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Büren OS Wewelsburg

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Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 02.08.2020
Füchse
Brand, Adele

Füchse


ausgezeichnet

Ein interessanter Spagat zwischen Sachbuch, Dokumentation und Unterhaltung. Adele Brand ist britische Ökologin und hat schon als Kind über Füchse geschrieben, die Passion ihres Lebens. Sie hat Füchse auf vier Kontinenten studiert, Forschungsprojekte in fünf verschiedenen Ländern geleitet, verwaiste Fuchswelpen aufgezogen und verletzte Füchse gepflegt. Sie ist wohl für die Füchse das, was Jane Goodall für Schimpansen ist. Zum ersten Mal auf sie aufmerksam wurde ich in Facebook, wo sie mehr oder minder regelmäßig Bilder und Geschichten postet. Mit meiner neu entdeckten Beziehung zu Hunden, damit auch zu den Hundeartigen, verfolge ich ihre Posts schon länger. Zu meinem Geburtstag kam dann nicht nur ein kleiner holziger Fuchs aus dem Erzgebirge, sondern dazu ihr Buch zu mir. Adele Brand bestätigt darin genau meinen Eindruck: dass Füchse die perfekte Mischung aus Hund und Katze sind. Mit der Ausdauer und Belastbarkeit der Hunde und der Eleganz und Intelligenz der Katzen. Ein poetisches, zugleich wissenschaftlich geprägtes Buch über eine bemerkenswerte Tierart.

Der Titel macht klar, was das zentrale Thema ist: alles über Füchse. Ihre Herkunft, ihre Entwicklung, ihre Biologie, ihr Verhalten. Wer sind ihre Feinde, wovon ernähren sie sich, was macht sie so besonders. Das hätte man nun auch zu großen Teilen in Biologiebüchern nachlesen können. Adele Brand geht aber im Ansatz etwas anders an die Sache heran, nämlich von der Frage ausgehend, warum Städte wie London oder auch ihr Dorf in Surrey im Süden Englands von Füchsen bevölkert werden. Ihr Blick auf Füchse, aber am Rande auch auf Wölfe oder Kojoten, ist die einer Ökologin. Was bedingt das Verhalten der Füchse im Wechselspiel mit Menschen und wie beeinflussen sich diese beiden Arten gegenseitig? Damit geht es nicht nur um die Füchse an sich, sondern im erweiterten Blick überhaupt auf das Verhältnis von Menschen und Tieren. So zeigt sich, wie wir Menschen die Umwelt aller Lebewesen verändern und prägen, selten zum Vorteil der Tiere, die mit raumgreifenden Besiedlungen, kahl geschlagener Natur und Monokulturen irgendwie zurecht kommen müssen. An dieser Stelle macht das Buch sehr nachdenklich.

Obwohl das Buch in der Tendenz eher unterhaltsam geschrieben ist und mit einer Menge lustiger Fuchsgeschichten aufwartet, ist der Nachgeschmack etwas unangenehm. Wie entwickelte sich überhaupt über die Zeit unser Verhältnis zur Natur? Nehmen wir Natur und Wildnis noch als das wahr, was sie mal für viele Generationen vor uns waren? Da ist der ökologische Blick bei der Autorin doch streng, aber auch wahr. Weichgespült von Disney-Filmen, aufgehetzt von Boulevardmedien und fixiert auf Konsum haben wir den Kontakt zur Natur schon lange verloren. Die unglaubliche Komplexität der Natur, ihre beeindruckende Vielfältigkeit und ihre Bedeutung für alles Leben auf diesem Planeten wird auf eine Art vergnügliches Puppenhaus reduziert. Der Mensch hat seine Verbindung zur Natur, wie zu den Füchsen, lange verloren. Es geht also um bei Adele Brand mehr als nur um Füchse. Es geht um den rabiaten und gedankenlosen Umgang des modernen Menschen mit der Natur. So gesehen auch ein Buch, das ein wenig daran erinnern soll, dass der Mensch die Natur nicht als ein Warenhaus betrachten sollte, in dem er sich einfach zusammensucht, was ihm passt. Ein Buch über Füchse, aber erst recht über das Verhältnis zwischen Menschen und Füchsen als Sinnbilder einer wilden Natur. Lesenswert.

Bewertung vom 28.07.2020
Fatum
Harper, Kyle

Fatum


ausgezeichnet

Sind das Zufälle, dass in der letzten Zeit neue und gefährliche Viren und Erreger auftauchen, quasi als menschliches Schicksal? Nein, sagt Kyle Harper, Dekan der Universität Oklahoma und Fachmann für die römische Geschichte. Der Untergang des mächtigen römischen Reiches war lange Zeit nicht erklärbar, nun zeigen aktuelle Forschungen die tatsächlichen Gründe. Die Fortschritte in der Mikrobiologie, neue Methoden der Genomanalyse und immer weiter in Details gehende Forschungen an Pflanzen und Eisbohrkernen beweisen, dass das römische Reich an mehreren Faktoren scheiterte. Es war die Kombination vieler Einflüsse, klimatische Veränderungen, jedoch genau so ökonomische und ökologische. Der Einfall der Antoninischen und später der Justinianischen Pest, und die Klimaveränderungen im Mittelmeerraum, all das war nicht nur naturgegeben, sondern die Menschen dieser Zeit hatten erheblichen Einfluss darauf, was damals geschah. Was jedoch an diesem Szenario erschreckt, sind die Parallelen zu unserer heutigen Zeit. Und die noch immer vorherrschende Meinung, die Menschheit hätte alles im Griff, man brauche nur die richtige Technologie und die Märkte würden schon alles regeln und gut machen.

Kyle Harper ist kein Virologe oder Epidemiologe, sondern Historiker. Sein Spezialgebiet ist das römische Reich, eine der größten und langlebigsten Mächte der Geschichte. Seinem Fachgebiet entsprechend liegt sein Blick auf der geschichtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Aber eben nicht nur. Harper spiegelt die Geschichte Roms an anderen Parametern wie Klima und globalen Veränderungen. Den fast zentralen Teil der Geschichte nimmt die Zeit ab 200 n. Chr. ein, besonders die drei großen Pandemien, die das römische Reich am Ende in die Knie zwangen. Die Römer waren die Hochtechnologen dieser Epoche, dementsprechend gewannen in dieser Zeit Themen an Bedeutung, die wir eher der Neuzeit zuordnen würden. Umfangreiche Rodungen für eine sich ausweitende Landwirtschaft, rücksichtslose Ausbeutung der Provinzen, Aufbau von Handelsbeziehungen bis nach China, eine florierende und mächtige Wirtschaft zu Land und zu See, die Römer herrschten von der Grenze zu Schottland bis tief ins Rote Meer hinein. Dementsprechend hielt sich das Römische Reich für allmächtig und unbesiegbar. In zwei Punkten irrten sie leider: Im sich verändernden Klima, und bei neuen Krankheiten wie Pocken und Pest.

Mit Reitervölkern wie den Hunnen und anderen eurasischen Banden hatten die Römer nie Kontakt, ihre Art Kriege zu führen war den Römern völlig unbekannt. Wie auch tödliche Waffen wie die Langbogen der Hunnen. Dass die Hunnen überhaupt im Reich einfielen, hat wiederum Klimagründe. Man könnte die Hunnen als die ersten Klima-Migranten bezeichnen. Als dann noch die Pest aus Asien gerade über das weit verzweigte Handelsnetz Roms erst Ägypten, dann sogar Germanien und Schottland erreichte, war das Ende der römischen Ära besiegelt. In seinem Epilog geht Harper gerade auf das Thema Infektionen noch einmal detaillierter ein. Denn diese Welt wird zunehmend vom Menschen geprägt, aber von den unsichtbaren Feinden regiert. Selbst wenn von den Abermillionen an bekannten Erregern nur rund 1.400 für den Menschen gefährlich sind. Die eigentlich am meisten erschreckende Erkenntnis aus Harpers Buch ist die, dass die relative Hochtechnologie und Militärmacht der Römer ihnen am Ende gar nicht geholfen haben. Sie standen dem veränderten Klima, den Rattenhorden aus Asien mit dem Pesterreger und Hunnen und Goten in ausufernden Kriegen hilflos gegenüber. Der Glaube, man könnte die Natur überlisten oder gar beherrschen, hat sich schon in der Spätantike erübrigt. In diesem Sinne ist das Buch eine deutliche Warnung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.07.2020
Auf sie mit Gebrüll!
Kazim, Hasnain

Auf sie mit Gebrüll!


sehr gut

Sein erstes Buch dieser Reihe, mit dem er bekannt wurde, war »Post von Karlheinz«. Wie und was er wütenden Zuschriften entgegnet und warum. Kazim ist Autor für den Spiegel und Spiegel Online, wie auch bei Zeit Online. Der Nachfolger heißt nun »Auf sie mit Gebrüll«. Wer hinter diesem Titel eine martialische Abrechnung mit Angreifern aus dem populistischen und rechten Lager erwartet, liegt zum Glück falsch. Kazim geht es in diesem Buch um die Kommunikation mit den Leuten, die ihn schriftlich oder online beschimpfen oder herabwürdigen, und seine Position zu diesen Kommunikationsformen. Beispiele für den Austausch von Nettigkeiten finden sich vereinzelt auch hier, jedoch geht es ihm in der Hauptsache um seine Art, mit rassistischen und rechtsradikalen Angriffen umzugehen. Ein sinnvolles Unterfangen, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Kazim schildert eben, was seine Grundprinzipien im Umgang mit solchen Leuten sind. Daraus leitet er für jeden Fall ab, wie er regiert und warum. Als direkt Betroffener hat er an dieser Stelle in jedem Fall eine kompetente Sicht, was in einigen Mails an ihn sehr deutlich wird. In diesem Sinne ist das Buch ein Beitrag zu demokratischem und liberalem Umgang. Kazim setzt aber leider voraus, dass einem das Thema grundsätzlich neu ist. Wer sich mit dem Thema schon länger auseinander gesetzt hat, wie zum Beispiel bei Pörksen oder Schmidt-Salomon, findet wenig neue Aspekte. Wem jedoch der Umgang mit Hassbotschaften und rassistischen Verurteilungen noch unvertraut ist, der hat hier einen brauchbaren Leitfaden.

Das Buch von Hasnain Kazim ist jedoch weder langweilig noch reiht es einfach Verhaltenshinweise auf. Es liest sich sehr erhellend und ist mit Humor reichlich gesegnet. Für mich daher eine mehr leichte Lektüre. Einige neue Aspekte waren immer zu finden. Es lebe das Kalifat!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.07.2020
Zieht euch warm an, es wird heiß!
Plöger, Sven

Zieht euch warm an, es wird heiß!


ausgezeichnet

Das interessanteste Buch, das ich seit langer Zeit gelesen habe. Nicht nur, weil es toll geschrieben ist, weil es Wissenschaft so verständlich und kurzweilig darstellt. Sondern weil es mir klar gemacht hat, dass ich von Klima und Wetter glattweg gar nichts weiß. Besser: wusste. Weil es mich mit nicht nur mit viel Wissen, sondern auch einem Arsenal an Argumenten gegenüber Klimawandel-Leugnern ausgestattet hat. Sven Plöger kenne ich schon seit seinen Anfängen im Fernsehen, als er eher gezwungen als gewollt für den Wetterbericht vor die Kamera musste. Weil der eigentliche Kollege kurzfristig erkrankt war. So ist er inzwischen nicht nur deutscher Diplom-Meteorologe, sondern auch Fernsehmoderator. So unterhaltsam und sympathisch er seine Sache vor der Kamera macht, so überzeugend auch sein letztes Buch. Prädikat: äußerst wertvoll.

Plöger führt den Leser in die Grundlagen der Meteorologie ein. Angefangen bei den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Wetter und Klima, über die Wirkung von Land, Wasser und Atmosphäre, wie und warum Wetter überhaupt entsteht, was Wetter und Klima prägt, wie die Rocky Mountains in den USA das Wetter in Japan beeinflussen, dazu das Eis in der Arktis und in der Antarktis. Dass es insgesamt vier Jetstreams gibt, warum es die überhaupt gibt und wie diese Höhenströmungen für das Wetter in Paderborn, New York und Delhi verantwortlich sind. Der heiße und trockene Sommer 2018 hatte damit zu tun, weil der verantwortliche Jetstream Hochdruckgebiete über Mitteleuropa quasi festgenagelt hatte. Warum El Ninó mal kommt und mal nicht und was die Folgen sind. Schon eine grobe Inhaltsbeschreibung würde jede Rezension sprengen. Am Ende geht es aber nur um ein Thema: den Klimawandel. Sven Plöger gehört zum Glück nicht zu den Angstbeißern und Kassandra-Anhängern, Plöger ist Wissenschaftler aus ganzem Herzen. Er schreibt, was wir genau wissen, was eventuell so ist und was noch ungeklärt. Es beschreibt Szenarien wie auch Fakten. Wie zum Beispiel, dass beim Abschmelzen der Antarktis-Eisschicht der Meeresspiegel um sechs bis sieben Meter ansteigen würde. Tschüss Hamburg, tschüss Stockholm, tschüss Niederlande.

Es ist schon eine wissenschaftliche Breitseite, die Plöger da serviert. Nur ganz selten rutscht ihm mal ein Fachbegriff durch ohne ihn zu erklären. Was Wissenschaftlern dann oft schwer fällt, nämlich aus der Sache eine Geschichte zu machen, die schiere Masse an Aspekten und Faktoren zu einem Gesamtbild zu fassen, das gelingt ihm hervorragend. Das Ganze noch oft mit einem Schuss Humor und immer nahe an der Realität der Leser. Für diese Art zu schreiben beneide ich ihn, er nimmt den Leser buchstäblich an die Hand und präsentiert ihm eine verständliche Sicht auf ein hochkomplexes Fachgebiet. Einige Lehrer können sich an ihm ein Beispiel nehmen, wie man selbst trockenste Wissenschaft anschaulich und mit spürbarem Herzblut vermittelt. Einziges Manko an diesem Buch: es sollte ein Globus mitgeliefert werden.

Leider ist das Thema, um das es in diesem Buch geht, weniger vergnüglich. Denn Plöger macht keinen Hehl daraus, dass wir uns gerade entweder neoliberal begeistert, populistisch gelangweilt oder schlichtweg ignorant und bequem unser eigenes Grab schaufeln. Das Buch liefert in der Mitte ein grandioses Beispiel für unsere katastrophale Einstellung und unseren Größenwahnsinn. Hätte damals Mr. Thomas Midgley in den USA für sein angeblich harmloses Kühl- und Lösungsmittel FCKW nicht das billige Chlor, sondern das teure Brom verwendet, hätte die Erde heute keine Ozonschicht mehr. Und wir wären alle geröstet. Dabei wollte Mr. Midgley doch nur etwas Gutes tun. Die Konsequenzen seiner Erfindung wurden erst den nachfolgenden Generationen klar. Sven Plögers Buch hat damit nicht nur eine wissenschaftliche, sondern genau so eine politische und gesellschaftliche Botschaft. Ich finde, wir sollten auf ihn hören. Nicht nur beim Wetterbericht nach der Tagesschau.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.