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Benutzername: 
Jo
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Hagen

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2024
Reise nach Laredo
Geiger, Arno

Reise nach Laredo


ausgezeichnet

Der alte König in seinem Exil

Wenn der Titel "Der alte König in seinem Exil" nicht schon bei einem anderen Buch von Arno Geiger vergeben gewesen wäre - hier hätte er auch gut gepasst. Hauptperson des Romans ist der König und Kaiser Karl V. (1500-1558), der Herrscher, in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Zu seinem Herrschaftsbereich gehörten die österreichischen Erblande, die Niederlande, Spanien und Neapel genau wie die Besitzungen in eben entdeckten Amerika und die Philippinen. Nun ist er gezeichnet von Gicht und Malaria und hat sein Reich an seine Söhne Ferdinand und Philipp weitergegeben und sich selbst in eine Kloster zurückgezogen. Das alles sollte man wissen, wenn man diesen Roman von Arno Geiger liest, denn in dem Buch geht Geiger sehr sparsam mit den historischen Fakten um.
Am Ende seines Lebens macht sich Karl zusammen mit seinem elfjährigen unehelichen Sohn Geronimo auf zu einer Reise ans Meer nach Laredo. Sie erleben Langeweile und Abenteuer, Freundschaft und Feindschaft, Vertrauen und Nähe.
Mir hat das Buch wie alle anderen von Arno Geiger sehr gut gefallen. Es hat zwei Ebenen, einmal die Ebene der Geschichte und einmal eine Ebene dessen, was nicht unbedingt gesagt wird und in der Schwebe bleibt. Das macht auch den ungewöhnlichen Schluss besser verständlich. Was ist wirklich von Ruhm, Geld und Ehre geblieben, als Karl stirbt? Konnte er Liebe geben und Liebe empfangen oder blieb er immer der kalt berechnende Herrscher in seiner steifen schwarzen Uniform?
Geiger schreibt in einem bestechend schönen Stil, der die Leser mitten in die Geschichte zieht. Es ist das erste Buch, das Geiger in einem historischen Kontext geschrieben hat, aber kein historischer Roman im eigentlichen Sinne.
Allerdings hätte ich mir in einem Nachwort eine kleine historische Einordnung gewünscht. Aber man muss dann halt googlen...

Bewertung vom 16.08.2024
Genau so, wie es immer war
Lombardo, Claire

Genau so, wie es immer war


gut

Es zieht sich

Ich hatte vor einiger Zeit "Der größte Spaß, den wir je hatten" gelesen und war deshalb gespannt auf das neue Buch von Claire Lombardo.
Leider war dieses Buch eine ziemliche Enttäuschung. Nach den ersten 100 Seiten war ich versucht das Buch abzubrechen, denn mit der Figur der Julia Ames kam ich nicht zurecht. Nur klagend, depressiv, unzufrieden, heulend, das ging mir auf die Nerven. Dabei hat Julia alles, was sie sich wünschen kann: einen sehr sympathischen, zugewandten Ehemann, zwei gut geratene Kinder, keine finanziellen Probleme. Aber sie steigert sich in die negative, asoziale Haltung hinein, bis sie auf die ältere Helen trifft, die sich ihrer annimmt. Das tut ihr gut, allerdings beginnt sie dann ein Verhältnis mit Helens Sohn und daran zerbricht die Freundschaft.
Das Buch wechselt zwischen den Zeitebenen und beschreibt Julias Kindheit und Jugend bei einer liebesunfähigen Mutter und ohne Vater. Allerdings fiel mir dieser Wechsel nicht schwer.
Nervend fand ich da eher dieses dauernde "Alles gut!" oder "Alles gut?", auch wenn man schon von Weitem erkennen konnte, dass nichts gut war.
Der Schluss des Buches hat mich mit der vorhergehenden Quälerei noch etwas versöhnt, da kehrt so etwas wie Normalität ein. Man muss sehr viel Geduld für dieses Buch aufbringen!

Bewertung vom 30.07.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


sehr gut

Wenn der Weltkrieg droht...

Ben Oppenheim ist ein Mann in seinen besten Jahren, wären da nicht die Ängste, die ihn umtreiben. Überall drohen schwere Krankheiten und nach dem Beginn des Ukrainekriegs steht die Drohung eines Dritten Weltkriegs auch im beschaulichen Zürich im Raum. Und neben allen diesen Ängsten jongliert Ben auch noch zwischen seiner Frau, den beiden Kindern und der Geliebten mit ihrem Sohn hin und her, das ist nicht einfach! So entschließt sich die Familie auf den Spuren von Stefan Zweig, den Ben sehr verehrt, nach Brasilien zu fliehen. Leider muss seine Geliebte Julia zurück bleiben.
Aber das erhoffte Paradies finden sie auch in Brasilien nicht, Ben scheitert mit seinem Egoismus, seiner Hypochondrie und seinen zahlreichen Problemen auch hier.
Das Buch ist witzig und tragisch und nimmt Ben sehr ironisch auf die Schippe. Seine Familie sieht er als Ursache allen Übels, hier war "Aufmerksamkeit eine Holschuld", wie es auf Seite 166 heißt und Ben ist nie über das Stadium des Aufmerksamkeit heischenden Kindes hinweggekommen. Manchmal möchte man ihn schütteln und ihn zwingen endlich erwachsen zu werden. Das alles ist herrlich beschrieben.
Ein echter Lesegenuss!

Bewertung vom 30.07.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


sehr gut

Schwierig zu bewerten

Bei diesem Buch habe ich echte Probleme es fair zu bewerten. Warum? Die Geschichte hat mich irritiert, ich konnte sie nicht richtig einordnen und ich kam den Protagonisten nicht wirklich klar.
Worum geht es? Sam und ihre Schwester Elena leben mit ihrer schwerkranken Mutter im Staat Washington auf einer Insel. Ihre Lebensverhältnisse sind prekär, Sam arbeitet im Bistro einer Fähre, Elena im Restaurant eines Golfclubs und das Geld reicht nie, denn die Arztbesuche und Medikamente für die Mutter sind teuer. Sam hofft, dass sie das Grundstück auf der Insel nach dem Tod der Mutter verkaufen und anderswo ein neues Leben anfangen können.
Dann taucht eines Tages ein riesiger Bär am Haus auf und erschreckt die Bewohnerinnen. Elena sieht in diesem Bären einen Kameraden und lockt ihn immer wieder an, was streng verboten ist. Sam empfindet so etwas wie Eifersucht, denn ihre enge Beziehung zu ihrer Schwester will sie nicht teilen. Die Situation eskaliert.
Das Buch ist sehr fesselnd geschrieben, aber die Welt der drei Frauen bleibt mir fremd. Ich frage mich, was Elena in diesem Tier sieht und was sie von ihm erwartet. Sie hat eine Beziehung zu einem Nachbarn, aber die scheint ihr nicht zu genügen. Auch Sam ist im Grunde beziehungsunfähig, ihr Misstrauen steht ihr immer wieder im Weg, auch wenn andere Menschen freundlich und hilfsbereit sind.
Das Buch lässt mich zwiespältig zurück und wird mich sicher noch länger beschäftigen. Eines finde ich allerdings uneingeschränkt schön, nämlich das Cover in den zarten Farben.

Bewertung vom 16.07.2024
Signum / Stormland Bd.2
Lindqvist, John Ajvide

Signum / Stormland Bd.2


sehr gut

Überraschend

Ich muss vorausschicken, dass ich den ersten Band der Reihe nicht gelesen habe, aber trotzdem kann man dieses Buch auch allein lesen, da es einige Rückblicke auf das vorige Buch gibt.
Der Hacker Kim Ribling entführt den "Schockdoktor" Martin Rudbeck und hält ihn im Keller seines Hauses gefangen. Dadurch möchte er Zugang zu seiner Vergangenheit bekommen und anschließend den Doktor wieder freilassen. Doch dann geschieht ein Unglück (oder war es Absicht?) und Rudbeck stirbt. Zusammen mit Astrid Helander und der ehemaligen Polizistin Julia Malmros muss er die Spuren verwischen.
Ich fand das Buch sehr spannend. Immer neue Wendungen tragen dazu bei, dass man atemlos weiterliest. Die Mischung aus Ermittlungsarbeit und dem Privatleben der Fahnder war gut geschrieben, dadurch entstand mehr Nähe zu dem Ermittlungsteam.
Besonders interessant fand ich die Figur der Astrid Halander, die eine ganz ungewöhnliche Person ist und mit ihren Tricks die Umwelt immer wieder hereinlegt. Dadurch kommt sie immer irgendwie durch...
Allerdings ist das Buch auch manchmal recht brutal und grausam. Nichts für schwache Nerven!

Bewertung vom 02.07.2024
Dunkler Abgrund
Lillegraven, Ruth

Dunkler Abgrund


sehr gut

Ungewöhnlicher Thriller

Clara Lofthus ist eine ungewöhnliche Frau, taff, ehrgeizig und rücksichtslos, wenn es um ihre Ziele geht. Kurz nach dem Tod ihres Ehemanns wird sie norwegische Justizministerin, obwohl sie ihre beiden achtjährigen Söhne nun allein erziehen muss und wenig Hilfe von außen zulässt. Doch dann werden die beiden Jungen entführt und Claras Leben steht auf dem Kopf.
Das Buch wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, jeweils schildern die Beteiligten das Geschehen aus ihrer Sicht. Das ist auch für die Leser spannend, denn man bekommt unterschiedliche Einblicke und sieht manche Dinge plötzlich anders als im vorigen Kapitel. Ein geschickter Schachzug der Autorin!
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, denn es führt uns in die Vergangenheit zurück, zeigt aber auch, wie brutal ein Mensch unter der glatten Oberfläche sein kann.
Am Schluss hat es die Autorin etwas übertrieben mit dem retardierenden Moment und es zog sich zu lang hin, aber insgesamt fand ich es sehr gut geschrieben und sehr aufregend.
Die Vorgeschichte wurde übrigens in einem anderen Band erzählt (Tiefer Fjord), aber das Buch hatte ich nicht gelesen und kam mit diesem Buch trotzdem gut klar.

Bewertung vom 23.05.2024
Krähentage
Cors, Benjamin

Krähentage


sehr gut

Gruselig

Mit diesem Buch beginnt Benjamin Cors eine neue Reihe um das Ermittlerduo Jakob Krogh und Mila Weiss, die in einer ungenannten Stadt an der See ermitteln. Beide bringen eine geheimnisvolle Geschichte mit, die sich wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Bände aufklärt.
Der erste Fall hat es gleich in sich. Eine ältere Frau wurde ermordet, aber sie wunde nachweislich nach ihrem Tod noch gesehen. Wie kann das sein? Und dann spielen noch unheimliche Krähen eine Rolle und es bleibt nicht bei der einen Toten.
In diesem Buch weiß der Leser von Anfang an mehr als die Ermittler, denn immer wieder sind Geschehnisse um den Mörder eingeschoben. So ist man immer einen Schritt voraus.
Insgesamt fand ich das Buch gut geschrieben, allerdings gab es am Anfang eine Vielzahl von neuen Personen, die man erst einmal einordnen und entwirren musste. Das Buch ist bis zum Schluss sehr spannend, aber auch manchmal gruselig und unheimlich. Nichts für schwache Nerven!

Bewertung vom 27.04.2024
Die Zeit der Kinder
Riess, Lena

Die Zeit der Kinder


ausgezeichnet

Berührend

Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie Kinder im 19. und teilweise auch noch im 20. Jahrhundert erzogen wurden. Sie galten als kleine Erwachsene und sollten zu den typisch preußischen Tugenden gedrillt werden, Gehorsam, Pünktlichkeit und Klappe halten... Erst Pestalozzi und später Friedrich Fröbel wollten dies ändern und den Bedürfnissen der Kinder nach Spiel und Freiheit mehr Raum geben.
Und Fröbel spielt auch eine der Hauptrollen in diesem Buch, aber im Mittelpunkt steht seine Mitarbeiterin und spätere Ehefrau Luise Levin. Sie ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und wird vom Hausmädchen zu Fröbels bester Mitarbeiterin, die viele der "Spielgaben" erfand oder verbesserte.
Das Buch schildert auf berührende Art und Weise ihren Weg zur anerkannten, aber heute leider vergessenen Partnerin, da geht es ihr wie so vielen Frauen der Zeit. Manchmal liest sich das Buch etwas sperrig, was aber der für uns gestelzt klingenden Sprache der damaligen Zeit geschuldet ist.
Insgesamt habe ich durch das Buch viel gelernt und konnte in eine längst vergangene Epoche eintauchen, eine Epoche von grausamen "Bewahranstalten", aber auch von neuen Ansätzen in der Pädagogik.
Kindergärten nach Fröbels Idee galten in Preußen sogar als staatsgefährdend und wurden verboten, das kann man sich kaum noch vorstellen. Heute sind sie in der ganzen Welt verbreitet und das wunderschöne Wort Kindergarten gibt es in vielen Sprachen. Daran hatte Luise Levin einen großen Anteil und es ist wichtig, dass solche mutigen und klugen Frauen nicht vergessen werden.

Bewertung vom 27.04.2024
Zuckerbrot
Balli, Kaur Jaswal

Zuckerbrot


gut

Kinderleben in Singapur

Zuerst einmal das Positive: Das Titelbild ist wirklich hübsch und ansprechend.
Weniger ansprechend fand ich den Inhalt des Buches, es hat mich nicht begeistert.
Die Geschichte der zehnjährigen Pin, die mit ihren Eltern in Singapur lebt und eine christliche Schule besucht, fand ich zäh und langatmig. Ihr Leben dreht sich um Schule, Freundinnen, Klamotten, Fußball und um Gott. Erst als die kranke Großmutter in die Wohnung zieht und Pin ihr Zimmer mit ihr teilen muss, brechen Konflikte auf, deren Grund in der Vergangenheit liegt. Ganz langsam erfährt man, was dahinter steckt und warum Pins Mutter und ihre Großmutter sich hassen.
Ein zehnjähriges Mädchen erlebt naturgemäß nicht so viele aufregende Dinge und damit ein Buch mit 350 Seiten füllen zu wollen ist gewagt. Pins Gedankenwelt blieb mir fremd und das ständige Kreisen um das Bild von Gott im Wohnzimmer war penetrant.
Natürlich erfährt man nebenbei noch viel über das Leben der Sikhs in Singapur, ihre religiösen Vorstellungen und Gebräuche. Aber das reichte für mich nicht, um das Buch interessanter zu machen.
Aber zum Schluss noch ein positiver Aspekt: Die Erklärung der Ausdrücke und Wörter am Schluss war sehr hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2024
Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2
Giordano, Mario

Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2


sehr gut

Viele Jahre Familiengeschichte

Leider hatte ich den ersten Band der Familiengeschichte der Carbonaros aus Sizilien nicht gelesen, aber ich fand trotzdem schnell in das Buch hinein.
Die Hauptpersonen in diesem Band sind die Frauen Pina, Anna und Maria. Pina ist als Tochter eines grausamen Mafiabosses aufgewachsen und hat gegen alle Widerstände den armen Barnaba geheiratet, der mit Zitrusfrüchten handelt und in Deutschland eine zweite Heimat findet. Ihr Sohn Nino heiratet die Fischerstochter Anna, die eigentlich Sängerin werden will, sich aber den Wünschen ihres Mannes unterordnet und mit ihm nach München zieht. Maria ist ihre Tochter, sie kann neue Wege gehen. Das Buch beginnt um die Jahrhundertwende und endet in den 1960er Jahren.
Mir hat die Geschichte gut gefallen, die entführte mich in eine fremde Welt, in der die Männer das Sagen haben und die Frauen sich unterordnen müssen. Aber im Hintergrund können sie doch ihre Männer beeinflussen und auch manchmal erpressen. So erreichen sie einige ihrer Ziele, müssen aber auch viele Träume begraben.
Besonders gut hat mir die Beschreibung von Pinas Demenz gefallen, sie ist sehr realistisch und sehr einfühlsam.
Insgesamt ist das Buch gut zu lesen und nimmt einen mit auf eine Reise in eine untergegangene Welt.