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Mondrac

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Bewertung vom 25.09.2018
Die Schulter des Riesen
Rauhenberg, Raffael

Die Schulter des Riesen


ausgezeichnet

Mitreißender Schicksalsroman, aktuell, kritisch, spannend, düster und auch poetisch ...

Der Titel »Die Schulter des Riesen« hat mich aufmerksam werden lassen und das schöne Cover ebenso. Auch der Stil der Leseprobe versprach Einiges, was durchweg gehalten oder übertroffen wurde .

In den Textstellen, die Natur, Himmel, Pflanzen oder Tiere beschreiben fasziniert eine feinsinnige ästhetische, geradezu organisch schwungvolle Ausdrucksweise, die man als sprachlichen Jugendstil bezeichnen könnte. Auch sonst wird das Leserherz durch herrlich kreative Schöpfungen erquickt wie: »das Display seines Weckers stanzte beharrlich rubinrote Minuten aus dem Dunkeln«. Und mutig ereifert der Protagonist sich u. a. gegen die gefriergetrocknete Bauhaus-Formensprache, ein Raster, das Menschen u. a. in Architektur mit dem Charme von Schließfächern bunkert.

Dem gegenüber stehen thematisch menschliche Abwärtsspiralen bis hin zur Obdachlosigkeit, Apathie, schlimmer noch die völlige Verrohung Einzelner, vom Amtsschimmeln in Behörden bis zu rechtsradikalen Irren. Diese Themen sind wahrhaftig nicht angenehm, aber es ist eben wichtig, darüber nachzusinnen.

Was denken Sie, wenn Sie Obdachlose auf der Straße sehen?

Das Buch räumt nicht nur mit Vorurteilen auf, sondern zeigt, wie wichtig die Einstellung und Handlungsweisen jedes Einzelnen von uns im Alltag ist. Da gibt es herzlose Beamten- und Vermieterwillkür, kriminelle Polizisten, mobbende Arbeitgeber, misshandelnde Drogenhändler, Beleidiger … zerbrochene Kinderseelen und … kluge Reden schwingende Küchenhilfen, einen weisen Alkoholiker (in den weniger trunkenen Phasen) sowie die obdachlose Lotte, die eine Heldin ist – ein bisschen verrückt, aber heldenhaft bis zum Schluss.

Das Schicksal des teils schöngeistigen Protagonisten, Gregor Bach, zieht einen in seinen Bann, ein Sog, der zwar in einem gutbürgerlichen, satten Leben beginnt, dann aber ab einer unbeherrschten, brutalen Überreaktion nur Abgründe aufzuweisen scheint. Dabei spielt die Ambivalenz im Charakter des Protagonisten eine große Rolle – ohne zu viel verraten zu wollen.

Die Tiefe und Hässlichkeit der aufgezeigten Abgründe ist manchmal schwer auszuhalten, vor allem, weil man weiß, dass diese aus dem realen Leben gegriffen sind. Der Autor hat gründlich recherchiert und auch einige Fälle auf seiner Homepage gelistet.

Lichtblicke sind dann wieder einzelne Dialoge mit klugen Menschen und eine schöne Legende zum Orion, die Wiederentdeckung der wahren Schönheiten und Werte im Leben, trotz widrigster Umstände.

Es ist ein Buch, das man nicht so schnell wieder vergisst. Wie ich schon in der Leserunde schrieb: es sollte für Politiker, Beamte und Entscheidungsträger jeder Art zur Pflichtlektüre werden. Und wie eine andere Leserin richtig schrieb, auch für Schüler wäre es wichtig.

Vielen Dank an den Autor, Raffael Rauhenberg, der das Buch in der Leserunde zur Verfügung stellte.

Ich gebe eine ganz klare Lese-Empfehlung.