Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
MB
Wohnort: 
Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 426 Bewertungen
Bewertung vom 12.06.2025
Die Summe unserer Teile
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


gut

Da wäre mehr drin gewesen. Ein Drei-Generationen-Panorama, welches mich nicht erreichen konnte. Aber es ist eines auffällig: Drei-Generationen-Geschichten erscheinen gegenwärtig gehäuft auf dem Buchmarkt. Und die meisten davon folgen einer Grundidee, die auch in Paola Lopez' Erstling "Die Summe unserer Teile" handlungsleitend zu sein scheint, nämlich dass es nur über das Verstehen der Vergangenheit eine Idee für die Zukunft gibt. Ist diese Thematik aus diesem Grund so populär, weil wir nach Gewissheiten für unsere Zukunft suchen? Da ist Lucy, Informatikerin in Berlin, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hat, Medizinerin in München und verheiratet mit dem Psychiater Robert. "Lucys Leben glich schon immer einem leicht verstimmten Klavier, verschoben um weniger als einen Halbton." Und ein Klavier bringt die Handlung schließlich auch in Gang. Als Lucy eines Tages nach Hause kommt in ihre kleine Berliner Wohnung, steht dort der Flügel ihrer Kindheit; offenbar in die Wege geleitet durch ihre Mutter; mit dem Flügel taucht auch der der polnische Geburtsname ihrer Großmutter auf, einer seinerzeit im Libabon tätigen Chemikerin, was Lucy zu einer Spurensuche ermutigt und sie nach Polen führt. Was hat die Frauen der drei Generationen geprägt und zu einem eher kühl-distanzierten Verhältnis geführt? Und ist für Lucy zumindest zu ihrer Mutter ein Wiederaufleben des Mutter-Tochter-Verhältnisses möglich? Die Autorin bemüht sich, bei ihren Figuren etwas in Bewegung zu setzen, was ihr aber nur mäßig gelingt. So plätschert die Geschichte auf ihren 250 Seiten ein wenig vor sich hin. Da wäre mehr drin gewesen...

Bewertung vom 09.06.2025
Von Stufe zu Stufe
Kucher, Felix

Von Stufe zu Stufe


gut

Nette Idee. Auch nett in der Umsetzung. Liest sich äußerst leichtgängig. Auch ein wenig Spannung. Auch ein wenig 'Aufklärung' - wer weiß schon etwas über die Anfänge des österreichischen Films... Auch ein wenig Kritik an der gegenwärtigen Arbeitswelt mit ihren unsicheren Arbeitsverhältnissen. Auch ein kritischer Bezug zur akademischen Handhabung von Kulturgütern. Auch eine weibliche Emanzipationsgeschichte. Auch die Geschichte eines mäßigen Scheiterns. Auch eine Geschichte über eine männliche Gedankenwelt, die schon lange nicht mehr spruchreif ist. Und auch eine Bezugnahme zu der eigentlich schon sehr lange andauernden Kriegssituation in der Ukraine. Und das alles untergebracht in nicht einmal 300 Seiten. Das ist entweder ganz große schriftstellerische Kunst oder droht am Anspruch zu scheitern. Mein Fazit: Recht unterhaltsam aber ohne die mögliche Tiefe gelöst. Zwei Handlungsstränge - Louise Kolm dreht einen ersten bedeutsamen Film (vergangene Ebene); der arbeitslos gewordene Marc erhält durch einen glücklichen Zufall die Gelegenheit genau diese Filmrolle in der Ukraine aufzufinden und seine akademische Karriere wieder neu befruchten zu können (Gegenwartsebene); und beide Handlungsstränge sind 'nur' durch die Filmrolle verbunden. Der erste Handlungsstrang fast ein nüchterner Bericht, der zweite ein wenig wie ein Roadmovie.

Bewertung vom 03.06.2025
Die Kammer
Dean, Will

Die Kammer


gut

Gefühlte Luftnot beim Lesen. Engegefühle im Brustbereich. Ein klares Anzeichen von Angst. So geht es nicht nur den verbliebenen Sättigungstauchern, die den Auftrag haben eine Tiefseeleitung zu flicken. Sondern auch mir als Leser. Dem Autor Will Dean gelingt es in seinem Thriller "Die Kammer" recht gut, ein klaustrophobisch anmutendes Szenario aufzubauen. Zudem erfährt man eine Menge Details über die Herausforderungen derartiger Tauchgänge - Technikbegriffe sind im Glossar erläutert - was dem Lesefluss und Spannungsbogen nicht immer zuträglich ist. Nach ca. einem Drittel des Buches ereignet sich innerhalb der Besatzung (fünf Männer, eine Frau) ein Todesfall; ein zweiter, dritter und vierter folgen rasch; es gibt Verdächtigungen, aber unklar bleibt bis zum überraschenden Ende, ob die tödliche Gefahr von 'innen' oder von 'außen' kommt. Die Protagonist:innen müssen bis zum Auftauchen noch viele Stunden miteinander auf engstem Raum verbringen; Geschichtenerzählen lenkt ab - Geschichten über andere Taucher, die herausfordernden Situationen ausgeliefert waren. Die Erzählperspektive ist die von Ellen Brooke, des weiblichen Crue-Mitglieds; sie ist auch die einzige, über die wir etwas mehr erfahren; die meisten anderen Charaktere bleiben eher blass. Fazit: Die beklemmende Atmosphäre ist spürbar, zuviele technische Details, zuviele für die Handlung vollkommen unbedeutende Nebengeschichten, unzureichend ausgelotete Figuren.

Bewertung vom 02.06.2025
Himmlischer Frieden
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


ausgezeichnet

Erzählte Lebensgeschichte. Allerdings nicht so ganz. Wohl eher autofiktional. Dreißig Jahre nach der blutigen Niederschlagung der studentischen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens entschließt sich die in Kanada lebende Chinesin Lai Wen, von den Ereignissen, bei denen sie als Studentin selbst Zeugin war, zu berichten; dies mit den Freiheiten einer Autorin und ihres durch Elena Ferrante inspirierten Erstlings. Die schrecklichen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind aber lediglich der Schlusspunkt einer beeindruckenden Lebenserzählung. Lai Wen widmet ihrer rebellischen Großmutter eine große Aufmerksamkeit, beschreibt empathisch ihren durch seine schlechten Erfahrungen mit dem Regime 'still gewordenen' Vater, gibt ihrer Mutter die Rolle derjenigen, die mit einer gewissen Strenge und Forderung nach Anpassung die Familie zu schützen beabsichtigt. Lai Wen beschreibt ihre Erfahrungen als Heranwachsende, zunächst einmal wenig selbstbewusste Person; wir begleiten sie durch ihre Schulzeit hindurch und wie sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe macht, wie sie schließlich als Studentin auf eine Gruppe von Menschen stößt, die ihren ganz eigenen Weg gehen, der eben nicht der Weg der Anpassung ist, wie sie in Anne eine bewunderte Freundin trifft, die sich am Tag X den Panzern des totalitären Statswesens entgegenstellt. Lai Wen macht mit ihrem Buch Geschichte erlebbar - gegen das Vergessen. Ein wichtiges und anrührendes Buch.

Bewertung vom 02.06.2025
Das Ministerium der Zeit
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


weniger gut

Schade. Sehr schade sogar! Bieten doch Zeitreise-Romane die wunderbare Möglichkeit einer kritischen Gegenwartsschau. Dabei hatte in Kaliane Bradley's "Das Ministerium der Zeit" alles recht gut begonnen - nämlich genau mit der erwähnten kritischen Gegenwartsschau. Die junge Protagonistin erhält einen neuen Job in einem 'geheimnisvollen Ministerium' mit nicht ganz so klaren Zielsetzungen; es ist mit Hilfe einer 'Zeitreisemaschine' gelungen, Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen; und der neue Job besteht darin, diese Menschen bei der Integration in die für sie vollkommen neuen Lebensumstände zu begleiten. Die Intergrationsbeauftragten werden treffenderweise 'Brücken' genannt. Das ist anfangs auch alles recht amüsant, weil es ja gerade die Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind (z.B. Musik streamen zu können), welche die Neuankömmlinge in besonders großes Erstaunen versetzen. Die Protagonistin verliebt sich dann schließlich in ihren Klienten, den eigentlich 1847 verstorbenen Polarforscher Commander Graham Gore, Beteiligter der verschollenen Polarexpedition von Sir John Franklin. Es kommt zu Todesfällen und am Ende auch zu der Erkenntnis, dass die Gegenwart auch Teil eines Zeitreiseexperimentes der Zukunft ist... Fazit: Zuviel 'Liebes-Gedöns', zu wenig Philosphie! Und auch nur mäßige Spannung.

Bewertung vom 24.05.2025
Der Kaiser der Freude
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Bewegende Story...- obwohl, so wahnsinnig storyartig ist Ocean Vuongs zweites Buch mit dem seltsamen Titel "Der Kaiser der Freude" gar nicht; vielmehr ist es ein sehr gelungener Versuch, das unterprivilegierte Amerika mit seinen 'Verlierern' abzubilden. Besonders hervorheben möchte ich die Sprache des Autors, eine Art extrem poetischer Unterschichts-Slang. Hai stammt aus Vietnam und lebt mit seiner Mutter in einem nichtssagenden, kleinen Ort in New England; des Lebens überdrüssig. Doch bevor er sich von der Brücke in einen Fluss stürzt, entdeckt ihn Grazina, eine alte Frau aus Litauen mit beginnender Demenz. Die beiden freunden sich an, Hai wohnt bei Grazina... und so bilden die beiden eine kleine Überlebensgemeinschaft; Hai beginnt, vermittelt durch den Kontakt seines Cousins Sony, in einem Diner zu arbeiten, derweil seine Mutter glaubt, er würde Medizin studieren. Im Diner findet Hai eine zweite 'Überlebensgemeinschaft' aus Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was besonders beeindruckt - der unbedingte Überlebenswille aller Protagonisten, für die jeder Tag aufs Neue eine Herausforderung darstellt. Die Bezeichnung 'Sozialdrama' für Ocean Vuongs Roman wäre absolut unzureichend - dafür steckt zu viel Poesie zwischen den Buchdeckeln!

Bewertung vom 13.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Eine bewegende Geschichte. Eine Story, in der man versinken kann. Eine Geschichte, die anrührt. Der Wunsch nach familiärem Zusammenhalt, Liebe, die die Jahrzehnte überdauern kann, herzerwärmend; aber auch die harte Wirklichkeit des Rassismus und des tragischen Lebensverlaufes finden sich wieder. Deshalb lohnt es sich, "Beeren pflücken" von Amanda Peters in die Hand zu nehmen, beziehungsweise sich das sehr gut zweistimmig eingelesene Hörbuch zu Gemüte zu führen. Die Handlung nimmt ihren Anfang bei einer Familie Indigener, die den Sommer über ihr Geld mit Beerenpflücken verdienen. Die vierjährige Ruthie verschwindet; die Familie ist in Aufruhr und insbesondere ihr größerer Bruder Joe macht sich Vorwürfe. Wenig später stirbt auch noch Bruder Charlie bei einer blutigen Streiterei. Die gebeutelte Familie fristet ihr Dasein in der festen Überzeugung, dass Ruthie noch lebt. Ruthie hatte sich von der Feldarbeit entfernt und war von einer Frau mit unerfülltem Kinderwunsch aufgegriffen worden, die sie fortan als ihre eigene Tochter Norma großzieht. Das ist die Grundanlage der Geschichte. Im Weiteren wechselt die Autorin zwischen beiden Familien regelmäßig die Erzählperspektive - die eine Familie mit den großen Verlusten, die andere mit der großen Lebenslüge und dem düsteren Geheimnis. Die Autorin stellt an keiner Stelle die Schuldfrage, beschreibt aber in höchst bewegender Weise, wie es den Familien ergeht, bis dann schließlich...

Bewertung vom 11.05.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Spannung mit Anspruch. Beide Aspekte zu bedienen und in knapp 600 Seiten zu packen, dabei Leserin und Leser an keiner Stelle zu langweilen... das ist schon anerkennenswerte Schreibkunst. Und genau das ist der US-amerikanischen Autorin Liz Moore mit ihrem neuen Roman "Der Gott des Waldes" recht gut gelungen. Sie spannt einen zeitlichen Bogen von den 50-er Jahren bis in das Jahr 1975. In einem Feriencamp in einer Waldregion verschwindet die 13-Jährige Barbara. Barbara ist anders als die gleichalten Mädchen, kleidet sich auffällig, hört Punk-Musik und steht im Konflikt mit ihrem Elternhaus, den reichen van Laars. In ebendieser Region verschwand auch Barbaras Bruder Bear vor 14 Jahren. Gibt es einen Zusammenhang? Die Spannung von Liz Moores Roman speist sich aus der Suche nach Barbara, in den Rückblenden aus der Geschichte des Verschwindens ihres Bruders und in wechselnden Vermutungen und Verdächtigungen; zumal es im Wald eine mysteriöse, herumirrende Frau zu geben scheint und ein entflohener Straftäter in der Region vermutet wird. Die Spannung ist aber nur das eine; der Autorin gelingt es ausgesprochen gut, verschiedene Ereignisse, die Geschichten der Familien, die Beziehungsdynamiken der Jugendlichen im Camp und die Polizeiarbeit nicht nur miteinander zu verknüpfen, sondern auch den gesellschaftlichen Hintergrund eindrücklich zu portraitieren. Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.05.2025
Stars
Kullmann, Katja

Stars


sehr gut

Vier Sterne. Die hat Katja Kullmann mit ihrem neuen Roman "Stars" wahrlich verdient, geht es doch tatsächlich Sterne, beziehungsweise, wie die Sterne den Lauf der Dinge beeinflussen können, was daran vielleicht einfach nur Glaubenssache ist und wie das alles vielleicht das Leben verändern kann. Carla Mittmann hat ihr Philosophiestudium nicht abgeschlossen und arbeitet in der Serviceabteilung einer Möbelabteilung (ein großer Genuss übrigens, wie die Autorion 'das Arbeitsleben' beschreibt). 'Nebenberuflich' betreibt Carla unter dem Pseudonym 'Cosmic Charlie' ein bescheidenes Astro-Business. Würde man Carla befragen, worin ihr Talent bestünde, würde sie sagen: "In der softphilosophisch-alltagssoziologisch-behelfspsychologisch-astrologischen Zeitgenossenberatung". Der Zufall lässt ihr durch einen Steinwurf eine beachtliche Summe Dollars durch die zersprungene Fensterscheibe segeln. Dieses Ereignis bildet den Anstoß, sich in ihrem Astro-Business weiter zu professionalisieren, was ihr auch fantastisch gelingt und ihr gut zahlende und bedeutsame Kunden zuspielt. Fast glaubt Clara schon selbst daran, dass es die Sterne sind, die ihr Leben in seiner zweiten Hälfte derart erfolgreich machen - dies sieht sie auch durch das eigene Horoskop bestätigt... bis dann am Ende doch die große Überraschung wartet. Nett und amüsant geschrieben. Empfehlung!

Bewertung vom 30.04.2025
Haus Waldesruh
Krems, David

Haus Waldesruh


weniger gut

Ein Kammerspiel. Kann funktionieren. Ein Handlungsort, eine begrenzte Personenzahl für die Handlung, unterschiedlichste Charaktere mit ihren individuellen Lebensgeschichten, jeder Träger eines Geheimnisses, spannende Dialoge, Konflikteskalation, Zuspitzung bis zur Katastrophe... Genau das hätte es sein können, ist es in David Krems neuem Roman "Haus Waldesruh" aber leider nicht geworden. Vielleicht hätte die visuelle Umsetzung besser funktioniert, wenn man die Rollen gut besetzt hätte. Im Roman bleiben die Figuren blass, die Handlung bleibt an der Oberfläche und auch die Zuspitzung verpasst ihre Wirkung. Dabei ist die Idee eine gute: vier alte Schulfreund:innen treffen sich nach 15 Jahren wieder und wollen sich in einem abgelegenen Jagdhaus ihr Leben erzählen. Nur Max fehlt, der damalige Freund von Anna - Max hat sich vor 15 Jahren das Leben genommen. Marco hatte eingeladen und zusammen mit Lea hat er aber einen etwas anderen Plan für das gemeinsame Wochenende in der Hinterhand... nämlich Rache zu nehmen an einem damaligen Lehrer, den er für Max' Selbstmord verantwortlich macht. Es kommt noch zu anderen Enthüllungen. Insgesamt wirkt die recht kurze Geschichte aber ein wenig unausgereift, fast wie ein erster Entwurf - und wird daher wohl schnell in Vergessenheit geraten.