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Benutzername: 
Alfons D.
Wohnort: 
Zollikon

Bewertungen

Bewertung vom 15.06.2021
Der Minuteman-Algorithmus
Yalimcan, Derya

Der Minuteman-Algorithmus


ausgezeichnet

Ich gestehe: Es hat mich zuerst ein wenig Überwindung gekostet, dieses Buch zu erwerben. Warum? Zuerst mal der Klappentext. Da schnarrt der Autor ziemlich gestelzt daher und so richtig klar, was er meint, wird es nicht. „Eingeweihte“, „Code“, „Algorithmus“, „Börsenderivate“, „Volatilität“, „Glück und Schicksal“, Himmel und Hölle“ und zum Schluss noch der „Messias“ – was kann man da an Lesestoff erwarten? Ist es ein Mystery-Thriller? Ein Gothic novel? Ein Börsenkrimi oder Science Fiction? Ein religiöser oder ein philosophischer Roman?

Zum Glück bin ich das Leserisiko eingegangen und ich sage es gleich: Bereut habe ich es nicht. Und was für ein Genre ist es nun? Im Grunde eine Mischung von allem aber auch wesentlich mehr. Eine im besten Sinne philosophische Betrachtung der Herausforderungen des Lebens und der Wirkmechanismen gesellschaftlichen Seins. Gut und geschmeidig geschrieben, an vielen Stellen spannend und vor allem zum Nachdenken anregend.

Hauptsächlich geht es um die Frage einer Verbindung von Hochtechnologie und Irrationalismus. Vordergründig sieht es so aus, als ob eine Allianz aus High Tech Industrie und Finanzkapital ein Bündnis mit okkulten, satanischen Kräften eingegangen sind, um sich zu unumschränkten Herren der Menschheit aufzuschwingen. Alle gängigen „Verschwörungstheorien“ fährt der Autor auf, so dass es einem beim Lesen fast schwindelt. Und als Gegenspieler erscheinen die sogenannten Digiparia. Das sind einfache Leute, schlichte Gemüter, die sich dem Fortschritt verweigern und einfach auf einem starren Entwicklungslevel verharren. Und das rettet sie vor dem Zugriff der „Eliten“.

Die Frage, die der Autor implizit aufwirft, ist die, welche der beiden Gruppen rational bzw. irrational handelt. Denn meistens sind die Digiparia halsstarrig in religiösen Dogmen verhaftet oder vegetieren in einem anarchistischen, teilweise von Drogen berauschtem Laissez faire. Das ist Stillstand. Und Stillstand bedeutet Rückschritt. Und trotz alledem ist dieser irrationale Ansatz die Rettung vor der von den „Eliten“ rational geplanten Auslöschung des Humanen. Ein (scheinbarer?) Widerspruch. Oder aber ein Ausdruck genialer, seherischer Befähigung des Autors.

Die Geschichten dieses Buches (die alle irgendwie miteinander verquickt sind) lesen sich flüssig, machen fast ein wenig süchtig, so dass ich oftmals von aussen gezwungen werden musste, eine Lesepause einzulegen. Es bedient ganz gut den Lesegeschmack unserer Zeit.

Der „Minuteman-Algorithmus“ war für mich eine anregende und unterhaltsame Lektüre. Ich habe dieses kleine Epos bereits zwei Mal gelesen und mit jedem Mal tauchen neue Erkenntnisse auf. Ich freue mich bereits jetzt auf das dritte Mal (und das vierte ...)

25 von 27 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.