Songwriter, der damals noch als brotloser Künstler durch die Cafés von Los Angeles tingelte, verbeugt sich auf seinem sechsten Album namens "Guero" vor den Erfindern des weißen Hip-Hop.
Daß der Motorblock von "E-Pro" aus der ölverschmierten Werkstatt der "Beastie Boys" kommt, zeigt die Richtung der Platte an. Auf "Guero" schlüpft Beck wieder in die Rolle des freakigen Mechanikers, der mit Geräuschen wie mit defekten Autoteilen hantiert und die Musikgeschichte als unsortiertes Ersatzteillager benutzt. Er zeigt seine rhythmusverliebte Seite, die sich schon 1994 auf dem ersten Album "Mellow Gold" mit dem scheppernden Jahrhunderthit "Loser" offenbarte und sich später auf "Odelay" und "Midnite Vultures" austobte. Ihr Gegenstück bildete von Anfang an ein am Gitarrenakkord ausgerichtetes Songwritertum, das auf "Mutations" sowie zuletzt auf dem elegischen Meisterwerk "Sea Change" zur Perfektion gelangte.
Wie treue Fans längst bemerkt haben, veröffentlicht Beck - der mit gerade einmal vierunddreißig Jahren schon auf ein umwerfendes Lebenswerk zurückblickt - in einem strengen Turnus: Auf ein Aufputschmittel folgt immer ein Narkotikum, und nach den verschwitzten Exerzitien des Hip-Hop wartet stets die staubige Meditation der Folkmusik. Auf "Guero" schlägt das Pendel nun also wieder in die Richtung abgedrehter Beats aus. Folglich ist Beck in die Aufnahmestudios der "Dust Brothers" in Los Angeles zurückgekehrt, wo all seine exzentrischen Alben entstanden und wo in grauer Vorzeit auch die "Beastie Boys" zu Stars geschmiedet wurden. Die legendären "Dust Brothers" stellen nicht einfach Produktionsmittel bereit - sie verstehen sich als Enzyklopädisten, die in ihrem Archiv jeden erdenklichen Sound dieser Erde als Sample aufbewahren. Folglich zeichnen die Brüder im Beiheft auf einer Ebene mit Beck für die Musik verantwortlich.
Trotz dieser für einen in der Nachfolge Leonard Cohens stehenden Songwriter fast entfremdeten Arbeitsbedingungen bleibt das Ergebnis ein in jeder Faser unverkennbares Beck-Produkt; nicht zuletzt deshalb, weil der Sänger im Zweifelsfall immer noch das gesamte Instrumentarium von den Gitarren über den Baß bis hin zu Tamburin und Kalimba selbst übernimmt und damit jener Ein-Mann-Band die Treue hält, die er in seinem Herzen wohl schon war, als er in den späten achtziger Jahren als Straßenmusiker durch Europa zog. Im tragischen Spaghetti-Western-Stück "Farewell Ride", das zu den verwehten Klängen von Stahlgitarre und Mundharmonika den Ritt zur eigenen Beerdigung feiert, gibt es keinen einzigen Laut, der nicht aus Becks Händen stammt.
Dennoch bildet die diabolische Freude am Basteln mit Fremdmaterial das Grundmotiv dieses Albums; zum Beispiel im fast hörspielhaften "Qué Onda Guero", das eine Fahrt durch ein hispanisches Viertel von Los Angeles simuliert und auf dem Weg schräge Klangfetzen einsammelt. Auch setzt Beck, der sich wieder als genialer Arrangeur beweist, an Schlüsselstellen oft Studiogäste in Szene: Im herausragenden "Earthquake Weather" etwa, einem knisternden Kopfnickerstück, reißt sein alter Gitarrist Smokey Hormel im Hintergrund ein herzzerreißendes Gitarrensolo herunter. Und wem kein Schauer über den Rücken läuft, wenn Money Mark im Mittelteil des Songs plötzlich in die bösen, funkigen Baßtasten des Clavinets greift, der muß Nerven aus fingerdicken Stahlseilen besitzen.
Aber die größte Überraschung des Albums ist ausgerechnet der Bonustrack "Send A Message To Her", ein ungewohnt geradliniger, streckenweise an den psychedelischen Punk der frühen neunziger Jahre erinnernder Knaller mit einem Refrain, der es als Gänsehauterzeuger fast mit der "Magical Mystery Tour" der "Beatles" aufnehmen kann.
Auch wenn "Guero" die vierzehn Stücke mit weichen Blenden ineinanderschneidet, stellt es ein vergleichsweise sperriges Beck-Album dar, das sich nicht gleich beim ersten Hören erschließt. Stärker noch als die letzten Alben wirkt es wie ein Soundtrack - allerdings zu einem Film, der in zwei Welten zugleich spielt: einerseits das grelle Sammelsurium amerikanischer Kunststoffe: synthetische Harmonien, mit dem Tonwahlverfahren in die Songs gewählte Kurzmelodien und Texte über brennende Banknoten und gefaxte Hymnen; andererseits öffnet sich die Leinwand immer wieder für eine von Schlangen und bösen Metaphern behauste Wüste, in der selbst die Gitarrensaiten zu verdorren scheinen.
Doch Becks grandiose Songtexte stammen nicht einfach aus der lyrischen Assoziationenkiste. Kaum ein Textschreiber findet ähnlich atemberaubende Bilder für simple und ernste Gefühle, wie im countryhaften "Scarebrow" über die von den Krähen zerfetzte Vogelscheuche, die nur noch sich selbst Angst einjagt. Beck, auch nach dem Erfolg seines Schützlings Adam Green eine einsame und einzigartige Gestalt in der Musiklandschaft, wird uns sicher noch viele Male in seinen Bann schlagen.
ANDREAS ROSENFELDER
Beck, Guero. Interscope 8802878 (Universal)
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