Titel sind nun, technisch perfektioniert, auf einer CD zusammengestellt - eine späte Ehrenrettung der Künstlerin, die man in Deutschland oft genug unter Wert beurteilte, die sich hier aber auch oft unter Wert verkaufte.
Genüßlich sich zurückzulehnen und in nostalgischen Bluenote-Träumen zu versinken ist beim Hören dieser Lieder unmöglich. Zu grell, stürmisch, metallisch sind Keatings Arrangements, zu fordernd ist der Gesang. "Come fly with me", Frank Sinatras gute alte, schmeichelnde und samtweiche Einladung auf den fliegenden Traumteppich, wird bei ihr die Verheißung eines prickelnden Sturzflugs. "Couci Cousa", die dem deutschen "Mal so, mal so" entsprechende italienische Formel, mit der sich die Valente Millionen italophilen Amerikanern als perfekt swingende und doch waschechte Italienerin empfahl, ist die charmant verpackte beinharte Forderung, sich keinesfalls gehenzulassen. Ein Rat, der den notorisch optimistischen Vereinigten Staaten wunderbar zu Kopf stieg.
Gänsehaut erzeugt "Never will I marry" - durch die atemraubend präzisen Bläsersätze, aber auch die Weißglut, mit der die Sängerin einem diesen Entschluß um die Ohren schlägt. "Born to wander till I'm dead", die Schlußzeile, klingt als die zwingende Konsequenz einer erfahrungssatten Aufzählung all der Demütigungen, der gräßlichen Wunden, schleichenden Verrohung und Langeweile, die Zwangsbindungen bereithalten. Die Zweiunddreißigjährige singt Frank Loessers Song, als hätte sie Jahrzehnte Ehehölle hinter sich. "Something's comin" wiederum, das Lied der Maria aus Bernsteins "Westside Story", hat nichts von der Zärtelei des Originals, sondern den unbeirrbaren naiven Glauben einer jungen Immigrantin an die Liebe und eine bessere Zukunft. Das ausgedehnte, den damaligen Fans viel Geduld abfordernde Vorspiel zum Bernstein-Song zeigt, wie ambitioniert die Sängerin und Johnny Keating ihre Arbeit angingen. Jedes Lied sollte auch orchestral in Besetzung und Klang höchsten Ansprüchen genügen.
Das führt manchmal, wie beim altgedienten "Chinatown" von Schwarz/Jerome, zu nervigen Scheppereffekten, denen der überpointierte Gesang der Valente eine enervierende Krone aufsetzt - obwohl die extrem hohe und kraftvolle Schlußsequenz die vorigen Manierismen fast vergessen macht. Pure Wonne dagegen ist "Whispering", die amerikanisch polierte Fassung des uralten kaiserzeitlichen "Laß mich zu deinen Füßen sinken" von Schönberger. Keating läßt die Valente mit sich selbst duettieren; eine haarfein abgestimmte Kombination von ausgesungener Hauptmelodie und einem Bebop, der als Scat dagegenhält. "Blue Moon" - ein blitzschneller Parforceritt durch Oktaven, "Stella by Starlight" - frisch, als hätte es nie die tausend verschwiemelten Versionen des Evergreens gegeben. Ellingtons "Take the A-train" mit einem Vibrato, als schwirrten wirklich die stählernen Gleise in der Stimme.
Das Artifizielle war und ist Stärke und Schwäche der Sängerin Valente zugleich. Anders als Ella Fitzgerald, die noch bei den halsbrecherischsten Tonsprüngen schwebte, sind ihrer Stimme die Kraftakte anzumerken - ein zusätzlicher Genuß, solange man konzentriert zuhört, ein Nervenzerren, sobald man glaubt, ihre Musik en passant hören zu können. Das aber war schon immer die Grundbedingung dafür, von ihr überzeugt oder verschreckt zu sein. Wer das akzeptiert, hört eine der größten Jazzerinnen ihrer Ära.
DIETER BARTETZKO
Caterina Valente, In London. Warner 5050467-3686
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