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Top-Rezensenten Übersicht

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Sonja
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 29.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Ruthie, die kleinste Tochter einer indigenen Mi'kmaq-Familie verschwindet - beim Beerenpflücken ist sie plötzlich verschwunden. Trotz intensiver Suche wird sie nicht gefunden, die Polizei hilft nicht. Die Geschichte wird von ihrem Bruder Joe zu einem späteren Zeitpunkt in einzelnen Abschnitten erzählt, er erinnert sich sehr nah.
In einer parallelen Geschichte erzählt Norma von sich, sie wächst in einer bürgerlichen Familie auf, ihr Vater ist sehr distanziert, ihre Mutter panisch um sie besorgt. Glücklich ist ihr Leben nur selten. In Zeitsprüngen wird aus unterschiedlichen Lebensphasen erzählt - und es wird mehr und mehr deutlich, wie sehr die Mi'kmaq-Familie unter dem Verlust leidet - und wie viel in der bürgerlichen Familie falsch läuft. "Beeren pflücken" ist ein sprachlich schönes Buch mit einer packenden Geschichte über die Kraft einer Familie, die trotz der widrigsten Entwicklungen zusammenhält und sich ihre Zuversicht und Liebe bewahrt.

Bewertung vom 15.05.2025
Frau im Mond
Jarawan, Pierre

Frau im Mond


sehr gut

Die "Frau Im Mond" bebeginnt skurril, es scheint, als ob das ganze Buch auf dieser tragisch-komischen Skurrilität aufgebaut ist: DIe Eltern, bringen ihre Zwillinge der Fähre zur Welt, zur gleichen Zeit baut der Opa Maroun mit Backpulver und Essig (im Seniorenwohnheim beim Küchendienst geklaut) eine Rakete. Aus der Sicht von Lilit, einer der Zwillinge, wird sodann die Familiengeschichte aufgeblättert. Beim Opa aufgewachsen, stellt sich die Frage, wo eigentlich ihre Oma Anoush herkam - und ob sie noch Familie hat. Die Suche führt Lilit nach Beirut, zu einem Zeitpunkt, an dem die Stadt und der ganze Libanon im Niedergang sind. Und Schritt für Schritt öffnet sich für Lilit die Familiengeschichte, die eng verbunden ist mit der Geschichte der Stadt, des Landes, der Raketenbaukunst und der Vertreibung der Armenier, die sich hier angesiedelt haben.
Pierre Jarawan beschreibt seine Menschen sehr nah und liebevoll, gerne schließt man sich ihnen in diesem in Teilen historischen Roman an. Besonders ist auch der Blick von Lilit, die immer wieder Perspektivwechsel in ihre Erzählung einnimmt und die Leser sehr freundlich auf ihren Weg mitnimmt!

Bewertung vom 20.03.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Was passiert mit einem Menschen, mit dem das Leben falsch abgebogen ist? Hannes Prager hat eine schräge, aber schöne Kindheit, seine Freundin Polina begleitet ihn und ist seine Muse, schon in jungen Jahren. Mit dem Tod seiner Mutter verändert sich alles: Sein Lebensort ist nicht mehr das Moor, sondern die Großstadt, sein Vater interessiert sich nur für seine möglichen Erfolge als Klavierspieler und nicht für ihn als Mensch. Er bricht mit allem und trägt Klaviere, statt sie zu spielen. Bis ihm irgendwann die Sehnsucht nach Polina so deutlich wird, dass er sich auf die Suche nach ihr macht, allen inneren und äußeren Widerständen zum Trotz.
Eine so feinfühliche Lebens- und Liebesgeschichte habe ich lange nicht mehr gelesen: Den Menschen ganz nahe, mit viel Empathie für die Protagonisten, ohne Kritik an schrägen Lebensentwürfen, sondern mit viel Liebe für die Sonderlichkeiten. Gleichzeitig schafft es Takis Würger, seine Protagonisten bei allen Irrwegen wieder auf die "richtige" Spur zu stupsen - und am Ende ist vielleicht nicht alles ideal, aber zumindest wieder mit Hoffnung gefüllt.

Bewertung vom 22.12.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


gut

"Gefährliche Betrachtungen" hat Thilo Eckhardt das Buch betitelt, in dem er den litauischen Übersetzer Zydrunas Miuleris über ersehnte und reale, unmittelbare und erinnerte Begegnungen mit Thomas Mann erzählen und refelektieren lässt. Als "gefährlich" erscheinen diese Betrachtungen dort, wo die sich ausbreitetende nationalsozialistische Gesinnung - nicht nur - für Thomas Mann bedrohlich wird und Widerspruch, Widerständigkeit provoziert. Doch auch wenn dieser schwerwiegende Konflikt als das zentrale Moment des "Falls Thomas Mann" (Untertitel) eingeführt und in unterschiedlichen Szenen - mitunter sehr eindrücklich - thematisiert wird, scheint es weder darum zu gehen eine zeitgeschichtliche Analyse noch eine politische Botschaft zu vermitteln.
Doch, anders als es der Untertitel behauptet, ist es auch kein "Kriminalroman". Zwar kommt es zu einigen kleineren und größeren Vergehen oder gar Verbrechen. Und Thomas Mann und Miuleris alias Müller versuchen sich als Sherlock Holmes und Doctor Watson. Doch der Leser kann keinem wahrnehmbaren Spannungsbogen folgen.
Vielmehr scheint das Buch dazu einzuladen, sich durch unterschiedlichen Szenen und Beschreibungen Thomas Mann, seiner Familie und seiner Zeit sowie dem Haff in der Kurischen Nehrung anzunähern - und der etwas eigenwilligen Gedanken- und Gefühlswelt des Ich-Erzählers und/oder des Autors.
Dies hat den Charakter von "verwirrenden Betrachtungen". Wenn man sich darauf einlässt, gelingen leicht kleine Fluchten aus dem Alltag.
Wer hin und wieder gerne auf dem Rücken in den Dünen liegt und sich von Wolkenbildern erinnern, anregen und entspannen lässt, dem sei dieses Buch als winterliche Alternative empfohlen.

Bewertung vom 03.12.2024
Das zweite Kind
De Franchi, Marco

Das zweite Kind


sehr gut

Ein Junge, nackt und verängstigt, wird an einer Landstraße gefunden. Er erzählt, dass er entführt worden sei und entkommen konnte - soll man ihm glauben? Doch die Anzeichen sprechen dafür: er wurde betäubt und auch die Scheune, in der er gefangen gehalten wurde, wird gefunden. Und bald verschwindet ein zweiter Junge, der ihm aufs Haar gleicht. Anhand der Ermittlungen tun sich schrittweise monströse Verbrechen auf, deren Fäden immer wieder bei den berühmten Gemälden des berühmten Malers Caravaggio zusammenlaufen.
Die Ermittlungen werden geführt von einem sympathischen Ermittlerteam, die aber weitgehend von ihren Vorgesetzten alleine gelassen werden. Valentina Medici ist gut, aber vergleichsweise unerfahren, Fabio Costa ist lange dabei gewesen, aufgrund vermeintlicher persönlicher Verfehlungen aber auf das Abstellgleis gestellt.
Für einen Krimis sehr überzeugend sind die gerade Sprache, die kurzen, packenden Kapitel und eine durchaus fantasievolle Geschichte mit einigen Plot-Twists. Mir selbst war die Story aber insgesamt zu hart, das ist aber sicherlich Geschmackssache.

Bewertung vom 13.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


sehr gut

Italien, nach dem Krieg. Ein Mädchen stirbt nach Streit mit ihrer Familie, ihre Lehrerin Silvia geht in den Wald und möchte mit dem Leben nichts mehr zu tun haben. Niemand findet sie, außer dem Jungen Martino, der sie versorgt, aber nicht verrät. Anders, als zu Beginn des Buches vermutet, übernimmt Martino die Hauptrolle - hin und her gerissen zwischen der Zusage, nichts zu verraten und der Angst, dass entweder die Lehrerin stirbt oder er eine Strafe für das Nicht-Erzählen bekommt. Die Beziehung zwischen Lehrerin und Jungen steht somit im Mittelpunkt der weiteren Geschichte.
Die Sprache des Buches ist sehr bildlich, kräftig: schon zu Beginn des Buches ist Die beginnende frühe Pubertät des Mädchens ist so eindrücklich und realitätsnah beschrieben, das man mit dem Mädchen mitleidet. Die Beschreibungen der Gefühle der Protagonisten sind eindrücklich, aber nicht immer zugänglich - manche Handlung bleibt rätselhaft oder sogar traumhaft, gerade bei der Lehrerin im Wald. Die Zahl der Akteure ist sehr groß und durchaus verwirrend, ohne das alle Beteiligten eine wirkliche Rolle in der Geschichte haben.
Mit der außergewöhnlichen Geschichte und Sprache ist es ein besonderes Buch, das es den Lesern aber nicht leicht macht. Es gibt viele besondere Bilder und Sätze, aber ein wirklicher Lese-Flow ist bei mir nicht eingetreten.

Bewertung vom 12.09.2024
Das Dickicht / LKA Hamburg Bd.1
Kuhl, Nikolas;Sandrock, Stefan

Das Dickicht / LKA Hamburg Bd.1


sehr gut

Ein spannender, brutaler Einstieg steht am Anfang des Buches: Eine Entführung geht schief, der entführte Junge kann nur noch tot geborgen werden. Der vermeintliche Täter lebt nicht mehr, der Fall scheint gelöst und bleibt doch rätselhaft. Jahre später scheint sich der Fall zu wiederholen, die Kommissare beschäftigen sicht dann doch nochmal mit dem alten Fall. Und alles ist anders, als es in den Akten stand... In dem Buch werden symphatische Kommissare eingeführt, die sich sehr menschennah auf die Suche nach der Wahrheit machen. Das ist teils spannend, hat aber auch seine Längen. Manche Szenen kommen in ihrem "Durcheinander" sogar auch mal an Sjöwall Wahlöö heran, das trägt aber leider nicht über das ganze Buch. Und die tragische Geschichte, die sich aus dem alten Fall entwickelt, wird am Ende fast eher unspektakulär aufgelöst. Insgesamt handelt es sich um einen soliden Krimi mit sympathischen Kommissaren, der gut und flüssig zu lesen ist, aber manchmal auch etwas zu umständlich scheint.

Bewertung vom 01.08.2024
In den Farben des Dunkels
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


sehr gut

Ausgehend von einer eher brutalen Geschichte um einen Mädchen-Entführer beschreibt Chris Whitaker in seinem neuen Roman "in den Farben des Dunkels" sehr zugewandt und fast zart die Irrungen und Entscheidungen im Leben von mehreren Personen: der eigenwillige Patch, der als Kind eine Entführung verhindert und dafür selbst entführt wird und längere Zeit im vollständigen Dunkeln verbringen muss; die reiche Misty, die eigentlich entführt werden sollte und damit eine besondere Beziehung zu ihrem Retter Patch aufbaut; Saint, die beste Freundin von Patch, die ihn bedingungslos unterstützt und auch aus der Entführung befreit - und schließlich auch Grace, die - während Patch im Dunkeln sitzt - ihn besucht und mit ihren detaillierten, farbenfrohen Geschichten aus ihrem Leben unterstützt und seinen Lebenswillen erhält. Nachdem er befreit ist, wird Patch nach Grace suchen, die verschwunden bleibt und deren Existenz von einigen Menschen in seinem Umfeld auch angezweifelt wird. Über die Jahre begleitet diese Suche alle Protagonisten, dabei wird nicht immer alles richtig, aber immer mit sehr viel Herz entschieden... Gerade diese Nähe und Fehlbarkeit der Figuren macht den Roman sehr lesenswert. Dabei ist es kein Buch, dass man immer mit wenigen Seiten vor dem Schlafengehen lesen sollte, dafür ist die Geschichte zu komplex und zu lang. Das Ende ist für meinen Geschmack etwas zu "amerikanisch", aber das schmälert die Lesefreude nicht!

Bewertung vom 26.07.2024
Mushroom Fever
Schmid, Moritz

Mushroom Fever


sehr gut

Pilzbücher sind in meiner Erinnerung immer etwas älter, sehr kompliziert und meist wenig hilfreich. Da vermittelt das Buch "Mushroom Fever" von Moritz Schmid ein gan anderes Bild. Die Fotos sind toll, die Texte lassen sich gut lesen, sind mir aber manchmal ein bißchen zu "hip". Die Einführung ist hilfreich an vielen Stellen und macht Spaß, sich darauf einzulassen. Ich als Neuling hätte mir hier aber auch ein Kapitel mit der "Pilz-Anatomie" gewünscht: Was unterscheidet einen Röhrling von einem Rötling von einem Porling, was hat es mit Röhren und Lamelle auf sich, etc.
In dem Pilzteil sind 20 Arten beschrieben und nicht abermillionen Pilze. Diese gezielte Auswahl ermöglicht es, intensiver auf einzelne Arten einzugehen. Ob ich mich hierduch allerdings ermutigt fühle, selbst auf die Suche zu gehen, bin ich mir nicht abschließend sicher. Gut hätte ich eine etwas ausführlichere Literaturliste gefunden, die zu den einzelnen Büchern - insbesondere den Bestimmungsbüchern auch etwas sagt. Auf diese wird ja letztlich in den Beschreibungen auch immer wieder verwiesen...

Bewertung vom 22.07.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


sehr gut

"Vor einem großen Walde", der Titel des Buches ist ein Zitat aus "Hänsel und Gretel", einem weltbekannten Märchen. Auch das auffällige Cover des Buches hat etwas Märchenhaftes, erinnert jedoch eher an "1000 und eine Nacht" als die Märchenwelt der Brüder Grimm.
Doch in welcher Welt spielt die Geschichte? Handelt es sich um ein Märchen? Das bleibt auf faszinierende, manchmal irritierende Weise unklar.
Klar ist, es handelt sich um eine dramatische Flucht- und Familiengeschichte, deren Schauplätze politisch und kulturell sehr unterschiedlich geprägt sind: London, Georgien und Südossetien.
Die Mutter ist bei der Flucht des Vaters und der zwei Kinder nach London in Georgien zurückgeblieben. Die neue Stadt ist kalt und unwirtlich. Des Vaters Versprechen, dass die Mutter bald nachkommt, werden nach von Mal zu Mal schaler. Mit der Nachricht, dass die Mutter gestorben ist, tauchen neue Fragen auf. Erst der Vater, dann der Bruder und zuletzt Saba, die Hauptfigur, beginnen eine Art Heldenreise in die Geschichte(n) ihrer Familie und ihres Heimatlandes. Vater und Bruder verschwinden, hinterlassen jedoch zahlreiche Spuren; Saba folgt diesen Spuren, mal verzweifelt, mal hoffnungsfroh.
Am Ende hat er unvorstellbare Strapazen und Gefahren überlebt, hat einzigartige Freunde gefunden und wieder verloren sowie - möglicherweise - den Kern des Mensch-Seins gefunden, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Hass und Liebe, zwischen Wahrhheit und Märchen.
Ich empfehle das Buch gerne allen Menschen, die sich immer wieder von der Vielschichkeit des Lebens faszinieren lassen und von Büchern, auf die man sich wirklich einlassen muss.