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Bewertung vom 29.03.2023
Überforderung
Stangneth, Bettina

Überforderung


gut

Stangneth ist Philosophin und schreibt ein Buch zu den Deutschen heute. Die Einleitung stellt eine Menge in Aussicht und beantwortet vorsorglich die Frage danach, wie die verwendeten Begriffe abzugrenzen wären von ihren populären Bedeutungen. Stangneth verzichtet auf solcherart Abgrenzung und denkt, wer Bücher über ihre Begriffe beurteilt, lässt dabei wissentlich die mit den Begriffen verbundenen Aussagen links liegen. Ich denke, es macht einen Unterschied, ob man als Deutscher das Buch liest oder als Bürger einer der vier Siegermächte oder als jemand von sonst woher, denn die Aussage des Buches ist, dass die Deutschen auf die von den Siegermächten an sie gerichteten Forderungen, genau hinzuschauen, welche Verbrechen sie sich zuzuschreiben hatten, auf eine für sie selbst und den Rest der Menschheit unheilvolle Art reagiert haben, indem sie sich tot stellten, blind, taub, und das kaschierten, indem sie auf der Ebene von blossen Konversationen es schafften, sich nichts anmerken zu lassen von Blindheit, Taubheit. Auf der letzten Seite steht ein Satz, der für mich ausdrücken möchte, dass das Buch weniger als Angriff und mehr als Ermunterung gemeint sei. Mich hat das Buch beeindruckt in seiner wortreichen Wortfindung für die nach dem Krieg in Deutschland eingeübte Blind- und Taubheit. Ich finde es sympathisch und klug, wenn Stangneth die Deutschen weder tadelt noch belehrt sondern sich und die Deutschen beschreibt und Überforderung feststellt. Stangneth scheint mir mit ihrem schwierigen Projekt nicht überfordert gewesen zu sein, und die LeserInnen werden durch das von ihr selbst Büchlein genannte Buch auch nicht überfordert. Klasse!