Willkommen in der magischen Welt Nelwe, dem Schauplatz des Actionrollenspiels Silverfall! Einst eine Fantasywelt wie aus dem Bilderbuch mit jeder Menge Zauberei, einer ausufernden Götterwelt und dem traditionellen Bevölkerungsgemisch aus Menschen, Elfen, Trollen und Goblins, wandelte sich das Bild Nelwes durch die Erfindung der Dampfmaschine. Im Zuge der unvermeidlichen industriellen Revolution wurden alte Werte, Gebräuche und das natürliche Leben beiseite gedrängt. Es enstanden neue Machtverhältnisse, Staatsformen, die rechtlosen Landarbeiter von gestern sind die ausgebeuteten Fabrikarbeiter von heute. Die Welt polarisierte sich in Technologiefreaks und Anhänger der alten, naturverbundenen Lehre. Dieses Dilemma und eine Invasion der
Untoten begleiten den willigen Helden durch die Abenteuer Silverfalls.
Silverfall, das Rollenspiel zur KlimakatastropheIst es Zufall, ist es Masterplan? Wie auch immer, hier haben wir mal ein Actionrollenspiel das ein gesellschaftspolitisch heißes, oder vielmehr erwärmtes, Eisen anpackt. Nun ja, Fantasy und Technologie gabs schon mal Anno 2001 im sehr durchwachsenen
Arcanum und in der einschlägigen Literatur sowieso, ist aber dennoch eine halbwegs unverbrauchte Idee. Im Spiel hat der Held jedenfalls die Möglichkeit bei einer gewissen Anzahl von Nebenquests zwischen technologie- oder naturfreundlicher Vorgehensweise zu wählen. Ist die Aufgabe zur Zufriedenheit des Questgebers gelöst, füllt sich der Technologiebalken eben in Richtung Technik oder Natur. Das ist zwar nicht kriegsentscheidend, erlaubt aber das Erlernen von Spezialfertigkeiten und das Tragen und Benutzen von besonderen, der jeweiligen Ausrichtung zugehörigen, Rüstungen und Waffen. Auch das Aussehen der Gebäude des neu aufgebauten Silverfalls werden durch die Wahl des Spielers geprägt.
Hmm, funktioniert das eigentlich auch in der Wirklichkeit? Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht. Kleiner Ausflug in die Nachbarschaft, da wo die brennenden Ölfässer stehen und unrasierte, ungewaschene Hartz IV- Empfänger bei Bier und Bildzeitung ihre letzten Gehirnzellen ins Nirwana schicken. Echt raue Jungs und Mädels also. Unsere milieugerechte Frage: 'Ey Du versoffener, arbeitsscheuer Sack, wählst Du diese schmuddelige Bambuskeule aus ökologisch einwandfreiem Anbau mit garantiert umweltfreundlicher Hochglanzlackierung oder doch lieber diese chromglänzende, amerikanische Armeepumpgun, die faustgroße Löcher in Köpfe schiessen kann?' 3 Sekunden später steigt der Technologielevel des gewaltbereiten Arbeitslosen um 5% und wir eilen halbnackt zu unserem Grabstein zurück. Anderes Beispiel: Wir gehen in den Stadtwald und konfrontieren eine von ihren 4 Rotzlöffeln umkreiste junge und alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Strickzeug bewaffnet den Sonnenschein genießt: 'Guten Tag gnä` Frau, wir sind Stadtplaner und möchten ihren Rat. Sollen wir diesen herrlichen Wald zum Naturschutzgebiet erklären, weitere putzige Eichhörnchen aussetzen und zehntausende kleiner lila Blümchen pflanzen oder doch lieber die 50 Quadratkilometer Bäume abhacken, die Erde mit Beton versiegeln und die Hinweischilder für den Flughafen mit dem Blut Ihrer Kinder malen?' 3 Sekunden später steigt der Naturlevel der wehrhaften Strickliesel um 5% und wir eilen halbnackt zu unserem Grabstein zurück.
Boah, sind die dick Mann!Abgesehen von diesem kleinen exotischen Schlenker verläuft die Hintergrundgeschichte sowie das Questen in Silverfall nach bewährtem Muster. Im Prolog erleben wir in der Gestalt eines Meistermagiers den Fall der Stadt Silverfall, welche aus heiterem Himmel und unter Führung eines Schattendämons von Horden untoter Kreaturen zerstört wird. Der Magier kann den Dämonen zwar stellen und besiegen ist aber fortan von diesem besessen. Seine Tochter Kara, die dickbrüstige Elfin, bittet uns, den Lieblingschüler des Magiers, um Beistand, den wir ihr großzügig gewähren. Wer könnte oder wollte dem Flehen dieser spitzohrigen Silikonschnalle auch schon groß widerstehen? So schnetzeln wir uns durch die genreüblichen Monsterhorden, verfolgen den finsteren Gesellen, unterstützen ganz nebenbei die Restbevölkerung Silverfalls und lösen am Fließband die Probleme diverser Zeitgenossen, die die angrenzenden Städte bevölkern.
Auf diese Weise kommen wir übrigens auch zu unseren Reisebegleitern. Den ein oder anderen Kommentar auf den Lippen spielen sie hernach automatisch vor sich hin, gelenkt durch eine Handvoll wählbarer Anweisungen. Bis zu zwei Herrschaften schließen sich dem Helden an und das ist auch bitter notwendig. Der Versuch das Spiel im Solomodus zu spielen ist nach meinem Geschmack ein ziemlich masochistisches Unterfangen. Eingeleitet werden die Quests durch mehr oder weniger spritzige Dialogboxen, einige wenige Texte werden, dass allerdings sehr engagiert, von guten Sprechern vorgetragen. Das Questlog ist grandios unübersichtlich geraten, zusätzliche Notizen sind angeraten, dafür wird die Richtung des nächsten Quests auf der Minikarte angezeigt und ein freundliches X kennzeichnet den Ort der Handlung.
Die eierlegende Wollmilchsau kann sogar zaubernKeine Quests ohne qualifizierte Helden und jeder Held fängt mal klein an, nämlich bei der Charaktererschaffung. Die ist bei Silverfall sehr übersichtlich, außer der Auswahl eines Avatars, der einem der obigen Völker zugehörig ist und einigen optischen Korrekturen ist nicht viel zu tun. Die Wahl der Klasse und die Charakterausformung findet während des Spielens und der Stufenaufstiege statt. Grundsätzlich kann sich jeder Held sowohl dem Kampfgeschäft als auch der Zauberei zuwenden. Mischformen sind in breiter Varietät möglich und erlauben bogenschießende Eismagier, vergiftende Nahkämpfer mit hohem Heilungsbonus oder Radioaktivität versprühende Werwölfe. Möglich wird dies durch ein motivierendes Punkte- und Talentbaumsystem beim Levelaufstieg. Jeder der drei Fähigkeiten Kampf/ Magie/ Sonstige enthält je drei Talentbäume: Nahkampf/ Schießen/ Technik, Elementar/ Licht/ Schatten und Natur/ Technik/ Rasse. Diese Skillung und das Verteilen von Intelligenz-, Ausdauer- etc. Punkten ist eine schöne Belohnung für neu erreichten Level.
Neben der Charakterentwicklung ist das Sammeln und Erbeuten ständig besserer Ausrüstung ein zentraler Bestandteil eines Actionrollis, das ist bei Silverfall nicht anders. Demensprechend kramt man hier und kramt man dort und lässt gerne mal die Hälfte der unterwegs gefundenen Klamotten liegen weil das Inventar mal wieder voll ist.
Tödliches SpielKein Wunder, die Gebietskarten sind regelrecht mit Monstergruppen zugepflastert, wobei die Gruppen fast immer aus drei oder vier Mitgliedern bestehen, das wirkt etwas unnatürlich. Im Kampf geht gehörig die Post ab, mit der linken und rechten Maustaste wird geprügelt, gezaubert und Spezialfähigkeiten zum Einsatz gebracht. Das ist recht turbulent, die Monster wechseln gerne mal im Kampf die Position und die knalligen Zaubereffekte komplettieren das wuselige Gemetzel. Etwas unschön ist die oft erlebte Unausgewogenheit der Kämpfe oder anders ausgedrückt kann ein Level 15 Monster zuweilen sehr unterschiedlich einstecken und austeilen. Das Level der Mobs passt sich dem Level der Spielercharakters permanent an, so hat man nur kurze Zeit Spaß an Level 1 und 2 Monstern. Diese Angleichung wird in jedem Gebiet nur bis zu einer bestimmten Obergrenze vorgenommen. Geschmacksache dieses Feature, ebenso, das die monsterleeren Gebiete nach erneutem Spielstart wieder aufgefüllt werden, ich habs lieber bereinigt und den Rücken frei.
Gestorben wird gerade in der Anfangsphase ohne unterstützende Begleiter gut und gerne. Am Ort des Geschehens verbleibt die aktuell getragene Ausrüstung, geschmückt von einem stimmungsvollen Grabstein, die Wiedererweckung erfolgt im schlimmsten Fall zwei Karten weiter in der nächsten Stadt. Da hilft nur der Weg zurück oder die Zahlung einer horrenden Versicherung, die im Erlebnisfall die verlorenen Utensilien wieder beschafft. Ich weiß gar nicht wie häufig ich in der Anfangsphase ohne Begleiter und ohne adäquate Rüstung, halbnackt eben, meinem Grabstein entgegengelaufen bin um dort die schon wartenden Monster mit schlechterer Ersatzausrüstung umzuhauen oder einen zweiten Grabstein zu produzieren. Nun ja, manch einer mag das motivierend und spannend finden, mich hat es genervt.
Von Kamerafrust und anderen WidrigkeitenEs gibt bei Silverfall so einige Details, die mir das unbeschwerte Spielen verdorben haben. Eine Hauptrolle spielt hierbei die misslungene Kameraführung, die in keiner Position zufriedenstellen kann. Die übliche Vogelperspektive bringt sehr wenig Übersicht, im Grunde läuft man immer mit Blick auf die Minimap, dort kann man per Monsterradar die nächste Truppe ansteuern oder umgehen. Durch stufenloses Schwenken der Kamera hinter den Held wird zwar die Fernsicht und die Grafik ganz allgemein besser nur die Fortbewegung per Mausklick und das Kämpfen erschwert bis unmöglich. Völlig unverständlich wieso das Laufen per Tastatur nicht möglich ist. Permanent klickt man beim Laufen versehentlich die Partymitglieder an und öffnet damit eine Dialogbox, das macht nen dicken Hals und das kann ja wohl nicht gesund sein.
Während man sich im freien Gelände mit der Minimap und der großen, zoombaren Weltkarte einigermaßen behelfen kann, geht in den Dungeons und Städten mangels fehlender Kartenunterstützung die Orientierung völlig flöten.
Die Optik ist von sehr unterschiedlicher Güte. Die Helden und Monster, also das lebende Inventar, wird mit (abschaltbarer) schwarzer Umrandung in einem interessanten Comicstil präsentiert. Das ist ganz hübsch geworden und besonders die fantasievollen und gut animierten Gegnerscharen haben mir gut gefallen. Auch im Untergrund und in den Städten gelingt es ab und zu Atmosphäre zu schaffen, die Darstellung der freien Wildbahn ist, mit Verlaub, langweilig und hässlich. Die diversen Grafikruckler sind vor diesem Hintergrund um so unerklärlicher. Gut, das Folgende zu monieren ist sicher etwas kleinlich aber letztlich ein passendes Beispiel dafür, dass es bei 'Silverfall' manchmal an schönen Aussichten und Bildern mangelt: Während der Ladevorgänge werden immer drei wirklich unglaublich uninteressante und triste Hintergrundbilder gezeigt. Man möchte den Entwicklern zurufen 'Jungs, dass könnt ihr doch besser!' Und wenns ein weiteres Bild von dieser hormonell überversorgten Elfentante ist. Fast überflüsig zu sagen, das bei Erstauslieferung bereits ein fetter Patch veröffentlicht wurde. Gut so, denn ansonsten hätte der unheilige Kopierschutz diesen Test unmöglich gemacht...
Aber lassen wir es gut sein. Silverfall ist kein schlechtes Spiel und kann durch die üblichen Suchtzutaten ganz unterhaltsam sein. Es bleibt nur das Gefühl zurück, dass da an Potential was verschenkt wurde.
Fazit: Ein unverbrauchtes Szenario, das ewig suchterzeugende Hack`n Slay Prinzip, das ist schon mal die halbe Miete. Die Geschichte ist ganz brav erzählt, dennoch konnte Silverfall mich nicht mitreissen. Es wird sicherlich Spieler geben, die sich von Silverfall begeistern lassen, für den großen Erfolg fehlt es dem Spiel jedoch an Gefälligkeit beim Handling und einer durchweg überdurchschnittlichen Präsentation.
Wertung: 70 von 100 Punkten
(Michael Mombeck/GameCaptain.de)