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LySch

Bewertungen

Insgesamt 9 Bewertungen
Bewertung vom 24.02.2019
Stella
Würger, Takis

Stella


ausgezeichnet

„Beim Lesen lässt sich vortrefflich denken.“ (L. N. Tolstoi)

(Nach)Denken während des Lesens. Recherchieren, etwas aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, eine Meinung hören und sich seine eigene bilden. Anspruchsvolle Romane sollen diesen Prozess in uns anregen, besonders wenn sie reale Themen verarbeiten. Dieser Roman hat wirklich das Zeug dazu. Wie schon Takis Würgers Debüt „Der Club“ ist auch „Stella“ vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Dabei ist „Stella“ schon jetzt der Skandal-Roman des Jahres, der die Leserschaft stark polarisiert(e). Ich kann dem Schwarz-Weiß-Denken dieser Debatte nichts abgewinnen, da Würgers Roman meiner Meinung nach so viele Farben und Zwischentöne aufdeckt, die in mir weiterarbeiten und nachhallen, sich zu neuen Farben und Klängen vermischen und mich am Ende mit einem Kloß im Hals zurücklassen. Ist es da nicht in vielerlei Hinsicht ironisch, dass der Protagonist Friedrich ausgerechnet farbenblind ist?

„Hast du mal Hibiskus blühen sehen? […] So ist die Wahrheit, Junge, wie Hibiskus. Irgendwann wirst du es sehen. In Ägypten findest du ganze Gärten. Wunderschön da. Ganze Gärten findest du. Und der Hibiskus blüht in tausend verschiedenen Arten.“ (S. 25)

Takis Würger ist ein wirklich großartiger Erzähler. Der märchenhafte Anfang und die schlichte Figurenzeichnung offenbaren sein Talent, mit nur wenigen Worten dicht gewobene Atmosphären zu erschaffen und Charaktere zum Leben zu erwecken. Diese Fähigkeit habe ich schon in „Der Club“ sehr bewundert und ich wurde diesbezüglich nicht enttäuscht. In Würgers Romanen findet das Wesentliche zwischen den Zeilen statt, wenn man den verschiedenen Andeutungen und Bildern Zeit gibt, sich zu entfalten. Der Roman wird stark dafür kritisiert, der realen Person Stella Goldschlags nicht gerecht zu werden und sich stattdessen in einer kitschigen Liebesgeschichte zu flüchten. Dies greift meiner Meinung nach zu kurz. Würger zeigt uns hier eine Stella, die viele Facetten hat, die menschlich ist und Gefühle zeigt. Wer war Stella Goldschlag? Liebenswerte Frau? Grausame Täterin? Opfer? Monster? Spannend und tiefgehend fand ich auch Friedrichs Figur, der sich vom naiven Schweizer zu einem Mann mit eigener Meinung entwickelt und sich trotz allem in gewisser Weise schuldigt macht.

Für mich wirft der Roman viele Fragen auf. Er erzeugt einen Resonanzraum, den ich nun mit Wissen und Information füllen möchte. Erschreckend gelungen fand ich in dieser Hinsicht die Aufzählung der geschichtlichen Ereignisse des Jahres 1942, die Würger an den Beginn der Kapitel stellt und die Auszüge aus den Feststellungen eines sowjetischen Militärtribunals. Harte, geschichtliche Fakten und Aussagen, die Gänsehaut und Kopfschütteln erzeugten. Dieses Buch polarisiert, ja. Aber es brachte mich zum Recherchieren, zum Nachschlagen, zum Grübeln und dazu, dass ich nun mehr zur „wahren“ Stella Goldschlag erfahren möchte. Das soll Gegenwartsliteratur doch bewirken? Für mich ein sehr berührender, nachdenklicher, unbedingt lesenswerter Roman.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2018
Eine Liebe, in Gedanken
Bilkau, Kristine

Eine Liebe, in Gedanken


ausgezeichnet

„Ich wünschte, sie könnte mir davon erzählen. Doch Stille, meine Mutter, dort, auf der Küchenbank, und ich, wir haben diese letzten Stunden nicht in unserem Repertoire.“ (S. 11)

Antonia Weber war eine kluge, mutige Frau, die eigene Wege gehen wollte und ihrer Zeit immer ein wenig voraus war. Selbstbewusst stand sie für ihre Wünsche und Entscheidungen ein und wurde doch ihr Leben lang von einem Schatten aus Erinnerungen und Sehsüchten verfolgt, ihrer großen Liebe Edgar Jansen. Toni und Edgar waren in den 60er Jahren ein glückliches Paar – sie: lebensklug, unkonventionell und voller Ziele, Hoffnungen und Träume, er: ein höflicher, schüchterner Gentleman, geradlinig, aber auch sehr verkopft und bestimmt von den Konventionen seiner Zeit. Sie ergänzten sich gut, sie liebten sich, diskutierten und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Doch dann kam alles anders... 50 Jahre später ist Antonia nach schwerer Krankheit verstorben und hinterlässt ihrer Tochter, der Ich-Erzählerin, eine Wohnung voller Erinnerungsstücke eines selbstbestimmten Lebens und eine Menge unbeantworteter Fragen. Was ist damals passiert, wieso hatte diese junge Liebe keine Chance? Wer war Antonia Weber wirklich, was bewegte sie? Führte sie das Leben, das sie sich gewünscht hatte? Oder waren die Opfer, die sie für ein freies Leben bringen musste, am Ende doch zu groß?

Was auf den ersten Blick wie ein Kitschroman unter vielen anmutet, ist bei genauerem Hinsehen eine Geschichte, die komplexe Themengebiete aufarbeitet und gerade dadurch berührt. Die Liebesgeschichte zwischen Toni und Edgar nimmt viel Raum ein und könnte dem einen oder anderen Leser insgesamt zu unaufgeregt oder bieder erscheinen. Doch meiner Meinung nach trifft die Autorin hier genau den Nerv der damaligen Zeit und gibt dadurch Einblick in eine Lebenswelt, die wir uns heute kaum noch vorstellen können: Eine Welt, in der eine Beziehung zwangsläufig in einer Ehe zu enden hatte und in der eine Frau als „gescheitert“ galt, wenn sie vorgegebene Wege nicht gehen wollte... Beinahe leichtfüßig entwickelt der Roman vor allem im letzten Drittel eine Tiefe, die ich wirklich beeindruckend fand. Der Schwerpunkt verschiebt sich weg von der Liebesgeschichte und hin zu einer Analyse der Mutter-Tochter-Beziehung, in welcher verschiedene Lebensentwürfe über Generationen hinweg thematisiert werden.

„Eine hatte Freiheit gesucht. Ihre Tochter hatte sich nach Beständigkeit gesehnt. Und deren Tochter sehnte sich wieder nach Freiheit.“ (S. 226)

Spannend fand ich auch die immer wiederkehrenden Spiegelungen in der Erzählung. Da wäre zum einen die Ich-Erzählerin, die ihre Beziehung zur Mutter reflektiert und dabei selbst eine Tochter hat, die bald ausziehen und ihren eigenen Weg gehen wird; aber auch die Parallelen im Lebensweg von Antonia Weber und einer berühmten Künstlerin, die sie bewundert hatte... Auch die Themen Alter, Gebrechlichkeit und Krankheit werden angesprochen und behutsam durch die Ich-Erzählerin aufgearbeitet:

„Am Ende des Gesprächs sagte ich ihr, ich würde anfangen, mich vor dem Alter zu fürchten, vor dem Alleinsein [...] dass es mir schwerfiel zu sehen, wie sie an ihre Wohnung gebunden war [...]. ‚Du musst dir keine Sorgen machen‘, hatte sie zu mir gesagt, mit ihrer jungen, zuversichtlichen Stimme. ‚Du wirst den Reichtum deiner Gedanken haben.‘“ (S. 241)

Kristine Bilkau besitzt ein beeindruckendes Erzähltalent. Ihr leichter Erzählstil lebt von den leisen Zwischentönen und ihrer feinen Beobachtungsgabe für Personen- und Situationsbeschreibungen. Die Tochter, die nach dem Tod der Mutter in der Küche Zwiegespräche mit ihr führt, die erste Begegnung zwischen Toni und Edgar in der Straßenbahn oder erste, aufgeregte Besuch bei den jeweils anderen Eltern – man ist den geschilderten Personen auf eine unaufdringliche Art und Weise nahe. Handlungen, Entscheidungen und Gefühle werden nicht bewertet oder verurteilt, sondern lassen dem Leser Raum für eigene Gedanken und Interpretationen.

Bewertung vom 21.09.2017
Meine DIY-Küche
Prus, Agnes

Meine DIY-Küche


ausgezeichnet

Selber machen kann so schön sein!
Dieses Buch ist mehr als „eine kleine kreative Verschnaufpause“. Keine Aufklärungskampagne könnte besser zeigen, wie schön es ist sich selbst Genuss und Zufriedenheit zu verschaffen. Genuss, weil die Rezepte für wahre Genießer gemacht sind und Zufriedenheit, weil es genau das ist, was die Entdecker und Macher der Speisen nach vollbrachter Arbeit empfinden werden. Und das bei einem Buch, das im Verlag der Stiftung Warentest erschienen ist.
Auf gut 200 Seiten finden Freunde kulinarischer Freuden hier 44 Anleitungen, um richtig lecker zu kochen und backen. Von Granola bis Kimchi ist alles dabei. Kimchi? Richtig, auch zu Unrecht immer noch recht unbekannte Gerichte finden sich in diesem Kochbuch. Die Stärken aber liegen in der Auswahl all der Rezepte, die nur eine Messerspitze von gewohnten Zutaten und Gerichten entfernt liegen. Denn eines garantiert das Buch sicher: Der nächste Aha-Effekt ist nur eine Seite, nur ein Umblättern entfernt. Das macht das Buch zu etwas Besonderem. Denn während man sich leicht vorstellen kann Ketchup und Pasta selbst zu machen, kommt wohl kaum einer darauf, Fisch im eigenen Wok zu räuchern, selbst Tofu herzustellen oder mal eben Limoncello anzusetzen.
Agnes Prus aber hat mit diesem How-to-Buch genau das geschafft, woran es vielen Kochbüchern mangelt: Rezepte, die den Laien direkt am Küchentisch abholen und mit Begeisterung und wenigen Küchenhelfern an Herd und Ofen ziehen. Denn wer bekommt nicht Lust, den Back- und Kochlöffel zu schwingen, wenn es beispielsweise heißt: „Macarons, diese kleinen Juwelen der Backkunst. Jeder Bäcker, der etwas auf sich hält, sollte sich einmal daran versuchen. [...] mon dieu, ein Träumchen!“ Ein kann ich jedenfalls sagen: Man glaubt Prus sofort.
Das fällt übrigens auch deshalb so leicht, weil sie mit Yelda Yilmaz eine Fotografin für dieses Buch gefunden hat, die ihr Handwerk vorzüglich beherrscht. Wer nicht durch die begeisternden Texte motiviert wird den Kochlöffel zu schwingen, tut das spätestens dann, wenn er süße Erdnuss-Schoko-Riegel sieht, die Farbexplosion des Sriraha, Sonne im Glas, knuspriges Knäckebrot, cremiges Eis oder Pflaumenmus, so wie man es aus Omas Küche kennt.
Doch am besten schaut ihr euch das Alles selbst genauer an, es lohnt sich! Genau das richtige Buch für Familien-Kochtage, versteckte Back-Künstler und passionierte Neuland-Entdecker. Manchmal liegt das Schöne eben ganz nah.

Bewertung vom 06.09.2017
Der Wal und das Mädchen
Kinkel, Tanja

Der Wal und das Mädchen


ausgezeichnet

Eine liebevoll illustrierte Mut-Mach-Geschichte

Beim ersten Lesen dieses Bilderbuches fiel mir sofort ein wunderbares Zitat von Astrid Lindgren ein, das meiner Meinung nach die Botschaft der Geschichte wunderbar aufgreift: „Sei frech und wild und wunderbar!“ Sicherlich hätte auch die bekannte Kinderbuchautorin ihre Freude an diesem Buch gehabt... ;) Tanja Kinkel, bekannt für ihre historischen Romane, hat zusammen mit dem Illustrator Giuliano Ferri eine wunderschöne Geschichte entwickelt, die Kindern Mut macht, neugierig zu sein, die Welt zu erkunden und Ängste zu überwinden.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen neugierige, kleine Wesen: Zuerst einmal wäre da das Mädchen Maria, das Angst vor dem Wasser hat und im Urlaub auf eigene Faust herausfinden möchte, was ihre Geschwister und Eltern so faszinierend daran finden und dabei unbewusst zur Heldin wird und ihre Angst überwindet. Zum anderen wäre da noch der kleine Wal, der ausreißt, um endlich einmal das helle Wasser an der Oberfläche des Meeres zu erkunden und sich dabei in große Gefahr begibt...
Mir gefällt es sehr, dass die pädagogischen Botschaften hier ganz nebenbei und nie mit dem erhobenen Zeigefinger herausgearbeitet werden. Die Geschichte macht Kindern deutlich, dass sie mutig und neugierig sein dürfen und dass es in Ordnung ist, etwas Neues ausprobieren und entdecken zu wollen. Dabei läuft nicht immer alles glatt und man manövriert sich, wie der kleine Wal, oft schneller als gedacht in brenzlige Situationen. Trotzdem kann man sich auch dann Hilfe holen und trifft immer wieder auf Andere, die es gut mit einem meinen. Schön ist ebenso die Botschaft, dass auch große Wesen manchmal hilflos sind und ein kleines Mädchen seine Angst überwinden kann, indem es aktiv wird und Hilfe organisiert.
Die Illustrationen sind in einem Aquarell-Stil gehalten und vermitteln durch die überwiegenden Farben Blau, Gelb und Grün ein warmes, sommerliches Gefühl. Wenig Text und große Bilder machen das Buch auch für kleinere Kinder und (Noch-)Nicht-Leser sehr attraktiv. Auf den Bildern gibt es viel zu entdecken und besonders der Wal ist wirklich gut getroffen und nicht zu verniedlicht dargestellt. Ganz zauberhaft sind die Bilder, auf denen Maria nah neben dem Wal steht, ihn sachte berührt und ohne Worte mit ihm zu kommunizieren scheint.

Fazit
Für dieses Buch kann ich eine klare (Vor-)Leseempfehlung aussprechen! Es ist für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren geeignet, wobei etwas kleinere oder größere Kinder sicherlich auch Gefallen daran finden, da die Geschichte auf vielfältige Weise mit den Kindern zusammen entdeckt und bearbeitet werden kann. Ich freue mich schon darauf, das Buch im Oktober mit den Kindern auf der Arbeit zu lesen.

Bewertung vom 28.04.2017
Und jetzt lass uns tanzen
Lambert, Karine

Und jetzt lass uns tanzen


weniger gut

Über 55 Jahre verbrachte Marguerite ihr Leben als tadellose Ehefrau an der Seite des peniblen Notars Henri. Sie waren ein kultiviertes Paar; es gab keine Überraschungen und nur selten Streit, aber dafür auch keine Liebe oder Leidenschaft in ihrer Ehe. Nach dem plötzlichen Tod Henris hat Marguerite große Angst vor dem Leben alleine. Da sie ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse stets in den Hintergrund stellte, hat sie kaum noch ein Gefühl dafür, was sie als Person ausmacht und was sie sich von ihrem restlichen Leben erwartet. Bei einem Kuraufenthalt trifft sie zufällig auf Marcel, der ebenfalls erst seit kurzer Zeit Witwer ist. Diese Bekanntschaft stellt bald Marguerites Welt vollkommen auf den Kopf, denn Marcel sprüht vor Lebensfreude, Energie und Leichtigkeit – Eigenschaften, die Marguerite bis dahin nicht kannte…

Meinung
Das Cover und die Thematik des Buches haben mich sofort angesprochen und ich erhoffte mir von diesem Roman einerseits eine zauberhafte Geschichte mit typischem, französischem Charme, andererseits auch eine tiefergehende Auseinandersetzung und Momente, die zum Nachdenken anregen. Doch meine Erwartungen wurden leider nicht erfüllt, weswegen ich mich den Lobeshymnen um dieses Buch nicht voll und ganz anschließen kann.
Die Botschaft des Romans – Liebe kennt kein Alter – wird deutlich herausgearbeitet und auch die Problematiken und Konflikte, die mit dem Verlust eines langjährigen Ehepartners und dem Beginn einer neuen, zweiten Liebe in der Gefühlswelt der Protagonisten und im Umfeld entstehen, werden im Laufe der Handlung sensibel zur Sprache gebracht. Genau diese Momente berühren den Leser und eröffnen normalerweise einen Raum, der zum Nachdenken anregt. Doch Lambert gibt diesen Momenten keine Zeit zum Nachklingen; eine glaubwürdige Entwicklung der Beziehung bekommt durch die rasante Handlung leider keine Chance und kitschige und abgedroschene Floskeln überlagern an vielen Stellen die gefühlvollen Beschreibungen: „Wie wird er wohl meinen Altfrauenkörper finden, der schon so lange Winterschlaf hält? (S.135)“ oder „Wie viele Körnchen bleiben ihm noch in der Sanduhr? (S. 141)“
Obwohl mir die zwei Protagonisten von Anfang an auf ihre jeweils ganz spezielle Art sympathisch waren, fand ich die Figuren insgesamt ein wenig zu überzeichnet und klischeebehaftet: Marguerite als unerfahrene, verklemmte Frau trifft auf den Prinzen Marcel mit zerbeultem, blauem Peugeot, der mit ihr in den Sonnenuntergang fährt… das war mir dann auf Dauer doch ein wenig zu viel des Guten. Trotz der detailreichen Beschreibungen der unterschiedlichen Lebenswege, Gedanken und Gefühle von Marcel und Marguerite schweben die Figuren auch nach der Lektüre nur knapp unter der Oberfläche und konnten nicht an Tiefe gewinnen.
Der Schreibstil der Autorin ist locker-leicht und lässt einen das Buch in einem Rutsch durchlesen; trotzdem wurde ich ehrlich gesagt nicht warm damit. Die Sätze sind teilweise abgehackt, weil Gedankenfetzen der Protagonisten zusammenhanglos eingeworfen werden, wie Erinnerungen an die Jugend, die Schwester, die Ehepartner… Auf mich wirkte das zu sprunghaft und verwirrend und störte meinen Lesefluss. Einige Passagen musste ich deswegen zweimal lesen, um die Gedankengänge nachvollziehen zu können. Mir fehlte bei diesem Schreibstil einfach das „gewisse Etwas“, das französische Literatur sonst oft ausmacht – dieser Charme, der zwischen den Zeilen hervorblitzt.

Fazit
Vielleicht traf ich einfach zur falschen Zeit auf dieses Buch, vielleicht hatte ich auch zu hohe Erwartungen daran. Doch insgesamt muss ich sagen, dass mich der Roman leider nicht mitnehmen konnte in die Welt von Marcel und Marguerite. Trotz der sehr interessanten Thematik bleibt die Umsetzung unbefriedigend und lässt mich enttäuscht zurück.
Ich vergebe trotzdem 2 Sterne: Einen für die doch sehr berührenden Beschreibung des Verlustes und den Umgang mit der Trauer und einen für das schöne und hochwertige Layout der Hardcover-Ausgabe.

Bewertung vom 02.04.2017
Der Club
Würger, Takis

Der Club


ausgezeichnet

Takis Würgers Debütroman „Der Club“ ist vielschichtiger, als er auf den ersten Blick scheint. Gekonnt verwebt der Autor verschiedene Genres - Kriminalroman trifft auf Entwicklungsgeschichte, eine zarte Liebe entsteht vor dem Hintergrund eines scharfen Gesellschaftsportraits – und erschafft durch subtilen Spannungsaufbau Figuren und Welten, die zugleich berühren und schockieren.

Der Roman beginnt märchenhaft und fast schon idyllisch. Ein Haus in einem niedersächsischen Wald, liebevolle Eltern und eine Kindheit inmitten friedlicher Natur. Doch über dieser Idylle liegt von Anfang an auch eine düstere und verwunschene Atmosphäre, die sich mit der Zeit immer weiter ausbreitet. Hans Stichler ist ein sonderbares Kind, das in der sozialen Umwelt aufgrund seiner Eigenheiten keinen Anschluss findet und sich dadurch nach und nach zum Einzelgänger und -kämpfer entwickelt. Die einzigen Hilfsmittel, um die Welt zu verstehen und seine Gedanken zu ordnen, stellen für ihn die Literatur, der Rückzug in die Natur und das Boxen dar. Nach einigen Schicksalsschlägen in seiner Jugend deutet sich eine unverhoffte Wendung zum Guten in Form eines verlockenden Angebots an: Seine Tante Alex kann ihm ein Stipendium an der Universität in Cambridge vermitteln, wenn er im Gegenzug an der Aufklärung eines Verbrechens mitwirkt, dessen Zentrum sich hinter den elitären Mauern des Pitt-Clubs verbirgt. Hans lässt sich auf den Deal ein und findet sich schon bald in einem Strudel von Ereignissen wieder, in welchem die Grenzen zwischen richtig und falsch immer mehr verschwimmen…

Takis Würger ist mit diesem Roman ein starkes Debüt gelungen. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht verschiedener Personen, die alle eine mehr oder weniger große Rolle darin spielen. Die raffinierte Konstruktion der Perspektivwechsel wirkt zu keinem Zeitpunkt verwirrend oder aufgesetzt, sondern erzeugt beim Leser einen differenzierten Blick auf das Geschehen und entfaltet dadurch eine fesselnde Sogwirkung. Trotz der ruhigen Erzählweise schreitet die Handlung rasant voran und entwickelt eine Spannung, die einen das Hörerlebnis nur schwer unterbrechen lassen. Der Schreibstil des Autors ist bestechend schlicht und klar, aber trotzdem auch detailverliebt. Ganz zart beschreibt er Stimmungen und Gefühle und fängt Sinneseindrücke präzise ein. Man schmeckt förmlich das Blut und riecht den Schweiß, wenn die Boxkämpfer in den Ring steigen oder spürt die Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Im Allgemeinen greife ich eher zur Printversion eines Romans, doch dieses Hörbuch hat mich komplett begeistert! Es ist wirklich hervorragend umgesetzt und eingelesen worden von großartigen Sprechern wie Matthias Köberlin und Anna Maria Mühe. Jeder Einzelne von ihnen verleiht seiner Rolle durch die jeweils individuelle Stimmlage und Akzentuierung gekonnt eine unverkennbare Persönlichkeit und bereitet dem Hörer so ein nuanciertes und spannendes Hörerlebnis.



Fazit

Dieses Hörbuch hat mich von der ersten Minute an gefesselt und nicht mehr losgelassen! Takis Würger überrascht mit einem vielschichtigen und mitreissenden Roman, der die Frage nach richtig oder falsch aufwirft und große, zwischenmenschliche Themen wie Zugehörigkeit, Liebe, Hass, Rache und Verantwortung in den Blick nimmt.

Von mir gibt es 5 Sterne und eine klare Hörempfehlung!

Bewertung vom 10.03.2017
Ist öko immer gut?
Mull, Ann-Kristin

Ist öko immer gut?


gut

Neugierig geworden durch den Titel und die Beschreibung des Verlags, stürzte ich mich in dieses Buch und bleibe nun nach der Lektüre mit zwiegespaltener Meinung zurück. Warum? Das möchte ich gerne ausführlich erläutern.


Aufbau

Das Buch besteht aus 16 Experteninterviews, welche auf ihren jeweiligen Sachgebieten Anworten geben auf aktuelle ökologische Fragestellungen. Dabei geht es um sehr alltägliche Themen wie Leben&Kaufen, Ernährung, Energie, Urlaub&Verkehr, aber auch um globalere Themen wie Geld&Mensch und die Entwicklungshilfe. Der Interview-Stil liest sich leicht und wirkt locker und frisch; jedes Themengebiet wird in der Regel von zwei Experten und damit aus verschiedenen Blickwinkeln abgedeckt.

Cover und Gestaltung

Gedruckt auf umweltfreundlichem Papier und mit einem Umschlag aus 100% Recycling-Papier, bleibt das Buch seinem eigenen Inhalt treu. Auch der haptische Eindruck gefällt mir, da sich der etwas rauere Umschlag im Unterschied zu den sonst eher glatten Büchereinbänden sehr griffig anfühlt und das Buch insgesamt mit seinem kompakten Format beim Lesen leicht in der Hand liegt. Das Cover und die Gestaltung des Buches haben mich hingegen nicht begeistert. Das Foto auf der Vorderseite wirkt trist und bedrohlich und Brauntöne durchziehen das komplette Buch ohne farbliche Auflockerung. Was modern wirken soll, hinterlässt bei mir eher einen langweiligen, altbackenen Eindruck. Das unruhige Schriftbild (kursiv gedruckte Fragen; absurd große Hervorhebungen bei den Antworten, oft mitten im Satz) stört den Lesefluss und Seitenzahlen, die sich innen Richtung Buchrücken befinden, halte ich für extrem unpraktisch.

Meinung zum Inhalt

Mir hat der Grundtenor des Buches sehr gut gefallen. Es zeigt, wie man auch mit kleinen Schritten die Welt zu einem besseren Ort machen kann...indem man dort anfängt, wo man Dinge ändern kann; indem man sich einfach in Bewegung setzt und handelt; indem man sich Gleichgesinnte sucht und sich gegenseitig bestärkt; indem man sich umfassend informiert und nicht alles unhinterfragt glaubt und und und...Das Buch spricht konkrete Alltagsprobleme an und bietet Lösungen, die sich oft ganz leicht umsetzen lassen. Ansprechend finde ich außerdem die Zusammenfassung und die Energiespartipps am Ende des Buches und den heraustrennbaren Saisonkalender für Obst und Gemüse.

Dennoch fehlt mir persönlich Tiefe und Substanz bei diesem Buch. Die Experten bemühen sich zwar, ihre Themengebiete umfassend darzustellen, kratzen dabei aber leider viel zu oft nur an der Oberfläche oder reden um die eigentliche Frage herum. Innerhalb des Buches entsteht leider auch kein Diskurs zwischen den Experten; jeder widmet sich allein seiner Sache und so stehen die Kapitel unverbunden nebeneinander. Da hätte ich mir Diskussionen, Querverweise und ein wenig mehr Bezug untereinander gewünscht. Was mich jedoch am meisten stört ist die Tatsache, dass die Interviews als "wissenschaftlich fundiert" ausgewiesen werden, man aber keinerlei Quellen- oder Literaturverzeichnisse findet und somit die aufgestellten Behauptungen nicht gegenprüfen oder weiter vertiefen kann. Dies können leider auch die Literatur-Tipps am Ende des Buches nicht wettmachen.

Fazit

Die Idee und der Grundtenor des Buches haben mich angesprochen und fasziniert; die Umsetzung ist meiner Meinung nach jedoch ziemlich mager ausgefallen. Für Menschen, die sich schon mit ökologischen Fragestellungen auseinandergesetzt haben, bietet dieses Buch trotz spannender Fragestellungen kaum einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Ich empfehle es daher als Basis-Einsteiger-Lektüre, aus der man lediglich Impulse für eine weitere, vertiefende Beschäftigung mit den Themengebieten mitnehmen kann.

Bewertung vom 15.02.2017
Tief in den Wald hinein
Williams, Robert

Tief in den Wald hinein


ausgezeichnet

Liest man die kurze Inhaltsangabe des Verlags zu diesem Buch, vermutet man einen Thriller, den eine actionreiche Handlung auszeichnet. Doch genau das Gegenteil ist hier der Fall.

"Tief in den Wald hinein" von Robert Williams ist ein sehr ruhiger, aber tiefgehender Roman. Der Autor schafft es gleich auf den ersten Seiten, den Leser mit seiner ruhigen und klaren Sprache in den Bann zu ziehen. Durch die Unterteilung in kurze Kapitel aus den jeweils verschiedenen Blickwinkeln der Protagonisten und kurze, einprägsame Sätze ist das Buch leicht und flüssig zu lesen und kaum aus der Hand zu legen. Der Roman lebt von den leisen Zwischentönen, die in jeder Zeile mitschwingen und beim Leser ein beruhigendes Gefühl hinterlassen, aber gleichzeitig auch eine Sogwirkung sondergleichen entfalten.

Der Autor setzt nicht auf spektakuläre Begebenheiten und schockierende Wendungen, sondern entfaltet vor dem Hintergrund des Waldes eine vierfache Charakterstudie der einzelnen Protagonisten. Die gleichzeitig beruhigende, aber auch leicht bedrohliche Atmosphäre des Waldes ist hervorragend eingefangen und spiegelt sich in den Gedanken und Emotionen der Protagonisten wider. Der Überfall, welcher in der Inhaltsangabe angedeutet wird, nimmt als Handlung an sich keine große Rolle in der Geschichte ein; vielmehr entwirft der Autor ein spannendes Psychogramm der Protagonisten im Umgang mit und nach diesem einschneidenden Erlebnis. Es geht um Schicksalsfäden, die sich kreuzen, um Angst und Bedrohung, aber auch um Zuflucht, Familie und Sicherheit.

Fazit:
Mich hat dieses Buch tief beeindruckt und schlichtweg überwältigt. Es ist ganz anders als erwartet und entwickelt gerade darin seine Faszination, da ich bisher nicht vergleichbares gelesen habe.
Ich vergebe volle 5 Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die gerne zu einem besonderen Buch, das hervorragend mit Sprache und Atmosphäre, statt mit temporeichem Plot arbeitet, greifen.
Allerdings ist es für Leser, die einen "echten" Krimi oder Thriller erwarten, nicht zu empfehlen.