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Benutzername: 
minjo
Wohnort: 
Reutlingen

Bewertungen

Insgesamt 52 Bewertungen
Bewertung vom 21.04.2025
Vorsehung
Moriarty, Liane

Vorsehung


ausgezeichnet

Der Verstand sagt "Unsinn!"
Das Unterbewusstsein flüstert "Und wenn es vielleicht doch stimmt?"
(Seite 92)

Eine bizarre und unheimliche Vorstellung, wenn man ungefragt gesagt bekommt, in welchem Alter und wie man sterben wird! Es ist noch einmal etwas völlig anderes, wenn man es wissen will und eine Wahrsagerin deshalb aufsucht. Doch wenn man es eben nicht wissen will oder wie die Buchfiguren nicht damit rechnet - wie lebt man nach so einer unerwünschten Auskunft dann weiter? Denn eins ist klar: das Leben wird danach nicht mehr dasselbe sein, so sehr man vielleicht auch versuchen wird, das Gehörte zu verdrängen oder gar zu vergessen. Es zu vergessen, wird den meisten sicher unmöglich sein, also stellt sich die Frage: was macht man nun damit? Lebt man sein Leben dann bewusster, versucht man verkrampft, das vermeintliche Schicksal abzuwenden und in die Gegenrichtung zu steuern?

Auf dem Flug von Hobart nach Syney geht eine ältere Dame - die später von den Medien als die "Todesdame" bezeichnet wird - durch den Mittelgang, zeigt auf jeden Passagier und nennt diesen dann ungefragt Todesart- und Alter. Manche verschlafen ihre persönliche Prophezeiung glücklicherweise oder nehmen es mit Humor, wenn sie erfahren, dass sie ein hohes Alter erreichen werden.

Doch diejenigen, die prophezeit bekommen, dass sie angeblich bereits in absehbarer Zeit sterben sollen, bleiben davon nicht unberührt. Als Leser begleitet man diese Menschen und sieht, was so eine Prophezeiung bei ihnen und ihren Angehörigen auslösen kann.

Da ist Leo (42), Bauingenieur. Ethan (29), verliebt in seine Mitbewohnerin. Sue (63), der in drei Jahre ein Krebstod vorausgesagt wird. Eve, die gerade erst geheiratet hat. Paula, deren Baby Timmy im Alter von 7 ertrinken soll. Die Stewardess Allegra, die an diesem Flugtag 28 wird und angeblich das 29. Lebensjahr nicht erreichen wird...

Jeder von ihnen geht anders damit um, aber keinen lässt es unberührt. Und auch nicht die, die ihnen am nächsten stehen und diese Prophezeiungen ebenfalls nicht vergessen können ... vor allem, als die ersten Todesfälle publik werden und die innere Unruhe steigt.

Auch die sogenannte Todesdame, mit bürgerlichem Namen Cherry Hetherington, lernt man zwischendurch näher kennen, auch wenn man bis zum Schluss rätselt, warum sie diese Prophezeiungen ausgesprochen hat. Die Kapitel alternieren zwischen Cherry und den o.a. Passagieren, mal sind die Kapitel kurz, mal länger, aber jedes nimmt einen mit und berührt. Die Autorin Liane Moriarty schreibt prägnant, bildstark und so direkt und unverblümt, dass man nicht anders kann, als mitzufiebern. Durch die persönliche Ansprache durch Cherry fühlt man sich als Leser direkt angesprochen und schwankt zwischen Verständnis für sie auf der einen und Mitgefühl für die Betroffenen auf der anderen Seite hin und her.

Spätestens nach dem Ende dieser Geschichte fragt man sich selbst: wie würde mein eigenes Leben nach so einer Prophezeiung weitergehen, wie würde ich reagieren, was würde ich daraus machen, wie würde meine Familie damit umgehen?

Dieses Buch ist wie ein Sog, ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen und habe jedes Kapitel genossen. Es ist wirklich toll geschrieben und nimmt einen auf eine Reise mit, von der man mit etwas mehr Nachdenklichkeit zurückkommt.

Für mich eines der Buch-Highlights 2025. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 13.04.2025
Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1
Smith, Sally

Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1


sehr gut

Schön, wieder einmal einen historischen Krimi zu lesen, der im London der Jahrhundertwende spielt, wo durch die Straßen noch Pferdedroschken rumpelten. Mitten in der Innenstadt, zwischen Fleet Street und der Themse befindet sich der Temple Bezirk, eine kleine, abgeschirmte Welt des Rechts, in der Barrister, Kronanwälte und Richter ihrer Arbeit nachgehen. Im Buch befindet sich eine anschauliche Skizze, wie Inner- und Middle Temple zu jener Zeit angeordnet waren. Heute sieht dieser Bezirk etwas aus, da große Teile im zweiten Weltkrieg zerstört wurden und danach anders wiederaufgebaut wurden.

Die Autorin Sally Smith weiß, wovon sie schreibt, denn sie ist selbst Kronanwältin und hat ihr gesamtes Berufsleben im Temple Bezirk verbracht, wo sie lebt und arbeitet. Dieser Roman ist ihr erstes Werk - und absolut gelungen!

Sir Gabriel Ward, die Hauptfigur, lebt und arbeitet als Kronanwalt im Temple und wird vom Schatzmeister nach der Ermordung des Lordoberrichters Dunning mit den Temple-internen Ermittlungen beauftragt. Ihm wird vonseiten der Polizei ein junger Constable zur Seite gestellt, der zwar sehr wach und engagiert ist, aber doch deutlich im Schatten des klugen Sir Gabriels steht. Dieser wirkt gerade zu Beginn noch ziemlich kauzig: er lebt allein mit seinen Büchern und hat ausgeprägte Spleens, die mich sehr an die Filmfigur "Monk" erinnern. So kann er schwer mit Emotionen seiner Mitmenschen umgehen, hat penible Ordnungsriten (goldener Bleistift muss mit der Spitze zum Fenster ausgerichtet sein, etc.), achtet darauf, nicht auf die Ritzen der Steinplatten zu treten und spaziert nur im Uhrzeigersinn den Gartenweg entlang. Das hat es mir anfangs schwer gemacht, mit ihm warm zu werden. Doch an der Seite von Constable Wright taut er zunehmend auf und erwärmt sich an seiner neuen Aufgabe. Hilfreich dabei ist natürlich, dass er sehr klug ist und fähig, all die losen Enden wieder richtig zusammenzufügen. Auch die anderen Figuren sind gut gezeichnet und man kann sich die Temple-Welt mit diesen verschiedenen Charakteren sehr gut vorstellen. Millie, die kleine Temple Church-Maus spielt in dieser Geschichte eine ganz besondere Rolle.

Was mich allerdings etwas gestört hat, waren zahlreiche Wortwiederholungen: der 'stattliche Kronanwalt', sein 'innerer Anwalt' und ganz besonders 'er schnaubte', welches in jedem Kapitel mehrfach vorkam. Mich wundert immer wieder, dass ein Lektor hier nicht korrigierend eingreift. Einige Handlungsweisen der Charaktere fand ich ebenso nicht ganz schlüssig: warum sollte eine Gouvernante zu einer großen Theatervorstellung ein Buch mitnehmen, welches sie gerade liest und dann (praktischerweise) direkt vor den Augen von Sir Gabriel verlieren? Warum sollte der Lordoberrichter, der steht krampfhaft bemüht ist, nur ja nicht in Verruf zu kommen, nachts barfuß mit der Putzfrau durch den Garten des Temple spazieren? Das war mir für meinen Geschmack dann doch etwas zu konstruiert.

Letztendlich zählt aber das Gesamtergebnis und da kann ich nur sagen: ein sehr gelungenes Debüt von Sally Smith! Der Roman war absolut kurzweilig, interessant, humorvoll und hatte ein tolles historisches Setting. Mehr braucht es nicht für entspannte Lesestunden!

Bewertung vom 11.04.2025
Pearly Everlasting
Armstrong, Tammy

Pearly Everlasting


sehr gut

Ungewöhnlich, anspruchsvoll und berührend

Cover und Titel haben mich zunächst wenig angesprochen, beides ist im eher schlichten Look des Diogenes-Verlags gehalten und wenig spektakulär. Auch gibt der Titel wenig her, um was oder wen es geht. Doch wer schon einige Bücher des Verlages kennt, weiß auch, dass sich oft wahre Schätze zwischen den Buchdeckeln befinden.... so auch in diesem Fall!

Es geht um ein junges Mädchen namens Pearly Everlasting, die mit einem kleinen Schwarzbären namens Bruno in einem kanadischen Holzfällercamp der frühen 30er Jahre des letzten Jahrhunderts aufwächst. Die Lebensbedingungen sind sehr hart, die Familie arm. Der Vater ist der Koch des Camps, die Mutter Heilerin. Pearly hat auch noch eine ältere Schwester namens Ivy, doch es ist Bruno, mit dem sie praktisch seit ihrer Geburt zusammen ist und ihn als ihren Bruder bezeichnet. Die beiden haben eine sehr innige Verbindung zueinander. Als ein neuer Vorarbeiter das Camp übernimmt, ist ihm der Bär von Anfang an ein Dorn im Auge und als ein Mord geschieht, scheint sich das Schicksal gegen Pearly und Bruno zu wenden...

Die Beschreibungen über das harte Leben in dem Holzfällercamp ließ mich von Beginn an in eine andere Welt eintauchen. Die ersten Jahrzehnte des beginnenden 20. Jahrhunderts in dieser unwirtlichen Umgebung, umgeben fast nur von groben Holzfällern und von Mythen über den bösen Waldgeist Old Jack prägen Pearly Everlasting auf eine besondere Weise. Die Erzählung aus Pearly's Perspektive ist eher ruhig und undramatisierend und berührte mich vielleicht gerade deshalb. Natürlich trägt der fast schon poetische Schreibstils der Autorin Tammy Armstrong auch dazu bei, dass es sich besonders im ersten Drittel wie eine Art Legende liest. Zart und eindrücklich zugleich beschreibt sie Pearlys Aufwachsen im Camp und ihren Aufbruch ins Ungewisse, um ihren Bärenbruder wiederzufinden. Gerade diese etwas stille Betrachtung und Erzählung hat mich bewegt, so vieles steckt eher zwischen den Zeilen und will entdeckt werden. So richtig nahe kommt man Pearly dabei nicht, sie bleibt ein geheimnisvolles, aber starkes Mädchen. Ihre Trauer um Mutter und Schwester und die Angst, auch Bruno zu verlieren, fühlt man eher als das man viel darüber liest. Figuren wie die Liederfängerin und ihrer Freundin Ebony, Old Jack, der Tierarzt Amael und nicht zuletzt der vom Blitz gezeichnete Ansell, der Pearly sehr liebgewonnen hat und nach ihr und Bruno sucht - tragen dazu bei, dass man sich fast fühlt, als würde man sich einen alten Film ansehen. Im Mittelteil gibt es einige Längen, doch im letzten Drittel nimmt die Geschichte wieder mehr Fahrt auf und man hofft auf ein gutes Ende.

Ein großes Lob geht an den Übersetzer Peter Torberg, der es geschafft hat, die
Geschichte ins Deutsche zu übertragen, ohne dass die Magie, die in und zwischen den Zeilen steckt, verloren ging.

Fazit:
Eine besondere Geschichte in einem sehr schönen, aber anspruchsvollen Schreibstil. Wenn man sich darauf einlässt, entwickelt sie einen ganz eigenen Zauber und entführt den Leser in eine andere Welt.

Bewertung vom 13.12.2024
Im Namen der Barmherzigkeit
Lind, Hera

Im Namen der Barmherzigkeit


ausgezeichnet

Die Geschichte erinnerte mich im ersten Moment an die "Schwabenkinder", die schon als kleine Kinder von ihren Berghöfen losziehen mussten, um bei Bauern zu schuften. Damals hörte ich zum ersten Mal davon, dass Familien ihre Kinder aus der Not heraus weggaben, weil sie selbst so arm waren, dass sie kaum für sie aufkommen können. Was die Kinder oft erleiden mussten, mag man sich kaum vorstellen. Manche hatten Glück, viele leider nicht.

Auch mit Heimkindern wurden bis in die 80-er Jahre so verfahren, wie die Autorin recherchiert hat. Lange wurde dieses Thema schön unter den Teppich gekehrt, doch früher oder später kommt alles ans Tageslicht, wenn es auch für die Kinder zu spät war, denn die traumatischen Auswirkungen auf ihr weiteres Leben konnte niemand wieder gut machen.

So geschah es auch der kleinen Steffi, die 1970 mit gerade einmal 2 1/2 Jahren auf den Hof der steirischen Bauernfamilie Kellerknecht kommt. Sie ist das jüngste von mehreren Pflegekindern und lernt schnell, dass sie für die kargen Mahlzeiten hart arbeiten muss und es kein Erbarmen gibt... und erst recht keine Liebe. Noch bevor sie zehn Jahre alt ist, vergeht sich der Bauer regelmäßig an ihr und als sie mit 15 von ihm schwanger wird, wird sie in ein Kloster abgeschoben.

Die Geschichte von Steffi - als stellvertretendes Schicksal so vieler anderer - geht wirklich unter die Haut. Nicht allein deshalb, weil Hera Lind es versteht, sie so zu erzählen, dass man nicht anders kann, als mitzuleiden und sich gleichzeitig immer wieder zu fragen, wie es sein konnte, dass diese Machenschaften so lange unter den Teppich gekehrt wurden. Was für ein erbärmliches, liebloses Leben hatten diese Kinder und wie erging es den meisten, wenn sie erwachsen wurden? Ihr Schicksal macht mich traurig und wütend zugleich und wird noch lange in mir nachhallen.

Ich mochte die Bücher von Hera Lind früher nicht so sehr, doch in den den letzten paar Jahren hat sich dies geändert, weil mich die Schicksale, die sie beschreibt, immer sehr berühren und mich lange beschäftigen.

Fazit: Eine Geschichte, die unter die Haut geht - und im Herzen bleibt.

Bewertung vom 23.10.2024
Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6
Benedict, Marie

Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6


gut

Zu wenig Tiefe durch zu viele Erzählperspektiven

Zum Inhalt:
Die sechs Mitford-Schwestern gehören dem alten Adel Englands an, auch wenn sie durch Fehlinvestitionen und der Wirtschaftskrise bei weitem nicht mehr so vermögend sind. Die Eltern bemühen sich, Traditionen beizubehalten und jedem ihrer Töchter einen guten Start zu ermöglichen. Allerdings haben alle sechs Schwestern ihren ganz eigenen Kopf und sind schon früh politisch interessiert, die einen fühlen sich vom Faschismus angezogen, die andere vom Kommunismus. Da ist zum einen Nancy, die spitzzüngig und sehr wortgewandt ihre Meinungen in ihre Romane einfließen lässt – meist sehr zum Missfallen ihrer Familie. Diana ist der schillernde Star unter den Mitford-Schwestern, hinreißend schön und geheimnisvoll ist sie stets der Mittelpunkt jeder Gesellschaft. Sie hat einen äußerst vermögenden Spross der Guinness-Dynastie geheiratet und ist bereits Mutter zweier Söhne, als sie sich in den charismatischen Anführer der British Union of Fascists (BUF) Oswald Mosley „M“ verliebt und für ihn ihren Mann verlässt – ein Skandal zu jener Zeit, der ihren Stern danach nicht mehr ganz so strahlend funkeln ließ.
Unity ist trotz ihrer beachtlichen Körpergröße anfangs noch die Unscheinbarste – allerdings nur auf den ersten Blick, denn sie ist extrem eigenwillig und weiß früh, was und vor allem wen sie will: niemanden geringeren als Hitler möchte sie näherkommen und schafft es durch Beharrlichkeit und klugem Handeln schließlich, ihrem Ziel ganz nahe zu kommen. In der Folge radikalisiert sie sich immer mehr und gerät in einen gefährlichen Wahn. Im weiteren Verlauf der Weltgeschichte geraten auch die Beziehungen der Schwestern zueinander immer mehr zwischen die Fronten.


Zum Buch:
Marie Benedict hat sich mit ihren Büchern über bedeutende Frauen im Schatten der Weltgeschichte einen Namen gemacht, so schrieb sie z.B. „Lady Churchill“, „Frau Einstein“ und „Mrs Agatha Christie“, um nur einige wenige Frauen zu nennen, die oft erst im Nachhinein zu Anerkennung, Ruhm und Bedeutung kamen. Nun also die Mitford-Schwestern, die viele vermutlich nicht auf dem Schirm hatten, da ihre Bedeutung und ihr Ruf in Deutschland vermutlich weniger bekannt ist als in England. Die Autorin schreibt sehr ausführlich, wie sich die Familie Mitford immer mehr spaltet, wie die faschistische Ideologie zunehmend ihr Leben bestimmt und wie Macht und Manipulation in Kombination mit weiblicher Raffinesse und Charme schließlich einer Ideologie der Vernichtung folgt. In verhältnismäßig kurzen Kapiteln wechseln die Erzählperspektiven hauptsächlich zwischen der Hauptfigur Nancy (aus der Ich-Perspektive erzählt) und ihrern Schwestern Diana und Unitiy, die anderen drei Schwestern sowie der Bruder Tom und die Eltern sind eher Nebenfiguren. Als Leser erlebt man mit, wie aus einer anfänglichen Begeisterung und Faszination immer mehr ein Sog – man kann auch sagen: ein Wahn – entsteht und die Fronten zwischen den Schwestern immer verhärterter werden, bis es schließlich zu der Situation kommt, dass Nancy sich zwischen Familie und ihrem Land entscheiden muss.

Persönliche Meinung:
Im Gegensatz zu ihrern anderen Büchern ist es mir hier wirklich schwergefallen, in die Geschichte einzutauchen und mich auf die Schwestern einzulassen, sowie ihre Motivationen und Fasziniationen nachzuvollziehen. Vermutlich waren es eben einfach zu viele unterschiedliche Erzählperspektiven, die hier aufeinander abgestimmt werden mussten. Der ständige Perspektivwechsel und die zeitlichen Sprünge ließen die ganze Geschichte sehr abgehackt wirken und es ist mir dadurch leider bis zum Schluss nicht gelungen, den Schwestern wirklich näherzukomme oder gar mitzufühlen. Auch fand ich es oft sehr langatmig und ermüdend und habe mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, das Buch vorzeitig abzubrechen. Geschichtlich fand ich es trotzdem sehr interessant, die NS-Zeit einmal aus der englischen Perspektive zu betrachten, allerdings wurde auf die Gräueltaten der Nazis meiner Meinung nach viel zu oberflächlich eingegangen.

Fazit:
Durchaus interessanter Blick auf das Leben und Wirken der englischen Mitford-Schwestern und ihre Rolle am damaligen Weltgeschehen. Für mich leider zu viele Erzählperspektiven, zu wenig Emotionen, zu viele Zeitsprünge, zu wenig Tiefe, zu viel Oberflächlichkeit in der Darstellung der NS-Zeit... Meiner Meinung nach der schwächste Band aus Marie Benedict's bisher überzeugender Starke Frauen-der Weltgeschichte-Reihe.

Bewertung vom 07.10.2024
Blutbuße / Hanna Ahlander Bd.3
Sten, Viveca

Blutbuße / Hanna Ahlander Bd.3


ausgezeichnet

Die Vergangenheit ruht nie ... Eiskalte Spannung am Polarkreis

Zum Inhalt:
im kleinen, beschaulichen Wintersportort Åre tummeln sich vor Ostern viele Urlauber. Auch die Immobilienentwicklerin Charlotte Wretlind aus Stockholm ist hier und belegt eine Suite im besten Hotel im Ort, wo sie kurz darauf auf grausame Weise getötet wird. Viele Hotelgästen brechen ihren Urlaub daraufhin ab und fahren nach Hause, denn der Mörder ist zunächst nicht bekannt. Ein neuer Fall für Hanna Ahlander sowie ihren Kollegen Daniel Lindskog, die umgehend die Ermittlungen aufnehmen. Diese führen sie in ein verlassenes Hotel außerhalb von Åre, welches vom Opfer abgerissen und durch ein schickes Luxushotel ersetzt werden sollte. Ist dies der Grund für ihren gewaltsamen Tod? Alles deutet zunächst darauf hin, zumal diese das Hotel noch aus ihrer Kindheit kannte. Doch so einfach ist die Lösung natürlich nicht und als ein zweiter Mord geschieht, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit...

Zum Buch:
"Blutbuße" ist der dritte Band der beliebten Bestseller-Autorin Viveca Sten mit der Hauptprotagonistin Hanna Ahlander. Die Handlung spielt in Åre, einem beliebten Skiort im Norden Schwedens, nahe der Grenze zu Norwegen. Die Spannung baut sich kontinuierlich bis zum fesselnden Ende hin auf. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, legt die Autorin verschiedene Fährten aus und somit gibt es gleich mehrere Verdächtige, die ein Motiv gehabt haben könnten, Charlotte Wretlind zu töten. Wie im wahren Leben auch, ist nichts so, wie es auf den ersten Blick erscheint und die wahren Hintergründe - und menschlichen Abgründe - entblättern sich nach und nach und zeigen, dass die Vergangenheit nie wirklich vergangen ist. Das Ermittlerteam besteht aus Hanna Ahlander, die immer noch recht neu in der Dienststelle ist, sich aber bereits gut integriert hat. Daniel Lindskog ist ihr Vorgesetzter, mit dem sie eng zusammenarbeitet und die Ermittler Raffe und Anton vervollständigen das starke Kleeblatt. Die atmosphärische Dichte kommt bei Viveca Sten ebenfalls nie zu kurz: angefangen vom stimmigen Cover schafft sie es, die Schönheit der Natur und die Unbarmherzigkeit der eisigen, schneereichen Tage und Nächste im hohen Norden zu beschreiben, was der Story noch das gewisse Extra an Stimmung verleiht. Durch die Zeitform Präsens ist alles sehr direkt und unmittelbar und durch die kurzen Kapitel wird das Tempo der Geschichte deutlich forciert. Durch eine weitere Erzählperspektive erhält man als Leser zwischen den einzelnen Kapiteln noch Rückblicke ins Jahr 1973 und versteht dadurch nach und nach die Hintergründe.


Persönliche Meinung:
Mit Hanna hat die Autorin eine sympathische Figur geschaffen: auf den ersten Blick wirkt sie etwas introvertiert, doch je besser man sie kennenlernt, umso mehr erwärmt man sich für sie, denn sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und ein sicheres Bauchgefühl. Auch der Ermittlungsleiter Daniel Lindskog ist einer der Hauptfiguren und wie Hanna ein Charakter mit Ecken und Kanten. Man fühlt mit, wie er den Spagat zwischen junger Familie und der zügigen Auflösung dieses Falles hinzubekommen versucht. Hanna und Daniel sind schnell zu einem Team zusammengewachsen und ergänzen sich sehr gut. Insgeheim fühlt Hanna sich aber mehr zu Daniel hingezogen und auch Daniel scheint langsam Gefühle für sie zu entwickeln. Doch er hat noch mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen, die sich immer wieder in heftigen Wutausbrüchen Bahn brechen. Auch Anton hat mich schon im letzten Band beschäftigt: wann wird er endlich zu seiner Orientierung stehen? Das Privatleben von Hanna, Daniel und auch Anton nehmen recht viel Raum ein. Das ist sicher nicht jedermanns Sache bei einem Krimi, bei dem es in erster Linie um Opfer, Täter und Motive geht. Dennoch mag ich persönlich gerade das sehr gerne, da auch Polizisten schließlich nur Menschen sind und somit menschlich (und nicht immer rational) handeln.
Übrigens: wer die ersten beiden Bände nicht gelesen hat, dürfte trotzdem problemlos mitkommen, da die wesentlichen Dinge, die das Verständnis erleichtern, im vorliegenden Band gut eingearbeitet wurden.
Ich habe mich wieder bestens unterhalten gefühlt und hoffe, die Forsetzung lässt nicht allzu lange auf sich warten. Auch kann ich mir eine Verfilmung dieser Serie jetzt schon gut vorstellen. Mir ist diese Serie inzwischen wirklich ans Herz gewachsen und ich freue mich schon auf den nächsten Fall.

Fazit:
Fesselnder und komplexer Krimi von einer Autorin, die ihr Handwerk versteht wie kaum eine andere. Spannende und unterhaltsame Lesestsunden sind garantiert.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 18.08.2024
Letzte Lügen / Georgia Bd.12
Slaughter, Karin

Letzte Lügen / Georgia Bd.12


ausgezeichnet

GBI Special Agent Will Trent und Gerichtsmedizinerin Dr. Sara Linton sind frisch verheiratet und wollen ihren Honeymoon auf einer hochgelegenen Lodge in den Bergen Georgias verbringen. Doch schon in der ersten Nacht dringt ein gellender Hilfeschrei über den See und Will findet die sterbende Mercy McAlpine grausam zugerichtet am Seeufer. Da die Ferienanlage weit abgelegen der nächsten Stadt liegt und zudem ein schweres Unwetter aufzieht, sind Will und Sara zunächst auf sich selbst gestellt und versuchen herauszufinden, wer der Mörder ist. Dabei sehen sie sich einem jahrzehntealten Netz von Geheimnissen konfrontiert, welches sie mühsam zu entwirren versuchen und sind schockiert über die Kälte und Gefühlslosigkeit, die in der McAlpine-Familie herrscht. Doch die Zeit tickt, der noch unbekannte Mörder ist noch nicht fertig ...

Zum Buch:
Dies ist der zwölfte Fall der seit Jahren bestehenden "Georgia"-Reihe um GBI Special Agent Will Trent, die inzwischen auch schon sehr erfolgreich verfilmt wurde. Für mich ist es erst der zweite Fall und obwohl ich die Vorgeschichte von Will und Sara nicht bis ins letzte Detail kenne, bin ich mühelos mitgekommen, da die Wissenslücken auch im vorliegenden Buch clever geschlossen werden. Die Hauptfiguren sind mit sehr viel Liebe zum Detail ausgearbeitet und sind mir sehr schnell ans Herz gewachsen. Allen voran natürlich Will mit seiner Vergangenheit als Heimkind, aber auch Sara ist nicht minder liebenswert. Und auch Will's "partner in crime" Faith Mitchell mit ihrer ganz besonderen Art ist schnell zu einer Lieblingsfigur geworden.

Die Spannung ist von Anfang an greifbar und baut sich bis zum Ende kontinuierlich auf. Durch die gründliche und detailverliebten Beschreibungen entsteht schnell eine atmosphärisch dichte Geschichte, die dem Kopfkino richtig Spaß macht. Verschiedene Erzählperspektiven machen die Story noch lebendiger. Briefe von Mercy an ihren Sohn Jon zeigen die Eskalation über die Jahre sehr intensiv und emotional auf.
Was jedoch besonders schockiert, ist die Kälte innerhalb der Familie, die aber sehr glaubhaft dargestellt wird. Wer so eine Familie hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr! Die Kapitel waren recht lange, so dass man das Buch einfach nicht zwischendurch zur Seite legen konnte. Bis zum Ende kann man sich nicht wirklich sicher sein, wer nun der Täter ist, denn nicht nur die Familie, sondern auch die Gäste in den anderen Ferienlodges hatten sowohl Motiv als auch die Gelegenheit zur Tat. Das Thema, welches sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, kann ich hier nicht benennen, da es zuviel verraten würde. Die Geschichte der Familie geht wirklich unter die Haut und lässt einen nicht mehr so schnell los!

Der einzige Kritikpunkt betrifft das Cover: Wieso muss wieder einmal eine schwarze Katze als Symbol für das Böse, Gefährliche herhalten, zumal sie mit dem Inhalt wirklich überhaupt nichts zu tun hat?

Letztendlich zählt aber das, was zwischen den Buchdeckeln steckt und das ist ein absolut gelungener, sehr spannender Krimi. Ich freue mich schon auf den nächsten Fall von Will, Sarah und Faith. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 20.07.2024
Unlock My Heart / Golden Heights Bd.1
Louis, Saskia

Unlock My Heart / Golden Heights Bd.1


ausgezeichnet

Ja, die junge Studentin Lexie ist wahrlich nicht mit dem goldenen Löffel zur Welt gekommen, sondern hat früh die Schattenseiten des Lebens kennengelernt. Auch jetzt verdient sie sich neben ihrem Kellnerin-Job durch den Verkauf gefälschter Ausweise und Prüfungsantworten etwas dazu, um über die Runden zu kommen und ihr Studium zu finanzieren. Dadurch fällt sie auf dem Campus-Gelände schließlich ausgerechnet dem reichen und zudem viel zu gut aussehenden Milliardärssohn Logan Maxx auf, der ihre Fähigkeiten für einen ganz bestimmten Auftrag braucht. Obwohl sie diesen eigentlich nicht annehmen will, bleibt ihr nichts anderes übrig. Lexie und Logan, zwei Welten treffen aufeinander, die kaum unterschiedlicher sein könnten ...

Zugegeben, das klingt ganz nach Klischees und der Wiederholung einer bereits oft erzählten Story: Arm trifft auf Reich, beide mögen sich anfänglich nicht und dennoch entwickelt sich bald mehr, als sie den anderen besser kennen- und verstehen lernen. Dann kommt noch das gewisse kribbeln dazu - voilà, fertig ist die Lovestory. Doch es kommt ja immer darauf an, wie das ganze Paket verpackt wird und wieviel Spaß es macht, den Inhalt zu entdecken, nicht wahr?
Kurzum: ich hatte sehr viel Spaß daran! Obwohl ich keine allzu großen Erwartungen hatte, weil ich es voreilig in die Schublade "oberflächliche New Adult-Lovestory, für die ich wahrscheinlich eh schon zu alt bin" gesteckt hatte, wurde ich positiv überrascht.

Die Charaktere:
Mir haben die Charaktere Lexie und Logan sehr gut gefallen, beide sind interessant, witzig, einfalls- und facettenreich - ich habe beide schon nach kurzer Zeit in mein Herz geschlossen. Genauso wie die Nebendarsteller: Aiden, der Brot & Kekse-backende Quarterback. Die quirlige Kunststudentin Carly, die ihren Kühlschrankinhalt nach Haltbarkeit und Farben ordnet. Ty, der seine Pflichten als großer Bruder von Lexie sehr ernst nimmt. Mace, der grummelige Barbesitzer mit dem Herz am rechten Fleck, bei dem Lexie und Ty arbeiten. Die Autorin hat allen ihre Figuren Leben eingehaucht und sie mit liebenswerten Ecken und Kanten versehen, z.B. Logan's Schrauben-Sammlung.

Die Story:
Von Anfang bis Ende abwechslungsreich und niemals langweilig. Obwohl der Roman sehr dialoglastig ist, die sich oftmals über viele Seiten am Stück erstrecken, habe ich diese nie als zu ausufernd empfunden, was hauptsächlich an dem witzigen Schlagabtausch liegt ... und an den Gesprächen über Herkunft sowie Zukunft und alles, was dazwischen liegt. Hier habe ich immer wieder über die Tiefe gestaunt, die trotz des scheinbaren Geplänkels erreicht wird.
Einige Wendungen sind natürlich etwas konstruiert, aber alles in allem dennoch eine runde und stimmige Story. Auch das gewisse Knistern und die Romantik kommen keinesfalls zu kurz, was bei einer Liebesgeschichte selbstverständlich nicht fehlen darf.

Schreibstil:
Flüssig und bildstark. Sehr lange, aber unterhaltsame Dialoge. Schwierige Themen wie Adoption, Ablehnung durch leibliche/Adoptiveltern, unerfüllbar scheinende Wünsche und Lebensziele, falsche Erwartungen/Vorverurteilungen anderer uvm. werden scheinbar mühelos vermittelt.
Es gibt mit Lexie und Logan zwei alternierende Erzählperspektiven, so dass man beide noch persönlicher und jeweils aus der Sicht des anderen kennenlernen kann.
Es gibt leider sehr viele Wortwiederholungen, wie z.B. Fuck, Shit, lächerlich, dumm/blöd, Alter, er/sie schnaubte, usw. Teilweise spiegelt es natürlich die Alltagssprache der jungen Leute wider, was mich als Ü50-jährige aber nicht sehr gestört hat.

Tja, Lexie, Logan und ihre Freunde haben mich um den Finger gewickelt und da ich wissen möchte, wie es mit ihnen weitergeht, habe ich mir den 2. Band "Unlock my Truth", der im Februar 2025 erscheint, schon vorbestellt.

Ach ja, und das Cover mit dem passenden Farbschnitt und der stimmigen Innengestaltung waren natürlich noch ein schönes Extra. Dieses Buch macht sicher auch als Geschenk was her, denn es überzeugt von innen und von außen.

Fazit:
Sehr unterhaltsame, witzige, dennoch tiefgründige Lovestory mit der richtigen Mischung aus Romance, Humor und Spannung, die man nur schwer aus den Händen legen kann. Klare Leseempfehlung!

Lexie:
"Es ist okay, dass es hart ist, Logan. Das Leben darf schwer sein! Es darf mich müde machen. Es darf mich verzweifeln lassen. Ich bin es gewohnt, dass mein Weg steiniger ist als der vieler anderer. Aber solange ich glückliche Momente habe. Solange ich Menschen habe, auf die ich zählen kann. Die mich lieben und die ehrlich zu mir sind und mir den Rücken stärken. Solange ist es okay. Solange kann das Leben trotz allem wunderschön sein. Nur weil manche Menschen mehr haben als ich, heißt das nicht, dass sie >mehr< haben als ich. Es kommt nur immer auf die Kategorien an, in die man sein Leben einteilt. Und ich wähle die guten Kategorien. Die richtigen."

Bewertung vom 11.07.2024
Die Verlierer
Hammesfahr, Petra

Die Verlierer


gut

Ich mag die Bücher von Petra Hammesfahr eigentlich sehr gerne, zumindest die früheren ihrer Werke. Ihre zuletzt erschienenen Bücher fand ich recht durchwachsen und auch "Die Verlierer" lässt mich etwas ambivalent zurück, hier gibt es für mich ziemlich viel Licht und Schatten. Vieles hat mir gefallen, aber einges fand ich auch nicht sehr gelungen.

Was mir gut gefallen hat:
Mir gefällt der Schreibstil der Autorin, der flüssig und bildstark zu lesen ist.
Die Charaktere haben Ecken und Kanten, die einen beschäftigen und an denen man sich reiben kann.
Man kann sich über das vermutete Ende nicht zu früh sicher sein, denn es gibt
überraschende Wendungen und Fährten, die ins Leere führen.
Die Story ist (wie immer bei Petra Hammesfahr) bewegend und realitätsnah, man kann sich gut in die Geschichte hineinversetzen und mit den Betroffenen mitfühlen.

Was mir weniger gefallen hat:
Es gibt hier ziemlich viele handelnde Personen, mehrere Handlungsstränge und damit stetig wechselnde Schauplätze, dazu wiederkehrende Rückblenden in die Vergangenheit. Der ständige Perspektivwechsel zwischen der ermittelnden Hauptkommissarin Rita Voss und dem mutmaßlichen Täter sowie dessen Rückblende auf seine eigene Geschichte könnte eigentlich die Spannung anheizen, aber das Gegenteil ist hier der Fall: die Geschichte verliert an Tempo und der Spannungsbogen verläuft sehr flach.
Leider konnte mich die Darstellung der meisten Charaktere und eben auch die von Rita Voss zu keiner Zeit wirklich überzeugen. Das ständige Klein-Klein zwischen Rita Voss und ihrem Vorgesetzten (und aufgrund ihrer schwierigen Art eigentlich mit jedem ihrer Kollegen) nimmt zu viel Raum und Bedeutung ein und nervt schließlich nur noch. Eine Hauptkommissarin, die zudem ständig Rat bei ihrem Mentor und Bestätigung von ihrem Vorgesetzten sucht, ist für mich wenig glaub- und vertrauenswürdig.
Das Motiv von Carli fand ich zwar nachvollziehbar, wenn man seine Geschichte kennt, doch seine (oder eher: ihre) Umsetzung ist recht ... kreativ.
Durch viele ausufernde und unnötige Passagen dauert es extrem lange, bis die verschiedenen Handlungsstränge zusammenfinden und man die Zusammenhänge und Motive erkennt, was sich wiederum negativ auf die Spannungsentwicklung auswirkt.
Die erzählte Geschichte hat durchaus Tiefe, doch ein Großteil ihres Potentials geht in zu vielen Schauplätzen und den unübersichtlichen Ermittlungsansätzen verloren, die die Story eher träge dahinplätschern lassen.

Tja, leider überwiegen hier für mich persönlich die Schattenseiten, auch wenn das Thema interessant und unterhaltsam ist. "Psycho-Spannung", wie auf dem Cover angekündigt, ist es für mich aber nicht.

Bewertung vom 06.06.2024
Der 1. Patient / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.4
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Der 1. Patient / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.4


gut

Dr. Sasha Müller ist eine angesehende Gefäßchirurgin und setzt sich deutschlandweit für den Einsatz von KI im medizinischen Bereich ein. So arbeitet sie bereits mit KI-Unterstüzung bei Operationen im Klinikum Spreehöhe in Berlin - eine Entwicklung, die von einigen kritischen Medizinern in Deutschland argwöhnisch betrachtet wird, die nur auf einen fatalen Fehler warten. Und dieser geschieht schließlich auch, denn einer ihrer Patienten überlebt den Eingriff nicht. Doch wer hat nun Schuld daran, ist es der Mensch, also die nun angeklagte Dr. Müller, oder doch eher die KI?

Zum Buch:
Mit "Der 1. Patient" setzt das Autorenduo Schwiecker und Tsokos seine bereits etablierte Serie fort und fokussiert in diesem Fall die Rolle der KI in medizinischen Bereichen wie hier als Unterstützung während einer OP. Ein spannendes Thema, welches die Gesellschaft oft in Befürworter und Gegner spaltet, was auch in dieser Geschichte deutlich zum Ausdruck kommt. Wie bei einem Justiz-Krimi üblich, liegt der Schwerpunkt auf der Gerichtsverhandlung und wie clever Staatsanwaltschaft und Verteidiger ihre Karten ausspielen. Mit den Hauptfiguren Rocco Eberhardt, Gerichtsmediziner Justus Jarmer und dem Ermittler Tobias Baumann haben die Autoren durchaus interessante Akteure geschaffen, denen man mit Interesse und Spannung folgt. Die Spannung baut sich langsam, aber kontinuierlich auf und man hofft natürlich auf einen spektakulären Showdown mit mitreißenden Plädoyers vor Gericht. Die medizinischen und rechtlichen Fakten werden leserfreundlich vermittelt und man bekommt so einen kleinen Einblick in die Welt der "Medical Intelligence". Die Kapitel sind von angenehmer Länge und enden oft mit einem Cliffhanger. Einzig die Figuren sind recht oberflächlich gezeichnet, vor allem die der Angeklagten Dr. Sasha Müller. Hier wäre eine weitere, ausführlichere Erzähl-Perspektive aus Sicht der Angeklagten wünschenswert gewesen, um mehr über sie als Mensch zu erfahren. Dies wäre vor allem in Bezug auf das doch recht überraschende Ende hilfreich gewesen. Nicht nur Anwalt und Gerichtsmedizinier sollten in einem Justiz-Krimi die Hauptrolle spielen - auch die Angeklagte(n), um deren Fall sich schließlich alles dreht!

Persönliche Meinung:
Ich hatte überwiegend Spaß beim lesen und fand den Fall und den Verlauf auch durchaus spannend. Dennoch habe ich mich zunehmend an für mich nicht nachvollziehbaren Herangehensweisen gestört. Vielleicht habe ich auch einfach schon zu viele Justiz-Krimis anderer Autoren gelesen und reagiere deshalb zu kritisch, wer weiß... Abgesehen davon gab es aber zahlreiche Kapitel, wo es einfach an Tiefe und auch Raffinesse gefehlt hat. Vielleicht kann man bei einem Umfang von 344 Seiten auch nicht mehr erwarten, dennoch hat mich vor allem das Ende mit seiner für mich recht kurz abgehandelten und ziemlich unglaubwürdigen Auflösung doch überrascht und enttäuscht. Leider kann ich hierzu nicht näher darauf eingehen, da ich dadurch zuviel verraten und somit spoilern würde, aber ich fand das Motiv zu sehr konstruiert, damit es zum Thema des Buchs passt. Logisch und nachvollziehbar fand ich es nicht und gerade hier wäre eine weitere durchgängige Erzählperspektive aus Sicht des Täters nötig gewesen, um die Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Was mich zudem noch gestört hat, waren zahlreichen Wiederholungen wie z.B. Rocco machte "seinem besten Freund" einen Espresso... "der (beste) Freund" kam in gefühlt jedem Kapitel einmal vor, was nicht nur unnötig, sondern irgendwann auch nervig war. Rocco Eberhardt, Justus Jarmer und Tobias Baumann sind die makellosen Helden dieser Krimi-Serie, sie stehen im ruhmbringenden glorreichen Spotlight, was einfach etwas too much ist, ein paar Macken, Ecken und Kanten hätte ihnen mehr Authentizität verliehen. Hätten die Autoren sich lieber etwas mehr Mühe gegeben, die Figuren ihres Krimis detailgetreuer zu skizzieren und nicht alle mehr oder weniger in die Schubladen Freund oder Feind zu packen. Gerade die Angeklagte Sasha Müller blieb mir dadurch bis zum Schluss leider fremd und unnahbar, es gelang mir daher nicht, Mitgefühl für sie aufzubringen bzw. für sie als Angeklagte mitzufiebern.

Fazit:
Ein interessanter Fall, der einem zudem auch die "Medical Intelligence" etwas näher bringt. Ich kann dieses Buch Lesern empfehlen, die Justiz-Krimis mögen und nicht zu kritisch mit den namhaften Autoren ins Gericht gehen.