Das späte Mittelalter - eine Epoche des Umbruchs, zwischen bäuerlicher Armut, Krieg oder adliger Willkürherrschaft auf der einen und geistlicher Gelehrsamkeit, Handwerkskunst, kaufmännischem Geschick und erster Aufbruchsstimmung auf der anderen Seite. In genau diese spannende Phase der europäischen Geschichte entführt uns der Nachfolgetitel zu einem der beliebtesten Spiele aus deutschen Landen.
Nun gilt es, Ruhm und Reichtum zu erlangen und den Grundstein für eine mächtige Familiendynastie zu legen, die dank geschickter Planung selbst den Tod des eigentlichen Hauptcharakters überdauert.
Die Geburt einer neuen Familie
Nicht nur deutsche Orte (etwa die von Straßenräubern gefährdete Gegend um
Augsburg und Heidelberg) bilden den Hintergrund für diesen komplexen Mix aus Wirtschafts- und Lebenssimulation mit einem Schuss Rollenspiel, sondern auch andere europäische Gebiete wie die Berge rund ums französische Lyon oder der Sherwood Forrest (ja, genau der von Robin Hood - nur eine ganze Ecke später). Insgesamt sieben Schauplätze stehen zur Auswahl und statt einzelnen Städten handelt es sich eben um komplette kleine Landstriche mit ein paar Siedlungen und etwas wilder Natur drumherum.
Als Pendant zum klassischen Endlosspiel findet man hier den so genannten 'Dynastie-Modus', der ohne konkrete Ziele solange weitergeht, bis die eigene Sippe ausgestorben ist.
Zu den weiteren Spielvarianten kommen wir weiter unten - eine ausgewachsene Kampagne inklusive Story gibt es jedenfalls leider nicht.
Zu Beginn wird stets der Startcharakter erstellt, dessen Geschlecht, Name und Aussehen - Gesichtszüge, Haartrachten, Körperbau - sich mit Hilfe des eingebauten Editors individuell gestalten lassen. Ob man Männlein oder Weiblein steuert, ist dem Spiel übrigens relativ schnurz, in
Die Gilde 2 herrscht Mittelalter-untypische Gleichberechtigung.
Wenn ich groß bin, möchte ich Räuberhauptmann werdenWichtiger sind da schon die inneren Werte des Helden, als allererstes seine angestrebte Laufbahn. Das Spiel unterscheidet die vier grundlegenden Charakterklassen Handwerker, Patron, Gelehrter und Gauner, die jedoch - unter anderem abhängig davon, welche Produktionsstätten man erwirbt - jeweils mehrere Berufszweige umfassen und deshalb einigen Handlungsspielraum bieten. So kann der Handwerker sein Glück als Schmiedemeister, Schneider oder Tischler versuchen, die Felderzeugnisse und Backwaren des hart schuftenden Patrons füllen in seinem Gasthaus leere Mägen, der Gelehrte übernimmt die Funktion eines Alchimisten oder Pfarrers, und der Gauner versteht sich auf allerhand illegale Unternehmungen wie Überfälle oder Mord.
Des weiteren werden einige Punkte auf verschiedene Talente verteilt. Ganoven sollten etwa auf Geschicklichkeit setzen, während für Verkäufe auf dem Marktplatz das Feilschen von besonderer Bedeutung ist.
Mittelalter meets The SimsMan beginnt das Spiel 1400, im zarten Alter von achtzehn Jahren, mit geringem Startkapital und einer zugigen Hütte als Domizil. Der erste Schritt auf dem Weg vom sprichwörtlichen Tellerwäscher zum Millionär ist nun das Bauen eines Betriebes der passenden Charakterklasse und -stufe auf geeignetem Gelände. Wie das komplette Spiel funktioniert auch diese Aktion mit Hilfe einfacher Mausklicks. Das Interface wurde angenehm entschlackt, die Kameraperspektive lässt sich frei drehen und zoomen, und durch die neue Steuerung des Helden ist alles deutlich direkter geworden, da man die Figur per Klick auf den gewünschten Zielort (beziehungsweise dessen Abbildung am rechten Rand) selbst durch ihre realistische Echtzeit-Welt bewegen darf, weshalb ein Vergleich mit Lebenssimulationen wie
Die Sims nahe liegt. In
Die Gilde 2 verzichtet man jedoch auf kleinschrittige Alltagsaufgaben wie den lästigen Klogang oder das Bekämpfen leichter Hungergefühle. Der Schwerpunkt liegt eben spürbar auf größeren Zusammenhängen wie den wirtschaftlichen und politischen Aspekten.
Früh übt sich, was ein Meister werden willZurück zum Betrieb. Mit dem Errichten des Gemäuers allein ist es längst nicht getan - so ein Häuschen will auch durch gelegentliche Reparaturen in Schuss gehalten werden, denn stark baufällige Gebäude bieten Angriffsfläche für gemeine Einbruchsversuche krimineller Subjekte. Kostenpflichtige Upgrades schaffen außerdem Raum für zusätzliche Mitarbeiter, die man per Klick auf eine weitere Schaltfläche anheuert, verbessern die Effektivität der Produktion und vieles mehr. Den Arbeitern werden Aufgaben wie das Backen von leckeren Keksen zugewiesen, Rohstoffe mittels Handkarren vom örtlichen Marktplatz besorgt, beziehungsweise fertige Erzeugnisse auf dem selben Weg dorthin zurück befördert und schließlich zu hoffentlich annehmbaren Preisen unters Volk gebracht. Wer Angst hat, dass ihm die Aufgaben, gerade bei Expansionsvorhaben, über den Kopf wachsen, darf sämtliche Arbeitsgänge innerhalb des Geschäfts aber auch der künstlichen Intelligenz übertragen und hat so mehr Zeit für andere Dinge.
Das läuft ja wie geschmiertDie Aufstiegschancen eines gewöhnlichen Einwohners sind arg begrenzt. Beim Stadtschreiber im Rathaus sollte man sich deshalb baldigst einen höheren Titel kaufen (so einfach geht das im Mittelalter, falls man das nötige Sümmchen aufbringen kann). Bessere Titel wie z.B. 'Bürger' oder 'Patrizier' verleihen dem Betroffenen neue Privilegien, darunter das Bewohnen prächtigerer Häuser, frische Interaktionsbefehle oder die Chance zur Bewerbung um ein offenes Amt. In Dörfern gibt es lediglich drei politische Ämter, in der Stadt kann man die Karriereleiter noch etwas höher hinaufklettern - neun Möglichkeiten stehen dort zur Verfügung und lassen etwa Laufbahnen als Henker, Oberster Richter oder Bischof zu, jeweils verbunden mit einem Gehalt sowie verschiedenen Vergünstigungen wie Immunität.
Um aber überhaupt erst einmal gewählt zu werden, bedarf es meist diverser 'Arbeitsgänge'. So können Bestechungsversuche bei wahlberechtigten Amtsträgern zum Erfolg führen oder man kann darauf setzen, aktuelle Konkurrenten durch üble Nachrede in Verruf zu bringen. Anders als bei Entscheidungen im Betrieb muss der Held hier direkt vor Ort sein, um an Sitzungen teilzunehmen oder Gesuche vorzubringen. Solche Gespräche und Vorgänge werden, wie viele andere Interaktionen auch, jeweils als kurze Szenen in Nahaufnahme dargestellt.
Kleine Geschenke erhalten die FreundschaftEbenfalls von Vorteil beim politischen Aufstieg und in vielen anderen Bereichen ist ein gutes Verhältnis zu den bedeutenden Mitmenschen.
Die Gilde 2 verwendet ein spezielles Gunst-System, an dessen Balken unter den Charakterportraits man den Stand der Dinge leicht ablesen kann. Ansehen ist im Spiel von zentraler Bedeutung, denn wohlgesonnene Personen bevorzugen den Spielcharakter etwa bei Wahlen oder leisten ihm im besten Fall, dank 'Freundschaftsbund', Hilfe in Auseinandersetzungen oder bei Hausbränden. Um sich einzuschleimen, kann man Süßholz raspeln, großzügige Präsente verteilen oder zum bereits angesprochenen Mittel der Bestechung greifen. Feinde schafft man sich dagegen beispielsweise durch schlechten Ruf, Neid oder Sabotageakte. Schlimmstenfalls wird einem die Fehde erklärt, was einem regelrechten Krieg zwischen den Familien gleichkommt. Wohl dem, der seinen Feinden gefährliche Schergen als Auftragskiller auf den Hals hetzen kann oder Transporte durch eine Söldner-Eskorte schützt.
Mit Geduld und Spucke (*knutsch*)Ähnlich funktioniert die Interaktion beim Werben um einen potentiellen Partner, um hoffentlich alsbald in den Stand der Ehe einzutreten. Je nach Berufsgruppe haben die Flirtopfer unterschiedliche Vorlieben - während sensible Gelehrte sich gern von netten Komplimenten bezirzen lassen, stehen Schurken eher auf handfeste Grabschereien. Wurde die dazugehörige Anzeige bis zum nötigen Grad gefüllt, darf der/die Angetraute als steuerbare Figur in die bis zu dreiköpfige aktuelle Gruppe aufgenommen und fortan also auch wie der Startcharakter kontrolliert werden.
Wenn es der Zeitplan zulässt, sollte man die Jungverheirateten gelegentlich aufs gemeinsame Nachtlager schicken und abwarten bis sich der verhüllende Vorhang wieder lüftet. Mit etwas Glück ist die Gattin früher oder später guter Hoffnung und bringt nach kurzer Schwangerschaft den ersehnten Stammhalter zur Welt, mit dem man aber vorerst noch nicht so viel anfangen kann. Zwar wird die Phase des schreienden Säuglings übersprungen und man erhält gleich einen pflegeleichten Sprössling im Kindergartenalter. Dieser genießt aber das süße Leben und wird erst etwas später zur Schule sowie anschließend als Lehrling in den gewünschten Betrieb (gern auch in einem anderen Beruf als die Eltern) geschickt. Mit sechzehn zählt das Kind dann als vollwertiges, auf Wunsch steuerbares Familienmitglied.
Fortbildung ist wichtigKommen wir zu den Rollenspielelementen: Für geglückte Aktionen wie etwa Heirat oder das Antreiben von Bediensteten erhält die Spielfigur Erfahrungspunkte, mit denen man die vom Anfang bekannten Talente erhöht. Außerdem darf man auf manchen Stufen besondere Fähigkeiten wählen, um zum Beispiel mit 'Gebildet' schneller Erfahrung zu sammeln oder als 'Meister des Dungs' den Ertrag zu steigern.
Auch beim eingebauten Kampfsystem machen sich RPG-Anleihen bemerkbar, denn die Werte entscheiden nicht nur über Stärke und Energie der Streithähne, sondern über ihren Köpfen tauchen die typischen nach oben schwebenden Lebenspunktzahlen auf.
Langjährige Mitarbeiter entwickeln sich ebenfalls ein wenig weiter, so dass aus ungeschickten Mittelalter-Azubis irgendwann zuverlässige Gesellen werden. Und auch die Spielwelt wächst und gedeiht: Durch den Fleiß der Bevölkerung mausern sich einstige Kuhkäffer im Laufe der Jahrzehnte zu florierenden Kleinstädten.
Nach jedem Tag (dauert ohne viel Beschleunigung ca. eine halbe Stunde) im Spiel erfolgt ein Sprung vier Jahre nach vorne und die Jahreszeit wechselt. Das heißt beim Start schreibt man das Frühjahr 1400, den nächsten Tag erlebt man im Sommer 1404, weiter geht´s im Herbst 1408 ...
Ein guter Kompromiss zwischen Fortschritt und ausreichender Zeit für geplante Maßnahmen.
Was gibt´s sonst noch?Wer sich nicht direkt in den Aufbau einer ganzen Dynastie stürzen möchte, hat verschiedene ergänzende Spielvarianten mit einstellbaren Schwierigkeitsgraden, Siegbedingungen und Konkurrentenzahlen zur Auswahl. Charaktererschaffung und Grundlagen funktionieren dort genauso, man muss aber beispielsweise durch Erfolge innerhalb einer festgelegten Zeitspanne die meisten Siegpunkte ergattern, ein beeindruckendes Vermögen anhäufen, feindliche Dynastien auslöschen, über einige Widersacher das Todesurteil verhängen lassen, oder als Verbrecher zu Reichtum kommen.
Ähnliches darf man wohl auch vom Multiplayermode über LAN und Internet erwarten, welcher mangels Mitspielern leider noch nicht zu testen war.
Wirtschaft war noch nie so schönStatt trockenen Menüs und Bilanzen (die für alle Hobby-Buchhalter aber auch noch geboten werden) herrscht in
Die Gilde 2 ein angenehm hoher 'Wuselfaktor' vor. Selbst wenn der Spieler mal untätig ist, gehen seine intelligenten Zeitgenossen ihren individuellen Beschäftigungen nach. Laufburschen und Kinder flitzen über den Marktplatz, ächzende Karrenzieher bahnen sich ihren Weg durchs Getümmel, Arbeiter auf Freiersfüßen fordern die Angebetete zum Tanz auf, reiche Bürger bringen im Rathaus Anklagen gegen Rivalen vor und draußen geraten Faulpelze in Schlägereien. Besonders schicke Wetter- und Lichteffekte vom Schneegestöber bis zur nächtlichen Idylle mit qualmenden Schornsteinen hauchen den Umgebungen zusätzliches Leben ein.
Der Zahn der Zeit nagt darüber hinaus an den Gesichtern der Charaktere und lässt auf dem Antlitz in Ehren ergrauter Bürger tiefe Falten erscheinen. Zwar verlaufen manche Entwicklungen etwas abrupt - wo das Töchterchen eben noch als Dreikäsehoch stand, entdeckt man Sekunden später schon eine hübsche junge Erwachsene -, doch der Grafik ist eigentlich immer anzumerken, wie viel Liebe die Entwickler ins Spiel investiert haben. Unter anderem auch bei den Beschreibungstexten und Dialogen, die oft mit leisem Humor für ein Schmunzeln sorgen.
Unaufdringliche, zur Atmosphäre passende Hintergrundmelodien und tadellose deutsche Stimmen runden die Präsentation ab. Also ganz viel Erfreuliches in der Technikabteilung - außer ...
Käfer im GetreidelagerDie Bug-Probleme von
Die Gilde sind berühmt-berüchtigt und auch in Teil 2 ist es nicht ganz gelungen, sämtliche Missstände zu beseitigen. Die fehlende Kollisionsabfrage, wegen der Figuren zum Beispiel ungehindert durch Zäune und andere Hindernisse oder sogar ihre Mitmenschen spazieren, ist meist nur ein verschmerzbarer Schönheitsfehler, bringt aber gelegentlich echte Monstrositäten hervor. Etwa Personen, die sich in Zwischensequenzen komplett überlagern. Auch beim Sound hapert es ein bisschen - einmal wurde in meinem Spiel z.B. der Satz 'Ein Rohstoffvorkommen ist nicht zu finden' wie bei einer kaputten Schallplatte in halbstündiger Endlosschleife und im Sekundentakt wiederholt, selbst als der betreffende Gutshof (dem anscheinend ein Rind gefehlt hat) schon längst verkauft war.
Außerdem - für das Gameplay sicherlich schlimmer - verfranst sich z.B. schon mal der ein oder andere Pferdekarren auf der Tour zum Markt in den engen Gassen, soll heißen die eigentlich gute Wegfindung funktioniert nicht immer optimal. Bleibt zu hoffen, dass solche Macken und diverse Absturzquellen vielleicht durch den ersten Patch nachträglich ausgemerzt werden, um ein sowieso schon feines Spiel noch besser zu machen. Angekündigt ist der Patch bereits und er soll mehr als 400 Fehler und Absturzursachen beheben.
Wir werden das Spiel nach Erscheinen des Patches nochmals prüfen und dann auch den Multiplayer bewerten.
Fazit:
Die Gilde 2 bietet Genrefans und Mittelalterbegeisterten beeindruckend viele Freiheiten - man kann in die Politik einsteigen, muss aber nicht, darf sich krimineller Methoden bedienen oder darauf verzichten, überlässt Standardabläufe der KI oder legt selbst Hand an. Die Möglichkeiten für ambitionierte und neugierige Nachwuchsunternehmer sind fast unbegrenzt.
Die Bedienung per Mausklick wurde trotz aller Komplexität sehr gut gelöst. Trotzdem kann einen das Spiel mit seiner Vielfalt gerade anfangs etwas verwirren und erfordert ein wenig Einarbeitungszeit, die Interessierte aber bestimmt gern investieren werden. Allein schon wegen der wirklich schönen Optik.
Eine Kampagne inklusive Story als Alternative zum Endlosspiel wäre vielleicht das Tüpfelchen auf dem I gewesen - doch so macht man sich die Geschichten einfach selbst. Und dazu gibt es in der lebendigen Spielwelt zahllose Gelegenheiten.
Wertung: 87 von 100 Punkten
(Christina Schmitt/GameCaptain.de)