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Beethoven
Audio-CD
Fidelio, op. 72 (I, 1987) Wiener Philharmoniker/Furtwängler
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Fidelio, op. 72 (I, 1987) Wiener Philharmoniker/Furtwängler
Produktdetails
- Hersteller: Harmonia Mundi,
- EAN: 3322220324948
- Artikelnr.: 35992902
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Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Regie in Ruinen, Musik in Flammen
Die ganze Theaterei darf man getrost vergessen, wenn Daniel Barenboim Beethoven dirigiert: Sein "Fidelio" eröffnet die Spielzeit der Scala. In der Hauptrolle: das Orchester.
MAILAND, 8. Dezember
Die Vorstellung beginnt pünktlich, mit dem Glockenschlag, abends um sechs. Dies ist, sofern es gelingt, jedes Jahr aufs Neue ein kleiner Triumph des Establishments über die Widrigkeiten des normalen Lebens, draußen vor der Tür. Und Widrigkeiten gibt es bekanntlich viele im heutigen Italien. Natürlich waren deshalb vorsorglich wieder alle Zufahrtswege abgesperrt und Hundertschaften martialisch uniformierter Polizisten abkommandiert worden, um Sorge zu tragen, dass die illustren Gäste
Die ganze Theaterei darf man getrost vergessen, wenn Daniel Barenboim Beethoven dirigiert: Sein "Fidelio" eröffnet die Spielzeit der Scala. In der Hauptrolle: das Orchester.
MAILAND, 8. Dezember
Die Vorstellung beginnt pünktlich, mit dem Glockenschlag, abends um sechs. Dies ist, sofern es gelingt, jedes Jahr aufs Neue ein kleiner Triumph des Establishments über die Widrigkeiten des normalen Lebens, draußen vor der Tür. Und Widrigkeiten gibt es bekanntlich viele im heutigen Italien. Natürlich waren deshalb vorsorglich wieder alle Zufahrtswege abgesperrt und Hundertschaften martialisch uniformierter Polizisten abkommandiert worden, um Sorge zu tragen, dass die illustren Gäste
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von genau dieser Realität, von Eierwürfen und anderem Ungemach verschont blieben. Denn am 7. Dezember, dem Festtag des Stadtheiligen Ambrosius, begibt sich traditionell alles, was Rang, Geld und Namen hat in Italien, zur Saisoneröffnung in die Mailänder Scala. Und wie in jedem Jahr gab es wieder ein paar Demonstranten, die diese "Inaugurazione" dermaßen unpassend finden, dass sie die Scala am liebsten stürmen möchten. Nach den Farbbeutel- und Prügelexzessen in den Berlusconi-Jahren waren es diesmal freilich nur einige Dutzend Widerständler. Sollte Italien selbst in dieser seiner allerliebsten Opernstaatsaffäre zum langweiligen Konsens-Land mutieren?
Am Stück kann es nicht gelegen haben. Denn Beethovens "Fidelio" ist noch immer die radikalste Befreiungsoper aller Zeiten. Am Ende von Deborah Warners Neuinszenierung sieht man auf der Bühne der Scala sogar ein paar jugendliche Fahnenschwenker, nicht unähnlich denen, die vor dem Haus lautstark gegen das in ihren Augen so dekadente Spektakel protestieren. Auch sonst sollte es eigentlich betont volks- und gegenwartsnah zugehen bei dieser Aufführung. Da wird im Gefängnishof schon mal Basketball gespielt, womöglich zur Resozialisierung, alle geben sich ganz hip und cool, und allzu streng können die Regeln nicht sein in diesem Knast - offenbar grassiert hier der kollektive Freigang. Manierlich gekleidet sind Beethovens Insassen übrigens auch; wäre ja schließlich ein bisschen komisch, die Leute in Lumpen zu stecken, hier, im Land der Mode, obendrein vor so vielen schöngewandeten Menschen. Wie man sich unter diesen Bedingungen wirkliches Elend vorzustellen hat, zeigt Warner hingegen auch, im zweiten Akt.
Das Bühnenbild dieses unterirdischen Kerkergewölbes dürfte den Dirigenten des Abends, Daniel Barenboim, den scheidenden Musikchef der Scala, lebhaft an etwas anderes erinnert haben: nämlich an den derzeitigen Zustand der Unterbühne in seiner Berliner Lindenoper, die, wie soeben bekannt wurde, nun noch maroder sein soll, als man immer schon angenommen hatte. Hier dagegen ist es ein kunstvoll arrangiertes Chaos aus Betonbrocken und allerlei Gerümpel, in dem Don Florestan seit mehr als zwei Jahren ein Dasein am Rande des Verhungerns und Verdurstens fristet. Das wirkt leider nie besonders glaubwürdig, hier erst recht nicht, obwohl Klaus Florian Vogt mit Inbrunst und tiefem Ernst über die Bühne robbt. Doch solche darstellerische Hingabe nützt wenig, wenn die Regie nur leblose Tableaus produziert.
Das gilt leider besonders für die Schlüsselszene des Werks, das Ensemble "Er sterbe ..." mit der atemversetzenden Selbstentblößung der Titelfigur: "Töt erst sein Weib!" Anja Kampe singt dies hinreißend, mit Verve, noch im Fokus, obwohl die Töne H und B für sie, wie schon die "Leonorenarie" gezeigt hatte, nach wie vor Grenzbereiche sind. Leider hängen dabei alle vier Kontrahenten ohne Körperspannung auf der Bühne herum. Vater Rocco fuchtelt ein bisschen mit dem Spaten, wobei der milde und rhythmisch ungenaue Kwangchul Youn selbst nicht zu wissen scheint, wen er da bedroht. Leonore-Kampe schwenkt dazu, ziemlich theatralisch, eine riesige Pistole wider den giftigen Don Pizarro des Falk Struckmann, der allerdings am Ende, wenn der Erlösungsruf der Trompete von oben ihm endgültig das Mordhandwerk legt, verdutzt erkennen muss, dass das Ding bloß eine Spielzeugwaffe war. Darüber sollen wir vermutlich jetzt erst einmal nachdenken.
Aber Daniel Barenboim lässt uns nicht. Er jagt sein kaum wiedervereintes Paar in ein Jubelduett, so entfesselt und beseelt, dass man mitjubeln möchte: "O namenlose Freude!" Überhaupt gehören diese letzten zwanzig Minuten mit ihrer Feier der hohen Gattenliebe zu den inspiriertesten Passagen der Aufführung. Denn Barenboim weiß aus seiner langen Erfahrung mit Beethovens Werk, dass dieses Befreiungsfinale nur dann nicht nach bestelltem Jubel klingt, wenn sich wirklich Euphorie und Festtagsstimmung verbreiten. Dies gelingt ihm überragend, und der Moment der Kettenabnahme, szenisch wiederum verschenkt, wächst hier musikalisch in jene höheren Dimensionen einer allumfassenden Versöhnung, um die es Beethoven, aber auch Barenboim, immer schon ging: "O Gott, welch ein Augenblick!" Barenboim, mit frenetischen "Grandissimo maestro!"-Rufen vom Publikum gefeiert, prägt den Abend auch sonst. Mit seiner alles durchgeistigenden Humanität, aber auch stilistisch. Sein Beethoven ist im Klang von Brahms und mehr noch von Wagner her gedacht und will wenig wissen von den Erkenntnissen einer "historisch informierten" Aufführungspraxis, die hier schon auch mal Parallelen etwa zur französischen Rettungsoper und zu Webers "Freischütz" zieht und stellenweise weitaus härtere Akzente setzt.
Von Barenboims Ansatz profitieren vor allem die kontemplativen Ensembles, für die Deborah Warner in ihrem kreuzbraven Ruinen-Realismus keinerlei Entsprechung findet. Gleich im weltentrückt schwebenden Quartett "Mir ist so wunderbar" scheint die Zeit stillzustehen. Und schon der eigentliche Beginn ist ein Statement: Barenboim dirigiert statt der "Fidelio"- die sperrigere zweite "Leonoren"-Ouvertüre Opus 72a. Als überzeugter Weltanschauungsmusiker, der Barenboim nun einmal ist und hoffentlich immer bleiben wird, formt er dieses Tongedicht mit seinem "Durch die Nacht zum Licht"-Triumph so eindringlich zur symphonischen Essenz des ganzen Freiheitsdramas, dass es des Spektakels danach fast nicht mehr bedurft hätte.
CHRISTIAN WILDHAGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Stück kann es nicht gelegen haben. Denn Beethovens "Fidelio" ist noch immer die radikalste Befreiungsoper aller Zeiten. Am Ende von Deborah Warners Neuinszenierung sieht man auf der Bühne der Scala sogar ein paar jugendliche Fahnenschwenker, nicht unähnlich denen, die vor dem Haus lautstark gegen das in ihren Augen so dekadente Spektakel protestieren. Auch sonst sollte es eigentlich betont volks- und gegenwartsnah zugehen bei dieser Aufführung. Da wird im Gefängnishof schon mal Basketball gespielt, womöglich zur Resozialisierung, alle geben sich ganz hip und cool, und allzu streng können die Regeln nicht sein in diesem Knast - offenbar grassiert hier der kollektive Freigang. Manierlich gekleidet sind Beethovens Insassen übrigens auch; wäre ja schließlich ein bisschen komisch, die Leute in Lumpen zu stecken, hier, im Land der Mode, obendrein vor so vielen schöngewandeten Menschen. Wie man sich unter diesen Bedingungen wirkliches Elend vorzustellen hat, zeigt Warner hingegen auch, im zweiten Akt.
Das Bühnenbild dieses unterirdischen Kerkergewölbes dürfte den Dirigenten des Abends, Daniel Barenboim, den scheidenden Musikchef der Scala, lebhaft an etwas anderes erinnert haben: nämlich an den derzeitigen Zustand der Unterbühne in seiner Berliner Lindenoper, die, wie soeben bekannt wurde, nun noch maroder sein soll, als man immer schon angenommen hatte. Hier dagegen ist es ein kunstvoll arrangiertes Chaos aus Betonbrocken und allerlei Gerümpel, in dem Don Florestan seit mehr als zwei Jahren ein Dasein am Rande des Verhungerns und Verdurstens fristet. Das wirkt leider nie besonders glaubwürdig, hier erst recht nicht, obwohl Klaus Florian Vogt mit Inbrunst und tiefem Ernst über die Bühne robbt. Doch solche darstellerische Hingabe nützt wenig, wenn die Regie nur leblose Tableaus produziert.
Das gilt leider besonders für die Schlüsselszene des Werks, das Ensemble "Er sterbe ..." mit der atemversetzenden Selbstentblößung der Titelfigur: "Töt erst sein Weib!" Anja Kampe singt dies hinreißend, mit Verve, noch im Fokus, obwohl die Töne H und B für sie, wie schon die "Leonorenarie" gezeigt hatte, nach wie vor Grenzbereiche sind. Leider hängen dabei alle vier Kontrahenten ohne Körperspannung auf der Bühne herum. Vater Rocco fuchtelt ein bisschen mit dem Spaten, wobei der milde und rhythmisch ungenaue Kwangchul Youn selbst nicht zu wissen scheint, wen er da bedroht. Leonore-Kampe schwenkt dazu, ziemlich theatralisch, eine riesige Pistole wider den giftigen Don Pizarro des Falk Struckmann, der allerdings am Ende, wenn der Erlösungsruf der Trompete von oben ihm endgültig das Mordhandwerk legt, verdutzt erkennen muss, dass das Ding bloß eine Spielzeugwaffe war. Darüber sollen wir vermutlich jetzt erst einmal nachdenken.
Aber Daniel Barenboim lässt uns nicht. Er jagt sein kaum wiedervereintes Paar in ein Jubelduett, so entfesselt und beseelt, dass man mitjubeln möchte: "O namenlose Freude!" Überhaupt gehören diese letzten zwanzig Minuten mit ihrer Feier der hohen Gattenliebe zu den inspiriertesten Passagen der Aufführung. Denn Barenboim weiß aus seiner langen Erfahrung mit Beethovens Werk, dass dieses Befreiungsfinale nur dann nicht nach bestelltem Jubel klingt, wenn sich wirklich Euphorie und Festtagsstimmung verbreiten. Dies gelingt ihm überragend, und der Moment der Kettenabnahme, szenisch wiederum verschenkt, wächst hier musikalisch in jene höheren Dimensionen einer allumfassenden Versöhnung, um die es Beethoven, aber auch Barenboim, immer schon ging: "O Gott, welch ein Augenblick!" Barenboim, mit frenetischen "Grandissimo maestro!"-Rufen vom Publikum gefeiert, prägt den Abend auch sonst. Mit seiner alles durchgeistigenden Humanität, aber auch stilistisch. Sein Beethoven ist im Klang von Brahms und mehr noch von Wagner her gedacht und will wenig wissen von den Erkenntnissen einer "historisch informierten" Aufführungspraxis, die hier schon auch mal Parallelen etwa zur französischen Rettungsoper und zu Webers "Freischütz" zieht und stellenweise weitaus härtere Akzente setzt.
Von Barenboims Ansatz profitieren vor allem die kontemplativen Ensembles, für die Deborah Warner in ihrem kreuzbraven Ruinen-Realismus keinerlei Entsprechung findet. Gleich im weltentrückt schwebenden Quartett "Mir ist so wunderbar" scheint die Zeit stillzustehen. Und schon der eigentliche Beginn ist ein Statement: Barenboim dirigiert statt der "Fidelio"- die sperrigere zweite "Leonoren"-Ouvertüre Opus 72a. Als überzeugter Weltanschauungsmusiker, der Barenboim nun einmal ist und hoffentlich immer bleiben wird, formt er dieses Tongedicht mit seinem "Durch die Nacht zum Licht"-Triumph so eindringlich zur symphonischen Essenz des ganzen Freiheitsdramas, dass es des Spektakels danach fast nicht mehr bedurft hätte.
CHRISTIAN WILDHAGEN
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