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Juma

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Insgesamt 196 Bewertungen
Bewertung vom 16.11.2025
Beckett, Simon

Knochenkälte / David Hunter Bd.7 (MP3-CD)


sehr gut

Kein Strom, kein Netz, jede Menge Knochen

Wieder habe ich mit Vorfreude auf Simon Beckett und Dr. David Hunter gewartet, es ist jedes Mal wieder sehr ungewiss, was der forensische Anthropologe erleben und erforschen wird. Wie immer liest der Sprechen Johannes Steck mit unnachahmlichem Timbre, düster, düsterer geht es nicht. Kein Wunder, dass es von den ersten sechs Hörbüchern eine Platinbox zum Dauergruseln gibt. In Knochenkälte ist es wahrlich kalt und Knochen werden so viele gefunden in dem abgelegenen Edendale in den Cumbrian Mountains, das würde direkt für drei weitere Bücher reichen. Trotzdem begann die Story recht langatmig, bis Hunter sich auf dem Weg zu einem Auftrag dann endgültig verfahren hatte und in einem regelrechten Sackgassendorf gelandet ist. Hunter kommt für die Nacht in einem ehemaligen Hotel unter, Dummerweise wird ihm von einem der mehr als unfreundlichen Bewohner der Rückweg abgeschnitten und ihm und allen anderen in dieser Sackgasse gleich der Strom und das Netz mit. Dass er sich mitten in einem regelrechten Verbrechensnest befindet, das bemerkt er erst später. Skelettfunde und Tote machen ihm das Leben schwer, manch unausstehlicher Edendale-Bewohner noch mehr. Da erfreut er sich zwischendurch an einem Baby und einem jungen Labrador. Und landet irgendwann in einer Grube. Ob er da lebend wieder heraus kommt aus diesem Elend? Der Titel lässt auf Ungemütliches schließen, die Kälte und das Unwetter in den Bergen kommen obendrauf.
Die Story ist sehr verworren und aus jetziger Sicht wäre es wohl besser gewesen, angesichts dieser Ausgangslage besser das Buch zu lesen, da kann man einfacher zurückblättern, wenn einem ein Zusammenhang entfallen ist. Das ist beim Hörbuch schwieriger. Dafür hat man aber einen regelrechten Film für den Kopf gehört. Steck macht das perfekt.
Fazit: Nach anfänglichem Zögern geht Beckett in die Vollen und facht die Spannung immer wieder an. Mir hat es gefallen und wer auf Beckett und Hunter steht, kommt wieder voll auf seine Kosten.

Bewertung vom 16.11.2025
Korn, Carmen

In den Scherben das Licht (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Herberge der verlorenen Herzen

Obwohl ich noch nie ein Buch von Carmen Korn gelesen habe, griff ich nach dem Lesen des Klappentextes sofort zu. Ich habe die unmittelbare Nachkriegszeit nicht erlebt, bin geboren, als das Schlimmste überstanden war in den deutschen zerbombten Großstädten, aber ich habe noch Ruinen, Lebensmittelmarken und Mangel kennengelernt. (gekürzt)
Die Geschichte, die Protagonisten, deren Lebenswege haben mich sehr bewegt. Hamburg, in dessen Speckgürtel ich lebe, ist mir ein wenig nähergekommen, manches betrachte ich beim nächsten Besuch vielleicht mit anderen Augen. Carmen Korn hat ein lebendiges, authentisches Kaleidoskop erschaffen, mit ihrem Roman schaut man als Leser in die Abgründe, die der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hinterlassen haben. Bombentrichter in den Städten und in den Seelen der Deutschen, die Täter und Opfer, Mitläufer oder Wegschauer waren. „Wir sind noch einmal davongekommen.“, hört man allenthalben.
Carmen Korn stellt uns, den Lesern, einige dieser Deutschen vor: im Mittelpunkt des Romangeschehens steht Friede Wahrlich, die ehemalige Volksschauspielerin, die zu Kriegsende kaum mehr besitzt als ihr halbzerbombtes Haus, die nicht verbrannten Wintersachen und ein sehr schlechtes Gewissen. Ihr Leben vor dem Hamburger Feuersturm war gut und manchmal etwas ausschweifend, sie hatte Chancen bei den Männern, allen voran Viktor Franke, der jüdische Theaterkritiker, aber auch Palutke, der sich vom Rivalen auf schäbige Weise befreite. Friede wähnt Franke unter den Ermordeten des Ghettos Litzmannstadt. Den Palutke gibt es auch nach Kriegsende noch, einer von denen, der immer auf die Füße fällt. Nur bei Friede kann er nicht mehr landen. Dafür landen bei ihr andere, der 16-jährige Gert, Kriegsteilnehmer der letzten Stunde, nun Kriegswaise und obdachlos. Er kann bei Friede im Keller wohnen, in den ihm nach einem halben Jahr das Mädchen Gisela durchs Fenster hereinfällt. Und bleibt. Wie hart diese ersten Nachkriegsjahre, besonders die Winter, waren, erfährt man hier bei Carmen Korn sehr eindrücklich. Immer wieder frage ich mich, wie würde ich das heute aushalten? Würde ich das überhaupt aushalten? Heutige Berichte über Frauen und Kinder in der bombardierten Ukraine stehen mir vor Augen. Woher kommt immer wieder die Hoffnung, damals wie heute?
Zu Friedes Kreis gehörte und gehört auch Marta, noch nicht ganz 60, also ein paar Jahre jünger als Friede, aber ausgebufft genug, sind bei dieser immer wieder lieb Kind zu machen, sie ist vom „Stamme Nimm“, wie Friede passend sagt. Und sät Zwietracht, wo es nur geht. Zwischenzeitlich bewohnt Marta dann eines der, man glaubt es kaum, im oberen Stock von Friedes Haus neu hergerichteten Zimmer. Ein Künstlerpension sollte es werden, aber es wird eher ein Mehrgenerationenhaus, wie man das heute nennen würde, und die Herz- und Schmerzgeschichten der Bewohner können einen tatsächlich zu Tränen rühren.
Gisela und Gert, die mittlerweile von Freunden zum Liebespaar geworden sind, finden Arbeit und es geht ein bisschen aufwärts. Wenn da nicht die schwelenden Gedanken um das Schicksal der Angehörigen wäre. Dass die Mütter der beiden tot sind, damit finden sie sich ab, aber Gisela sucht ihren Vater, der als Fotograf einer Propagandakompanie an der Front war und Gert hofft noch immer darauf, seine kleine Schwester wiederzufinden. Gisela arbeitet für einen Professor Nast, recherchiert für dessen neues Buch und dieser erweist sich als ein neuer guter Freund der beiden. Dass er sich zufällig auch mit Viktor Franke befreundet, bringt eine besondere Ebene ins Geschehen.
Viktor Franke wiederum hat eine rothaarige Freundin, Marianne, die jahrelang fern von Hamburg an den Münchener Kammerspielen schauspielert. Sie ist nach Friede sein neues „Leitlicht“, aber er wird lange brauchen, um sein angeschlagenes Selbstbewusstsein dieser Frau entgegenstellen zu können. Nast ist ihm auch dabei eine moralische Stütze.
(gekürzt)
Die Detailgenauigkeit und die emphatische Charakterisierung jedes Protagonisten haben dazu beigetragen, dass ich zeitweise völlig aus meinem wohl behüteten Alltag hinauskatapultiert wurde, mit Gert und Gisela im Keller stand oder am Familienküchentisch bei Frieda saß. Jeder findet ja beim Lesen auch eine Lieblingsfigur, deren Schicksal besonders nahe geht. Für mich ist das Victor Franke, der entrechtete und deportierte Jude, totgeglaubt, in den Gedanken von Friede aber immer wieder auftauchend. Dass er sich nach dem Krieg in Hamburg doch wieder einlebte, arbeitete, verliebt war, nie rachsüchtig, nie auftrumpfend, manchmal melancholisch, fast depressiv, immer am Ende standhaft, das hat mir sehr gefallen.
Fazit: Dieses Buch empfehle ich gern weiter, es liest sich gut, auch wenn es sich vielleicht nicht zur hohen Literatur aufschwingt und keine „Gespräche wie die von Naphta und Settembrini“ (Zitat) hervorbringt, so hat es mich doch von der ersten bis zur letzten Seite begeistert und tief berührt.

Bewertung vom 02.11.2025
Borrmann, Mechtild

Lebensbande


ausgezeichnet

Lügen können auch gut sein

Mechtild Borrmanns neuer Roman hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Diese Autorin beschäftigt sich seit vielen Jahren in ihren Romanen (Trümmerkind, Feldpost usw.) mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und mit den Nachkriegsjahren. Sie hat ein hohes Einfühlungsvermögen in die Menschen, über die sie schreibt, denen zum Teil real existierende Personen oder Ereignisse zu Grunde liegen. Ihre Recherchen sind niemals nur einseitig auf etwas gerichtet, sondern untersuchen immer alle Ebenen. So auch hier, in Lebensbande erfährt der Leser nach und nach ein ganzes Geflecht aus Familiengeschichten, Tragödien und Hoffnungen.
Worum geht es? Zeit: Anfang 1991. Ort: Kühlungsborn an der Ostsee. Eine ältere Frau und Witwe erhält Post von der Rentenversicherung. Sie möge ihre Konten vor 1953 klären. Diese Aufforderung bringt ihr bescheidenes und zurückgezogenes Leben ins Wanken. Erinnerungen überfallen sie wie dunkele Schatten. Nein, die Konten klären will sie nicht, dann müsste sie ihr Leben vor 1953 offenlegen, auch das will sie nicht. Aber sie beginnt nachzudenken, besonders, als ein Neffe aus Nürnberg sie übers Rote Kreuz ausfindig macht und Fragen stellen könnte. So beginnt sie in einem Schulheft ihre Erinnerungen niederzuschreiben. Erinnerungen an ihre Cousine und Freundin Lene, an deren Sohn Leo, an ihre treue Freundin Lotte, an einen vermeintlichen Mord, an den Krieg und die Jahre danach. Zwischendurch gehen ihre Gedanken hin und her, sie arbeitet im Garten, kümmert sich um den zugelaufenen Hund, trifft sich mit ihrer Freundin, aber sie ist unruhig und will sich von der Last der Vergangenheit befreien.
Ich habe dieses Buch mit Herzklopfen und Tränen in den Augen gelesen, was Menschen aushalten können, ist geradezu unfassbar. Aber es ist wahr. Ich möchte hier nichts über die Erinnerungen der alten Frau preisgeben, aber ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der sich für die Kriegs- und Nachkriegszeit interessiert und einen beeindruckenden Roman über drei Frauenschicksale, die exemplarisch für Tausende stehen, lesen möchte.

Fazit: Mich hat dieser Roman sehr beeindruckt, auch wenn das Cover etwas romantisch daherkommt, verbirgt sich dahinter eine unglaubliche Geschichte. 5 Sterne von ganzem Herzen.

Bewertung vom 31.10.2025
Schäfer, Stephan

Jetzt gerade ist alles gut (MP3-Download)


gut

Melancholisches Sonntagsgefühl

Nach Stephan Schäfers "25 letzte Sommer" ist der Autor oder sein Alter ego im Roman offenbar in eine tiefe Sinnkrise geraten. Ein kleiner Schnitt in den Finger, schon ist er nahe am Tod. Die beschriebene Sepsis ist kein Phantom, diese Krankheit rafft jährlich Tausende dahin. Es ist erst zwei Tage her, dass ich in der Zeitung den Bericht einer Ärztin las, die nachdrücklich auf die Gefahren hinwies. Denn es gibt ab einem bestimmten Punkt keine Hilfe mehr. Und eine Impfung gibt es auch nicht. Eine Versicherung gegen ignorante oder oberflächliche Ärzte leider auch nicht. Die Hauptperson im Roman hatte Glück!
So erfährt der Mann im Buch, eine Ehemann und guter Vater, nach einer Notoperation und langwierigen Behandlung, wie knapp er davon gekommen ist. Danach ist sein Leben ein anderes. Der Sprecher Götz Otto lässt den Hörer auf sehr emotionale Weise die Wesensveränderungen des Protagonisten miterleben. Dieser durchlebt einige seelische Tiefs, aber auch wunderbare Hochgefühle. Schäfer macht aus seinem Roman einen philosophischen Spaziergang, lässt einen die Welt mit neuen Augen sehen. Und wenn der Sonntag dann die Schwermut bringt, überwindet er auch die. Mir waren die Geschichten besonders zum Ende hin ein wenig langatmig, zu romantisierend, zu melancholisch. Erstaunlich, dass die Ehefrau das alles im Hintergrund gelassen erträgt.

Fazit: Eine literarische Anregung, in sich selbst hineinzuhören und die Welt um sich herum bewusster wahrzunehmen.

Bewertung vom 22.10.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

Sanary-sur-mer, noch nicht Pacific Palisades

Das Thomas-Mann-Jubiläumsjahr neigt sich langsam dem Ende zu, das neue Buch von Florian Illies habe ich lang erwartet. Nach so viel Thomas Mann und Anhang in einem Jahr werden die Details rarer, die ich noch nicht kenne. Umso mehr freute es mich, dass vom sonst oft vernachlässigten Golo Mann gleich wahre Heldentaten berichtet wurden.
Während des Lesens dieses Buches holte ich einige andere Veröffentlichungen zum Thema Mann, die ich in diesem Jahr auf meiner Leseliste hatte, noch einmal hervor. Sie passten ganz hervorragend zu Illies „Sanary-sur-mere“-Erzählungen. Da war Kerstin Holzer mit dem Buch „Thomas Mann macht Ferien“, das das absolute Gegenteil von erzwungenen Exilferien beschreibt. Oder Volker Weidermann, der sich das Thema „Mann vom Meer“ auserkoren hat. Auch bei ihm taucht einmal Sanary auf, und der schöne Klaus findet Erwähnung. Wer etwas Fiktionales mit Thomas Mann in der Hauptrolle sucht, dem seien die Krimis von Tilo Eckardt nahegelegt. Aber nicht nur der Vater findet sich in der aktuellen Literatur wieder, auch Erika, seine Tochter, macht wieder Furore. Zum Beispiel im Roman „Ins Dunkel“ von Angela Steidele.
Florian Illies, auf dessen Bücher ich seit „1913“ schon immer sehr gespannt bin, enttäuscht auch diesmal seine Anhängerschaft nicht. Die Kritiker werden ihm wieder vorwerfen, dass er seine Bücher immer nach dem gleichen Muster schneidert, aber mir gefällt sein Stil, seine Ironie, seine Suche nach pikanten Details ebenso wie seine Art, die von ihm beschriebenen Personen niemals zu beleidigen, auch wenn er sie doch recht oft bloßstellt. Bei Illies bekommt fast jeder sein Fett weg, mal mehr mal weniger. Und das nicht nur in der Familie, auch die anderen in Sanary-sur-mer den Sommer 1933 verbringenden Gäste sind höchst amüsant beschrieben. Drogensüchtige kennt man ja bereits, Klaus und Erika Mann, das Beinahe-Zwillingspaar, haben einen gewaltigen Hang zu jeder Art von Rauschmitteln, aber die befreundeten Damen übertreffen die beiden um Längen. Der Schriftsteller Aldous Huxley, er ist in der Sommerfrische, nicht im Exil, neigt zu Alkohol und Damen. Eine wird von seiner schönen Terrasse durch ein vom Himmel fallendes Tier vertrieben, wie unangenehm. Auch Lion Feuchtwanger, der mit Ehefrau Marta hier sein Exil beginnt, tönt noch sehr selbstverliebt vor sich hin, lässt möglichst keine Dame aus und schreibt wie verrückt an seinen „Geschwister Oppermann“. Mit der Mann’schen Familie und deren Freunden und Bekannten ist das „Personal“ im Buch also weit gefächert.
Doch es gibt nicht nur Amouröses zu berichten, denn nach der Machtübernahme und dem Reichstagsbrand ist es für die Manns wirklich brandgefährlich geworden in Deutschland. Man wagt nicht zu fragen, was wäre passiert, wären Thomas und Katia Mann nicht gerade auf einer Vortragstournee unterwegs gewesen. Es lässt sich nur schwer erkennen, ob sie jemals Erika und Klaus dankbar waren für die Sturheit, ihnen die Rückkehr nach Deutschland tatsächlich auszureden. Dass sich das sogenannte Dritte Reich an den Manns, den Pringsheims (Katias Eltern) und Tausenden anderen bereichert hat, wie es das vorher noch nie gab, das steht auf einem anderen Blatt. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe gelingt es aber tatsächlich, viele Manuskripte, Bücher, Möbel und anderes aus Deutschland herauszubekommen. Auch hier ist das mit dem Dank, der besonders Golo für seine Husarenstücke gebührt, auch so eine Sache. Thomas Mann ist und bleibt ein norddeutscher Stiesel, davon können seine Kinder ein Lied singen. Katia Mann hat ihn trotzdem überlebt.
Die sechs Kinder der Eheleute Mann haben ihren Herrn Papale aber doch gern, sie äffen ihn nicht nach, sie lachen ihn nicht aus, sie nennen ihn der Zauberer. Dass er sich im Jahr 1933 aber zugleich als ein Zauderer erweist, das liegt besonders Klaus und Erika schwer auf der Seele. Zur offenen, öffentlichen Konfrontation Thomas Manns mit dem Dritten Reich wird es erst viel später kommen, wenn er bereits in den USA sein Exil genommen hat. Ab Herbst 1940 wendet er sich über die BBC an die deutschen Hörer und versucht auf seine Art Einfluss auf die geistige Haltung in Deutschland zu nehmen. Ob er Erfolg hatte, ist fraglich.
Als eine Art Nachwort erhält man Einsicht in die Schicksale der wichtigsten Protagonisten dieses Buches, sie sind nicht immer fröhlich und glücklich verlaufen. Vielleicht ist es die Lieblingstochter Medi, Elisabeth Mann, die das meiste Glück davongetragen hat. Das Glückskind der Familie verstarb erst nach den Dreharbeiten zum Film „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ von Heinrich Breloer.

Fazit: Diesen Sommer 1933 in Sanary-sur-mer werde ich so schnell nicht vergessen. Florian Illies' Schreibstil und Detailreichtum machen Freude und lassen kaum eine Pause zu.

Bewertung vom 22.10.2025
Früh, Katja

Vielleicht ist die Liebe so (eBook, ePUB)


sehr gut

Mama! Jetzt reicht es aber!

Katja Früh war bisher als Schweizer Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin bekannt, jetzt ist sie auch Schriftstellerin geworden. Sie ist nur ein Jahr älter als ich und hat mit „Vielleicht ist die Liebe so“ doch recht spät ihr Erstlingswerk vorgelegt. Sie erzählt die tragikomische Geschichte von Anja und ihrer Mutter in der Ich-Form, so dass sich beim Lesen schnell eine geradezu persönliche Nähe aufbaut. Anja ist Mitte 40, war einmal Schauspielerin und arbeitet nun in einer Bar. Das Verhältnis zu ihrer dominanten Mutter ist „mittelprächtig“, am besten immer dann, wenn sie ihrer Mutter zustimmt. Mutter-Tochter-Verhältnisse sind nicht selten sehr emotional und nervenaufreibend, was aber Anja widerfährt, das ist schon recht ungewöhnlich. Die von mir gewählte Überschrift ist ein Zitat aus dem Kapitel 44.
Ihre Mutter teilt Anja bei einem gemeinsamen Essen lakonisch mit, dass sie gedenkt, am 18. Februar um 16 Uhr Suizid zu begehen, begleitet natürlich von Ärztin und Anwalt. Alles sei entschieden, da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Sagt die Mutter. Anja ist dermaßen schockiert, dass ihr eigenes Gleichgewicht von dieser Minute an noch gestörter ist, als es das schon vorher war. Sie ist in psychiatrischer Behandlung, nimmt Medikamente gegen Schlaflosigkeit, Depressionen und Angstzustände. Nun kämpft sie nicht nur gegen all diese Beschwerden, sie versucht auch die Panik zu beherrschen vor jenem ominösen Datum. Als sie erkennt, dass sie die Mutter nicht umstimmen kann, beruhigt sie sich etwas und ist auch zu kleinen Hilfsdiensten bereits. Nur der von der Mutter geforderte Tod des Hündchens Anton geht ihr nicht so leicht von der Hand. Sie sucht sich Hilfe an der unsichersten Stelle ihres Lebens, bei ihrem Ex-Lover und Immer-noch-Freund Carlos. Freiwillige moralische Unterstützung erfährt sie eher in der Bar, von Stammgästen wie vom Personal. Aber erst Nelly, die engste und langjährigste Freundin der Mutter, kann ihr etwas Trost und Ruhe spenden.
Anja ist geplagt von Schuldgefühlen, nicht nur in Hinsicht auf ihre Mutter, sondern auch auf ihren Vater, der viel zu früh und als Alkoholiker verstarb. Die Mutter übergeht jegliches Bemühen von Anja, sich über alles, was sie bedrückt, auszusprechen. Später wird sie in Benjamin, dem Sohn von Nelly, endlich jemanden finden, der länger als zehn Minuten zuhört. Mehr zum Inhalt will ich nicht preisgeben. Es geht noch recht abwechslungsreich zu, das kann ich verraten.
In Anja kann ich mich an mancher Stelle sehr gut hineinversetzen, gerade die Auseinandersetzung mit dem (geplanten) Suizid eines geliebten Menschen ist höchst emotional. Es ist eine Tatsache, dass man so manchem, der es versucht hat und gegen seinen Willen gerettet wurde, sehr gegönnt hätte, friedlich zu sterben. Bei Anja ist das Gegenteil der Fall, ihre Mutter ist nicht sterbenskrank oder dement, sie will es nur nicht erleben. Dieser exzessive Hang zur Selbstbestimmung ist ungewöhnlich, aber ich kann ihn nachvollziehen. Da Anjas Mutter offensichtlich zu Exzentrik neigt, war der Satz „Ich liege im Sarg und will dabei nicht aussehen wie eine Hausfrau aus Buxtehude.“ tatsächlich so etwas von befreiend, ich konnte mir diese Frau vorstellen wie eine Filmdiva, schick, mit Zigarettenspitze und langem Kleid, immer auf Aufmerksamkeit bedacht. Und musste doch lachen. Da wollte sie wohl am Ende nichts dem Zufall überlassen. Wie ihr das gelingt, ist köstlich zu lesen und traurig zugleich.
Anja wird ein ganzes Buch lang als eine nicht mehr ganz junge Frau mit fürchterlichen Minderwertigkeitskomplexen gezeichnet. Aber die Formulierung „… und ich fühlte mich gemeint …“, die hätte sich die Autorin gern sparen können. Diese Talk-Show-Attitüde ist doch sehr abgedroschen. Viele Mal kommt in der einen oder anderen Form zum Ausdruck, dass, wenn sie, Anja, anders wäre, wäre alles gut. Aber so einfach ist es nicht. Auch das ständige Wiederholen, dass sie sich bei Nelly immer viel wohler und willkommener als bei ihrer Mutter gefühlt hat, ging mir etwas auf die Nerven. Hier hätte das Lektorat ab und an noch kürzen können, um den notwendigen Spannungsbogen nicht so zu überdehnen.
Ich habe das E-Book gelesen, kann deshalb zur Typografie nichts schreiben. Das Cover ist ansprechend, der Orange-Ton des kleinen Schmuckkissens hat eine beruhigende Wirkung, man muss nicht gleich aufs Schlimmste gefasst sein, wenn man zu diesem Buch greift. Und doch ist da eine Leerstelle, es fehlt eine Perle zur Symmetrie. Vielleicht ist die Liebe so.
Fazit: Ein Roman, der eine Geschichte erzählt, die so oder ähnlich überall passieren könnte. Dem Thema betreuter Suizid wird ein wenig der Mantel des Schreckens genommen. Lesenswert, aber ein bisschen langgezogen.

Bewertung vom 21.10.2025
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub und der unlösbare Code / Die Mordclub-Serie Bd.5 (eBook, ePUB)


gut

Zum fünften Mal

Seit "Ein Teufel stirbt immer zuletzt" hat Richard Osman seine Fans fast zwei Jahre warten lassen, nun kann man sich mit Vergnügen dem 5. Band und den Donnerstagsmordclubermittlungen zuwenden. Der Stil von Osborn ist unverändert, entweder man mag ihn oder nicht. Ich habe mich unterdessen sehr an Osman gewöhnt. Eigentlich könnte ich beim Lesen schon fast mitsprechen, denn was als nächstes kommt, das weiß man schon, "er sagt" oder "sie sagt" oder ähnliches, das wird so lakonisch dargeboten, dass man über diese sinnbefreiten Blödeleien tatsächlich noch lachen kann. Die Protagonisten, allen voran Ibrahim, sind wie aus dem Bilderbuch ausgeschnitten. Jeder für sich ein Unikum. man vergisst zuweilen glatt, dass es sich um Rentner handelt, die da unterwegs sind.
Die Story um den unlösbaren Code ist reichlich verworren, ob am Ende eine Lösung naht oder der 6. Band schon am Horizont erscheint, wer weiß. Ich verrate es nicht.
Fazit: unterhaltsamer Zeitvertreib, englischer Humor.

Bewertung vom 20.10.2025
Busch, Volker

Gute Nacht, Gehirn


ausgezeichnet

Gedanken, die nicht müde machen, sondern wach und aufmerksam

Mir hat Volker Buschs Ausflug in die Gehirnwindungen sehr gefallen. Er hat sein Buch so gegliedert, dass man sich als Leser wunderbar aussuchen konnte, welches Areal man genauer betrachten möchte. Besonders die Kapitel Fantasie und Intuition waren geeignet, meine Gedanken zu fokussieren und die Bedeutung der eigenen gedanklichen Ausrichtung zu bewerten. Ob gut oder schlecht, gelungen oder "entgleist", das ist nicht so einfach zu beantworten, denn jeder Mensch tickt ein bisschen anders.
Das Motto für das Kapitel zur Stille möchte ich hier teilweise zitieren "Warum alles klarer wird, wenn wir zur Ruhe kommen. Warum wir wachsen, wenn alles mal stillsteht. Wie wir Ruhe schaffen und genießen in einer Welt, die immer lauter wird. ..." Es erinnerte mich unwillkürlich an den Stillstand der Welt zu Beginn der Coronapandemie. Es war eine so laut spürbare Stille ausgebrochen, dass ich das Gefühl völliger Abgetrenntheit von der Welt immer noch spüre. Es dauert lange, bevor ich damals die Vorteile erkannte, so ungewohnt war dieses Gefühl. Busch analysiert gerade in diesem Kapitel sehr anschaulich, was die äußeren Einflüsse, in diesem Fall die Geräusche aller Art in unserem Gehirn bewirken oder auch anrichten. Wie gut kann ich dieses "Abstand" halten nachvollziehen, und Busch beschreibt seine Erkenntnisse auch sehr poetisch, so dass ich manchmal beim Lesen gar nicht das Gefühl hatte, ein Sachbuch zu lesen. "Vielmehr ist es der Abstand, der uns die heilsamste Form der Stille schenkt."
Bei Prof. Dr. Busch findet man Denkansätze zu allen inneren und äußeren Einflüssen und Turbulenzen, denen man tagtäglich ausgesetzt ist. Der eine verkraftet es leichter, ein anderer wird schon bei weniger starken Lebensstürmen beinahe hinweggeweht. So schaut Busch mit Kennerblick auf Gewohnheiten und Selbstliebe, auf Akzeptanz und Verzeihen und auf den Sinn, den alles macht. Eine wahrhaft erhellende Reise durchs menschliche Gehirn, die immer am Abend endet, um neue Kraft zu tanken, fürs Denken und Fühlen wie für Wut und kleine Gemeinheiten, die man einstecken muss oder verteilen.
Fazit: Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen und werde es auch immer wieder zur Hand nehmen, wenn ich einen roten Faden vermisse in meinen Gedanken. Denn im letzten Kapitel gilt seine Betrachtung der Zuversicht, davon kann man gar nicht genug bekommen.

Bewertung vom 06.10.2025
Drexel, Gerhard

Die schönsten Museen in Brandenburg


sehr gut

Das Buch macht Lust auf Kunst und Kultur

Gerhard Drexel hat in allen Winkeln Brandenburgs Museen, Galerien, Schlösser, auch Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten für Touristen von ganz weit her, wie auch für Berliner und Brandenburger zusammengestellt. Das Buch macht schon beim ersten Durchblättern sofort Lust auf eine neue Reise. Als gebürtige Berlinerin sind mir viele dieser Kulturstätten vom Namen her natürlich bekannt, aber ich habe gestaunt, dass ich keine zehn Prozent bisher selbst besucht habe. Mich zieht es Jahr für Jahr aus Schleswig-Holstein nach Potsdam, seit es das Barberini-Museum gibt, ist ein Besuch dort ein Muss. Aber es gibt augenscheinlich so viel mehr zu entdecken. Das Buch hilft dabei, für jeden das Richtige zu finden, aufgeteilt sind die Sehenswürdigkeiten in unterschiedliche Regionen. Am Ende gibt es aber ein Verzeichnis der Museen (nicht aber von Schlössern, Kirchen, Gedenkstätten) nach Themen sortiert.

Die einzelnen Beiträge sind kurz, gut formuliert und aussagekräftig. Zusätzliche Tipps wurden gut platziert. Im Gegensatz zu manch anderem Reiseführer wurde hier eine Schriftgröße verwendet, die man auch gut ohne Lupe lesen kann. Ein Pluspunkt! Einen Punkt Abzug muss ich aber für die buchbinderische Verarbeitung geben. Es ist nicht möglich, das Buch aufzuklappen, ohne den Rücken zu brechen. Da lässt sich kein Abschnitt in Ruhe lesen, das Buch klappt leider wieder zu. Eine Ringheftung sieht zwar nicht so edel aus, wäre aber bei einem etwas breiteren Format eine gute Lösung, um Reiseführer auch praktikabel zu machen. So etwas gibt es auf dem Buchmarkt schon.

Fazit: Hier finden Touristen und Brandenburger jede Menge Anregungen für Ausflüge und Besichtigungen.

Bewertung vom 04.10.2025
Visite

Gesund mit Visite - Arthrose


ausgezeichnet

Hilfreich und kompakt

Aus der Reihe Gesund mit Visite besitze ich bereits den Titel BLUTHOCHDRUCK, der mir viel Hilfe geleistet hat. Der neue Band ARTHROSE gefällt mir auch wieder sehr gut. Nicht nur das Äußere, also Cover und Typografie sind sehr ansprechend, auch der Inhalt bietet auf verständliche und kompakte Weise einen Wegweiser für Betroffene. Die Übersicht auf der vorderen Innenseite des Covers bietet sozusagen den Wegweiser, der einen nicht nur durchs Buch führt, sondern in Kurzform schon informiert. Wenn man das Buch dann beendet hat, kommen als Sahnehäubchen dann Die magischen /, was einem guttut. Sogar etwas Naschen ist dann erlaubt, wobei ich das Solebad bevorzuge, bei dem ich gar keine schmerzenden Gelenke fühle, sondern nur schwebe.
Wichtig ist mir, dass viele Hinweise die eigene Motivation und Eigeninitiative ankurbeln, sei es bei Übungen für die betroffenen Körperteile oder mit Hilfe von Rezepten, die antientzündlich wirken. Die Zusammenstellung hat mir gut gefallen, die Übungen mache ich jedoch lieber nach Anleitung (durch Therapeuten oder ein Video), das Kochen aber übernehme ich selbst. Nr. 1 ist für mich die italienische Kartoffel-Mangold-Pfanne! Rotes Thai-Curry mit Lachsfilet und indische Linsencremesuppe schlagen sich um Platz 2.
Dass es einem nach vielen Krankheitsjahren manchmal an Motivation fehlt, ist sicher normal. Dieses Buch holt mich nur wieder aus dem Tal der Tatenlosigkeit zurück. Es hat sich sehr gut gelesen und das Interview mit Dr. Riepenhof empfinde ich als sehr realistisch und hilfreich.
Fazit: egal, welches Gelenk betroffen ist, hier findet jeder, der Arthrose schon hat, gute Ratschläge ohne erhobenen Zeigefinger.