Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
evelynmartina

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 24.04.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


sehr gut

In dem Roman „Little Monsters“, so der Originaltitel von Adrienne Brodeurs Treibgut, dreht es sich um die Familie Gardner, die in Cape Cod beheimatet ist und ein Familiengeheimnis mit sich trägt.

Da ist zum einen der selbstverliebte Vater Adam, Wissenschaftler und Walforscher, der unter einer bipolaren Störung leidet und kurz vor seinem 70. Geburtstag steht, zum anderen die beiden Kinder Ken und Abby, die früh ihre Mutter verloren und unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen haben - Ken als Familienvater mit Machtstreben, beruflich wie politisch, Abby als alleinstehende Lehrerin, die sich der Kunst verschrieben hat. Schließlich scheint noch eine verheiratete lesbische Polizistin mit Kind eine wichtige Rolle im Leben der Gardners zu spielen.

Die Geschichte hat mich von Anfang an mitgenommen. Die Kapitel werden nach und nach den einzelnen Personen gewidmet, die allesamt interessant und eigen, wenn auch zum Teil klischeehaft auftreten und spezifisch gezeichnet werden. Dabei kommen das Ambiente, die besondere Natur der Gegend und das tatsächlich geschichtlich stattgefundene Ereignis, die US-Wahl 2016, nicht zu kurz. Adrienne Brodeur’s Erzähl- und Schreibstil zeigt sich flüssig und gängig, auch entwickelt sich langsam ein gewisser Spannungsbogen, obwohl der Leser schon recht früh erkennt, wo in dieser Familie der Wurm begraben liegt. Ich fieberte dem finalen Knall entgegen, den ich am Ende erwartete, der dann aber leider ein wenig verpuffte. Ging der Autorin die Luft aus?

Nichtsdestotrotz, ein aus meiner Sicht unterhaltsamer Familienroman mit signifikanten Charakteren, der nicht an der Oberfläche bleibt und sich dennoch schnell und unkompliziert liest.

Bewertung vom 03.02.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


gut

Eine etwas bizarre Sicht auf die Dinge

Der 79-jährige Heinz Labensky, der die DDR eigentlich nie verlassen hat, fristet sein Dasein in einem Seniorenheim in Erfurt. Als er schließlich eines Tages einen Brief von der Tochter seiner Jugendliebe bekommt mit der Nachricht, dass seine heißgeliebte Rita eventuell tot aufgefunden wurde, macht er sich auf den Weg zur Ostsee, um der Sache auf den Grund zu gehen. Auf der Busfahrt dorthin trifft er auf unterschiedliche Menschen, denen er bewegte Episoden aus seinem früheren Leben erzählt.

Am Anfang haben es Anja und Michael Tsokos tatsächlich geschafft, mich mitzunehmen auf einen Trip in die deutsch-deutsche Vergangenheit mit einer sympathischen, wenn auch ein wenig naiven Hauptfigur, und das in einem flotten Schreibstil mit Humor und Wortwitz. Doch leider hat sich der Reiz in den für meinen Geschmack ein wenig langatmigen und zu weit hergeholten Geschichten des alten Kauzes, in denen Realität und Fantasie zusammentreffen, zunehmend verloren. Ich habe zwar einiges über Menschen, Sitten und Bräuche der DDR dazugelernt, vieles über wirklich stattgefundene Ereignisse und reale Personen der damaligen Zeit wiedergefunden, aber so richtig fesseln konnte mich das Geschehen im Gesamten nicht. Obwohl das Ende bis zu einem gewissen Grade versöhnlich stimmt, bis dahin ist es eine lange Reise, genauso lang wie die des Heinz Labensky.

Bewertung vom 02.07.2023
Schönwald
Oehmke, Philipp

Schönwald


sehr gut

Umfassende Familienaufstellung in Romanform und heutiger Zeit

Familie Schönwald, bestehend aus inzwischen betagten Eltern sowie drei erwachsenen Kindern, treffen in Berlin zusammen, da die Tochter eine queere Buchhandlung eröffnen will. Doch soweit kommt es nicht, denn junge Leute aus der digitalen Welt machen dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Angeblich soll nämlich der finanzielle Hintergrund in der Nazi-Vergangenheit des Großvaters liegen. Aber nicht nur der Opa, sondern auch jedes einzelne Familienmitglied scheint ein Geheimnis mit sich zu tragen, das nach und nach zu Tage tritt.

Nach einem temporeichen Beginn flacht die eigentliche Familiengeschichte nach meinem Empfinden etwas ab, blitzt jedoch immer wieder auf und führt schließlich zu einem erwartbaren Ende. Bis dahin wird der Leser gefordert - lange, verschachtelte Sätze; permanente Zeit- und Ortssprünge; brisante, topaktuelle Themen der Gesellschaft und Politik und zwischendrin eigenwillige, problembehaftete Haupt- und Nebenfiguren, die sorgfältig porträtiert werden und langsam Gestalt annehmen. Man muss am Ball bleiben, um den Faden nicht zu verlieren, den Philipp Oehmke übrigens zu keinem Zeitpunkt verliert, auch wenn er des Öfteren vom Kern abschweift und sich im Fabulieren übt. Dass der Autor Redakteur ist und war, ist der Art und Weise seines Erzählens und seiner Wortwahl deutlich anzumerken, finde ich - up-to-date und auf der Höhe der Zeit, außerdem mit einem Schuss Humor und Sarkasmus versehen. Noch dazu hat er offensichtlich ein paar Eckpunkte aus seinem bisherigen Leben mit ins Geschehen einfließen lassen.

Gelesen habe ich die Geschichte der Schönwalds ganz gerne, mich in dem einen oder anderen ein Stück weit wiedergefunden und im Gesamten gut unterhalten gefühlt. Manche Längen hat es für mich während des Schmökerns dennoch gegeben und zum Schluss den Gedanken: „Too much“, um beim Sprachstil des Romans zu bleiben. Ein bisschen weniger von allem wäre vielleicht mehr gewesen.

Bewertung vom 05.10.2022
Gespräche auf dem Meeresgrund
Leeb, Root

Gespräche auf dem Meeresgrund


weniger gut

Potenzial verschenkt

Der Eine, der Andere und die Dritte, die im Laufe des Geschichte namentlich benannt werden, befinden sich in den Tiefen des Mittelmeeres in einer Art Zwischenwelt. Sie sind nicht wirklich tot, ihre Körper verwesen jedoch bereits, während ihr Geist noch lebendig scheint. Denn das Trio, das Gedanken lesen und sich erinnern kann, führt zum Teil gewollt philosophische Gespräche über das Hier und Jetzt und die Vergangenheit. Nach und nach erfährt der Leser, wie es um das Leben der Ertrunkenen bestellt war und wie es zu ihrem Untergang gekommen ist.

Mit Neugier und Spannung habe ich das Buch zur Hand genommen, schließlich könnten „Gespräche auf dem Meeresgrund“ ja ganz interessant werden, dachte ich. Aber leider verliert sich Root Leeb, die gängig und flüssig schreibt, in den ihr offensichtlich wichtigen Themen wie Gesellschaftspolitik, Klimaschutz und Feminismus, kratzt diese lediglich an und lässt den Tief- und Wellengang vermissen. Die Handlung plätschert dahin, die Figuren bleiben so schemenhaft wie ihr dargestelltes Äußeres und berühren nicht, mich jedenfalls nicht. Als dann noch Poseidon und Meeresnymphen auftauchen, war mir das Ganze doch des Guten zu viel, und ich war froh, dass das Kammerspiel nur rund 150 Seiten umfasst.

Schade, Cover und Gestaltung des Buches mit Lesebändchen und passenden nautischen Bildern sprechen durchaus an, der Inhalt hingegen konnte mich nicht wirklich fesseln und vollkommen überzeugen.

Bewertung vom 30.07.2022
Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1
Hennig von Lange, Alexa

Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Vergangenheitsbewältigung und ein Stück Zeitgeschichte

Was macht ein betagter Mensch, der immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt und nicht in Ruhe gelassen wird? Er verschafft sich Luft, indem er Erlebtes in Worte fasst, diese auf Tonbandkassetten festhält und damit gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte an die Nachwelt weitergibt.
So jedenfalls macht es die über 90-jährige Klara, die während des Nationalsozialismus Leiterin eines Kinderheims in Oranienbaum wird und mit gesellschaftlichen sowie politischen Entwicklungen, absonderlichem Gedankengut und deren unmittelbaren Folgen hautnah in Berührung kommt, zumal sie die Betreuung eines jüdischen Mädchens übernommen hat.

„Die karierten Mädchen“ von Alexa Hennig von Lange erzählt Klara’s Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht und sich absolut authentisch darstellt. Der Leser lernt eine starke Frau kennen, nimmt an ihrem Leben und Schicksal teil, fiebert mit und wird noch dazu in ein leider schreckliches Kapitel deutscher Vergangenheit zurückversetzt. Die Autorin hat es mit ihrem einfachen, dennoch bildhaften und eindrücklichen Schreib- und Erzählstil sowie einer überaus sympathischen Hauptfigur geschafft, mich ein- und gefangenzunehmen. Ich bin eingetaucht, habe mitgelitten und mich an keiner Stelle gelangweilt gefühlt.

Der erste Teil der Trilogie wirkt bei mir noch immer nach und lässt auf die Fortsetzungen hoffen. Ihn zu lesen, lohnt sich in meinen Augen wirklich.
Hut ab für ein gelungenes Buch gegen das Vergessen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


sehr gut

Drei Frauen und Nigeria

In „Freundin bleibst du für immer“ von Tomi Obaru lernt der Leser Funmi, Enitan und Zainab kennen, drei Freundinnen aus Nigeria. Ihre Freundschaft beginnt während der Studienzeit. Danach geht jede ihren Weg, der Kontakt bricht allerdings nie wirklich ab, bis es schließlich am Hochzeitstag von Funmis Tochter ein Wiedersehen gibt. Doch was hat sich während der langen Trennungszeit ereignet, was haben die Drei erlebt und stellt sich ihre Freundschaft heute noch genauso dar, wie sie früher einmal war?

Tomi Obaru zeichnet in ihrem Roman drei eindringliche Portraits von Frauen, die authentisch und sympathisch erscheinen und in ihrer Art nicht unterschiedlicher sein könnten. Ihre Geschichte springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, ohne zu verwirren. Nach und nach kommen immer mehr Details der Drei über ihr Leben und Wirken, ihre Ehemänner und Kinder, ihre Schicksale und Freuden zu Tage, sodass schlussendlich ein rundes Bild entsteht. Nebenbei erfährt der Leser einiges über nigerianische Sitten und Gebräuche, soziale Gegebenheiten und politische Ereignisse im Land.

Auch wenn ich mir an manchen Stellen etwas mehr Tiefgang und weniger afrikanische Worte in puncto Speisen und Kleidung gewünscht hätte, habe ich das Buch gerne gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. Der Schreibstil ist gefügig und einprägsam. Die Erzählung bietet meines Erachtens einen gewissen Spannungsbogen, wird nicht behäbig und blass und zeigt noch dazu interessante Einblicke in die nigerianische Gesellschaft und Kultur.

Kurzum, ein in meinen Augen lesenswerter, kurzweiliger Debütroman mit überaus ansprechendem Cover, der sich eindeutig an die Frauenwelt richtet und von dieser getrost zur Hand genommen werden kann.