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Juti
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Insgesamt 731 Bewertungen
Bewertung vom 30.06.2025
Maisel, Lukas

Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete


ausgezeichnet

Wie das Schachspiel die Welt rettete

Auch wenn das Buch als Roman verhökert wird, ist es doch eine Novelle. Wer Stanislaw Petrow nicht kennt, möge sich diesen Namen merken. Er rettete am 25.9.1983 die Welt.

„Eines Tages wird dich dein Abwarten noch einmal in Schwierigkeiten bringen“ (26), unkt seine Frau, als er in den Streit seiner Kinder nicht eingreift. Weit gefehlt.

Kollege krank, Petrow übernimmt die Nachtschicht. Um 0.15h kommt der Befehl START. Angeblich sollen die Amerikaner eine Atomrakete gestartet haben. Bei seinen Kollegen herrscht Schockstarre. Doch ausgerechnet auf S.64 erfahren wir sein Wichtigstes Können: „Petrow erinnerte sich, wie sein Vater ihm als Junge die Feinheiten des Schachspiels beigebracht hatte. Wenn er eine Figur leichtfertig gezogen hatte, ermahnte sein Vater ihn, jeden Zug und seine Folgen vollständig zu durchdenken.“

Also hatte er zwei Möglichkeiten: 1. Den Alarm als glaubwürdig weitergeben. Der todkranke Andropow würde dann den Befehl zum Start der Atomraketen geben. Oder 2. Er meldete einen Fehlalarm. „Wenn du gewinnen willst, musst du Opfer bringen“(67) hatte er vom Vater beim Schach gelernt. Er wollte nicht Schuld am Atomkrieg sein.

Eine Rakete war auch nicht sinnvoll. Mit dem Erstschlag musste der Gegner vollständig ausgelöscht werden. Dann folge Alarm 2, 3, 4 und fünf. Petrow tat nichts. Einmal Fehlalarm, immer Fehlalarm. 0.31h: Auf dem Radar ist keine Rakete zu sehen. Entwarnung. Seine Entscheidung war richtig.

Petrow wird nicht befördert. Es muss ein Opfer geben, warum der Computer falsch gewarnt hatte. Petrow ist das Opfer. Drei Tage musste seine Frau auf ihn warten. Er wechselt in eine Rüstungsfirma.

Zu guter Letzt werden Sicherheitssysteme kritisiert. Nach dem Briten Tim Harford habe bereits Galilei erkannt, dass eine mit 2 Balken geshützte Marmorsäule in der Mitte bricht, wenn sie noch einen dritten Balken bekommt (120).


Zwei Monate lag dieses Buch auf meinem Nachttisch. Nun habe ich es an einem Tag gelesen. Im Gegensatz zur FAZ bin ich vollauf begeistert. Der von der FAZ erwähnte Film kommt auch im Buch vor und wird scharf kritisiert. Seltsam, dass die FAZ nichts darüber schreibt. 5 Sterne


Zitat: Laut Pythagoras war der Mensch auf Erden, um den Himmel zu betrachten. Der zweitschönste Satz von Pythagoras. (14)

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Bewertung vom 26.06.2025
Rastorgueva, Irina

Pop-up-Propaganda


ausgezeichnet

Niemals Putin

304 Seiten musste ich warten in diesem kleingedrucktem Buch, das so mit über 330 Seiten zu einem dicken Wälzer wird und dem ein Namensregister gut tun würde, doch dann kommt er, das Urgestein aller Oppositionellen in Russland, Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow. Zum Glück lebt er nicht mehr im Lande, sonst lebte er wohl nicht mehr.

„Wir kriegen sie , und wenn wir sie auf dem Klo kaltmachen.“ (28) und der Gruß an den israelischen Präsidenten: „Zehn Frauen vergewaltigt! Das hätte ich ihm nicht zugetraut! Er hat uns alle überrascht! Wir beneiden ihn alle!“ (28) sind Worte, die man Putin nicht zutrauen würde.

Dass alles wird zudem mit der Sapir-Whorf Hypothese untermauert, dass Sprache nicht nur Wirklichkeit beschreibt, sondern auch Wirklichkeit schafft. Und das gilt für einen Präsidenten, der beim Besuch eines Ortes mit seiner Wagenkolonne über „eilig asphaltiert[e]“ Straße fährt, wo einsturzgefährdete Häuser unter Bannern verschwinden, Scharfschützen auf den Dächern postiert werden und die Angestellten sich als glückliche Menschen präsentieren, da sie sonst entlassen werden. (17)

Mit dem Krieg in der Ukraine wird das ohnehin schon absurde Leben in Russland noch absurder. Ein Beispiel: Im umkämpften nicht annektierten Doneszk soll ein dreijähriger Junge auf dem Lenin-Platz wie Jesus an einer Anzeigentafel festgenagelt worden sein. „Es stellt sich heraus, dass es in Slolansk keinen der sonst sehr üblichen Lenin-Plätze gibt. Der „gekreuzigte Junge“ oder „Junge in Unterhosen“ ist zu einem Symbol für die Absurdität und Verlogenheit der russischen Propaganda geworden.“ (59) Bis und gerade in Sibirien sammeln sich dann Nachrichten wie der Plan Finnlands St. Petersburg anzugreifen. (99)

Dieses Buch ist keine Biografie Putins, es beschreibt die absurde Realität Russlands. Und es zeigt, wie der Diktator die Sowjetunion wiederherstellen will. Schon 2005 bezeichnete er ihren Zusammenbruch als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ (80)
Manchmal helfen ihm auch Schwachköpfe. So deutete der ehemalige Büroleiter Tony Blairs an, dass eine Spionagegeschichte stimmte und lieferte damit einen hervorragende Vorwand die Arbeit ausländischer NGOs stärker zu beschränken. (87)
Der Präsident versuchte zu Beginn des Krieges nationale Symbole wie das „Z“ einzuführen. Doch durchgesetzt haben sie sich nie. (240)

Putin helfen Pseudowissenschaften, die gegen die Aufklärung arbeiten. 2006 glaubten nur 7% der russischen Bevölkerung an Magie und Hexerei, 10 Jahre später bereits 36%. (104) Dies führt zu steilen Thesen wie dass die Demokratie „nicht nur den Oralsex hervorgebracht, sondern auch das russische Dorf zerstört“ hat. (108f) Dabei hilft ihm auch die orthodoxe Religion, deren Patriarch Putin die Motivation zu seinem Krieg liefert. „Es ist besser heute als morgen zu sterben“ und „Es ist besser, an der Front zu sterben als an Wodka“ (244) sind Putins Sätze dazu. Sinnstifter werden übrigens in Russland als „Smyslowiki“ bezeichnet, (213) was mich an den Schachgroßmeister erinnert.

Russland ist ein Vielvölkerstaat und gerade die entlegensten Gebiete müssen die meisten Soldaten in der Ukraine stellen. Putin schränkt ihre Autonomie immer weiter ein. Andererseits kosten diese Republiken Moskau viel Geld, wenn sie nicht wie Tartastan viele Bodenschätze haben, die nun Moskau verwaltet. (160)


Wer dieses Buch gelesen hat, wird nicht mehr viel von der Politik Putins halten. Das Café Moskau in Ost-Berlin wurde schon in Café Kyiv umbenannt. Nicht verstanden habe ich allerdings die Statistik auf Seite 260f: „In Russland begehen die männlichen Partner einer Beziehung 53 Prozent der Morde“, in der EU nur 29%. Das heißt doch im Umkehrschluss, das in der EU mehr 70% der Beziehungsmorde Frauen begehen, das stimmt doch nicht. Ich bitte um Aufklärung.
Dennoch, ein sehr gutes Buch, das trotz der kleinen Mängel von mir 5 Sterne erhält.


Zitate: Putin und Patriarch Kyrill blicken in den Himmel. Putin: Glaubst du, dass Er existiert? Kyrill: Gott bewahre! (123)
„Aber weshalb bin ich verhaftet?“ - „Wir haben uns noch nicht entschieden.“ (199)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.06.2025
Peters, Christoph

Innerstädtischer Tod


weniger gut

roter Faden fehlt

Da hat doch glatt der niederrheinische Heimatautor den Weg nach Berlin gefunden und auch inhaltlich zu Berliner Themen gewechselt. So jedenfalls, wenn du Denis Schecks Lobhudelei hörst.
Und auch der Plattentext verrät dazu auch nix.

Wir tauchen ein in die Welt des Künstlers Fabian Krahl, dessen Vater der letzte Krawatten-Fabrikant in Krefeld gewesen ist und immer wieder geht es dahin zurück.

Sein Onkel Hermann Carius dagegen ist Vorsitzender einer rechten Partei, sein Sohn Martin hingegen, ist Priester in der katholischen Kirche geworden, was dem bekennenden Atheisten Scheck kein Wort wert ist, aber für den Niederrhein-Autor gehört die katholische Kirche immer dazu wie das Weihwasser zum Waschbecken. (Der Vergleich ist von mir, mir fiel gerade nix besseres ein).

Damit nicht genug gerät auch noch der Galerist unseres Künstlers im Rahmen der „Me-Too“ Bewegung unter Missbrauchsverdacht.
All das wirkt wie ein Wimmelbild und all das lässt sich nur schwer in Bewegung bringen. Immer wieder werden aktuelle Themen wie Ukraine-Krieg und Corona angesprochen, aber der rote Faden bleibt auf der Strecke. Irgendwann gibt es doch eine Ausstellungseröffnung, wo sich alle irgenwie treffen.

Auch die Gender* sind aus meiner Sicht fehl am Platz, insbesondere wenn zwei in einem Wort auftauchen: Künstler*innendarsteller*innen (26)

Nein, mir fiel es schwer die Personen auseinanderzuhalten und vermutlich habe ich auch weniger als die Hälfte verstanden. So ist mir nicht einmal der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Kapitel klar. Vielleicht kann jemand helfen? 2 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.06.2025
Bregman, Rutger

Moralische Ambition


weniger gut

nerviger Besserwisser

Es fing so gut an. Doch dann kommt ein regnerischer Sonntag in Heidelberg und die gute Laune verfliegt. Im Ernst: Ist schon mal untersucht worden, ob Buchkritiken bei besserem Wetter auch besser sind?

Die Nachwuchsprobleme der Klöster könnte diese Buch lösen, denn der Prolog verrät einen Mönch als den glücklichsten Menschen der Welt.

Auf S.21 dann eine interessante Tabelle von weniger idealistisch und weniger ambitioniert zu idealistisch und ambitioniert. Das diese Tabelle noch vertextet wird, versteht sich von selbst.

S.41 gefällt mir wieder. Es zeigt eine Gruppe Menschen, Hafenarbeiter wie sich zeigt, die den Führergruß machen, bis auf einen. Zwei Seiten später heißt dieser Mann August Landmesser, auf S. 110 dann Gustav Wegert und erst hier findet man ein Foto, auf dem etwas zu erkennen ist.

Außerdem geht es viel um die Befreiung der Sklaven. So stimme zum Beispiel die Geschichte von Equiano Olaudah nicht mit der Wirklichkeit überein, sondern sei zu Propagandazwecken nach Afrika verlegt worden. Jedenfalls fand der Literaturprofessor Vincent Carretta eine Geburtsurkunde aus South Carolia. (100)

„Die Überbetonung der eigenen Handlungsfähigkeit hingegen nervt“, schreibt die Rezensentin vom DLF. Nicht nur das. Es nerven die sinnlosen Überschriften. Kapitel 6 heißt „Melden Sie sich in einem Hogwarts für tugendhafte Menschen“. Was darf ich hier erwarten?

In Kapitel 7 wechselt der Autor völlig zusammenhangslos von der Anti-Baby-Pille zur Solarzelle. Da bin ich wohl nicht der einzige der den roten Faden vermisst.

Eigentlich müsste ich hier abbrechen und einen Stern geben. Da ich aber noch befürchtete noch auf etwas Interessantes zu stoßen, habe ich weiter durchgeblättert und komme so gerade noch auf 2 Sterne. Eigentlich schade. Für sein Buch „Utopien für Realisten“ hat derselbe Autor von mir noch 4 Sterne bekommen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.06.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


ausgezeichnet

Kurioser Beginn

Da sitzen zwei Fahrgäste in einem Vierer-Abteil schräg gegenüber. Die Frau mittleren, jüngeren mittleren Alters und der Mann von dem wir erst später erfahren, dass er schon länger glücklich verheiratetet ist und schon eine größere Tochter hat. Die Frau wird gefragt, welchen Beruf sie ausübt, wo ich die Antwort im Zitat wiedergebe.

Also kommen die beiden ins Gespräch und reden über die Beziehungsprobleme oder eben nicht. Jetzt hätte ich fast vergessen zu erwähnen, dass der Mann der berühmte Schriftsteller Eduard Brünhofer ist und wir lernen viel über seinen Verlag, sein Schreiben und sein Hobby: Alkohol.

Das alles im witzigen Ton und mit hilreicher Übersetzung von Österreichisch ins Deutsche. Oder hättet ihr gewusst, dass Obers nur die feste Sahne ist? Bekannter ist schon eher, dass du in Österreich kein Abitur machst, sondern maturierst. Besonders witzig wird es, wenn man bei diesem Verb ein Buchstabe hinzufügt und das r in ein b ändert.

Ein witziges und unterhaltsames Buch noch dazu mit einer Schlusspointe, die ich nicht spoilern werde.Volle 5 Sterne.


Zitat „Ich arbeite als … [..]Physiotherapeutin.“ […]
Das Wort geht mir durch Mark und Bein, und instinktiv spanne ich meinen Beckenboden an, um mich zu vergewissern, dass er noch da ist. Physiotherapeuten haben bisher keinen festen Platz in meinem Leben gefunden, obwohl sie via hausärztlicher Überweisung schon seit längerem an meine Tür klopfen und in mein Bewusstsein drängen. Einige Male habe ich es mit ihnen probiert. Nach längstens drei „Einheiten“, wie man ihre Folterstunden nennt, konnte ich mich stets aus ihrer Umklammerung befreien und mich als vorzeitig geheilt entlassen. Ich vertrage ihre Übungen nicht, auch nicht die schroffe Art ihrer Vorgaben und den Befehlston, in dem sie sich schicken, die Kontrolle über meinen Körper an sich zu reißen. „Bis zum nächsten Mal machen Sie mir täglich…“ waren jeweils ihre letzten Worte. (21)

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Bewertung vom 07.06.2025

Leibniz in Mainz


gut

Universalgelehrter am Rhein

Vor dem Kirchentag in Hannover wollte ich mich mit Leibniz beschäftigen und fand diesen Tagungsband, der belegt, dass Leibniz nach seinem Studium in Altdorf (ich hätte es glatt in die Schweiz verlegt und niemals die Universität Nürnberg damit verbunden.) auf den Weg nach Leiden (aber Leidensweg ist hier wohl fehl am Platze) für vier Jahre in Mainz steckengeblieben ist, um danach erst über den Umweg Paris in Hannover anzuheuern.

Der Grund seines Aufenthaltes ab 1668 dürfte der aufgeklärte Kurfürst und Erzbischof Johann Philipp von Schönborn gewesen sein. Als er 1673 starb, zog Leibniz weiter. Der aus einem Juristenhaus stammende Gelehrte versuchte hier mit dem Landesherrn den Religionskonflikt des 30jährigen Krieg zu schlichten und wenn Rom darauf eingegangen wäre, hätte da durchaus etwas werden können.

Leibniz stellte die Philosophie auf neue Füße. Statt abstrakter Bilder zählte die Utilitas, der Nutzen. Weiter las ich, dass der Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Neuburg den polnischen Thron anstrebte, aus Angst vor Krieg aber dann doch verzichtete. Da hat er wohl vom Winterkönig gelernt.

Am meisten beeindruckt hat mich aber, dass er Probleme der Mechanik, die der Engländer Hobbes aufwarf erst naturphilosophisch beantwortet, bis 1669/70 die moderne Mathematik lernt und folglich mathematisch antworten kann.


Dieser wissenschaftliche Band übererfüllt meine Ansprüche. Seitenlang wird zitiert aus Originalquellen. Weniger und leichter lesbar wäre mir lieber gewesen. Machmal wird auch auf den alten Leibniz verwiesen, weil der junge nicht so bekannt ist. 3 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2025
Mumm, Hans-Martin

Studien zur Heidelberger Stadtgeschichte


ausgezeichnet

Perlen der Lokalgeschichte

Schon der Titel verrät, dass es sich bei diesem Werk um eine Aufsatzsammlung handelt, die neben dem Beitrag zur Heidelberger Lokalgeschichte auch noch den Autor ehren will. So ist die Frage, ob die geehrte Leserin dieses Buch tatsächlich von Anfang bis Ende lesen soll. Sie wird immer auch weniger Spannendes finden. Die Reihenfolge der Aufsätze ist chronologisch nach ihrem Inhalt:

Zunächst befasst sich Mumm mit dem Alter Heidelbergs und schränkt anhand des Patronats der Heiliggeistkirche den Zeitraum auf das frühe Mittelalter ein.
Dann begibt er sich auf den Plättelsweg, vor allem weil andere Autoren hier auf dem Holzweg waren. Mit Ludwig V. feiert er den Sieg über die Bauern 1525, nein, er nimmt nicht so Partei, aber in Heidelberg selbst fanden keine Kämpfe statt, wohl aber die Siegesfeier. Der nächste Held ist unser Brückenaffe und wird zum Primatologen: „Berühmt sind die Schach spielenden Affen im Naumburger Dom.“ (122) Ich würde so gerne sofort hinfahren. Den Bonner Brückenaffen scheint er nicht zu kennen, aber sonst lässt er keine Banane aus.

Auch beim Hotel Ritter zieht er erstaunliche Vergleiche bis hin zur Hofapotheke in Öhringen, die nach seiner Forschung ebenfalls von Flüchtlingen aus Tournai erbaut sein muss. Eine kleine Schwäche Mumms ist es, steile Thesen aufzustellen: Johann Casimir sei der historische „Jäger aus Kurpfalz“ (154) Aber war das nicht Carl Theodor? Mumm wird noch einen weiteren Aufsatz schreiben müssen.

Carl Theodor kommt gar nicht gut weg (Zitat Münter: „Es wird ein Glück seyn, wenn Carl Theodor einmal stirbt und der Herzog von Zweibrücken wird.“ 161) , wird doch im nächsten Aufsatz sein Nachnachfolger Carl Friedrich von Baden gelobt, der gerade beim Bürgertum für neue Freiheiten sorgte, die als „Toleranzpolitik“ bezeichnen wurde. Baden war durch die katholische Linie in Baden und die lutheranische in Karlsruhe ohnehin konfessionell geteilt. Die Verbesserung des Schulwesens kam meines Wissens aber erst später.

Ludwig Börne ist der längste Artikel gewidmet. Er kam als Louis Baruch nach Heidelberg, nachdem die Universität in Halle wegen Napoleon 1806 aufgelöst wurde, mit ihm die auch die Brüder Eichendorff. (Ich wusste gar nicht, dass sie zu zweit kamen). Wieder schreibt Mumm, dass sie von der „konfessionsübergreifende[n] Schulordnung“ profitierten. Na denn. Er wohnte in der Schiffgasse 6, David Zimmer (2 Aufsätze später) in der Haspelgasse 12 war mit seinen Eltern bekannt.

Der Aufsatz über den Karlsruher Jude Abraham Ettlinger, der für die Freiheit Griechenlands kömpfte und in osmanische Gefangenschaft geriet, passt kaum in dieses Buch. Heidelberg besitzt nur eines der wenigen Originalbü.cher seiner Geschichte.
Da von David Zimmer schon die Rede war, folgt der Artikel, wie aus dem Turnverein die freiwillige Feuerwehr entstand. Der Name Feuerwehr wurde erstmals 1847 in der Karlsruher Zeitung verwendet. (271) Wie schlecht der Brandschutz war, zeigt, dass bei einem Feuer in der Bauamtsgasse 4 Wasser aus dem Brunnen des Pfarrhauses in der Sandgasse 1 geholt werden musste. (277) Peter Desaga ist der Name, den man sich zur Feuerwehr merken muss. Er produzierte mit Erlaubnis von Bunsen übrigens auch einen neuen Gasbrenner. (287)

Weiter wird an Johann Lorenz Küchler erinnert. Der aufrechte Demokrat war im April 1832 an der Weinheimer Versammlung beteiligt, eine Vorstufe des Hambacher Festes am 27. Mai. Außerdem gründete er und war bis zum Tod Vorsitzender der Deutschkatholiken. Warum Mumm glaubt, dass sie bis heute noch existieren, wird er vielleicht später einmal darlegen. (301) Nach der Revolution 1848 verteidigte er die Demokraten vor Gericht und konnte einige Todesurteile abwenden, andere nicht. Besonders traurig ist die Geschichte Friedländers, dessen Todesurteil nicht vollstreckt wurde, weil er nach Amerika ins Exil gehen wollte, dann aber starb, weil sein Schiff unterging. (304)

Ein Höhepunkt ist Mumms Zusammenstellung über die Industrie in Heidelberg um 1900. Stefan George und Karl Lohmeyer sind auch interessant. Den Abschluss bildet ein Ausatz über Mumms Ende als Betriebsratsvorsitzender.

Wegen der kleineren Mängel müsste ich eigentlich 4 Sterne vergeben, es gibt aber noch einen Ehrenstern zum 75. Geburtstag von Hans-Martin Mumm, also volle 5 Sterne.

Zitate:
(Börne): Ich Louis Baruch sei in der ganzen Stadt als halber Narr, und in der halben Stadt als ganzer Narr bekannt. (198f)
Mit der Liebe zum Leben hört das Leben der Liebe auf. (209)
Erziehung ist Erziehung zur Freiheit. (209)

(Mumm): Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeugt die salomonisch-unpraktische Entscheidung, die Bahnverbindung nach Frankfurt in der Mitte bei Friedrichsfeld an das bestehende Netz anzubinden, von der Gleichrangigkeit Heidelbergs mit Mannheim. (246)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.06.2025
Wolff, Iris

Lichtungen


gut

Heimatroman von Siebenbürgen

Kummer und Leid bin ich ja schon gewohnt bei meinem Plan, die ganze Shortlist zu lesen. Inzwischen werfe ich den Autorinnen und Autoren nichts mehr vor, sondern hege meinen Groll gegen die Jury des Jahres 2024, offenbar das zeitgenössische Schreiben von WhatsApp- Kommentaren höher bewertet als die feine, interessante, mitunter lustige herkömmliche Erzählweise.

Iris Wolff trägt dazu bei, in dem sie ihre Geschichte chronologisch rückwärts erzählt. Das hat schon Autorin Mahlke in ihrem Buch „Archipel“ gemacht, den Buchpreis 2018 gewonnen, aber – wenn wir den Kundenbewertungen dieser Seite Glauben schenken – nicht die Herzen der Leserinnen und Leser.

Auch ich brauchte einige Zeit, bis ich merkte, dass die Kapitel nicht blind zusammengewürfelt sind. (Vielleicht ist das der überzeugende Tipp, wie du den Buchpreis 2025 gewinnst: Einfach die Reihenfolge der Kapitel würfeln.)
Aber spätestens als Lev unbewegliche Beine hatte und ich nicht wusste warum, war mir klar, wie der Hase läuft.

Inhaltlich dagegen ist der Roman bieder. Würdest du einen Heimatroman über Oberbayern lesen? Wohl kaum. Die Geschichte lebt also von den Gräueltaten des Kommunismus, in Rumänien also das Ceaucescu-Regime (wenn sich der Herrscher denn so schrieb) und von den vielen Völkern in Siebenbürgen, also Rumänen, Deutsche und Ungarn. So darf auch die Ausreise der vielen deutschen, evangelischen Siebenbürgersachsen nicht fehlen.

Zur FAZ möchte ich noch anmerken, dass „Lichtung“ im Singular noch zweimal vorkommt. Einmal auf S.132: „Vor ihm lag eine Lichtung. Zwei Wölfe kämpften ohne ein Laut.“ … und auf S.133 nochmal: „Zwei Wölfe auf einer Lichtung.“

Ich habe dieses Buch emotionslos gelesen, weil die Autorin es nicht geschafft hat, mich für das Thema zu begeistern. Aber es liest sich gut und schnell. 3 Sterne, auch weil ich nicht wieder eine schlechte Note verteilen will.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2025
Bühler, Christoph

Burgen der Kurpfalz. Bergstrasse und Neckartal


sehr gut

geschichtsträchtige Sammlung

Nach einer allgemeinen Einleitung, die die Begriffe Herrschaft und Lehen klärt, wird die Geschichte des Burgenbaus erklärt, inklusive der Doppelburgen, wie Burg Eltz in Moselnähe. Mit Modeänderung wurde auch die Burgen vom Gipfel eines Berges in Stadtnähe verlegt. Ebenso zeigt die unterschiedliche Mauerdicke wie wichtig die Verteidigung war und wie weit die Baukunst vorangeschritten war.

Der Hauptteil geht aber auf die einzelnen Burgen ein, wobei auch hier der Schwerpunkt auf der geschichtlichen Darstellung liegt. Die Burgen sind im einzelnen:

1. Burg Windeck: Diese Burg war umkämpft zwischen dem Kloster Lorsch und dem Pfalzgrafen. 1264 einigten sich dann das Erzbistum Mainz als Nachfolger des Klosters Lorsch und der Pfalzgraf das letzteren die Neustadt, inklusive Burg, Mainz aber die Altstadt zustand.
2. Burg Hirschberg (Leutershausen): Schenkung des Liuther 877 an Lorsch, Burg ab 1142 mit Konrad ganz oben, heute nicht einmal mehr Ruinen
3. Strahlenburg wohl vom Sohn des Konrad v. Hirschberg. Seit Corona ist aber die Burgschenke geschlossen.
4. Schauenburg: nicht abhängig von Lorsch. 1320 vom Pfalzgraf an Mainz verkauft.
5. Handschuhsheimer Tiefburg: Besitz von Lorsch
6. Die Neckarsteinacher Burgen: 4 Burgen, die alle wie der Autor glaubhaft belegt von der Hinterburg besiedelt wurden. Und die Sage vom Bligger, der als hartherzig galt, dann aber während eines Kreuzzugs maskiert den Anführer des Feindes tötete und vom Kaiser geadelt wurde.
7. Hirschhorn: Die Herren von Hirschhorn stammen vom Bligger von Steinach ab.
8. Dilsberg :Hier waren die Herren von Lauffen (am Neckar)
9. Neidenstein: Diese Burg in dieser Liste bewundere ich sehr. Bis heute ist sie in Familienbesitz von Venningen und ist nicht zu besichtigen. Aber das Burgdorf lohnt einen Besuch.
10. Burg Steinsberg: Wegen seines achteckigen Turms geht man von einer Staufergründung aus. Höchster Turm im Kraichgau 355m. 1972 von der Stadt Sinsheim übernommen, bis dahin Ruine.

Zu allen Burgen gibt es detaillierte Beschreibungen. Dank des geschichtlichen Schwerpunkt ist das Alter des Buches zu verkraften. Insbesondere für Neidenstein bin ich dankbar. 4 Sterne

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.05.2025
Dibdin, Michael

Himmelfahrt


gut

Heute ist wie gemacht für diesen Krimi. Und dann auch noch in Rom, der Stadt mit Vergangenheit, der Ewigen Stadt.
Ich bin gerne dort und lese immer gerne über diese jung gebliebene Mittelmeermetropole.