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Juma

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Insgesamt 178 Bewertungen
Bewertung vom 22.08.2025
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Schwüre, die wir brechen / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.2


ausgezeichnet

Mythologie und Wahnsinn

Das Schriftstellerduo Roman Voosen & Kerstin Signe Danielsson legt mit „Schwüre, die wir brechen“ einen zweiten spektakulären Fall und Kriminalroman vor, der den Leser gehörig durchschüttelt. Der erste Teil „Tode, die wir sterben“ stellte dem Lesepublikum die strafversetzte Kommissarin Svea Karhuu und den psychisch angeschlagenen Kommissar Jon Nordh als neues Ermittlerteam in Malmö vor. Von diesem Einstieg setzt sich der neue Roman in jeder Hinsicht positiv ab. Ungewöhnliches geht vor sich, Schweden stöhnt unter einem ungekannten Hitzesommer und es taucht im wahrsten Sinne des Wortes eine Leiche auf. Das passiert zuweilen, dass sie aber einen neuen Kopf angenäht bekam, den eine Nilkrokodils und ihr bei lebendigem Leibe das Herz herausgerissen wurde, das verstehe ich unter ungewöhnlich.
Jon Nordh sitzt derweil noch immer den Tod seiner Frau im Nacken und er sucht nach einem möglichen Schuldigen. So macht er sich erpressbar und geht seiner Vorgesetzten prompt auf den Leim. Gegen jede inne Überzeugung übernimmt er als leitender Ermittler den grausigen Fall, an seiner Seite Svea, die für den Fall brennt. Nordhs Inneres und Äußeres sind jedoch derart derangiert, dass man als Außenstehender schon Zweifel an seiner Einsatzfähigkeit haben kann. Das Ermittlerteam und die Spurensicherung haben jede Menge zu tun, aber vom Mörder und dem Motiv keine Spur. Als wäre das nicht genug, findet man erst den Kopf des Toten und dann noch einen zweiten. Die Umstände nicht weniger makaber, aber wesentlich blutiger und brutaler. Das Team kommt an seine Grenzen. Es taucht wieder ein Tierkopf auf der zweiten Leiche auf, diesmal ein Vogelkopf. Hinzu kommen unzähliger Zeichnungen auf seinem Körper, die nach Hieroglyphen aussehen. Von einem Ägyptologen lässt man sich bei der Polizei einiges Grundlegendes beibringen, aber eine Lösung ist längst nicht in Sicht. Das Umfeld der beiden Opfer wird durchleuchtet, noch ohne Erfolg.
Eingeblendet in die Ermittlungsarbeit der Polizei sind Erinnerungen eines ehemaligen Opfers der Colonia Dignidad aus den 1970er Jahren. Peter kann nach Jahren der Qual und Unterdrückung entkommen, aber offensichtlich ist er schwer geschädigt, nicht nur körperlich, auch geistig. Was diese Berichte mit den Morden in Schweden heute verbindet, das werde ich nun auf keinen Fall preisgeben, auch nicht, ob es noch mehrere Opfer gibt oder wie die Aufklärung gelingt. Nur so viel, es bleibt spannend bis zur letzten Zeile. Und dann schließt sich auch der Kreis, der im Prolog seinen Beginn hat.
Das Cover ist genauso, wie ich mir einen Schwedenkrimi vorstelle, auf dem Ladentisch würde ich ihn sofort an mich reißen! Gerne mehr davon. Vom Autorenteam, wie auch vom Ermittlerteam. Bis 2026 muss ich nun leider warten auf „Opfer, die wir bringen“.
Der Schreibstil der beiden Autoren gefällt mir sehr, offensichtlich benötigen Sie auch keinen Übersetzer, da beide u. a. Germanistik studiert haben. Ich habe selten einen so blutigen und grausamen Kriminalroman so gern gelesen. Ich empfehle das Buch uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 22.08.2025
Simon, Teresa

Die Holunderschwestern


sehr gut

Möbel lassen sich leichter restaurieren als Lebensgeschichten

Es ist erst wenige Monate her, dass ich die Autorin Teresa Simon durch ihr Buch Zypressensommer kennengelernt habe. Als ich nun die Kurzbeschreibung vom neuen Buch las, das ja so neu nicht ist, die erste Auflage erschien 2016, war ich sofort interessiert. Wenn Geschichte und Familiengeschichte zu einem Roman vereint werden, hat das für mich einen ganz besonderen Reiz. Hier im Roman ist es die Zwischenkriegszeit, der Erste Weltkrieg ist zu Ende und die Weimarer Republik steckt in den Kinderschuhen und wird durch Hitlers Machtergreifung sehr bald beendet, die folgenden Jahre sind geprägt von Aufbruchsstimmung und Judenhass, der nur einmal kurz an die Leine genommen wird für die Olympischen Spiele 1936. Meine Großmutter, 1899 geboren, hat all das auch erlebt, schon deshalb entschied ich mich für dieses Buch.
Das Buch beginnt als Prolog mit einem geheimnisvollen, traurigen Brief, geschrieben von F. Wer ist F.? Was haben all die Andeutungen zu bedeuten? Viele Fragen gleich am Anfang. — Mit dem ein ganzes Jahrhundert übergreifenden Trick der 2015 auftauchenden Tagebücher ihrer Ururgroßmutter Fanny kommt Katharina ins Spiel. Sie ist eine junge Restauratorin, die mit Isa, ihrer antikverliebten Freundin eine kleine Firma aufgebaut hat. Dass sich bei ihren Funden in und um München so einiges an verborgenen Werten und Überraschungen zeigt, gibt dem Roman eine besondere Note. Und über Möbelrestaurationen erfährt man en passant auch eine ganze Menge.
Katharina nimmt sich der Tagebücher an und verliebt sich auch gleich noch in den Überbringer, Alex Bluebird, Engländer, kunstsinnig, leider verheiratet. Diese von Fanny geschriebenen zwei Kladden erzählen von ihrem alltäglichen Leben, von ihrer Zwillingsschwester Fritzi, die besitzergreifend und maßlos ist. Fanny flüchtet aus der Enge ihres Elternhauses in Weiden und geht in die große Stadt München. Auch hier hält ihr das Leben kein Rosenbett bereit, schon bald hält sie es auch bei ihrem Bruder nicht mehr aus. Um nicht mit allzu vielen Spoilern die Leselust zu dämpfen, will ich über das Folgende nur noch so viel schreiben: Fanny hat kein einfaches Leben, aber sie findet eine jüdische Freundin, Alina, und diese Freundschaft allein ist es wert, den Roman zu lesen. So war es für mich jedenfalls. Hinzu kommen Erlebnisse mit verschiedenen, noch heute bekannten Künstlern, Paul Klee wird im Roman eine ganz besondere Rolle zukommen.
Teresa Simon verbindet auf besondere Weise gerade die aufkommende Nazizeit und die ersten Jahre der Hitlerdiktatur mit den ganz persönlichen Erfahrungen ihrer Protagonisten. Die Zwillingsschwestern entzweien sich so auch in ihren politischen Anschauungen. Aber erst ganz am Ende des Buches wird Katharina aufklären können, weshalb die Tagebücher 1936 abrupt endeten und wie sie in den Besitz einer englischen Familie gekommen sind. Bis man als Leser dort angekommen ist, ist jedoch auch Geduld gefragt, besonders bei den ausführlichen Schilderungen von Möbelrestaurationen, was mich manchmal vom Hauptthema zu sehr ablenkte.
Die Autorin hat so gut recherchiert und so viele Details auch aus der eigenen Familiengeschichte zusammengetragen, dass es über 500 Seiten geworden sind. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass die Texte der Tagebuchaufzeichnungen in einer größeren Schrift wiedergegeben worden wären. Mir fiel das Lesen dieser Textteile trotz Brille schwer. Hier wäre für mich tatsächlich ein E-Book hilfreich gewesen.
Das Cover macht einen recht romantischen Eindruck, der im Roman nur durchdringt, wenn z. B. über den Holunderstrauch erzählt wird, dessen Blüte hier über allem schwebt. Die Handlung mit ihren so unterschiedlichen, teilweise schon sehr bösen und brutalen Charakteren, mit der bedrückenden Lage der Juden nach 1933 und auch mit der verachtenden Sicht auf Frauen hingegen ist alles andere als romantisch.
Dieses Buch bietet gute Unterhaltung, wobei es keine seichte Liebesgeschichte wurde, sondern ein sehr bewegender Roman. Ich habe das Buch gern gelesen, auch wenn es phasenweise schwer zu verkraften war. Ich empfehle es gern!

Fazit: ein bewegender Familienroman, der mit geschichtlichen Details ebenso besticht, wie mit den beigefügten Rezepten für bayerische Köstlichkeiten.

Bewertung vom 16.08.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


gut

Die Unzulänglichkeiten der Welt
Leon Engler nimmt den Leser mit auf seinen Weg durch die Botanik des Wahnsinns, der nicht erst beginnt, als er feststellt, dass alle wichtigen Erinnerungen an seine Mutter, seine Kindheit geschreddert auf der Müllhalde gelandet sind. Er beginnt diesen Wahnsinnsweg schon als Kind, so erinnert er sich an die Merkwürdigkeiten seiner Mutter und seines Vaters. Nur langsam filtert er aus diesem Wahnsinn, der sich oftmals schier versteckt, die Tatsachen und Wirklichkeiten heraus. "Die Mutter bipolar und psychotisch, der Vater todkrank." So erzählt Engler eine Erkenntnis- und Erweckungsgeschichte, der ich oftmals nicht gern folgte. Sie ist bedrückend, auch wenn er die Ironie seiner Erkenntnisse durchscheinen lässt. Der "Hauptdarsteller" ist ein Zweifler an sich, an seinen Eltern, seiner Umwelt, seinen Freunden und er wundert sich manchmal über sich selbst. Nur die Erzählungen über den alten Nachbarn haben mir gut gefallen, als wären sie einer Extra-Story in der Story, warmherzig und liebevoll geschrieben.
Eingewebt in seine Geschichte findet man Zitate von Schriftsellern und Psychiatern und kann sich seinen Reim auf die Unzulänglichkeiten der Welt selbst machen.
Fazit: Vielleicht ein Buch für angehende Psychiater, ich werde es meinem Enkel empfehlen, der studiert noch. Für mich war es eher ungeeignet.

Bewertung vom 15.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


ausgezeichnet

Fernes Japan trifft auf fremdes Deutschland - Ein Familienpuzzle

Yuko Kuhn hat mit "Onigiri" ihren ersten Roman vorgelegt, der mir sehr gut gefallen hat. Hauptperson und Ich-Erzählerin ist Aki, Tochter einer Japanerin und eines Deutschen, die in Deutschland aufwächst und nun am Ende des Lebens ihrer Mutter Keiko versucht, die Familiengeheimnisse zu lüften. Was nicht so einfach ist, denn ihre Mutter ist an Demenz erkrankt. Aki versucht, es möglichst allen recht zu machen, aber auch ihre Geduld kommt manchmal an ihre Grenzen. Trotzdem hat sie sich in den Kopf gesetzt, mit ihrer Mutter noch ein einziges Mal nach Japan zur Familie zu reisen, letztlich ist es der Tod der japanischen Großmutter mit über 100 Jahren, der sie aufrüttelt. Auch wenn sie versucht ihrer Mutter, alles zu erklären und zu erzählen, diese vergisst es im Handumdrehen und Aki ist alarmiert. Die Reise nach Japan gestaltet sich trotzdem nicht schwierig, das mag auch mit dem geduldigen Temperament der Japaner an sich zu tun haben. Sei es der fröhliche Onkel oder die alte Freundin der Mutter, die es erträgt, dass Keiko sie nicht mehr erkennt. Die Autorin charakterisiert jede ihrer Figuren sehr einfühlsam, auch wenn sie kritisch ist, bleibt die Liebe immer vordergründig.
Das Buch ist mit rund 200 Seiten nicht sehr umfangreich, aber sehr anrührend und gut zu lesen. Die japanische Kultur, das fremde Essen, die unbekannten Worte, das alles erzeugt eine vertrauliche und empathische Atmosphäre für den Leser. Sehr gefallen hat mir das Glossar. Am Anfang gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis mit den japanischen Kapitelüberschriften und deren Übersetzung. Warum die deutsche Übersetzung bei den Kapitelanfängen weggelassen wurde, weiß ich nicht. Ich musste jedenfalls doch immer wieder vorn nachschauen.
Der liebevolle Umgang von Felix, Akis Ehemann, mit seiner dementen Schwiegermutter hat mich tief berührt und ließ mich an meinen Mann und meine Mutter denken, die ein ähnliches Verhältnis hatten. Ebenso gut gefielen mir die Szenen in Japan im Hause des Onkels. Aki erzählt ihre und die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Familie in einem ständigen Wechsel der Zeiten und Orte, ein bisschen gewöhnungsbedürftig war dieser ständige Wechsel teilweise. Aber immer noch leichter zu verfolgen als im Hörbuch, das für mich den Anlass gab, dieses Buch in seiner gedruckten Version zu lesen. Als Zuhörer musste man versuchen, die japanischen Worte im Kopf zu behalten, im Buch vor- und zurückzublättern ist leichter. Was Onigiri tatsächlich bedeutet, gibt auch das Buch nicht sofort preis, man kann es natürlich googeln.
Fazit: Ich empfehle das Buch sehr gern, es lässt einen Blick zu auf ein Japan, wie wir Europäer es nicht so gut kennen.

Bewertung vom 28.07.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Emotionaler Vulkanausbruch – Spannung garantiert

Kristina Hauff ist für mich eine neue Autorin, aber es gibt bereits einige Romane von ihr, die stehen nun auf meinem Merkzettel. Und das hat einen triftigen Grund: Schattengrünes Tal hat mich total begeistert!
Ort der Handlung: Der Schwarzwald mit seinen Höhen und Tiefen. Die Autorin lässt die Geschichte dort recht fröhlich beginnen, mit einem Fest in einer Waldhütte zum 45. Geburtstag von Simon. Seine Ehefrau Lisa ist bei ihm, beobachtet alles aus einer zurückhaltenden Perspektive, auch ihre Freundin Johanna ist dabei. Die Tochter ist zum Auslandsjahr in Kanada. Lisa singt für ihren Mann, die Gäste sind begeistert. Alles ist ruhig, aber ausgelassen, bis plötzlich der Strom weg ist. Jemand hat den Stecker gezogen am Generator. Ein Witz, ein Streich? Als sich alles beruhigt hat, erhält Simon eine anonyme SMS, eine Gratulation zum Hochzeitstag.
Wer sind die Protagonisten? Simon ist studierter Förster, lebt in seiner Waldwelt und scheint ein friedlicher Ehemann zu sein. Lisa arbeitet Teilzeit beim Tourismusbüro, sie hat dafür auch studiert, und zusätzlich hat sie die Buchhaltung des Hotels ihrer Eltern übernommen. Die demente Mutter Rose lebt im Heim, der Vater Carl ist auch in einem Zustand, in dem er besser Pensionär und nicht Chef und Koch eines Hotels wäre. Er hat sich eine Hilfe engagiert, Margret, die über die Jahre die Hoffnung hegt, die künftige Ehefrau und Chefin zu sein. Noch ist sie nur die bessere Bedienstete und ausgebeutete Freundin. Es ist nicht alles eitel Sonnenschein im Hotel „Zum alten Forsthaus“. Die Betonung liegt seit Langem auf „alt“, nun stellt sich heraus, dass die Heizung defekt ist. Lisa macht sich auf den Weg zum Hotel, vielleicht kann sie helfen. Mit dem störrischen Vater stellt sich das als schwierig heraus, aber ein Handwerker – von den „feindlichen“ Reichenbachern, die das erste Haus am Platze führen –, wird organisiert. Eigentlich sind keine Gäste mehr im eiskalten Hotel, aber eine hat sich doch eingefunden. Daniela Arnold, die hilfsbedürftig erscheint und ein Bett für die Nacht sucht. Trotz ihrer Ressentiments stimmt Lisa dieser merkwürdigen Einquartierung zu und verspricht, einen Ölradiator zu besorgen.
So beginnt dieser Roman mit einer netten Story und so manchen Gedanken der Protagonisten, die nie laut ausgesprochen werden. Jeder denkt sich seinen Teil. Lisa hat noch einen Bruder, der etwas jünger als sie, die Kurve gekratzt hat und in Frankfurt am Main ein für den Vater völlig inakzeptables Leben als privater Musiklehrer und Teilzeitkellner führt. Für den Vater absolut untragbar, der Sohn sollte Konzertpianist werden und außerdem das Hotel übernehmen. Beide Wünsche erfüllt Felix nicht. Die Geschwister sind sich aber immer trotzdem sehr verbunden, auch wenn Lisa das Gefühl hat, dass für den Vater nur Felix zählt, ihre Mithilfe ist nett, aber mehr auch nicht. Dank kann sie wohl nie erwarten. Aber da geht es ihr wie Margret, so gibt es eine kleine innere Verdrahtung der beiden Frauen.
In diese Gemengelage hinein bohrt sich Daniela Arnold wie ein emsiger Holzwurm, und hinterlässt kleine Spuren, die schwer zu deuten sind. Lisa und Daniela verbindet die Musik, so kommt Daniela mit dem Chor und den Freunden von Lisa in Verbindung. Schon bald wurde ich beim Lesen das Gefühl nicht los, dass sich etwas Unheimliches entwickelt. Wie das leise Rumpeln und Zischen in den Phlegräischen Feldern in der Nähe des Vesuvs, jeder hört es, jeder riecht den Schwefelduft des Bösen, in dem imaginären schattengrünen Tal von Herzogsbronn braut sich etwas zusammen. Dass das Böse auf seine Gelegenheit lauert, wird Seite für Seite klarer. Und das liest sich so spannend, dass ich beinahe zweifelte, ob das Buch fürs falsche Genre deklariert ist. Der Roman weist eindeutig Thriller- und Krimielemente auf, die wahnsinnig gut platziert sind.
Die Protagonisten wechseln mit den Kapiteln, man lernt von jedem die Perspektive kennen, kann sich hineinversetzen in das Gedankenkarussell, das bei jedem im Kopf seine Runden dreht. Die Dialoge sind kurz und natürlich geschrieben, das Ambiente jeder Szenerie trägt dazu bei, dass sich langsam ein Film abspult, der ab der Mitte des Buches ziemliche Fahrt aufnimmt. Nur der Abspann war für meinen Geschmack etwas zu sanft.
Fazit: Bald konnte ich gar nicht mehr so schnell lesen, wie sich die Geschichte weiterentwickelte. Aber ich werde nicht spoilern, wer sich das Buch kauft, weil es schon so viele Sterne am Lesehimmel hat, der wird bestimmt nicht enttäuscht.

Bewertung vom 23.07.2025
Kicaj, Jehona

ë


sehr gut

So viele vergiftete Erinnerungen

Jehona Kicaj ist eine junge albanischsprachige Kosovarin, die seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt. Als ich im Herbst 1989 das erste Mal im damaligen Jugoslawien, in Dubrovnik, Urlaub machte, erfuhr ich auch zum ersten Mal vom Kosovo, von Kosovoalbanern, die ihre Identität nicht öffentlich machen wollten. Danach – in Deutschland war man gefühlt nur noch mit Mauerfall und Wende beschäftigt – begannen die Kriege, die auch das Kosovo und seine Bewohner zerstörten. Eine Flut von Flüchtlingen wurde in Deutschland aufgenommen, aber das wurde nicht so thematisiert wie jetzt, rund 34 Jahre später, der Ukrainekrieg. Für die Deutschen sind diese Kriege weit weg (gewesen). Aber die psychischen Traumata der Opfer und Vertriebenen, der Flüchtlinge klingen lange nach, werden uns noch lange begleiten. So, wie die Autorin heute davon berichtet, werden es später die Ukrainer oder Syrer sein, die ihre Erlebnisse und Wunden erst noch verarbeiten müssen.
Der Roman „ë“ hat wohl den kürzesten Titel, den ein Buch überhaupt haben kann, wenn man bedenkt, dass es teilweise in der albanischen Sprache auch noch ein stummer Laut ist, verschwindet er fast hinter der Geschichte. Und die spielt in der heutigen Zeit, man bemerkt es leider an der etwas aufgesetzt wirkenden geschlechtergerechten Sprache. Dabei ist es das Deutsch, dass offenbar in seiner Härte und Schwierigkeit der Ich-Erzählerin, vielleicht heißt auch sie Jehona, ein a am Ende des Namens ist sicher, einer Studentin, die sich einerseits mit der Heilung ihres verkrampften Kiefergelenks und andererseits mit den Erinnerungen an ihre Kindheit und die traurige Geschichte des Kosovo befasst, so sehr zu schaffen macht. Die auf Stress zurückgeführten Kiefergelenksbeschwerden lässt sie abwechselnd von einem Zahnarzt und einer Osteopathin behandeln, mit wenig Erfolg. Jehona will sich durchbeißen, sie ist und bleibt in der Diaspora, entkommt dabei weder ihren Gedanken noch ihren Gefühlen.
Der Leser erfährt Unbekanntes oder Vergessenes über den Kosovokrieg, der auch vor kleinen Kindern und Schulkindern nicht halt machte. Die Szenen sind bedrückend, lassen mich oft an die Ukraine denken, aber auch an den Zweiten Weltkrieg und seine Auswirkungen. Sehr anschaulich wird das besonders in den Seminaren der anthropologischen Forensikerin Dr. Joana Korner, die Jehona besucht. Hier geht es sehr ins Detail der mörderischen Verbrechen, die im Kosovo geschehen sind und von denen bei Weitem noch nicht alle aufgeklärt wurden. In einem der Seminare kommt auch der ehemalige Wohnort von Jehona, Suhareka, zur Sprache, seine etymologische Herkunft: „Der Ort, an dem die Sprache versiegt“, denkt Jehona, „daher komme ich also.“ Sie begreift ihre Schweigsamkeit, ihr Zurückgezogensein, ihre Introvertiertheit als Ergebnis ihrer Herkunft und ihres Schicksals. Aber sie wird dessen nicht Herr, nicht in diesem Buch.
Denn das Fremdsein hat immer zwei Seiten, zwei Richtungen, die eigene, die das Zentrum bildet, und die andere, alles Äußere Einschließende. Man kann von Jehonas Einzelflüchtlingsschicksal auf Geflüchtete und Schutz in anderen Ländern oder Regionen Suchende verallgemeinern, dass die Fremdheit sich auf Generationen ausdehnt, dass sie nie ganz verschwindet. Das betrifft in Deutschland die nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebenen und Geflüchteten ebenso wie jetzt die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine oder anderen Ländern. Oft schlagen ihnen Vorurteile, Unwillen oder Abneigung entgegen. Aber diese Menschen kommen auch mit eigenen Vorurteilen, oft einer gegensätzlichen Kultur oder Religion ins Land.
Sehr berührend sind die Szenen, in denen Jehonas Verwandte von Erlebnissen und Ereignissen während des Kosovokrieges erzählen, ihre Cousine Shpresa war auch noch ein Kind, als sie das alles erlebte. Jehona aber war mit ihren Eltern noch vor Ausbruch der schlimmsten Gewalt nach Deutschland geflohen. Alles, was sie weiß, erfährt sie aus zweiter Hand. Vielleicht liegt auch hier ein psychologisches Problem, die Schuld, dass ihr selbst nichts passiert ist. „Nur“ das Haus und die Heimat waren verloren. Daran beißt sie sich möglicherweise immer weiter die Zähne aus.
Für Jehona scheint die Zeit noch nicht reif, ihr Wissen, ihre Hintergrundgedanken, ihre Beweggründe für ihr Handeln und Denken mit anderen zu teilen. Selbst mit ihrem Freund Elias findet sie nicht immer eine Basis für ihre Gespräche, das stumme ë ist nicht nur ein Buchstabe, es ist Synonym ihrer im Mund gefrorenen Worte. Zerbeißen kann sie sie nicht.
...
Fazit: Ein sehr nachdenklich stimmendes Buch, dass ich aufmerksam gelesen habe. Jehona Kicaj verwendet eine Sprache, die versucht klar und rein zu klingen, so wie sie als Kind versuchte, hundertprozentig gutes Deutsch zu sprechen. Und doch bleiben die Gedanken im Roman poetisch, wenn auch nicht immer nachvollziehbar.

Bewertung vom 22.07.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


sehr gut

„Ich lebe in einer Schleife, in meinen eigenen Wiederholungen“

Doris Knecht hat es wieder getan, einen Roman geschrieben, der wie ein Perpetuum Mobile der Gedanken funktioniert. Eigentlich schade, dass ihr Landsmann Wolf Haas am Jahresanfang schon sein neues Buch „Wackelkontakt“ genannt hatte, für „JA, NEIN, VIELLEICHT“ hätte das auch gepasst.
Nachdem ich im letzten Jahr „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ gelesen und mich gut amüsiert habe, erwartete ich den neuen Roman mit großer Vorfreude. Viele Protagonisten sind wieder da, das Ensemble erweitert sich aber zusehends. Die Ich-Erzählerin ist eine Schriftstellerin, schon ein bisschen angegraut, geschieden, ewig alleinstehend, die Zwillinge Max und Mila längst ausgezogen. Sie – die Schriftstellerin – schreibt an einem Buch über eine Schriftstellerin, die in eben jener Schleife feststeckt, die der Schriftstellerin das Leben schwer und manchmal auch leicht macht. Ihre zwei Zwillingsschwesternpaare kennt man ebenso wie die Eltern. Sie schreibt „Wir pflegen ein fröhliches, liebevolles Verhältnis miteinander, wir reden nicht über Sachen, die unseren Frieden gefährden könnten, und es funktioniert.“ Das ist eine Formel, nach der in vielen Familien der Friede gewahrt wird.
Was geschieht in diesem Buch? Vor allem Zahnschmerz, Herzschmerz und Seelenschmerz. Zudem benötigt Schwester Paula ein Ausweichquartier, wofür sie unter allen Möglichkeiten die winzige Wohnung der Schriftstellerin erwählt. Diese, und auch die in ihrem Buch, haben das Glück eines Hauses auf dem Land, wohin sie sich mit dem Hund, Name Mulder, zurückzieht. Und dann passiert es, sie sieht Friedrich, den Ex-Lover von vor 25 Jahren, im Supermarkt. Es kommt ein bisschen Kribbeln zurück, aber er ist unangenehmste Kandidat auf der Liste der Freunde im weiteren Sinne, wäre er mir (wieder-)begegnet, ich hätte ihn schnurstracks in Whatsapp und auch sonst blockiert.
Und so bewegen sich die Schriftstellerin, die Freunde und die Protagonisten in ihrem Buch wie in einem Tanz der Glühwürmchen ums Licht. Wahrscheinlich wird nur Therese am Glück nippen, wenn sie dann mit Eddie verheiratet ist, für die Ich-Erzählerin gibt es ganz nebenbei noch einen Stoß in die Magengrube, als Paulas Zwillingsschwester Alexandra auftaucht und den nur ihr zustehenden Platz beansprucht. Da merkt selbst die Schriftstellerin, dass ihre Schulter zum Anlehnen nur temporär wichtig ist. Im schlimmsten Fall erntet sie Mitleid, aber ihre aufgeschürfte Seele muss sie immer noch selbst verarzten.
Das Cover dieses Buches ist wunderschön, und vermittelt zwischen den einsamen, zweisamen, verrückten und beängstigenden Szenen im Buch, das auch ein Buch über bedingungslose Freundschaft und absolute Selbstbestimmung ist. Nicht nur "Denken ist solitär", Leben und Lieben ist es auch.
„… mir reicht’s jetzt.“ ist zwar ein Zitat aus dem Buch, aber noch ein drittes über diese Schriftstellerin möchte ich nun wirklich nicht mehr lesen. Vielleicht findet Doris Knecht ein anderes spannendes Thema, denn ihr Schreibstil gefällt mir und ich hätte Lust auf etwas Neues.

Bewertung vom 22.07.2025
Lendvai, Paul

Wer bin ich?


ausgezeichnet

Das Wort „Endlösung“ vergisst man nie

Ich habe Paul Lendvais schmales Bändchen bewusst ausgewählt, weil mich die Gedanken eines 95-jährigen Juden, der Holocaust und Kommunismus überlebt hat und bis heute hochintelligente Texte schreibt, sehr interessieren. Ich bin nach dem Krieg geboren, aber das Trauma der Verfolgung und des Holocaust hat mich in meiner Familie auch begleitet. Beim Lesen dieses Buches stellte ich fest, dass die Gedanken Lendvais den meinen sehr ähnlich sind, auch wenn er in seinem langen und ereignisreichen Leben sehr viel mehr Erfahrungen gesammelt hat.
Die Haltung zu Israel, zum Judentum, zu Europa, insbesondere jetzt, nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ist eindeutig und ich stimme ihm vorbehaltlos zu. Ich zitiere „… Ich war nie Zionist und betrachte Israel nicht als mein Vaterland. Jude sein bedeutet für mich nicht eine Staatszugehörigkeit oder eine kritiklose, absolut gesetzte Parteinahme für Israel. Aber ich gehörte zu jenen, die die erfolgreiche Entwicklung Israels grenzenlos bewundert und als einzig sicheren Zufluchtsort für die Juden betrachtet haben. … Meine besondere Solidarität mit Israel habe ich nie verheimlicht. …“ In Bezug auf das Massaker schreibt Lindvai „… Die perfide Rechnung der Terroristen geht leider auf. Die unzähligen TV-Berichte über das menschliche Leid in Gaza und die vielen Toten haben die Erinnerung an den alles auslösenden Überfall der Terroristen mit mehr als zwölfhundert Toten und rund zweihundertfünfzig entführten Geiseln außerhalb Israels und der jüdischen Gemeinden fast gänzlich in den Hintergrund gedrängt. Die ohne Rücksicht auf zivile Opfer mit Bomben und Panzern ausgeführten Gegenschläge in Gaza haben die von Netanjahu angekündigte »vollständige Beseitigung der Hamas und die Befreiung aller Geiseln« nicht erreicht. …“ Hier spricht ein Jude zu uns, der mit klarer Weitsicht und Klugheit das Dilemma des Staates Israel auf den Punkt bringt.
Fazit: Ein kluges Buch, kurz und prägnant, ein Rückblick auf ein fast hundertjähriges Leben als „Österreicher und Ungar, Jude und Europäer“ und auf ein Europa, das noch immer seinen Weg als Gemeinschaft sucht.

Bewertung vom 21.07.2025
Caspian, Hanna

Schwestern des brennenden Himmels


sehr gut

Hoffnungsschimmer über Potsdam

Hanna Caspian hat sich intensiv mit dem geschichtlichen Hintergrund dieses Romans auseinandergesetzt: Das Ende des Zweiten Weltkriegs, die Potsdamer Konferenz, nicht zuletzt der Atombombenabwurf in Hiroshima. Heute denken die Menschen seltener an diese weltbewegenden Ereignisse, das Hier und Heute beschäftigt gar zu sehr. Aber das Wissen um die Geschichte sollte Mahnung, Erinnerung und Erkenntnis sein, auch für die Einordnung heutiger und zukünftiger Ereignisse.
Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Ann, die mit den Eltern als Kind ins Exil ging, über Umwege in Großbritannien eine neue Heimat fand. Ihr hervorragendes English macht sie als Deutsche fast unkenntlich, sie lernt mit englischen Kindern in der Schule und steht mit englischen jungen Leuten auf den Dächern von London, um den „Blitz“ abzuwehren. Nachdem sie verschüttet wird, leistet sie einige Zeit Dienst im Büro und übersetzt Briefe deutscher Wehrmachtsangehöriger. Dann wird sie für die Betreuung der Mitglieder der britischen Abordnung zu Potsdamer (zuerst hieß sie Berliner) Konferenz eingesetzt. Ihr Traum wird wahr, sie kann in die Heimatstadt reisen, in der sie vor 10 Jahren ihre Cousine Charlie und die restliche Familie zurücklassen musste. Ob die Verwandten noch leben, ist die erste Frage. Ann, die ja eigentlich Annegret hieß, versucht in Potsdam alles, um Familienmitglieder zu finden. Sie spannt dafür ihren neuen Bekannten Jackson, einen amerikanischen GI, ein, aber ihre wahre Identität will sie weder ihm noch anderen erklären.
Der Roman beschreibt sehr anschaulich die Tage der Potsdamer Konferenz, die Eitelkeiten der Großen Drei, die Diskussionen und das Machtgeschacher. Hanna Caspian gelingt es gut, diese geschichtlichen und politischen Abläufe in das private Leben ihrer Protagonisten einzufügen (bzw. umgekehrt). Sehr anschaulich schildert sie die dramatischen Zustände in Potsdam, wo Hunger und Angst umgehen. Besonders die Angst vor der sowjetischen Besatzungsmacht, die allzu oft durch tödliche Schikanen, Vergewaltigungen, Verhaftungen und Morde das Leben der Menschen zur Hölle macht. Liesel, das Mädchen, das für den Roman als deutsche Schlüsselfigur erfunden wurde, vereint das alles in sich. Sie wuchs mir von Kapitel zu Kapitel mehr ans Herz. Eine so starke Empfindung hatte ich für Ann nicht, vielleicht lag das an ihrer Art, permanent über ihren Verrat nachzudenken und wie sie diesen wiedergutmachen könnte.
Da Ann im Gästehaus des Premierministers Churchill arbeitete, waren diese Szenen eine wohltuende Abwechslung zu den dramatischen Ereignissen in Potsdam. Mir hat das gefallen, wie für alles improvisiert werden musste und Churchill am Ende sogar recht zufrieden wirkte. Leider hat sein englisches Wahlvolk seine Kriegserfolge nicht gewürdigt und ihn kurzerhand abgewählt. Einer der Punkte, an denen die Weltgeschichte einen anderen Verlauf hätte nehmen können.
Ich will hier über die weitere Handlung im Buch nicht zu viel preisgeben, meine Überschrift der Rezension sollte reichen. Das Taschenbuchcover ist sehr ansprechend gestaltet, die innen gedruckte Karte von Potsdam erleichtert Ortsunkundigen die Orientierung. (Zu Fuß sind einige Strecken wirklich recht lang, das kann ich aus eigener Erfahrung schreiben. Wie schön die damals zerstörte Innenstadt unterdessen wieder geworden ist, erfreut mich übrigens bei jedem Besuch aufs Neue.)
Fazit: Mir hat der Roman gefallen und ich kann ihn guten Gewissens empfehlen. Er ist eindringlich geschrieben und vermittelt jede Menge Geschichtswissen, auch noch das Nachwort ist lesenswert.

Bewertung vom 16.07.2025
Teige, Trude

Wir sehen uns wieder am Meer (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Kreis schließt sich

Die Trilogie, in der Junis das Leben ihrer Großeltern erforscht und gleichzeitig die lebenslange Freundschaft dreier norwegischer Frauen verfolgt, geht mit diesem Buch zu Ende. Der wunderbare erste Teil „Als Großmutter im Regen tanzte“ wird mit der bewegenden Geschichte der Freundin Birgit, die im ersten Teil die entscheidenden Hinweise auf das Geheimnis der Großmutter Tekla und auf den leiblichen Großvater Otto gab, zusammengeführt. Ich habe noch einmal einige Stellen des ersten Teils nachgelesen, z. B. den Besuch von Juni bei der 90jährigen Birgit im Pflegeheim, als diese ihr unbekannte Familiengeheimnisse offenbarte. Es heißt zwar im Nachwort des dritten Bandes, dass man die Teile auch einzeln lesen könnte, aber um den dritten Teil zu verstehen, wäre das Lesen des ersten aus meiner Sicht schon wichtig.
In „Wir sehen uns wieder am Meer“ befindet man sich mitten im Zweiten Weltkrieg, Norwegen ist von den Deutschen besetzt, aber es gibt auch in Norwegen Kollaborateure und Hitlerverehrer, die es den friedlichen Menschen noch schwerer machen, das Los der Besatzung zu ertragen. Birgit Johansen beschließt, ihren Anteil an der Hilfe für die unterdrückten Menschen in einem Krankenhaus weit im Norden des Landes, in Bodø, zu erbringen. Sie will dort, zur Verwunderung ihrer Freundinnen und Familie als Krankenschwester arbeiten. Für sie ist es die Flucht aus einer Einsamkeit, die diese nicht lindern können, denn ihr russischer Freund Ilja ist verstorben. Sie kann schon recht gut Russisch sprechen und sie liebt vor allem die russische Musik. Als sie im Krankenhaus mit sowjetischen Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen konfrontiert wird, erweist sich ihr Sprachwissen als sehr hilfreich. Mit der ukrainischen Fremdarbeiterin Nadja freundet sie sich an und später wird sie sich unsterblich in den Kriegsgefangenen Sascha verlieben. Ohne Zögern beginnt sie die lebensgefährliche Mitarbeit in einer norwegischen Widerstandsgruppe. Vieles Erlernte aus dieser Untergrundarbeit wird ihr nach dem Krieg hilfreich sein bei ihrer Arbeit für den norwegischen Geheimdienst. Aber nicht nur der Geheimdienst hat dann ein Auge auf sie geworfen, auch der CIA und der spätere KGB suchen die Zusammenarbeit. Sie stürzt sich in ein sehr aufregendes und gefährliches Leben, aber sie nimmt das in Kauf, auch um die kurz vor Kriegsende erlebten Misshandlungen durch die Gestapo und norwegische Helfershelfer zu vergessen.
Die Informationen über das Leben und Leiden der sowjetischen Gefangenen in Norwegen sind sehr bedrückend, die Lebensbedingungen erinnern an Berichte aus den KZs in Deutschland, Ravensbrück wäre ein Beispiel für die Ausbeutung der inhaftierten Frauen. Ähnlich erging es den Frauen in Norwegen, beispielsweise in der Fischfabrik in Bodø ähnlich, aber hinzu kam die eisige Kälte am Polarkreis. Was Nadja und die anderen Frauen erleiden mussten, ist schrecklich, den Männern ging es um nichts besser. Erschreckend der Gedanke, dass unter diesen Umständen Kinder geboren wurden, aufwuchsen und so viel Leid erdulden mussten.
Das Buch zeigt vor allem die Freundschaft und Solidarität der Betroffenen, aber auch die Boshaftigkeit der Kollaborateure, die in ihrer Menschenverachtung den Deutschen in nichts nachstanden. Auch in Norwegen sind viele der gerechten Bestrafung entgangen, aber es gab auch Verurteilungen von Tätern.
Die Opfer, Menschen wie Birgit oder Nadja, quälen sich ein Leben lang mit den grausamen Erinnerungen, mit Alpträumen und Depressionen. Gelegentlich gibt es psychologische und psychiatrische Hilfe, aber nicht von allen wird sie angenommen und nicht bei allen ist sie erfolgreich. Die dritte Freundin von Tekla und Birgit, Anneliese, gehört dazu.
Das Buch von Trude Teige liest sich insgesamt gut, sie hat einen angenehm unaufgeregten Stil, beschreibt auch das Grausame lesbar. Nicht so gut hat mir die Geheimdienstaffäre von Birgit gefallen, es ist für heutige, gerade jüngere Leser sicher nicht so leicht nachzuvollziehen, wie sich der KGB wie eine unheilbare Krankheit in das Leben der Menschen gefressen hat. Ich habe zu der Thematik lange und ausführlich geforscht und weiß die Berichte im Buch einzuordnen. Für andere ist das vielleicht schwieriger. Und dieser Teil des Buches las sich für mich auch nicht so flüssig.
Sehr interessant ist das Nachwort, das die Autorin nutzt, um dem Leser einen Einblick zu geben in ihre Arbeit, die Recherchen, die tatsächlich existierenden Personen, die ihren fiktiven Protagonisten als Vorbild dienten. Es rundet die Trilogie im wahrsten Sinne des Wortes ab. Hier am Ende schließt sich im Roman und mit den Erklärungen von Trude Teige der Kreis der Trilogie.
Ich habe versucht, keine Spoiler einzubauen in meine Rezension, das ist aber auch schwierig. Der Klappentext nimmt schon einiges vorweg.
Fazit: wer die ersten beiden Bände der Trilogie kennt, wird mit dem Erzählten gut zurechtkommen. Mir hat es gefallen, es ist ein eindringliches Buch, das ich mit gutem Gewissen empfehlen kann. Gute vier Sterne.