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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 579 Bewertungen
Bewertung vom 31.10.2025
Ach, Marianne

Von gestern eine Spur


ausgezeichnet

Manchmal begegnet mir ein Buch, das leise und unscheinbar daherkommt – und doch mit einer solchen Klarheit, Tiefe und Schönheit spricht, dass ich nach der Lektüre anders in die Welt blicke. "Von gestern eine Spur" von Marianne Ach ist ein solches Buch.

In kurzen, tagebuchartigen Abschnitten erzählt Ach von einer Frau, deren erwachsener Sohn eines Tages einfach verschwindet – ohne Ankündigung, ohne Abschied. Was bleibt, sind Gedanken, Erinnerungen, Fragen. Die Erzählerin blickt zurück auf ihre Ehe, auf spätere Lieben, auf ihr Leben als Schriftstellerin – und tastet sich zugleich suchend in eine ungewisse Zukunft vor.

Was diesen schmalen Roman so besonders macht, ist Marianne Achs unverwechselbare literarische Stimme. Große Sängerinnen und Sänger erkennt man an der einzigartigen Klangfarbe ihrer Stimme – ebenso verhält es sich mit Achs Sprache, ihrer literarischen Stimme. Sie schreibt mit einer Präzision, die jedes überflüssige Wort vermeidet, und zugleich mit einer poetischen Kraft, die weit über das Gesagte hinausreicht. Ihre Sätze sind wie feine Linien, die erst aus der Distanz das ganze Bild sichtbar machen.

Achs Kunst besteht für mich auch darin, Alltagsmomente vor dem Vergessen zu bewahren. Eine flüchtige Geste, ein Lichtwechsel, eine Erinnerung an einen Geruch – alles wird bedeutsam, ohne je pathetisch zu werden. So entsteht eine leise, aber tief bewegende Meditation über Verlust, Erinnerung und die fragile Schönheit des Daseins.

Mich hat dieses Buch tief berührt. Es hat etwas mit mir gemacht: Es hat mich daran erinnert, die Welt mit offenen Sinnen wahrzunehmen, nicht vorschnell zu urteilen, und das Glück auch in unscheinbaren Augenblicken wahrzunehmen. "Von gestern eine Spur" ist ein stilles Meisterwerk – und eine Einladung, achtsamer zu leben.

Marianne Ach schreibt mit einer unverwechselbaren Stimme – zart, wahrhaftig und mit leiser Kraft.

Bewertung vom 31.10.2025
Hall, Sarah

Die Töchter des Nordens


sehr gut

Sarah Hall, geboren 1974 in Carlisle, Nordengland, ist eine bedeutende zeitgenössische britische Autorin. Sie ist für ihre kraftvolle, poetische Sprache und ihre schonungslose Gesellschaftskritik bekannt. Die Töchter des Nordens (The Carhullan Army, 2007) wurde vielfach ausgezeichnet und gilt inzwischen als moderner Klassiker feministischer Dystopien.

Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, in der die britische Insel nach dramatischen klimatischen Veränderungen in eine autoritäre Ordnung zurückgefallen ist. Demokratie, individuelle Freiheit und Privatsphäre existieren kaum mehr: Lebensmittel und Strom werden streng rationiert, Frauen wird zwangsweise die Spirale eingesetzt, und in den Gemeinschaftsunterkünften herrscht Überwachung und Enge. In dieser düsteren Welt flieht die Ich-Erzählerin – eine namenlose Frau – aus der Stadt und schließt sich den Töchtern des Nordens an, einer Gruppe von Rebellinnen, die in den Bergen eine selbstverwaltete Kommune aufgebaut haben.

Was mich als Leserin besonders beeindruckt hat, ist die beklemmende Glaubwürdigkeit dieser Zukunftsvision. Sarah Hall entwirft kein überzogenes Science-Fiction-Szenario, sondern eine bedrückend plausible Fortsetzung unserer Gegenwart: eine Welt, in der ökologische Katastrophen und staatliche Kontrolle Hand in Hand gehen. Ihre Sprache ist präzise, zugleich roh und lyrisch – eine seltene Kombination, die den Text sowohl poetisch als auch unmittelbar erfahrbar macht.

Die Erzählung in Form von Protokollen – Aussagen einer Gefangenen – verleiht der Geschichte eine besondere Intensität, auch wenn sie zugleich etwas Spannung nimmt. Als Leserin weiß man durch diese Erzählperspektive von Anfang an, dass die Rebellion kein glückliches Ende nehmen wird. Trotzdem bleibt der Text fesselnd, weil er weniger auf den Ausgang als auf die innere Entwicklung der Erzählerin zielt: vom nach außen hin angepassten Mitglied einer autoritären Gesellschaft zur kämpfenden, denkenden Frau.

Die derbe, oft obszöne Sprache der Rebellinnen wirkt authentisch und verleiht der Gemeinschaft eine kraftvolle Präsenz. Gleichzeitig schleicht sich hier ein kleiner Bruch ein: Dass diese fast amazonengleich gestählten Frauen in ihren Häusern auf heimelige Dekoration achten, bedient ein Klischee, auf das ich gut hätte verzichten können. Ebenso geraten die wenigen Männer, die außerhalb der Farm in Hütten leben dürfen, etwas schablonenhaft – sie bleiben Randfiguren ohne Tiefe.

Dennoch hat mich Die Töchter des Nordens tief beeindruckt. Der Roman ist düster, spannend und zugleich von einer eigentümlichen Zärtlichkeit durchzogen – gerade in der Beschreibung weiblicher Solidarität, Verletzlichkeit und Stärke. Ich habe mich unmittelbar in diese fiktive Welt hineingezogen gefühlt. Vielleicht, weil diese Zukunft, so erschreckend sie auch ist, nicht allzu fern und durdaus möglich scheint.

Fazit:
Ein kraftvoller, sprachlich gelungener Roman über Freiheit, Körper, Macht und Widerstand. Die Töchter des Nordens ist kein leichtes Buch, aber eines, das warnt – wie ein Ruf aus einer Zukunft, die wir besser verhindern sollten.

Bewertung vom 31.10.2025
Murrin, Alan

Coast Road


gut

Alan Murrin, geboren in Donegal, Irland, ist ein noch junger Autor, der mit Coast Road sein Romandebüt vorgelegt hat. Nach einem Studium des Creative Writing in Dublin und London lebt und arbeitet er heute in Großbritannien. Coast Road wurde vielfach als eindringliches Porträt einer irischen Gesellschaft am Wendepunkt beworben.

Der Roman spielt in einer fiktiven Kleinstadt an der irischen Küste, etwa ein Jahr vor dem historischen Referendum von 1995, das die Scheidung in Irland endlich legalisierte. Diese historische Tatsache allein zeigt schon, welch enormen Einfluss die katholische Kirche bis weit ins späte 20. Jahrhundert hinein auf das private und gesellschaftliche Leben Irlands hatte (und noch hat) – und genau dieses Spannungsfeld zwischen Tradition, Moral und individueller Freiheit bildet den Hintergrund des Romans.

Im Mittelpunkt steht Colette, eine Schriftstellerin, die ihren Ehemann verlässt, nachdem sie sich neu verliebt hat – ein Schritt, der in ihrer Umgebung als moralisches Vergehen betrachtet wird. Ihr Mann reagiert, indem er ihr den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern verweigert. Parallel dazu zeichnet Murrin die Schicksale weiterer Frauen nach: Izzy, die unter der Selbstgefälligkeit ihres karrierebewussten Ehemanns leidet, und Dolores, die in einer lieblosen Ehe mit einem notorisch untreuen Mann gefangen ist.

So weit, so vielversprechend – der Stoff bietet tatsächlich alles, was ein kritischer Gesellschaftsroman braucht: Konflikte, emotionale Fallhöhe, gesellschaftliche Relevanz. Doch Murrin gelingt es nicht ganz, die Potenziale seines Themas auszuschöpfen. Die Sprache bleibt eher schlicht und konventionell, sie trägt die Geschichte, ohne je wirklich zu glänzen. Auch die Figuren, vor allem die Frauen, entwickeln keine innere Kraft, um sich gegen ihre Umstände zu behaupten. Sie bleiben in ihren Rollen gefangen, und ich habe mich am Ende gefragt, ob genau das die Absicht des Autors war – oder ob schlicht eine erzählerische Schärfe fehlt, um das Thema wirklich zum Brennen zu bringen.

Trotz dieser Schwächen liest sich Coast Road recht gut: Die Handlung ist klar strukturiert, die Atmosphäre der irischen Küste eindrucksvoll eingefangen. Besonders interessant ist, wie Murrin den Einfluss der katholischen Moralvorstellungen subtil, aber spürbar in den Alltag seiner Figuren einsickern lässt.

Fazit: Coast Road ist ein thematisch relevanter Roman über gesellschaftliche Zwänge, weibliche Ohnmacht und den schwierigen Weg zur Selbstbestimmung in einem von Religion geprägten Irland. Sprachlich kein Meisterwerk, erzählerisch solide – und vor allem ein Stück Literatur, das uns daran erinnert, wie jung manche Selbstverständlichkeiten unserer Gegenwart eigentlich sind.

Bewertung vom 10.10.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


sehr gut

Yuko Kuhns Roman "Onigiri" bewegt sich geschickt zwischen Fiktion und Autobiografie. Sowohl die Autorin als auch ihre Ich-Erzählerin Aki haben einen deutschen Vater und eine japanische Mutter – eine Parallele, die dem Text spürbare Authentizität und emotionale Tiefe verleiht.

Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Erzählebenen: In der Gegenwart begleitet Aki ihre an Demenz erkrankte Mutter auf eine letzte Reise nach Japan, um dort die Verwandten zu besuchen. Diese Reise wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, die das frühere Leben der Mutter beleuchten – eine junge Frau, die einst allein nach Deutschland auswanderte, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Kuhn schildert eindrücklich, wie sie sich in einer ihr fremden Kultur zurechtfinden muss, mit den ablehnenden Schwiegereltern, der psychischen Erkrankung ihres Ehemanns und schließlich der Einsamkeit als Alleinerziehende.

Besonders stark ist der Roman dort, wo er gesellschaftliche und kulturelle Spannungen sichtbar macht. Kuhn gelingt es, die Schwierigkeiten und Vorurteile darzustellen, mit denen Einwander*innen in Deutschland konfrontiert sind – damals wie heute. In diesen Momenten überzeugt "Onigiri" als feinfühlige, manchmal schmerzhafte Studie über Fremdsein, Anpassung und Identität.

Weniger überzeugend wirken hingegen die innerfamiliären Konflikte. Weder die Beziehung der Eltern noch Akis immer wieder auflodernde Wut auf ihre Mutter waren für mich wirklich greifbar oder psychologisch nachvollziehbar. Gerade hier hätte ich mir mehr Tiefe und Blick ins Innere der Figuren gewünscht, um ihre emotionalen Brüche besser zu verstehen.

Der Anhang mit japanischen Begriffen ist hilfreich, die japanischen Kapitelüberschriften blieben für mich leider dennoch meist ohne sichtlichen Bezug zum Inhalt.

Trotz dieser Schwächen bleibt Onigiri ein lesenswerter Roman, der mit leisen Tönen und autobiografischer Ehrlichkeit einen wichtigen Beitrag zur deutsch-japanischen Migrationsgeschichte leistet. Yuko Kuhn zeichnet das Porträt zweier Frauen, die zwischen zwei Kulturen aufwachsen und ihren Platz in der Welt suchen – ein Thema, das über die persönlichen Grenzen der Erzählung hinausweist.

Bewertung vom 16.09.2025
Everett, Percival

Dr. No


sehr gut

Percival Everetts "Die Bäume", eine bissig-geistreiche Satire über Lynchmorde an Schwarzen fand ich großartig, sein Roman "James", eine Neuerzählung des Klassikers über Tom Sawyer und Huckleberry Finn ließ mich zum Fan seiner Literatur werden. Entsprechend große Erwartungen hatte ich an das neueste Werk aus Everetts Feder.

Die ersten Seiten haben mich denn auch großartig unterhalten. Die Figuren könnten kaum schräger sein: Ein Schwarzer autistischer Mathematikprofessor mit "nichts" als Fachgebiet, samt einer einbeinigen Bulldogge namens Trigo, die er sich in einer Babytrage umschnallt, wird vom - ebenfalls Schwarzen - Milliardär John Sill zunächst mit viel Geld dazu "überredet" sein Wissen über (das) Nichts zu teilen. Sill will erklärtermaßen ein Bond-Bösewicht werden und die Weltherrschaft an sich reißen. Wenn der Professor erklärt, dass Sills Vater starb, "als John minus vier Monate alt war", dann trifft das nicht nur mitten in mein Humorzentrum, sondern ist auch eine elegante Weise, die Denke des Mathematikers zu demonstrieren, der zwischenmenschlich Defizite hat.

Leider hat Everett seine Kunstfertigkeit in Sachen intellektueller Wortspiele jedoch überstrapaziert. „Ich habe gerade ein Stipendium erhalten, von dem ich hoffe, dass es zu nichts führt“, sagt Kitu einmal zu einem Kollegen. In diesem Stil reiht sich Abschnitt an Abschnitt, Seite an Seite - ich war bald gelangweilt, irgendwann genervt. Allerdings zolle ich Übersetzer Nikolaus Stingl hier größten Respekt, denn das englische "nothing" ins Deutsche so zu übertragen, dass die Doppeldeutigkeit von "nichts" beziehungsweise "das Nichts" erhalten bleibt, war sicher eine Herausforderung. Everett spickt seine Geschichte des weiteren mit mathematischen Fachbegriffen (Nornsches Lemma, Knaster-Tarski-Fixpunkttheorem) und philosophischen Betrachtungen, die ehrlicherweise meinen Intellekt und meinen Bildungshorizont überschreiten, und dies in einer Zahl, die leider meinen Lesegenuss immer wieder geschmälert hat.

Viel Diskussionsstoff bietet die Geschichte hinsichtlich des Schwarzen Selbstverständnisses, etwa wenn Sill erklärt, dass all sein Geld ihn vor allem weiß gemacht hat. Und so nimmt er für seine Rache auch in Kauf, dass unzählige Unschuldige sterben müssen.

Fans von Bondfilmen werden sicher nicht müde werden, Referenzen in "Dr. No" zu den Geschichten um den berühmtesten aller Geheimagenten zu suchen. Schurke Sill fährt der Küstenwache nur zum Spaß in einem U-Boot davon oder tötet Mitarbeiter, indem er sie beim gemeinsamen Lunch durch eine Falltür unter dem Sitz in ein darunter liegendes Haifischbecken stürzen lässt.

Bissigen Witz, Ironie und eine gewisse Leichtigkeit mit intellektuellem Anspruch und ernsthafter Gesellschaftskritik zu verpacken ist definitiv eine der großen Stärken von Percival Everett. Für mich persönlich ist dies diesmal nicht vollständig aufgegangen, was zugegebenermaßen auch daran liegen mag, dass Spionageromane und Actionfilme nicht zu meinen Lieblingsgenres zählen.

Bewertung vom 16.09.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


gut

Der Klappentext von "Der Schlaf der Anderen" verspricht eine spannende Geschichte über Schlaflosigkeit, Überlastung und die Begegnung zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Und tatsächlich war ich zunächst positiv überrascht: Die Ausgangssituation ist interessant, die Figuren – die gestresste Fachkrankenschwester Janis und die erschöpfte Kunstlehrerin Sina – wirken auf den ersten Blick wie aus zwei verschiedenen Welten, und gerade darin liegt ein Reiz. Ihre vorsichtige Annäherung, die Freundschaft, die sich daraus entwickelt, aber auch schnell wieder ein Ende findet, fand ich anfangs durchaus fesselnd.

Doch je weiter ich las, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass der Roman sein eigenes Potenzial verschenkt. Tamar Noort reißt viele große Themen an – Frauenbilder, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Belastungen im Pflegealltag, die Gefahr des Burnouts –, aber sie geht kaum in die Tiefe. Stattdessen verliert sich die Erzählung immer stärker in einem eher amüsanten Roadtrip, der mich leider nicht überzeugen konnte.

Am stärksten waren für mich die Passagen, in denen die Protagonistinnen ihr eigenes Handeln reflektieren und sich mit ihren (Fehl-)Entscheidungen auseinandersetzen. Doch diese Selbstreflexion bleibt letztlich unvollständig, weil die Auseinandersetzung mit den Menschen um sie herum fast völlig fehlt. Warum konfrontiert Sina ihren Mann nicht mit ihrer Überlastung, sondern trägt die gesamte Last schweigend allein? Warum zieht Janis sich so radikal ins Schneckenhaus zurück, statt Unterstützung bei Freunden oder Kollegen zu suchen?

Und schließlich wirkt das Ende für mich schlicht unglaubwürdig. Eine einzige gemeinsame Nacht im Schlaflabor (und ein Gewaltmarsch mit Sofa durch die halbe Stadt) genügt, um die Lebenswege beider Frauen wieder „in die Spur“ zu bringen – das ist mir zu konstruiert und wirkt wie ein erzwungenes Wohlfühl-Happy-End. Gerade nach den durchaus ernsten Ansätzen zu Beginn hätte ich mir mehr Mut zur Konsequenz und mehr Tiefgang gewünscht.

Fazit: Der Schlaf der Anderen liest sich stellenweise unterhaltsam, verschenkt aber viel von dem Potenzial, das in der Geschichte steckt. Ich hatte eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Überlastung, Rollenbildern und Selbstbestimmung sowie neue Denkanstöße erhofft und wurde enttäuscht.

Bewertung vom 11.09.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Gestern Abend war ich zu Gast beim ersten "Silent Reading" des Hanser Verlags in München. Dabei konnte man in das aktuelle Verlagsprogramm reinschnuppern und in angenehmer Atmosphäre knapp zwei Stunden nach Belieben lesen. Mein ursprünglicher Plan, nämlich mir einen ersten Eindruck von drei oder vier Romanen zu verschaffen, ging überhaupt nicht auf: Denn als erstes hatte ich "Das Geschenk" von Gaea Schoeters gewählt, und ich war vom Plot wie auch der inhaltlichen und sprachlichen Umsetzung derart fasziniert, dass ich die 144 Seiten in einem Rutsch komplett gelesen habe.

Die Idee zu Schoeters zweitem Roman basiert auf wahren Begebenheiten: Im April 2024 hatte der Präsident Botswanas, Mokgweetsi Masisi, angekündigt, der Bundesrepublik 20.000 Elefanten schenken zu wollen. Dies war eine Reaktion auf mutmaßliche Pläne des Bundesumweltministeriums über ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen. Schoeters lässt Masisis "Versprechen" in ihrer Geschichte auf geradezu groteske Weise wahr werden - mitten in der Hauptstadt tauchen urplötzlich afrikanische Elefanten auf, und es werden minütlich mehr. Aber keine Sorge, der Roman gerät nicht zum billigen Klamauk, denn abgesehen vom mysteriösen Erscheinen der Dickhäuter gerät alles nicht nur extrem unterhaltsam, sondern auch durchweg plausibel - in meinen Augen könnte der Plot in großen Teilen auch als Realsatire durchgehen.

Ich habe mich köstlich darüber amüsiert, wie die Bundesregierung zunächst Zuständigkeiten hin- und herschiebt, um letztlich ein Elefantenministerium aus dem Hut zu zaubern oder wie Entscheidungen nicht immer anhand von Fakten und wahrscheinlichen Folgen, sondern vielmehr im Hinblick auf mögliche Reaktionen der eigenen Wählergruppen getroffen werden. Wobei letzteres natürlich genau genommen nicht lustig ist. Wie gut die flämische Autorin die bundesdeutsche Politik kennt, ist beachtlich. Aber sie belässt es nicht dabei, diese zu entlarven, sondern hält uns überdies den Spiegel im Hinblick auf überhebliche postkoloniale Strukturen vor.

Alles in allem eine temporeiche Geschichte mit überzeugenden Figuren und unterhaltsamen Dialogen, wahnsinnig witzig und dennoch mit gesellschaftsrelevanten Themen, die es zu diskutieren gilt. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 31.07.2025
Harmsen, Torsten

Nazi und Kommunist


gut

Torsten Harmsen (Jahrgang 1961) verarbeitet in seinem 2025 erschienenen Buch die Lebenswege zweier Zeitzeugen, die er als junger Journalist in der DDR interviewte – Herta (Jg. 1903), als junge Frau leidenschaftliche Nationalsozialistin, und Otto (Jg. 1902), überzeugter Kommunist. Beide leben später in der DDR und reflektieren ihre jungen Ideale und ihre Entwicklung in sehr konträren Weisen: Herta wirkt oft selbstkritisch und reflektiert; Otto eher ungezwungen, manchmal regimekritisch. Das dokumentarische Format erlaubt beide Stimmen ohne wertende Moral, bleibt aber bewusst ambivalent in den Deutungen – ganz in Harmsens Stil "ohne Wertung und mit allen Widersprüchen". Der Autor gibt bisweilen Orientierung, indem er geschichtliche Hintergründe ergänzt, manchmal auch falsche Äußerungen von Otto oder Herta korrigiert. Diesen Ansatz habe ich als hilfreich, aber manchmal unzureichend empfunden, und obwohl ich zum Teil selbst noch recherchiert habe, habe ich nicht alle Passagen hinreichend verstanden.

Der dokumentarische Ton wirkt oft trocken, mit vereinzelten Lichtblicken (v. a. bei Ottos Humor oder Hertas spürbaren Emotionen). Gestört haben mich Wiederholungen und Längen – hier hätte eine strengere Kürzung für mehr Dynamik sorgen können.

Ich hatte mir von der Lektüre vor allem ein klareres Verständnis dafür erwartet, wie junge Menschen von so unterschiedlichen Ideologien vereinnahmt werden konnten. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht – die subjektiven Lebensrückblicke zeigen zwar viel, liefern aber wenig Analyse zur Mechanik der Ideologiebildung.

Fazit: Das Buch funktioniert gut als dokumentarische Biografie und Stimmenarchiv – für Leserinnen und Leser mit Interesse an Alltagserfahrungen und Selbstdeutung in der NS‑Zeit und DDR. Wer jedoch tiefer gehende sozialpsychologische oder ideologieanalytische Erklärungen sucht, findet nur fragmentarisch Antworten. Nichtsdestotrotz bietet das Buch wichtige Impulse und emotionale Szenen, die nachhallen.

Bewertung vom 21.07.2025
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


sehr gut

Elin Anna Labba erzählt in ihrem ersten Roman über rund fünf Jahrzehnte hinweg die Geschichte einer samischen Familie in Nordschweden – aus der Perspektive von drei Frauen: der strotzenden Kämpferin Rávdná, ihrer zurückhaltenden Schwester Ánne und ihrer Tochter Ingå. Jedes Frühjahr kehren sie als Halbnomaden gemeinsam ins „Sommerland“ zurück – nur um zu erleben, wie ihr Dorf mehrfach vom steigenden Stausee überflutet wird. Staatliche Wasserkraftprojekte zerstören ihre Heimat, die Torfkoten versinken im Wasser, ohne dass die Samen vorab einbezogen oder danach entschädigt werden. Die herablassende, rassistische Haltung der schwedischen Regierung war für mich bei der Lektüre kaum erträglich. So wird etwa ein Antrag für einen Baukredit wie folgt abgelehnt: "Die damit (mit dem Bau eines Hauses) einhergehenden Verlockungen würden die Lappen nur verweichlichen. ... Die natürlichen Eigenschaften der Lappen sind für die Sesshaftigkeit nicht geeignet."

Die drei Protagonistinnen reagieren höchst unterschiedlich auf die Unterdrückung durch den schwedischen Staatsapparat: Rávdná rebelliert, kämpft um Landrechte und versucht – trotz Diskriminierung – ein „richtiges“ Haus zu bauen, während Ánne resigniert und Ingå zunehmend sesshaft wird, sich also anpasst. Diese Konstellation erzeugt Spannung und zeigt zugleich die verschiedenen möglichen Wege, mit staatlicher Repression umzugehen.

Anfangs zog sich die Story etwas sehr in die Länge, aber im weiteren Verlauf hat mich die Geschichte sehr gefesselt. Das Staatsversagen gegenüber indigenen Rechten - in Europa und bis in die 1970er Jahre hinein, wohlgemerkt! - macht mich zutiefst betroffen und ich danke der Autorin, dass sie diese wenig bekannten Ungerechtigkeiten ans Licht gebracht hat.

Sprachlich ist der Roman durch sehr viele samische Begriffe und ganze Sätze einerseits sehr authentisch, andererseits ist die Lektüre dadurch auch sehr herausfordernd, zumal ein Glossar fehlt und man oft nur raten kann, was die fremdsprachlichen Begriffe bedeuten. Sehr gut herausgearbeitet ist hingegen, wie naturverbunden das Volk der Samen ist. Und so wirkt hier stimmig, was mich in einem anderen Setting vermutlich gestört hätte, nämlich dass der Stausee eine eigene Erzählstimme erhält. In kursiven Einschüben, auf sehr poetische Weise, kommt so der große See zu Wort, der - menschengemacht - für die Menschen Fluch und Segen zugleich ist.

Fazit: Ein eindrucksvoller Roman mit kraftvollen Naturbeschreibungen, ein wichtiges, poetisch erzähltes literarisches Zeitdokument über eine wenig bekannte indigene Geschichte in Nordschweden.

Bewertung vom 19.07.2025
Bruno, Natalie;Bruno, Marisa

Italia a casa


ausgezeichnet

„Italia a Casa“ ist ein Kochbuch, das hält, was es verspricht: authentische, bodenständige italienische Küche – ganz einfach nach Hause geholt. Die beiden deutsch-italienischen Schwestern Natalie und Marisa Bruno laden mit über 70 Rezepten zum Nachkochen ein und setzen dabei auf unkomplizierte Zubereitung und Zutaten, die auch hierzulande problemlos erhältlich sind.

Was besonders positiv auffällt: Die meisten Gerichte sind schnell gemacht, dabei aber voller Geschmack. Die gebratenen Zucchini und die süßsauren Paprika beispielsweise sind ideale Vorspeisen – nicht nur schnell zubereitet, sondern auch schnell aufgegessen. Ein echtes Highlight ist das Rezept für die knusprigen Zucchiniküchlein: Sie kommen ganz ohne mühsames Ausdrücken der Zucchini aus, werden im Ofen gebacken und sind trotzdem wunderbar saftig und knusprig – mein persönlicher Favorit.

Ebenfalls empfehlenswert ist der Polpettone al forno, ein gefüllter Hackbraten, der nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch überzeugt und sich hervorragend für Gäste vorbereiten lässt. In Kombination mit den mediterran gebackenen Kartoffeln ergibt sich ein rundum gelungenes Hauptgericht, das uns begeistert hat.

Ein Pluspunkt des Buchs ist die übersichtliche Gestaltung: Jede Doppelseite widmet sich einem Gericht, mit appetitlichem ganzseitigen Foto und gut strukturiertem Rezeptteil. Angaben zu Vorbereitungs- und Garzeit, Schwierigkeitsgrad, Saison sowie Eignung für Vegetarier oder Veganerinnen sind auf einen Blick ersichtlich – das erleichtert die Auswahl enorm.

Auch komplett Selbstgemachtes kommt nicht zu kurz: Es gibt Anleitungen für frische Pasta und Gnocchi, wobei besonders beim Pastateig etwas Küchenerfahrung hilfreich ist – hier fällt die Erklärung etwas knapp aus.

Das hochwertig gestaltete Hardcover macht „Italia a Casa“ auch optisch zu einem Genuss, und dank der Tipps der Autorinnen zur Menüplanung für mehrere Gäste ist das Buch nicht nur für den Alltag, sondern auch für besondere Anlässe bestens geeignet.

Fazit: Ein wunderbares Kochbuch, das mit authentischen Familienrezepten, alltagstauglichen Zutaten und viel Liebe zur italienischen Küche begeistert. Ideal für Einsteiger*innen, aber auch für alle, die unkomplizierte und geschmackvolle Gerichte lieben. Ich bin begeistert – und werde mich weiter genussvoll durch Antipasti, Primi, Secondi, Contorni und Dolci brutzeln und backen!