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Klara

Bewertungen

Insgesamt 190 Bewertungen
Bewertung vom 30.04.2025
Wo wir uns treffen
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


sehr gut

Ein schweres Erbe
In einer ländlichen Gegend von Sussex stirbt der Patriarch Philip Brooke. Seine drei Kinder Franny, Milo und Isa kommen auf dem riesigen Anwesen zusammen, um die Beerdigung zu organisieren und zu besprechen, wie es mit dem Erbe weitergehen soll. Weder die Kinder noch die Witwe Grace hatten ein gutes Verhältnis zu dem Toten. Seine Frau hat er immer wieder betrogen, um die Kinder hat er sich nie wirklich gekümmert, sondern sie für eine Geliebte in den USA sogar jahrelang verlassen. In den letzten zehn Jahren waren sich allerdings seine Tochter Franny und ihr Vater nähergekommen, weil sie gemeinsam ein Renaturierungsprojekt in Angriff genommen hatten. Philips Sohn Milo hat jedoch völlig andere Pläne. Er will mit Hilfe seines Freundes Luca Investoren für ein Therapiezentrum für Superreiche gewinnen, wo die Patienten in luxurösen Unterkünften mit der aus Pilzen gewonnen Substanz Psilocybin behandelt werden. Die Familie muss eine Lösung finden, um die immense Erbschaftssteuer bezahlen zu können.
In den fünf Tagen rund um die Beerdigung treten alte Konflikte zu Tage, und der Leser erfährt detailliert, was in der Vergangenheit geschehen ist, und warum die Mitglieder der Familie nie glücklich waren. Ein weiterer Aspekt sind die Enthüllungen von Clara Nelson, der Tochter von Philips Geliebter in den USA. Sie wurde von Tochter Isa zur Beerdigung eingeladen und schockiert die Familie mit den Ergebnissen ihrer Recherchen. Sie hat herausgefunden, durch welche Art von Geschäften der Vorfahr Oliver Brooke vor rund 200 Jahren seinen Reichtum erwarb. Mit der Frage der historischen Verantwortung und der zweifelhaften Möglichkeit einer wie auch immer gearteten Wiedergutmachung wird der Familienroman um einen interessanten Aspekt reicher. Allerdings reicht das nicht aus, um die epische Breite und das langsame Erzähltempo auszugleichen. Da fehlt es einfach insgesamt zu sehr an Spannung.

Bewertung vom 30.04.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


ausgezeichnet

Am Ende sind alle auf die eine oder andere Art schuldig
Ein junges Mädchen namens Beth wächst in einem kleinen Dorf in North Dorset auf. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen. Im Jahr 1955 trifft die 17jährige eines Tages den attraktiven Gabriel Wolfe aus einer sehr reichen Familie. Die beiden verlieben sich ineinander und haben eine leidenschaftliche Beziehung, die nach kurzer Zeit aus verschiedenen Gründen zu Ende geht. Ein junger Bauer namens Frank ist schon lange in Beth verliebt. Sie heiraten kurze Zeit später und bekommen bald ihren Sohn Bobby. Sie lieben sich und leben 13 Jahre lang glücklich auf ihrer Farm. Beth liebt das Leben in der Natur mit ihren Tieren. Allerdings verliert das Paar den Sohn nach 9 Jahren durch einen Unfall. 1968 kommt Gabriel mit seinem Sohn Leo in das Dorf zurück, und nichts ist mehr, wie es war. Es zeigt sich, dass Beth und Gabriel nie aufgehört haben, einander zu lieben. Sie setzen ihre Beziehung fort, als Beth regelmäßig zur Betreuung von Leo ins Haus kommt. Ihre Affaire bleibt niemandem verborgen, und die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Ein Mensch wird erschossen, und eine Person wird dafür angeklagt und zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Der Leser erfährt lange nicht die Identität von Opfer und Täter.
“Wie Risse in der Erde“ ist eine fesselnde Geschichte über leidenschaftliche Liebe, Schuld und Verantwortung, die ich verschlungen habe. Ich empfehle diesen mitreißenden Roman ohne Einschränkung.

Bewertung vom 26.03.2025
Die Kammer (eBook, ePUB)
Dean, Will

Die Kammer (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eingeschlossen
In Will Deans Thriller “Die Kammer“ geht es um ein Team von sechs Tauchern, die gerade mit einem neuen Job beginnen. Sie müssen in der Nordsee auf dem Meeresgrund Ölleitungen und Maschinen reparieren. Ich-Erzählerin Ellen Brooke ist die einzige Frau im Team. Sie hat viel Taucherfahrung und liebt ihren Job, der ihnen allen einiges abverlangt. Sie sind stundenlang in einer winzigen Kammer eingesperrt. Die psychischen und physischen Belastungen sind groß. Da machen sich auch traumatische Erfahrungen aus der Vergangenheit wieder bemerkbar. Ellen kennt ihre Kollegen gut bis auf einen jungen Mann, der zum ersten Mal dabei ist. Als sie von ihrem ersten Tauchgang in die Kammer zurückkehrt, passiert gerade eine Katastrophe. Ein Kollege stirbt, ohne dass sie es verhindern können. Danach gibt es weitere Opfer, einen nach dem anderen. Wie kann das sein? Keiner kommt in die Kammer. Die Speisen oder die Luft können nicht vergiftet sein, sonst würden sie alle gleichzeitig sterben. Ist einer aus der Gruppe der Mörder? Welches Motiv könnte er haben? Die Mannschaft des Tauchschiffs und die Polizei beobachten die Gruppe Tag und Nacht, können aber nicht eingreifen. Erst nach Tagen ist die notwendige Dekompression abgeschlossen. Erst dann können die Überlebenden auftauchen und das Schiff verlassen.
Will Dean erzählt eine ungewöhnliche Geschichte, wie ich sie noch nicht gelesen habe. Sie ist außerordentlich spannend, die Auflösung nicht zu erraten und bringt uns den schwierigen Job der Sättigungstaucher nahe, über den die meisten von uns wohl noch nichts wussten. Ein sehr empfehlenswerter Thriller. Ich habe ihn verschlungen.

Bewertung vom 16.03.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


sehr gut

Jeder hat etwas zu verbergen
In Joel Dickers neuem Roman “Ein ungezähmtes Tier“ gibt es zwei Handlungsstränge, die etwas miteinander zu tun haben, was genau, sieht man erst in letzten Teil des Romans. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei Ehepaare mit jeweils zwei Kindern: der Banker Arpad und die Anwältin Sophie Braun, reiche Leute mit einem schönen Anwesen in der Nähe des Genfer Sees und der Polizist Greg Liégean mit seiner Frau Karine, die in einer Boutique arbeitet. Die beiden Männer kennen sich vom örtlichen Fußballverein, Sophie und Karine werden nach der Feier von Sophies 40. Geburtstag Freundinnen. Greg fühlt sich sehr zu Sophie hingezogen und spioniert ihr ständig nach, wenn er den Hund ausführt. Er beobachtet sie durchs Fernglas und installiert später sogar eine Überwachungskamera in ihrem Haus, die er an seinem Arbeitsplatz entwendet hat. Außer dem Alltag und Problemen in den Beziehungen der beiden Ehepaare spielen die Vorbereitungen auf einen Überfall auf einen Genfer Juwelier eine zentrale Rolle. Er soll einige Tage nach Sophies Geburtstagsfeier stattfinden. Der Leser verfolgt sozusagen den Countdown bis zu diesem Ereignis.
Die aus wechselnden Perspektiven erzählte Geschichte liest sich nicht mühelos. Dabei hemmt vor allem die ständig wechselnde Zeitebene den Lesefluss. Die Vergangenheit der Brauns spielt dabei eine besondere Rolle. Jede der zentralen Figuren hat etwas zu verbergen. Es gibt zahlreiche Handlungsumschwünge. Die Auflösung konnte ich nicht erraten. Der Roman ist jedoch nicht durchweg spannend.
Ich bin ein Fan von Joel Dicker, kenne alle seine anderen Romane. “Ein ungezähmtes Tier“ ist nicht schlecht, aber für mich nicht sein bestes Buch.

Bewertung vom 02.03.2025
The Florist
Pattison, C.L.

The Florist


ausgezeichnet

Schuld verjährt nicht
Im Mittelpunkt von C.L. Pattisons Roman “The Florist“ steht die Blumenhändlerin Amy Mackenzie, die mit zwei Angestellten erfolgreich den Blumenladen Darling Blossoms betreibt. Sie führt ein ziemlich einsames Leben und wünscht sich, endlich Zugang zum Leben der Reichen zu haben. Bisher hat das jedoch nicht geklappt. Ein reicher, sehr attraktiver Kunde ist der Architekt James Elliott. Für ihn und seine Frau Eleanor soll sie den 40. Geburtstag von Eleanors Schwester Isabel ausrichten, die von allen Izzy genannt wird. James gibt die ausgefallenen Blumenarrangements bei Amy in Auftrag. Diese informiert sich im Internet über Izzy und schafft es, sich ihrer Wandergruppe anzuschließen und an einer Exkursion teilzunehmen. Die beiden Frauen sind danach schnell Freundinnen, und Amy wird zur Geburtstagsfeier der attraktiven, selbstbewussten und allseits beliebten Izzy eingeladen. Doch dann kommt alle anders als gedacht. Bei der Feier stirbt eine Person, und Amy gerät unter Verdacht. In ihrer Vergangenheit gibt es ein Geheimnis, das nicht aufgedeckt werden darf. Amy hat bisher mit niemand darüber gesprochen, und der Leser erfährt auch erst am Ende die Wahrheit. Amy stellt eigene Nachforschungen an, weil sie das Ehepaar verdächtigt, die wiederum Amy für schuldig halten.
Erzählt wird dieser spannende, raffiniert konstruierte Thriller auf zwei Zeitebenen. Immer wieder wird die Vergangenheit einbezogen. Ich konnte nicht erraten, wie alles zusammenhängt. Die Autorin schafft eine subtile, geheimnisvolle Atmosphäre, die den Leser fesselt. Ein sehr empfehlenswerter Roman.

Bewertung vom 17.11.2024
Das Haus der Bücher und Schatten
Meyer, Kai

Das Haus der Bücher und Schatten


ausgezeichnet

Neues aus dem Graphischen Viertel
Kai Meyers Roman “Das Haus der Bücher und Schatten“ spielt einerseits im Jahr 1933 im Graphischen Viertel von Leipzig, zum andern 1913 im Baltikum. 1933 arbeitet Cornelius Frey nicht mehr als Kommissar, sondern als Nachtwächter in der Deutschen Bücherei. Er wurde aus dem Polizeidienst entlassen, weil er nach der Machtübernahme nicht die von den Nationalsozialisten gewünschten Schuldigen lieferte, sondern bei den Ermittlungen zu einem Massaker an der Besitzerin einer Kneipe und fünf Männern von der SA nach den wahren Tätern suchte. Eines nachts hält er die junge Emilie davon ab, Selbstmord zu begehen. Einen Tag später wird sie zusammen mit Freys ehemaligem Kollegen Zirner erschossen aufgefunden. Frey wird wiedereingestellt und ermittelt in den beiden Mordfällen. Im 1913 spielenden Handlungsstrang fährt die Lektorin Paula mit ihrem Verlobten Jonathan ins Baltikum, um dem berühmten Autor Aschendorf bei der Fertigstellung seines längst überfälligen Manuskripts zu helfen und dieses mitzubringen. Aschendorf lebt auf dem riesigen Landsitz einer Familie, die sich aus Sicherheitsgründen nach Riga abgesetzt hat. Im Haus und in der Umgebung herrscht eine düstere, mysteriöse Atmosphäre. Irgendetwas stimmt hier nicht. Paula und Jonathan verschwinden spurlos.
Der Roman zeichnet mit den Mitteln der Sprache ein stimmiges Bild von zwei Epochen. Dabei begegnet der heutige Leser historischen Fakten, die er zum Teil bestimmt nicht kannte. Cornelius Frey verfolgt verschiedene Spuren und kann den Fall schließlich lösen. Dabei gerät er selbst in äußerst gefährliche Situationen. Es ist eine Zeit, in der sogar die Polizei die angeblichen telepathischen Fähigkeiten von Medien nutzte, als es Freimaurerlogen und alle Arten von Verschwörern gab und es schwierig war, Auftragskillern der Unterwelt das Handwerk zu legen.
Mich hat das Buch von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert. Die Figuren sind sehr gut ausgearbeitet und die Geschichte ist ausgesprochen interessant und unterhaltsam. Alle, die Bücher lieben, werden an dem Buch große Freude haben, genau wie an „Die Bibliothek im Nebel“ und „Die Bücher, der Junge und die Nacht“. Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 17.11.2024
Wallis Simpson
Lindinger, Michaela

Wallis Simpson


ausgezeichnet

Wallis Simpson will Königin werden
“Wallis Simpson“ von Michaela Lindinger erzählt die Geschichte von Edward VIII. und Wallis Simpson, dem berühmtesten Liebespaar des vorigen Jahrhunderts, die bei den Royals einen Skandal verursachten, weil ein englischer König keine zweimal geschiedene Amerikanerin mit einem schlechten Ruf heiraten konnte. Dem König war seine Liebe wichtiger als sein Status. Er dankte 1936 ab und lebte nach der Hochzeit mit Wallis im Exil u.a. in Frankreich.
Wallis wuchs in sehr einfachen Verhältnissen mit ihrer verwitweten Mutter Alice, unterstützt von ihrer Tante Bessie in Baltimore auf. Schon früh hatte sie das Ziel, durch die Heirat mit einem reichen Mann sozialen Aufstieg und Ansehen zu erlangen. Dabei spannte sie auch schon mal einer Freundin den Partner aus. Ihre erste, mit 20 geschlossene Ehe hielt nur kurz, und auch die zweite scheiterte. Durch ihre Kontakte hoffte sie, am englischen Hof vorgestellt zu werden. Damit hatte sie Erfolg und konnte so auch den bei Frauen beliebten Edward für sich gewinnen. Das Paar quartierte sich mehrfach bei reichen Freunden ein und hatte keine Skrupel, die gewährte Gastfreundschaft reichlich zu strapazieren. Wallis ging es stets um die Außenwirkung. Sie gab sehr viel Geld für Kleidung und ihr Äußeres aus und ließ sich ihr Leben lang Unmengen von wertvollem Schmuck schenken, der ein Jahr nach ihrem Tod für 50 Millionen Dollar versteigert wurde. Nur einmal in ihrem knapp 90 Jahre dauernden Leben tat sie auch etwas für andere: Sie finanzierte eine Stiftung auf den Bahamas und kümmerte sich dort aktiv um Notleidende und Kranke.
Die Autorin sieht Wallis Simpson sehr kritisch und vermittelt auch dem Leser den Eindruck, dass die Beziehung keine romantische Liebesgeschichte war und weder Wallis noch Edward besonders sympathische Menschen. Dennoch ist die kenntnisreiche Biographie lesenswert und interessant, gerade weil man die meisten Details nicht kannte zum Beispiel, dass Wallis´ eher männliches Aussehen wohl auf ihrer Intersexualität beruhte und Edward vermutlich bisexuell war. Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen.

Bewertung vom 29.09.2024
Bis in alle Endlichkeit
Kestrel, James

Bis in alle Endlichkeit


sehr gut

Warum starb Claire Gravesend?
In James Kestrels im Original unter dem Namen des Autors Jonathan Moore unter dem Titel „Blood Relations“ bereits 2019 erschienenen Roman “Bis in alle Ewigkeit“ findet Privatdetektiv Lee Crowe in einem gefährlichen Viertel San Franciscos die Leiche einer attraktiven, elegant gekleideten jungen Frau auf dem Dach eines erheblich beschädigten Rolls Royce. Die Polizei und der Gerichtsmediziner sind überzeugt, dass sie sich selbst umgebracht hat. Ihre Mutter, die sehr reiche Olivia Gravesend, glaubt das nicht und schaltet den Anwalt Jim Gardner ein, der Lee Crowe mit den Ermittlungen beauftragt. Als Crowe nach Boston fliegt, um in Claire Gravesends Haus nach Hinweisen zu suchen, wird er von einem Unbekannten mit einem Messer angegriffen. Er wehrt sich und tötet den Angreifer. Zurück in San Francisco will er eine Wohnung von Claire untersuchen und trifft auf eine junge Frau namens Madeleine Adair, die Claire so verblüffend ähnlichsieht, dass er sie für Claire hält. Von ihr erfährt er nicht nur, dass sie und Claire eineiige Zwillinge waren, sondern auch, dass Claire Nachforschungen über ihre unbekannte Herkunft angestellt hat, denn beide waren als Kinder vor Kirchen ausgesetzt und adoptiert worden.
Im Laufe seiner Ermittlungen fühlt sich Crowe immer wieder beobachtet und bedroht. Irgendjemand will nicht nur verhindern, dass Claires Tod aufgeklärt wird, sondern auch, dass im Zusammenhang damit Dinge ans Licht kommen, die mit der Herkunft der Frauen zu tun haben. Keiner soll erfahren, warum beide kreisförmige Narben entlang der Wirbelsäule haben. Lee findet auch heraus, dass sich sein Chef Jim Gardner gegen üppige Bezahlung mit sehr dubiosen Leuten eingelassen hat und in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Trotz vorübergehender Spannungen zwischen Lee und Jim vermittelt ihm dieser am Ende einen neuen Auftrag, der vermutlich Thema einer Fortsetzung sein wird.
Ich habe den sehr spannenden Roman sehr gern gelesen und bin auf weitere Romane des Autors sehr gespannt. Ich spreche eine klare Empfehlung aus.

Bewertung vom 08.09.2024
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


ausgezeichnet

Menschen können das Leben eines Anderen leben
Rechtsanwalt Akira Kido, Ende 30, ist unzufrieden mit seinem Leben und nicht glücklich in seiner Ehe. Eines Tages sucht ihn eine Klientin auf, die er acht Jahre zuvor bei ihrer Scheidung von ihrem ersten Ehemann vertreten hatte. Rie hat ihren zweiten Mann Daisuke Taniguchi nach nicht einmal vier Jahren glücklicher Ehe durch einen Arbeitsunfall bei einer Baumfällung verloren. Ihr Mann hatte ihr viel von seinem früheren Leben erzählt, ihr aber ausdrücklich untersagt, Kontakt zu seinem Bruder aufzunehmen. Ein Jahr nach seinem Tod trifft sie den unsympathischen Kyoichi und erfährt, dass ihr Mann nicht der war, für den er sich ausgegeben hat. Rie beauftragt den Anwalt mit den Ermittlungen. Dieser sucht nun mit großem persönlichen Einsatz nach der wahren Identität des Verstorbenen und nach dem echten Daisuke. Dabei entdeckt er, dass es Menschen gibt, die Identitätstausch zu einem Geschäftsmodell gemacht haben und viele Kunden, die davon Gebrauch machen, einige sogar mehrfach. Manche wünschen einfach den radikalen Bruch mit ihrer Familie, andere wollen nicht Sohn oder Tochter eines bekannten Mörders sein. Auch Kido findet die Idee, das Leben eines anderen zu führen, nicht unattraktiv, eröffnet sie doch die Möglichkeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und eventuell eine neue Beziehung einzugehen, zumal seine Ehe in einer schweren Krise steckt: „Menschen können das Leben eines Anderen leben“ (S. 88). Auch der Leser wird sich bei der Lektüre vielleicht fragen, was ihn zu dem macht, der er ist und möglicherweise die eigene Existenz in Frage zu stellen.
Kido ist insofern in einer besonderen Situation, als er als Japaner mit koreanischen Wurzeln bei zunehmendem Rechtsextremismus in der japanischen Gesellschaft immer noch Anfeindungen befürchten muss, obwohl er voll integriert ist und seit seiner Schulzeit einen japanischen Pass besitzt. Ihn stört es empfindlich, wenn Menschen in typischem Schubladendenken nicht in ihrer Gesamtheit gesehen, sondern auf einzelne Merkmale reduziert werden: Koreaner, Rechtsanwalt.

Der Roman ist kein Thriller, aber er liest sich hervorragend, zumal er noch eine Reihe weiterer Themen behandelt: die Todesstrafe, durch die sich der Staat von jeder Verantwortung für die Taten eines Individuums freispricht, Erdbeben und Tsunami-Flutwellen inklusive Schäden an Atomkraftwerken, insbesondere die Katastrophe von 2011, durch die Tausende von Menschen starben, das Massaker an Koreanern von 1923, die Erfassung und Sicherung aller persönlichen Daten durch den Staat. Hiranos Roman gewährt Einblick in die japanische Kultur und Lebensart und ist sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 01.09.2024
Mein Mann
Ventura, Maud

Mein Mann


sehr gut

Das soll Liebe sein?
In Maud Venturas Roman „Mein Mann“ geht es um eine attraktive 40jährige, die als Lehrerin und Übersetzerin arbeitet. Sie ist seit 15 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Sie könnte rundherum glücklich sein, wenn da nicht ihre Obsession wäre. Sie liebt ihren Mann wie am ersten Tag, hat aber Angst, dass er sie irgendwann verlässt und sich scheiden lässt. Jeden Tag soll er seine Liebe in Wort und Tat beweisen, sonst wird er nach einem ausgeklügelten System bestraft. Im schlimmsten Fall betrügt sie ihn mit irgendeinem Bekannten, der für sie keine Rolle spielt außer als Mittel zum Zweck: der Bestrafung. Der Leser folgt der Beschreibung einer typischen Woche im Leben dieser Frau, die nicht einmal eine normale, liebende Mutter sein kann, weil die Kinder eigentlich nur stören und viel zu viel Zeit beanspruchen, die sie allein mit ihrem Mann verbringen könnte, wenn sie kinderlos wäre.
Es gibt nicht viel Handlung in diesem Roman. Da geht es in vielfacher Wiederholung immer nur um die Besessenheit und krankhafte Kontrollsucht der Protagonistin, die eigentlich nur auf ein Scheitern der Beziehung hinauslaufen können. Am Schluss wartet die Autorin in einem Epilog allerdings mit einer großen Überraschung auf, die mich mit dem Roman versöhnt hat.
Auch wenn die Geschichte stellenweise gewöhnungsbedürftig ist, ist sie interessant, gerade weil sie so anders ist als alles, was man kennt. Deshalb spreche ich dennoch eine Empfehlung aus.