Blues-Visionär aufs Spiel setzt, indem er mit seltener Risikobereitschaft neue Stilrichtungen erforscht, bereitet dem Neunundfünfzigjährigen Freude: "Du mußt deine Ohren heute ganz weit öffnen, um noch mitzubekommen, wohin die Reise geht, oder die Musik rauscht an dir vorbei und läßt dich ratlos zurück."
Mit seinem neuen Album "Jeff" läuft der britische Saitensänger keine Gefahr, den Anschluß zu verlieren. Im Gegenteil: An diesem Elektronik-Techno-Rock werden sich andere Gitarrenvirtuosen wie Joe Satriani oder Steve Vai messen lassen müssen. Jeff Beck hat einmal mehr die Meßlatte für die zeitgenössische Rockgitarre hoch gelegt, selten zuvor jedoch mit solch präzisem Experimentierwillen. Von High-Tech-Breakbeats bis zur melodischen Magie bulgarischer Frauenchöre spannen sich die dreizehn Stücke des Albums. An der musikalischen Bandbreite, die bisweilen wie ein wüstes Stil-Labyrinth wirkt, ist nicht zuletzt der Produzent Andy Wright schuld. Er hatte bereits bei Becks Vorgängeralbum "You Had It Coming" von 2001 die Finger am Mischpult. Zusammen mit dem "Curve"-Bassisten Dean Garcia und dem Drummer Steve Barney gelingt Wright ein pulsierendes Pop-Puzzle.
Während in "Hot Rod Honeymoon" zu Beginn noch Spurenelemente von Dick Dales Surf-Gitarrensound herumschwirren, kontrastiert Beck die süffigen Sixties-Harmonien mit wütenden Club-Beats und seiner sengenden Slide-Gitarre. In diesem Stück wie auch in dem Groove-Donner von "Grease Monkey" haben die Liverpooler Programmierer von "Apollo 440" ihre Maschinen im Spiel. Für Beck kamen die Sampling-Heroen Howard und Trevor Gray während seiner Arbeit am neuen Album im Londoner Metropolis-Studio gerade zur rechten Zeit: "Sie schrieben mir sofort einen ihrer berühmt-berüchtigten Nagel-deinen-Kopf-an-die-Wand-Grooves auf den Leib, und ich saugte ihn gierig auf."
Ein melodisches Heulen, Jaulen und Zerren von Becks Gitarre mäandert durch die hämmernden Stücke. Manches klingt wie ein überhitztes Modem, das krachend in seine elektronischen Einzelteile zerspringt. Streut Beck eine seiner süffigen Blues-Wendungen ein, so schmiedet er im nächsten Moment aus jeder Note ein blitzendes Wurfmesser und zerschneidet damit alle vorschnellen Sentimentalitäten. Doch auch für die bleibt hier noch genügend Raum: Selten hat man den großen Melodiker so losgelöst improvisieren hören wie vor den Ambient-Flächen von "Seasons". Ganze Motiv-Ketten moduliert er hier mit Hilfe des Vibratorhebels auf der Basis eines einzigen Tons. Immer wieder werden jubilierende Leuchtfeuer durch ein dämonisches Kreischen der Gitarre ausgelöscht. Natürlich kommt Jeff Beck auch auf diesem Album nicht ohne Blues aus. Doch der klingt so fremd, als hätten die frühen Elektronik-Pioniere "Art Of Noise" plötzlich ihre Liebe zur schamlosen Wehklage entdeckt. Selbst die frei schwebenden Melodielinien eines bulgarischen Frauenchors, in denen Beck vor einem vierzigköpfigen Symphonieorchester schwelgt, münden unmerklich in eine atonal stotternde Klangfarbenmelodie. Einmal mehr hält hier der Gitarrist alle Soundvarianten seines Instruments in den Händen. Allein die subtilen Berührungen und Dämpfungen der Saiten durch seine Finger und die ungewöhnliche Anschlagtechnik mit dem Daumen erlauben ihm eine Variabilität, für die andere Spitzengitarristen ein ganzes Arsenal von Effektgeräten benötigen.
"Obwohl ich meine Gitarre immer wieder in Zwiegespräche verwickle, ist sie selten meine Startrampe. Ich brauche einfach einen Arschtritt-Beat, der mich auf die Beine bringt. Für mich beginnt ein guter Song mit einem starken Rhythmus." Davon gibt es auf dem neuen Album mehr als genug. Doch ihren antagonistischen Zauber schöpfen die Stücke daraus, daß hier ein Musiker die zügellose Sprache seines Herzens mit dem kühlen Kalkül des Technikers kollidieren läßt.
PETER KEMPER.
Jeff Beck, Jeff. Epic 510820 (Sony)
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