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FamFreiberger
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Bad Berleburg
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Mein Motto lautet "Carpe Diem"...

Bewertungen

Bewertung vom 22.03.2018
Jahre im September
Ferst, Marko

Jahre im September


ausgezeichnet

Wohltuend-angenehm konstruierte Sprachgebilde

Es gibt nicht mehr viele davon – Lyrikjägerinnen. Was heißt das? Ich bin eine Frau, die seit jeher auf der Suche ist nach neuen Gedichten, neuen Dichtern. Warum? Weil für mich das Gedicht immer noch die höchste literarische Kunstform ist, die es in der weitverzweigten Literaturwelt gibt. Allzu viel „schöne“ Lyrik lässt sich in der gegenwärtigen Literaturlandschaft nicht mehr finden (abgesehen von Ulla Hahn). Die Zeiten eines Eduard Mörike oder Rainer Maria Rilke oder auch Georg Heym sind vorbei! Umso erfreulicher ist es, wenn man wieder einmal einen Band in Händen hält, der sich fast ausschließlich der seit Jahrhunderten gepflegten deutschen Kulturform „Gedicht“ widmet. Konkret: „Jahre im September“ von Marko Ferst. 132 Gedichte aus unterschiedlichen Schaffensperioden legt Ferst vor. Die durch Sprache vermittelten Themen reichen von „Politik“ (Weltpolitik, Tagespolitik) bis Naturlyrik.Geht es um Natur, werden genau gezeichnete, sprachliche Stimmungsbilder vermittelt, wobei Ferst zuweilen auch interessante Wortneuschöpfungen (Neologismus) gelingen, wie beispielsweise „frostverkrustet“ in „Schlosspark Charlottenburg“. Geht es um Politik, rückt die Bildhaftigkeit der lyrischen Sprache in den Hintergrund und muss Platz machen der klaren politischen Botschaft, die Ferst (oder das lyrische Ich?) an den Leser weitergeben will, wie beispielsweise in „Kurswechsel“, wo eine „kurzsichtige Sozialpolitik“ angeprangert wird und „Verrückte am Werk“ sind; abgeschlossen wird dieses Gedicht mit der appellativen Verszeile: „laßt uns eigenen Kurs nehmen!“, wobei ich mich als Leserin an dieser Stelle frage, wen Ferst mit dem Pronomen „uns“ meint (mich auch?) und welcher „Kurs“ ihm vorschwebt. Insgesamt enthält dieser Lyrikband viele wohltuend-angenehm konstruierte Sprachgebilde, die sich erfreulich deutlich unterscheiden von jenen Lawinen modern daherkommender Gedichte („experimentelle Lyrik“), wie man sie neuerdings in vielen Literaturzeitschriften liest und die regelmäßig Auszeichnungen auf Lyrikwettbewerben erhalten (warum eigentlich? Weil sie keiner mehr versteht?) Kurzum: Ich habe zahlreiche dieser Ferst-Gedichte mit Genuss gelesen und ich werde sie irgendwann bestimmt wieder lesen. Und gibt es eine höhere Auszeichnung für einen lyrischen Sprach-Konstrukteur, als von einem Leser zu hören, man werde seine Gedichte zu späterer Zeit wieder lesen? Und wieder und wieder …?

Christina Freiberger - (Bad Berleburg - Aue/ Westfalen)

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