EA reisst nach der massiven und berechtigten Kritik von Fans und Presse am letztjährigen Need for Speed Undercover das Lenkrad kräftig rum. Nach Entwicklerwechsel und der Fokussierung weg von weiblichen hin zu echten Kurven, steht Need for Speed Shift nun im Verkaufsregal. Und gleich vorweg: Wer es dort links liegen lässt, verpasst eines der intensivsten Rennerlebnisse der letzten Jahre.
Rennfeeling pur
Nach kurzem Vorspann findet man sich gleich zu Beginn im Cockpit eines BMW M3 auf dem englischen Traditionskurs Brands Hatch wieder. Kurze Instruktionen per Funk von unserem Ingenieur und schon geht's los. Gleich die erste Kurve über eine kleine Kuppe wird zur
Herausforderung. Anbremsen - und ups - allem Gegenlenken zum Trotz, bricht das Heck aus und schon wird nicht nur der eine oder andere Gelegenheitsspieler Bekanntschaft mit der Leitplanke machen. Nach dem Einschlag gibt es dann für den Bruchteil einer Sekunde Totenstille. Das Bild wechselt in Schwarz-weiß. Ein leichtes Stöhnen wird durch den immer stärker hörbaren Herzschlag des Fahrers ersetzt. Die Farbe kommt zurück, der satte Motorensound dringt wieder ans Ohr, das Bild wird klarer. Alle Sinne sind wieder beisammen. Vollgas auf die erste Gerade. Die Konturen der in Echtzeit funktionierenden Amaturbrettanzeigen und die Bilder der Spiegel nach hinten verschwimmen angesichts der hohen Geschwindigkeit. Die Ideallinie, abgeglichen in Echtzeit, zeigt mit einem satten Rot, das ohne Bremsen die nächste Kurve nicht zu nehmen ist. In die Eisen und die erste sauber genommene Kurve ist Geschichte. Später auch das erste Überholmanöver und die erste Zielankunft. Der Puls geht nach diesem ersten intensiven Erlebnis wieder gen normal.
Arkade oder Simulation?Das ganze entpuppt sich übrigens als Fahreranalyse. Das Spiel empfiehlt dem Spieler anhand dieser ersten Runde die Einstellung für einen der Schwierigkeitsgrade und für die Fahrhilfen. Wem das ganze so nicht passt, der kann jederzeit unter Optionen mit dem Schwierigkeitsgrad, ABS, TC oder der Stabilitätskontrolle herumspielen. Genauso darf eingestellt werden ob Schäden nur optischer Natur sind oder Auswirkungen auf das Fahrverhalten haben sollen. Im Grunde kann man damit das Spiel von Arkade bis an die Grenze zur Simulation trimmen. Fahren wie auf Schienen auf der einen oder brettharte Simulation auf der anderen Seite wird aber nicht geboten. Für letzteres fehlen zudem Boxenstopps, Reifenabnutzung und Benzinverbrauch oder ein Qualifying. Alles in allem aber dennoch ein guter Kompromiss zwischen Realismus und Spielbarkeit um den NFS-typischen Fun nicht zu vernachlässigen.
Weniger Fun bereiten allerdings die Driftwettbewerbe. Hier ist die Steuerung, im Gegensatz zu den Rennen, sehr gewöhnungsbedürftig. Ganz besonders mit Tastatur wird es sehr schwer die Wagen am driften zu halten. Mit Gamepad oder Lenkrad driftet es sich mit etwas Übung deutlich besser.
Die KI-Gegner fahren im übrigen je nach Schwierigkeitsgrad einen ordentlichen Stiefel, machen aber auch gern einmal, meist gleich am Start, ein paar Fehler. Hin und wieder lassen sie auch die Pistensau raushängen. Positiv: Von einer penetranten Gummi-Band KI ist nichts zu spüren.
Punkte, Sterne, AbzeichenSind die ersten Rennen erst einmal absolviert, fächert die Karriere immer breiter auf. Außerdem kommt man auch hinter die Funktion des Spieler-Profils und der dazugehörigen Anzeige am oberen Bildrand. Hier werden die Punkte aufgerechnet, die das Spiel für Fahrmanöver wie sauberes Überholen, fahren auf der Ideallinie aber auch für Schubser oder Gegner blocken vergibt. Zusätzlich winken in jedem Rennen für Podestplatzierungen und für Zusatzaufgaben, wie etwa eine Anzahl Gegner drehen, 75% der Runde auf Ideallinie fahren, usw. Sterne. Für die Sterne wiederum schaltet man neue Wettbewerbe frei oder erhält Boni wie Tuningteile jeder Art. Damit immer noch nicht genug werden rennübergreifend auch noch alle Manöver zusammengezählt und man erfährt so zahlreiche 'Kleine Abzeichen'. Genug von denen und es winken Abzeichen in Bronze, Silber oder gar Gold. Diese wiederum können an die Wagen angebracht werden um Gegnern gleich optisch einmal zu zeigen wo der Hammer hängt. Klingt kompliziert - ist es auch irgendwie - aber dennoch ist die Sammlerei derart motivierend, das man Rennen durchaus mehrmals fährt um auch noch den letzten Stern zu bekommen.
In Sachen Rennmodi ist Shift mit normalen Rennen, kleinen Rennserien, Zweier-Duellen, Zeitfahrten und Driftwettbewerben eher klassisch aufgestellt. Also bedient man sich eines kleinen Tricks um Motivationslöcher beim durchkämpfen durch die zig Wettbewerbe der vier Klassen plus der finalen World Tour zu vermeiden: Man bekommt zwischendurch immer wieder neue Einladungs-Events angeboten. Selbst wenn man noch mit dem kleinen BMW 135i Coupé in Stufe 2 um Siege kämpft, kann man so bereits mal mit Mercedes-Benz SLR McLaren oder Pagani Zonda Rennen bestreiten.
Pimpen, Tunen, UpgradenMit dem Preisgeld aus dem allerersten Rennen wird der erste eigene Wagen für die Rennen der Klasse 1 geordert. Das reicht für einen Kleinen wie Ford Focus ST oder Golf GTI. Die richtig schnellen Flitzer wie Bugatti Veyron, Lamborghini Reventón oder Porsche Carrera GT kann man später für die eingefahrenen Siegprämien kaufen und somit im Spielverlauf knapp 70 Wagen in die Garage stellen. Hier lässt sich auch wieder an den Autos herumpimpen. Neuer Lack, Vinyls, Felgen, etc. können zur optischen Verschönerung angebracht werden. Viel wichtiger für die Verbesserung der Wagen sind aber die Upgrades. Durch Nitro-Kits, breitere Reifen, Spoiler, Gewichtsreduzierung, usw. kann man jedes Auto noch schneller machen. Wer dann noch ohne Fahrhilfen fährt, kommt um ein Tuning nicht herum. Dazu steht einmal ein Schnell-Tuning mit rudimentären Einstellungen per Schieberegler zu Verfügung. Noch detaillierter geht es aber mit den erweiterten Einstellungen. Dann lässt sich fast alles schraubengenau verstellen. Und das Ganze ist sogar auf dem Asphalt fühlbar.
In Sachen Rennstrecken hätte es trotz der ca. 30 Streckenvarianten etwas mehr sein dürfen. Neben Fantasiekurse in London oder im Alpental ist es löblich das echte Strecken wie u.a. Silverstone, Spa (noch mit Busstopp-Schikane) oder Laguna Seca eingebaut wurden. Das I-Tüpfelchen ist allerdings für jeden Rennfreak die legendäre Nordschleife. An die Grüne Hölle wird man allerdings in Abschnitten herangeführt, bevor einem im Laufe der Karriere mehrere Runden am Stück zugetraut werden.
Mehr Haben als SollGrafisch macht Shift einen sehr guten Eindruck. Die Fahrzeuge sind detailliert, besonders von den Cockpits sind wir begeistert. Die Streckenumgebungen wurden NFS-typisch mit einigen Objekten wie Zelten und Zuschauern (auch an unrealistischen Stellen) gepimt. Das HUD ist aufgeräumt und bewegt sich bei Sprüngen und dergleichen zur Unterstützung des intensiven Rennfeelings sogar etwas mit. Auf unserem Testrechner liefen sowohl Offline- als auch Online-Rennen flüssig. Von Rucklern, wie noch beim Vorgänger, keine Spur.
Negativ ist die umständliche Bedienung des Menüs, samt der Lackiererei mit der Tastatur. Per Maus hätte man die Wagen am PC im Handumdrehen lackiert bekommen! Negativ schlagen außerdem die langen Ladezeiten zu Buche. Zudem lassen sich Wiederholungen leider nicht speichern und die per integriertem Foto-Modus geschossenen Bilder dürfen nur online auf einem EA-Server abgelegt werden. Auf Nachtrennen wartet man genauso vergeblich, wie auf schlechtes Wetter.
Der brachiale Motorensound und die Umgebungsgeräusch gehören dafür mit zum Besten was Rennspiele aktuell zu bieten haben. Je nach Geschwindigkeit verändert sich sogar das Geräusch, wenn der Wagen über die Curbs räubert. Klasse! Dafür kann man locker auf die sonst übliche fette Titelliste für den Hintergrundsound verzichten.
Multiplayer noch ausbaufähigNeben schnellen Rennen wartet außer der Karriere noch der Multiplayer-Modus auf den Spieler. Online darf man mit maximal sieben weiteren Spielern (zusätzlich mit KI-Gegnern auf maximal 16 erweiterbar) Versus-Rennen, Drifts oder die bekannten Zweier-Duelle austragen. Das ganze frei oder als Ranglisten-Event. Unverständlich dabei, warum auch im Multiplayer aggressives Fahrverhalten mit den üblichen Punkten und Sternen belohnt wird. Pistenrambos ist somit Tür und Tor geöffnet. Wer also gesittet Rennen fahren will, wird wohl oder übel mit Freunden oder Bekannten ein Privat-Spiel erstellen müssen.
Ärgerlich: Im Handbuch ist dick und fett von einem LAN-Modus, sogar mit dedizierten Server, die Rede: Doch zu finden ist er im Spiel nicht. Man kann nur hoffen, das er per Patch schnellstes nachgeliefert wird.
Fazit: Im Gegensatz zum verhunztem
NFS Pro Street seinerzeit, ist der Neustart der Reihe mit
Shift diesmal geglückt. Ganz besonders das intensive Rennerlebnis aus der Cockpitperspektive mit den Tunnelblickeffekten hat es mir angetan. Dazu der Motorensound der aktuell seinesgleichen sucht. Klasse!
Doch ist das nicht einfach nur ein Need for Speed
GRID? Nein, weil ich hier immer noch pimpen kann, weil den Strecken das NFS-typischen Kleid passend übergestülpt wurde, weil ich zur Not das simulationslastige Fahrverhalten dank Fahrhilfen auf Arkade runterregeln kann und weil die Motivation mit dem Sammeln von Sternen, Punkten und Abzeichen hoch gehalten wird.
Shift ist aber bei weitem noch nicht perfekt. Da ist noch Luft nach oben, da geht noch was. Spontan fallen mir ein umfangreicherer Multiplayer-Modus, Nachtrennen, Wetterwechsel, Rückspulfunktion oder kürzere Ladezeiten ein. Überdenken sollte man auch, ob man unbedingt aggressives Fahrverhalten, insbesondere im Multiplayer, belohnen muss?
Sei's drum, für Rennspielfans (auch für die aus dem Underground) wird es ganz sicher schwer, Shift auf Dauer widerstehen zu können.
Wertung: 84 von 100 Punkten
(Tino Grundmann/GameCaptain.de)