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Medulla
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CD
1
Pleasure Is All Mine
00:03:27
2
Show Me Forgiveness
00:01:24
3
Where Is The Line
00:04:41
4
Vökuró
00:03:14
5
Oll Birtan
00:01:52
6
Who Is It (Carry My Joy On The Left Carry My Pain On The Right)
00:03:57
7
Submarine
00:03:14
8
Desired Constellation
00:04:56
9
Oceania
00:03:25
10
Sonnets / Unrealities XI
00:02:00
11
Ancestors
00:04:08
12
Mouth's Cradle
00:04:00
13
Midvikudags
00:01:25
14
Triumph Of A Heart
00:04:04
Medulla
Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 30. August 2004
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Polydor,
- EAN: 0602498675892
- Artikelnr.: 20038924
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Sirenes Selbstbewußtsein
Was ist Popmusik? Popmusik ist, wenn kreatürlich vernunftferne, diffuse, unvollständige oder widersprüchliche Gemütszustände an technisch (im Sinne von Komposition und Instrumentengebrauch) vernunftferne, diffuse, unvollständige oder widersprüchliche Geräusche verwiesen und diese dann mehr oder weniger planvoll ineinandergekeilt werden. Das von außen gesehen Sinnlose und Zufällige des Seelischen ist hier gebannt durch das Sinnlose und Zufällige einer kulturellen Praxis, wird dadurch einen Augenblick lang instrumentell verfügbar, etwa als Ausdruck, Gelegenheit zum Abreagieren im Tanz oder Verklärungsangebot, und bekommt so plötzlich einen Schein von Sinn und Notwendigkeit, der aber, weil Musik nur als
Was ist Popmusik? Popmusik ist, wenn kreatürlich vernunftferne, diffuse, unvollständige oder widersprüchliche Gemütszustände an technisch (im Sinne von Komposition und Instrumentengebrauch) vernunftferne, diffuse, unvollständige oder widersprüchliche Geräusche verwiesen und diese dann mehr oder weniger planvoll ineinandergekeilt werden. Das von außen gesehen Sinnlose und Zufällige des Seelischen ist hier gebannt durch das Sinnlose und Zufällige einer kulturellen Praxis, wird dadurch einen Augenblick lang instrumentell verfügbar, etwa als Ausdruck, Gelegenheit zum Abreagieren im Tanz oder Verklärungsangebot, und bekommt so plötzlich einen Schein von Sinn und Notwendigkeit, der aber, weil Musik nur als
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in der Zeit sich selbst aufhebende existiert, notwendig flüchtig ist. Das macht ihn schön - würde er andauern, statt zu verfliegen, müßte man ihn bald als erschlichen sowie auf reinem Analogiezauber gegründet durchschauen, und um die Schönheit wäre es geschehen.
Popmusik von Frauen besitzt diese Eigenschaft der wechselseitigen Aufhebung von zwei Sorten Unvernunft in gleichsam höherer und veredelter Potenz, insofern, als die Gegenüberstellung des Kreatürlich-Biologischen mit dem Instrumentell-Technischen hier übers Werk hinaus stets die ganze Person ergreifen will. Denn Frauen gelten in vaterrechtlichen Gesellschaften wie der unsrigen, welche die Popmusik hervorgebracht hat, stets als ganz besonders naturwüchsige Wesen - und müssen doch auch ganz besonders viel Planung und Gestaltungswut auf die Oberflächenbeschaffenheit von Werk und Person verwenden, wenn sie reüssieren wollen. Meistens kippt das früher oder später nach einer der beiden Seiten in Eindeutigkeit. Wenn dabei die Planung die Oberhand gewinnt, kann man von Pop eigentlich schon nicht mehr reden - in dieser Gegend treiben sich Kunstwesen, Sirenen und Spinnerinnen wie Meredith Monk, Laurie Anderson oder Diamanda Galás herum. Wird aber umgekehrt die Naturwüchsigkeit des weiblichen Genies betont, das angeblich Archaische, Elementare, Fatale und die Männerwelt Einschüchternde, so verhängt das Schicksal die Strafe musikalischer Unerheblichkeit - hierher gehören zahlreiche "Rockmiezen" und Sex-Popstars wie Samantha Fox oder Sabrina.
Daß eine Frau diesen Vereindeutigungen entgeht, daß sie also zugleich mit chiffrierter bis ausgestellter Sexualität und künstlerisch-intellektuellem Rang punkten kann, ist in den letzten zwanzig Jahren aufgrund der beschriebenen sexistischen Grundpolarität nur zweimal vorgekommen: bei Madonna und bei Björk. Madonna ist dabei der wohl insgesamt sympathischere Fall, weil sie ihren Sex nicht in pädophile Rätselkostümchen hüllen muß und ihre Virtuosität sich vor allem als Händchen bei der Auswahl jener meist männlichen Subalternen bemerkbar macht, die für die musikalische Umsetzung der jeweiligen Leidenschaftsinszenierung zuständig sind. Björk plant ihr Zeug zwar bestimmt nicht weniger kühl kompetent, versteckt sich dabei aber im Gebüsch kindfraulichen Hintersinns, macht oft zuviel Sommernachtstraumtheater und geht einem in ihren ungünstigeren Stunden mindestens so penetrant auf den Wecker wie am männlichen Ende desselben Spektrums irgendwelche senilen Surrealisten.
Björks neueste Platte "Medùlla" (bei Universal) allerdings, vor der gerade auf der ganzen Welt Hingerissene zu Boden gehen und wimmern, ist tatsächlich ein Meisterwerk, Frauenpop in gerissenster, absichtlichster Vollendung - das Unvernünftigste, was es im Reich der Geräusche gibt, nämlich schizophrenes Stimmenhören und verzücktes Reden in Zungen, wird da mit eiskalten Arrangements zusammengerührt; und die Art, wie hochbegabte männliche Köche wie Robert Wyatt, die menschliche Beatmaschine Rahzel von den "Roots" oder Mike Patton in diesen Brei geworfen werden, den schätzungsweise neunhundert Programmierer zubereitet und mit Chören aus Island und London abgeschmeckt haben, darf man fast schon madonnesk, ja madonnesque nennen.
"Follow my voice" hohepriestert die Chefin hier einmal. Paradoxerweise jedoch geht es beim ganzen, vielfach fälschlich als reine A-cappella-Produktion bezeichneten Album - ein Klavier und andere Maschinen waren aber schon dabei, wir sind nicht bei den "Flying Pickets" - darum, daß man dieser Stimme nicht folgen kann, weil sie mehr als eine ist und verschiedene Befehle gleichzeitig ausgibt, so wie Björk jederzeit verschiedene Frauen (Eleanora Duse, La Callas, Judy Garland, Liza Minelli, Calamity Jane, Coco Chanel, Nadeshda Krupskaja, Gloria Steinem, Courtney Love, Betty Page, Sylvia Plath, Nora Joyce, Madame Butterfly, Clara Drechsler, Nadja Tiller, Senta Berger, Romy Schneider, Jutta Koether, Barbara Valentin, Madame Bovary, La Cicciolina, Heidi, Gretchen, Persephone, Valerie Thiel, Frida Kahlo, Helena von Troja, Hilda Doolittle, Käthe Kruse, Cordula Späth, Käthe Kollwitz, Isis, Aphrodite, Uschi Glas, Maria Magdalena, Dunja Raiter, Marie Curie, Lilo Pulver, Mona Lisa, Magna Mater, Magna Charta, Minna von Barnhelm, das Käthchen von Heilbronn und Lynn Tanner aus der beliebten Fernsehserie ALF) aus sich rausholen kann, wenn es sein muß.
Das Hauptproblem für weibliche Autoritätspersonen, mutmaßte Alice Rühle-Gerstel 1932 in "Die Frau und der Kapitalismus", sei dasjenige einer ständig von Männern unterstellten Doppelherrschaft: Die Chefin ist nicht nur Chefin, sie hat uns auch sexuell am Wickel. Björk zeigt auf "Medùlla", wie dieses Problem zu lösen ist: mittels wechselseitiger Aufhebung der zweifachen Unvernunft doppelter Ohnmacht und doppelter Macht qua unmittelbarer Verfügung über so viele Produktionsbedingungen wie überhaupt möglich - meine Stimmen gehören mir, egal wie viele es sind.
DIETMAR DATH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Popmusik von Frauen besitzt diese Eigenschaft der wechselseitigen Aufhebung von zwei Sorten Unvernunft in gleichsam höherer und veredelter Potenz, insofern, als die Gegenüberstellung des Kreatürlich-Biologischen mit dem Instrumentell-Technischen hier übers Werk hinaus stets die ganze Person ergreifen will. Denn Frauen gelten in vaterrechtlichen Gesellschaften wie der unsrigen, welche die Popmusik hervorgebracht hat, stets als ganz besonders naturwüchsige Wesen - und müssen doch auch ganz besonders viel Planung und Gestaltungswut auf die Oberflächenbeschaffenheit von Werk und Person verwenden, wenn sie reüssieren wollen. Meistens kippt das früher oder später nach einer der beiden Seiten in Eindeutigkeit. Wenn dabei die Planung die Oberhand gewinnt, kann man von Pop eigentlich schon nicht mehr reden - in dieser Gegend treiben sich Kunstwesen, Sirenen und Spinnerinnen wie Meredith Monk, Laurie Anderson oder Diamanda Galás herum. Wird aber umgekehrt die Naturwüchsigkeit des weiblichen Genies betont, das angeblich Archaische, Elementare, Fatale und die Männerwelt Einschüchternde, so verhängt das Schicksal die Strafe musikalischer Unerheblichkeit - hierher gehören zahlreiche "Rockmiezen" und Sex-Popstars wie Samantha Fox oder Sabrina.
Daß eine Frau diesen Vereindeutigungen entgeht, daß sie also zugleich mit chiffrierter bis ausgestellter Sexualität und künstlerisch-intellektuellem Rang punkten kann, ist in den letzten zwanzig Jahren aufgrund der beschriebenen sexistischen Grundpolarität nur zweimal vorgekommen: bei Madonna und bei Björk. Madonna ist dabei der wohl insgesamt sympathischere Fall, weil sie ihren Sex nicht in pädophile Rätselkostümchen hüllen muß und ihre Virtuosität sich vor allem als Händchen bei der Auswahl jener meist männlichen Subalternen bemerkbar macht, die für die musikalische Umsetzung der jeweiligen Leidenschaftsinszenierung zuständig sind. Björk plant ihr Zeug zwar bestimmt nicht weniger kühl kompetent, versteckt sich dabei aber im Gebüsch kindfraulichen Hintersinns, macht oft zuviel Sommernachtstraumtheater und geht einem in ihren ungünstigeren Stunden mindestens so penetrant auf den Wecker wie am männlichen Ende desselben Spektrums irgendwelche senilen Surrealisten.
Björks neueste Platte "Medùlla" (bei Universal) allerdings, vor der gerade auf der ganzen Welt Hingerissene zu Boden gehen und wimmern, ist tatsächlich ein Meisterwerk, Frauenpop in gerissenster, absichtlichster Vollendung - das Unvernünftigste, was es im Reich der Geräusche gibt, nämlich schizophrenes Stimmenhören und verzücktes Reden in Zungen, wird da mit eiskalten Arrangements zusammengerührt; und die Art, wie hochbegabte männliche Köche wie Robert Wyatt, die menschliche Beatmaschine Rahzel von den "Roots" oder Mike Patton in diesen Brei geworfen werden, den schätzungsweise neunhundert Programmierer zubereitet und mit Chören aus Island und London abgeschmeckt haben, darf man fast schon madonnesk, ja madonnesque nennen.
"Follow my voice" hohepriestert die Chefin hier einmal. Paradoxerweise jedoch geht es beim ganzen, vielfach fälschlich als reine A-cappella-Produktion bezeichneten Album - ein Klavier und andere Maschinen waren aber schon dabei, wir sind nicht bei den "Flying Pickets" - darum, daß man dieser Stimme nicht folgen kann, weil sie mehr als eine ist und verschiedene Befehle gleichzeitig ausgibt, so wie Björk jederzeit verschiedene Frauen (Eleanora Duse, La Callas, Judy Garland, Liza Minelli, Calamity Jane, Coco Chanel, Nadeshda Krupskaja, Gloria Steinem, Courtney Love, Betty Page, Sylvia Plath, Nora Joyce, Madame Butterfly, Clara Drechsler, Nadja Tiller, Senta Berger, Romy Schneider, Jutta Koether, Barbara Valentin, Madame Bovary, La Cicciolina, Heidi, Gretchen, Persephone, Valerie Thiel, Frida Kahlo, Helena von Troja, Hilda Doolittle, Käthe Kruse, Cordula Späth, Käthe Kollwitz, Isis, Aphrodite, Uschi Glas, Maria Magdalena, Dunja Raiter, Marie Curie, Lilo Pulver, Mona Lisa, Magna Mater, Magna Charta, Minna von Barnhelm, das Käthchen von Heilbronn und Lynn Tanner aus der beliebten Fernsehserie ALF) aus sich rausholen kann, wenn es sein muß.
Das Hauptproblem für weibliche Autoritätspersonen, mutmaßte Alice Rühle-Gerstel 1932 in "Die Frau und der Kapitalismus", sei dasjenige einer ständig von Männern unterstellten Doppelherrschaft: Die Chefin ist nicht nur Chefin, sie hat uns auch sexuell am Wickel. Björk zeigt auf "Medùlla", wie dieses Problem zu lösen ist: mittels wechselseitiger Aufhebung der zweifachen Unvernunft doppelter Ohnmacht und doppelter Macht qua unmittelbarer Verfügung über so viele Produktionsbedingungen wie überhaupt möglich - meine Stimmen gehören mir, egal wie viele es sind.
DIETMAR DATH
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