ihrem Freund ein besseres Leben führen zu können. Ein faszinierender Charakter, der sich im Laufe des Romans auf interessante Weise entwickelt.

Der nüchterne, klare Schreibstil hat mir hervorragend gefallen. Hätte ich die Zeit gehabt, hätte ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen, so flüssig ließ es sich lesen.

Bewertung vom 31.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


weniger gut

Obwohl ich mich sehr auf das Buch und besonders das Thema gefreut habe, bin ich nach der Lektüre leider ernüchtert. Die Autorin schreibt wirklich gut, man kommt schnell in einen Lesefluss. Die Handlung erzählt Hannah Lühmann in sehr kurzen Episoden, zwischen denen oft undefinierte Zeitsprünge liegen, sodass zwischen zwei Absätzen auch mal ein paar Wochen oder Monate vergehen zu scheinen. Durch diese kurzen Blitzlichter erhält das Buch am Anfang schnell ein hohes Erzähltempo. Das hat mich nach einer Weile aber frustriert, weil zwar schnell, aber wenig tief erzählt wird. Ich habe kein richtiges Gefühl für die erzählte Zeit bekommen und durch die kurzen Einblick in das Leben der Figuren bleiben fast alle auf Distanz. Auch die Freundschaft zwischen Jana und den Frauen ihres neuen Wohnortes fühlt sich dadurch für mich oberflächlich an und ich kann sie nicht wirklich nachvollziehen, da sich hier kaum eine logische Bindung zwischen den Frauen aufbaut.

Das Buch hält leider nicht, was der Klappentext verspricht. Er kündigt beispielsweise an, dass die auf Social Media inszenierte Familienidylle von Janas neuer Bekannten Karolin in Wahrheit alles andere als perfekt ist. Das wird im Buch zwar mehrfach angedeutet und dramatisch aufgebauscht, aber nie aufgelöst. Dazu kommt ein plötzlich sehr mysteriöses und viel zu abruptes Ende. Janas Angst, die der Klappentext anteasert, bleibt ebenfalls diffus. Ängstlich wirkt sie nicht.

Dazu kommt, dass Jana bereits vor dem Umzug in die ländliche Region und vor ihrem ersten Treffen mit Tradwive Karolin in die konservative Richtung driftet. Sie ist mit ihrem 3. Kind schwanger und kündigt ihren Job, ohne mit ihrem Mann zu sprechen. Der scheint andere Werte als seine Frau zu vertreten, bleibt aber blass und eher unsympathisch. Die wenigen Zweifel, die Jana angesichts Karolins Aussagen hat, schiebt sie schnell zur Seite zu schieben und nicht zu reflektieren. Stattdessen schließt sie sich meist sofort Karolins Meinung an, sodass hier kaum eine nachvollziehbare Entwicklung stattfindet. Dadurch dass jede echte kritische Auseinandersetzung mit dem dargestellten Ultrakonservatismus fehlt, wirkt das Buch letztendlich verharmlosend auf mich.

Auch in vielen Details lässt mich das Buch ratlos zurück. Mit ihren 7.000 Follower:innen ist Karolin Mikro-Influencerin, aber so richtig ergibt ihr Content keinen Sinn. Klar, sie postet vieles, was man mit Frauen der extremen Rechten verbindet - Tradwive-Content mit konservativen Idealen à la Backen und Kindererziehung zuhause, aber auch Heimatverherrlichung und Angstschüren. Janas Beobachtung, dass Karolin auch viele nicht-deutschsprachige Menschen auf Instagram folgen, soll erklären, warum Karolin manche ihrer generischen Captions auf Englisch verfasst. Das meiste schreibt und spricht sie aber auf Deutsch, sodass eine nennenswerte Menge nicht-deutschsprachiger Follower:innen unrealistisch ist. Es klingt auch so, als wäre die Autorin eher mit Facebook vertraut und wollte dessen Funktionsweise auf Instagram übertragen. Während man auf Facebook einzelne Beiträge öffentlich und den Rest privat veröffentlichen kann, ist das auf Insta meines Wissens nicht möglich. Es fühlt sich an, als hätte die Autorin den Tradwive-Trend uns Social Media als Kulisse gewählt, weil das Thema hochaktuell ist, sich aber nicht besonders tief damit beschäftigt. Andere Fehler sind einfach unnötig und zeugen von mangelnder Recherche, z.B. die Behauptung, dass Bürgergeld zusätzlich zum Kindergeld gezahlt wird (das Kindergeld wird vom Bürgergeld abgezogen) oder dass Jana monatelang rückwirkend Bürgergeld erhalten kann (man erhält es nur rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Antragstellung, aber nicht davor, auch wenn man Anspruch gehabt hätte).

Na ja, vielleicht funktionieren Social Media, Sozialleistungen und Co so in der nahen Zukunft, die die Autorin beschreibt und das ist ihre Version der Zukunft. Dann wäre für mich aber viel Potential verschenkt. Denn zu klassischen Rollenbildern, nach denen sich Jana ja nun sehnen soll, gehört eben auch die Arbeitsteilung Frau kümmert sich um Haus und Kinder, Mann verdient das Geld. Warum geht der Roman nicht darauf ein, wie sich Jana als Bürgergeldempfängerin fühlt, wo das doch dem von ihr anvisierten Familienmodell widerspricht? Was denkt sie über 50/50-aufgeteilte Kindererziehung, die müsste doch auch ihren neuen Werten widersprechen? Das hätte so viel Potential für interessante Reflektionen gehabt. Vielleicht könnte man sagen: Möglicherweise möchte die Autorin zeigen, dass auch viele Möchtegern-Tradwives nicht voll hinter den Werten stehen, die sie nach außen als Fassade verkörpern oder dass Reden leichter als Machen ist. Das gelingt der Autorin mit einigen der Nebencharakteren, aber nicht mit Jana. Obwohl sie die Protagonistin ist, bleibt Jana für mich leider in vielen Aspekten nicht greifbar. Das ist schade.

Bewertung vom 10.07.2025
Runcie, Charlotte

Standing Ovations


gut

"Standing Ovations" lässt mich etwas frustriert und mit enttäuschten Erwartungen zurück. Deswegen - sorry, Alex Lyons - gibt es nur 3 unentschlossene Sterne. Für einen Stern ist es viel zu gut, für 5 Sterne bei weitem nicht gut genug.

Ich wollte das Buch so gerne lieben: Es spielt in der britischen Kulturszene, besonders beim Edinburgh Fringe Festival, einer kreativen, pulsierenden Umgebung, bei der die unterschiedlichsten Kunstformen und Künstler:innen aufeinandertreffen. Die Prämisse klingt spannend und auch die Charaktere vielversprechend.

Der Kritiker Alex Lyons rezensiert das Stück der Newcomerin Hayley Sinclair, wertet sie ab und gibt ihrer Performance nur einen Stern. Nachdem er die Rezension bei seiner Zeitung eingereicht hat, trifft er Hayley zufällig und verbringt die Nacht mit ihr. Erst am nächsten Morgen erfährt sie von der vernichtenden Kritik und fühlt sich absolut betrogen von Alex, der nichts davon erwähnt hatte. Für Alex ist das ein typisches Muster: Er schleppt Frauen ab, macht sich keine Gedanken, wie er sie behandelt, und schaut überheblich auf Hayley herab, als sie ihn schockiert konfrontiert. Doch im Gegensatz zu vielen von Alex' Ex-Freundinnen und Ex-Affairen verschwindet Hayley nicht einfach still aus seinem Leben, sondern schreibt ihre ganze Show um. Sie spricht nun über ihre Erlebnisse mit Alex, lädt andere Frauen ein, Teil des Stückes zu werden, und wird damit zum Festival-Hit.

Charlotte Runcie schreibt in einem wirklich mitreißenden, kurzweiligen Stil. Die Wörter fliegen nur so von der Seite und man wird schnell in die Handlung hineingezogen.

Aber der Roman hat für mein Empfinden ein riesiges Problem: Alles dreht sich um Alex und in einer Geschichte von männlichem Machtmissbrauch bleiben ausgerechnet die Frauenfiguren blass, während dem Mann - dem Täter - und seinem Gefühlsleben unfassbar viel Raum eingeräumt wird. Und das auch noch durch die Augen einer Frau.

Sophie ist Alex' Kritikerkollegin und mit ihm in Edinburgh. Sie wohnen in der Zeit des Festivals in einer WG, sodass sie direkten Zugang zu ihm hat. Als Ich-Erzählerin wird die Geschichte vermeintlich aus ihrer Perspektive erzählt. Trotzdem bleibt Sophie erschreckend blass. Sophie, Hayley und alle anderen Frauen aus Alex' Umfeld lernt man nur über die Beziehung zu ihm kennen. Man erfährt wenig über sie selbst, sie sind Beiwerk. Selbst über Hayley erfährt man kaum etwas, das nicht mit Alex zu tun hat. Ihre ganze Show und damit ihr ganzer Ruhm dreht sich nur um ihn. Alle Frauencharaktere bleiben dadurch sehr eindimensional. Stattdessen darf sich Alex in seinem Elend suhlen, sich unverstanden fühlen, sich rechtfertigen. Werden neue Charaktere vorgestellt, dann sind sie in der Regel mit ihm verbunden, z.B. seine glamouröse Mutter, die wenig zur Handlung beiträgt, aber Alex durch seine vernachlässigte Kindheit als armen Jungen dastehen lässt.

Besonders verwirrend ist, dass die Geschichte ausgerechnet durch eine Frau erzählt wird. Sie ist nur dazu da, um Alex zu folgen, ihm Mitgefühl zu zeigen und ihn zu beobachten. Man lernt wenig über Sophie, am ehesten noch etwas über ihren Sohn und ihre unglückliche Beziehung zu dessen Vater. Ansonsten bleibt sie konturlos.

Alex ist unerträglich, er stellt Sophie ein einziges Mal eine Frage, ansonsten würgt er sie ab, wenn sie redet, labert sie voll, leiert Monologe der Rechtfertigung vor ihr ab und nimmt sie überhaupt nicht als Person war. Trotzdem bleibt Sophie fasziniert von Alex, völlig unverständlich. Fast alles in ihrem Leben dreht sich um irgendeinen Mann. Immerhin erkennt Sophie in einem kurzen Moment der Klarheit selbst, dass sie ein totales Pick Me Girl ist, Konsequenzen zieht sie aber nicht daraus.

Der Roman schneidet so viele spannende Themen an: männliches Verhalten und Machtmissbrauch, wie unterschiedlich betroffene Frauen damit umgehen, wer welche Verantwortung trägt. Gegen Ende fängt Sophie an, sich kritische Gedanken zu Rolle und Macht eines Kritikers zu machen, wirklich spannend, aber hält leider nicht an. Stattdessen geht es abrupt wieder um Alex. Je weiter der Roman fortgeschritten ist, desto mehr hat mich diese Erzählweise frustriert.

Ein wichtiges Thema und potentiell interessante Frauenfiguren verschenkt die Autorin leider, weil sie sich zum Großteil auf den Mann in der Geschichte konzentriert, statt das Geschehen fassettenreich aufzugreifen und die verschiedenen Positionen ihrer Figuren für ein differenziertes Bild zu nutzen. Wirklich schade.

Bewertung vom 14.04.2025
Lorenz, Sarah

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken


ausgezeichnet

Die Dichterin Mascha Kaléko kannte ich bisher nicht, durfte sie aber im Debutroman von Sarah Lorenz "Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken" kennenlernen. Denn hier berichtet die Ich-Erzählerin Elisa der 1975 verstorbenen Dichterin über ihr Leben. Dieser 216 Seiten lange Monolog erzählt Elisas dramatische Geschichte von ihrer Kindheit, geprägt von der Scheidung der Eltern, bis zu ihrem Ankommen in einer liebevollen Ehe mit Ende 30. Dazwischen liegen unglaublich viele schockierende Stationen, die genug für 3 Leben wären. Jedes Kapitel leitet die Autorin mit einem Gedicht von Mascha Kaléko ein. Das ist eine gute Idee, um ihre Liebe zur Dichterin zu verdeutlichen, das Buch funktioniert aber auch ohne, Dass man Mascha Kaléko oder ihr Werk kennt.

Das Besondere an diesem Roman ist der ausdrucksstarke Schreibstil. Sarah Lorenz schreibt energetisch und mit hervorsprudelnder Lebendigkeit, die absolut mitreißt. Obwohl die Protagonistin viel Traumatisches erlebt, schlachtet die Autorin die Erlebnisse nicht aus. Sie erzählt so viel, wie die Leser:innen wissen müssen, um Elisas Entwicklung nachvollziehen können - aber nicht mehr. So verliert man nie die Hoffnung, dass alles irgendwie gut wird und Elisa aus ihrer schlimmen Situation herauskommt. Das Buch hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und ist schon jetzt eines meiner Lieblingsbücher für dieses Jahr!

Bewertung vom 14.03.2025
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


ausgezeichnet

Die Ich-Erzählerin Wanda lebt mit ihrer kleinen Tochter Karlie in einer heruntergekommenen Plattenbauwohnung. Sie ist auftrags- und perspektivlose Schauspielerin, kommt finanziell kaum über die Runden und mogelt sich frustriert durchs Leben. Dann die unerwartete Wende: Eine Einladung zum Casting für eine Netflix-Serie verspricht Wanda eine große Karriere. Plötzlich trifft sie sich mit berühmten Schauspielern, Regisseuren und allerlei anderen einflussreichen Menschen in schicken Restaurants und lernt ein ganz anderes Leben kennen. Wo und wie sie wohnt, verschweigt sie ihren neuen Bekanntschaften jedoch und verbiegt sich so zunehmend, um nach außen hin zu ihnen gehören zu können. Darunter leidet nicht nur Wanda, sondern besonders ihre Tochter.
Die fesselnde Geschichte zeichnet sich zum einen durch plastische, unperfekte Charaktere aus, die man beim Lesen nicht immer mag, deren Weg man jedoch gespannt verfolgt. Zum anderen hat mich die ausdrucksstarke und anschauliche Sprache begeistert, in der Sara Gmuer vom trostlosen Hitzetag in der Hochhaussiedlung bis hin zum fieberhaft absurden Seriendreh alle Szenen mitreißend zum Leben erweckt. Besonders spannend fand ich zudem den Zwiespalt zwischen prekärem Alltag und der glamourösen Filmwelt, den die Protagonistin zunehmend schwer vereinbaren kann. Daran werden wichtige Themen wie Zugehörigkeit und Zuhause mit einem überraschenden Ende behandelt.

Bewertung vom 24.02.2025
Murrin, Alan

Coast Road


ausgezeichnet

Vor der idyllischen Kulisse einer Kleinstadt an der irischen Westküste erzählt Alan Murrins Roman "Coast Road" die Geschichte mehrerer (unglücklicher) Familien. Zwischen Streits, Fremdgehen und Entfremdung versuchen die Einwohner*innen in ihren Ehen und ihrem Alltag klarzukommen. Der Roman spielt 1994 kurz vor dem Volksentscheid zum Scheidungsverbot, das die irische Bevölkerung mit sehr knapper Mehrheit aufhob. Das Referendum kommt nur am Rande des Buches vor, es endet vor der Abstimmung. Trotzdem zeigt der Autor anhand seiner faszinierenden Charaktere sehr deutlich, dass ein Zusammenbleiben aus Zwang nicht zum Glück führt und Selbstbestimmung ein wertvolles Gut ist. Die Charaktere sind so alltäglich und normal, dass sie unsere Nachbar*innen sein könnten. Gleichzeitig sind sie so komplex und glaubwürdig gezeichnet, dass man total mitfiebert. Überhaupt hat mir der Schreibstil enorm gut gefallen, das Buch liest sich in seinem meist eher leisen Ton sehr flüssig und hat mich schnell in die Handlung hineingezogen.

Bewertung vom 29.10.2024
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


sehr gut

In Katrin Bursegs neuem Roman "Tage mit Milena" treffen zwei beeindruckende Frauen aufeinander und verändern unerwartet das Leben der anderen.

Da ist Annika, die gerade in die Wechseljahre kommt und ein gutbürgerliches Leben mit ihrem Mann in Lübeck führt. Sie hat eine Vergangenheit in der Hamburger Hausbesetzerszene in den 1980er Jahren, die sie scheinbar hinter sich gelassen hat. In der Altstadt betreibt sie das Schreibwarengeschäft ihres verstorbenen Schwiegervaters. Dort taucht zu Beginn des Romans die 17-jährige Luzie auf und kauft Sekundenkleber, mit dem sie sich später zum Klimaprotest auf die Straße vor dem Geschäft klebt. Als Mitglied der Letzten Generation setzt sie sich aus Überzeugung für eine klimagerechte Zukunft ein.

Aus dieser Zufallsbegegnung entsteht eine Bekanntschaft, die die beiden Frauen erst nach Hamburg und dann nach Venedig bringt. Diese Reise, die v.a. bei Annika auch innerlich stattfindet, bewegt viel. Die Autorin hat einen sehr bildlichen Schreibstil, der mitreißt und sich angenehm und leicht lesen lässt, sodass man richtig in die Geschichte hineingezogen wird. Außerdem hat mir gut gefallen, dass sie sich intensiv mit Klimaprotesten beschäftigt und so einen sehr aktuellen Bezug reinbringt.

Einige der Handlungswendepunkte wirkten auf mich leider etwas erzwungen. Sie kamen nicht richtig aus der Motivation der Charaktere heraus, sondern etwas zu impulsiv. Abgesehen davon ist der Roman gut strukturiert und zeichnet sich durch spannende Themen und interessante Charaktere aus.

Bewertung vom 15.09.2024
Oskamp, Katja

Die vorletzte Frau


sehr gut

Eine Beziehung, die 19 Jahre dauert und in der die beiden Beteiligten einen Altersunterschied von 19 Jahren haben - am Ende ist es nur ein poetischer Zufall. In diesen 19 Jahren lernt die Ich-Erzählerin nicht nur ihren Partner Tosch, sondern auch sich selbst intensiv kennen. Beide durchleben gemeinsam große Glücksmomente, aber auch Krankheit, Angst und Streit. Der Roman "Die vorletzte Frau" gibt blitzlichtartige Einblicke in große und alltägliche Momente dieser Beziehung, des Zusammenlebens und Getrenntseins. Katja Oskamp hat ein Talent dafür, spannende und nicht ganz einfache Figuren zu zeichnen und greifbar zu machen. Manchmal hätte ich mir trotzdem gewünscht, dass sie tiefere Einblicke in einige Momente gibt, denn die Geschichte fliegt förmlich an einem vorbei.

Der Roman ist kurzweilig und mitreißend geschrieben. Die Ich-Erzählerin liegt anscheinend nah bei der Autorin selbst, denn sie wird mit "Frau Oskamp" angesprochen, studierte wie die Autorin in Leipzig, arbeitet ebenfalls später in Marzahn als Fußpflegerin usw. Dadurch fühlt sich die sehr persönliche Geschichte noch intimer an.

Bewertung vom 13.06.2024
Fallwickl, Mareike

Und alle so still


ausgezeichnet

Frauen streiken: Privat und beruflich legen sie ihre Arbeit nieder und sich selbst symbolisch auf den Asphalt. Sie verweigern ihre Arbeit und machen so . Das hat schnell dramatische Folgen für die ganze Gesellschaft. Zunächst bleiben Museen geschlossen und Landwirte, die die Arbeit ihrer Frauen mit übernehmen müssen, verletzen sich häufiger. Bald sind die Krankenhäuser überlastet und auch international zeigen sich innerhalb weniger Tage Auswirkungen, beispielsweise bleiben ausländische Pflegekräfte fern und Lieferketten brechen ein.

Was passiert, wenn sich Frauen den von ihnen erwarteten Aufgaben verweigern und so sichtbar machen, was sie sonst ohne Anerkennung leisten? Dieses Gedankenexperiment spielt Mareike Fallwickl gekonnt durch. Eindringlich und klar erzählt die Autorin diese höchst zeitgemäße Geschichte aus Perspektive der Influencerin Elin, der Krankenschwester Ruth und des Niedriglohnjobbers Nuri. So kommen verschieden Arguemnte, Entscheidunggen und Positionen hinzu, aus der diese fesselnde Geschichte ohne Sensationslust erzählt wird. Rundum gelungen!