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Benutzername: 
linguine_di_cremona
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 24.10.2019
Adlerschanze
Zellner, Ingrid

Adlerschanze


weniger gut

Marcel Reich-Ranicki, der verstorbene Großkritiker, stellte einmal die Frage „Welches Recht hat der Autor, mich zu langweilen?“ Ich möchte das abwandeln: Welches Recht hat eine Autorin, mir unverdauliches, weil unglaubwürdiges vorzusetzen? Und was geht in einem Verlag vor, der meint, das sei originell oder witzig? Warum verlegt man ein Buch, das eigentlich auf dem Titel eine Warnung „Nicht geeignet wenn Sie schon Schwierigkeiten mit der HWS haben?“ haben sollte? Ich bin aus dem Kopfschütteln nicht mehr herausgekommen – und das fing schon auf der ersten Seite im zweiten Absatz an.

Da liest man: „Auf der sonnenüberfluteten Terrasse des Café Diva saß Kriminalkommissar Surendra Sinha und genoss neben dem Blick auf den idyllischen Adlerweiher auch das äußerst befriedigende Bewusstsein, dass er seine To-Do-Liste für diesen Freitag abgearbeitet hatte und den Rest des Tages einfach entspannen konnte.“

Surendra Sinha … soll das indisch sein? Was macht ein indischer Kriminalkommissar im Schwarzwald? Gibt es den Rang „Kriminalkommissar“ überhaupt in Indien? Im Weiteren erfahren wir, dass uns das nicht zu interessieren hat, denn Surendra Sinha ist bei der deutschen Polizei! „… sein Revier war die Kriminalinspektion I in Friedrichshafen …“. Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, das steht da. Ich glaube es nicht.

Ich glaube es nicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man als Ermittler in einem Land arbeiten kann, dessen Sprache einem doch nicht in letzter Subtilität verständlich ist, dessen Dialekte Stolpersteine sind, dessen regionalen Besonderheiten man nicht kennt, dessen Einwohner einem weder in ihren Sitten noch Gebräuchen noch in ihrer Mentalität vertraut sind. Es geht nicht, denn die Kriminalstatistik weist eindeutig aus, dass ein großer Teil aller Gewaltverbrechen Beziehungstaten sind. Wie aber soll jemand, dem die Lebensweise nicht vertraut ist, Beziehungen analysieren und ihre Bruchstellen sehen?

Frau Autorin meint, über diese Hürde zu kommen, in dem sie darstellt, dass ihr Surendra Sinha in Deutschland geboren ist, wenn auch von indischen Eltern. Damit war es für sie erledigt. Ein wenig weiter zu googeln wie zum Beispiel nach Einstellungsvoraussetzungen bei der Polizei in Baden-Württemberg hat sie sich aber gespart, sonst hätte sie nämlich erfahren, dass man entweder deutscher Staatsangehöriger sein muss oder die Staatsangehörigkeit einer Liste von Ländern haben muss, zu denen Indien _nicht_ gehört. Es ist kompliziert, doch die Autorin übergeht es.

Damit nicht genug: Der Stil ist beklagenswert. Andere nutzen den feinen Stift, sie dagegen schlägt mit der Axt zu. „Nachdenklich betrachtete er das junge, bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen, den langen, nassen Haarsträhnen, die zerschlagene Schädeldecke …“ Also, Klang hat das nicht und das Prinzip „sag mir nicht, was ich sehe, sondern zeig es mir“ scheint Zellner nicht bekannt zu sein. Dafür schmeißt sie mit Attributen und lässt mich an jenen französischen Chefredakteur denken, der seinen Redakteuren sagte, sie sollten, bevor sie ein Attribut verwenden, zu ihm kommen und ihm erklären, warum es an der Stelle notwendig sei. Zu ihrer Argumentation hätte auch gehört, ob das Attribut eine Information befördert, die sonst nicht da wäre. Beim „jungen, bleichen Gesicht“ ist das nicht der Fall. Wir hatten nämlich schon davor, dass „direkt an einer mit Schilf bewachsenen Uferstelle des Adlerweihers (lag) regungslos der triefnasse, bleiche Körper einer jungen Frau, und die tiefe, blutrote Wunde in ihrem Kopf war unübersehbar.“

Bitte, Frau Zellner, Sie dürfen Ihren Lesern zutrauen, dass sie ungefähr zwei Seiten später immer noch wissen, dass die Frau jung, tot und bleich ist. Dabei stellt sich mir allerdings die Frage: Woher weiß die Autorin, dass der Körper des Opfers bleich ist? Lag es nackt herum?

Bewertung vom 22.10.2019
Die Majorin
Wiechert, Ernst

Die Majorin


ausgezeichnet

In Zeiten, in denen ein Handke den Literaturnobelpreis bekommt, muss man sich wohl nicht darüber wundern, dass ein Ernst Wiechert fast vergessen ist. Zutiefst vom Humanismus und Antifaschismus getragen, in seinem Stil alles andere als „süffig“, subtil wo andere mit Eisenbahnschienen reinschlagen – Wiechert entspricht nicht dem heutigen Literaturgeschmack. Das ändert für mich aber nichts an seiner „Lesewürdigkeit“.

Die Majorin gehört zu den Büchern, die Wiechert nach dem zweiten Weltkrieg und seiner KZ Haft geschrieben hat. Und wer seinen „Totenwald“ gelesen hat, die „Märchen“, die er noch direkt unter dem Eindruck des KZ geschrieben hat, kann nur den Hut vor dem Dichter ziehen, der es trotz dieser Erfahrungen schafft, seine Protagonisten der Bejaung des Lebens und der Versöhnlichkeit zuzuführen.

Dabei ist Wiechert nicht ganz einfach zu lesen. Er spricht manches nicht aus, er malt teilweise Aquarelle mit zartem Pinsel und Andeutungen, an anderer Stelle aber sind es energisch gesetzte Kohlestriche in Zeichnungen, die eine Situation verdeutlichen.

Ich empfinde als fast wohltuend, dass Wiecherts Figuren nicht immer über alles reden müssen. Im Gegenteil. Keine therapeutischen Gespräche, stattdessen aber das „Tun“ als Therapie und die Natur als Medikament. Und im Lieben angenehme Zurückhaltung – keine Prüderie, keine Bigotterie, aber eben nichts, was man austreten und direkt „ausleben“ muss.

Ich denke, dass die Majorin gerade heute, wo Aggression und Gespaltenheit uns umtreibt und unsere Leben bestimmt, wieder wichtig ist und so alt das Buch ist – es kann immer noch neue Wege aufzeigen.

Bewertung vom 22.10.2019
Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler
Rem, Tore

Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler


sehr gut

Seine Sprache hatte Gewalt. Seine politische Überzeugung lehnte sie nicht ab. Daraus entstand etwas, was bis heute ein Konflikt für viele seiner Leser ist. Wir lesen von Isak, dem norwegischen Bauern, der mühsam Land urbar macht. In Hamsuns „Segen der Erde“ begegnet uns das natürliche, authentische, unverstellte – oder doch nicht? Ist das, was da „einfach“ wirkt, nicht manipulativ?

Tore Rem hat sich das auch gefragt und so schrieb er über „Knut Hamsun – die Reise zu Hitler“. Er erzählt dabei von dem Besuch des Dichters in Hitlers „Alpenfestung“, dem Haus von dem Hitlers Architekt Speer spottete, es wäre einem Architektenstudenten im ersten Semester schon nicht mehr passiert, die große Halle mit den bodentiefen Fenstern genau über die Garagen zu setzen.

Der alte Mann aus Norwegen, ein überzeugter Nationalsozialist, durchaus von Hitler begeistert und ihn vertretend, widersprach dem „Führer“ allerdings. Er kritisierte den „Reichskomissar“, den Hitler für Nowegen eingesetzt hatte. Der konnte das nicht vertragen und so endete das Treffen abrupt.

Tore Rem geht der Frage nach, was den großen Dichter und Denker wohl dazu veranlasst hat, dem Nationalsozialismus anzuhängen und ihn auch nach 1945 noch vehement zu verteidigen. Im Grunde ist es eine Variante des ewig alten Themas: Kann man das Werk eines Künstlers unabhängig von seiner Biographie und politischen Überzeugung vertreten?

Für Hamsun-Freunde ganz sicher ein wichtiges Buch.