Er selbst aber, sagt Fallada, der nun mal "aus Versehen und wider Erwarten" zum Erfolgsautor geworden sei, frage sich seither, ob das Leichte nicht zum Seichten führe und ob er für sein eigenes Schreiben nicht den schwierigen Weg Jean Pauls einschlagen solle.
Interessanterweise navigiert sich Fallada in diesem Text um die Frage herum, warum Jean Paul damals trotz allen Hürden zum Lieblingsautor einer Generation hatte werden können und ob Zugänglichkeit nicht auch etwas mit Leseerwartungen zu tun habe, die sich über die Zeiten eben änderten. Wie Falladas Entscheidung jedenfalls letztlich ausgefallen ist, lässt sich an seinen Romanen ablesen - Texte wie "Kleiner Mann - was nun?", "Wolf unter Wölfen" oder "Der eiserne Gustav" haben andere Qualitäten als den Jean-Paulschen Stil. Und die Renaissance, die sie seit nunmehr gut zehn Jahren bei der auch englischsprachigen Leserschaft erleben, speist sich nicht zuletzt aus den ebenso klaren wie eindringlichen Schilderungen einer bewegten Zeit, die allerdings auch dem Autor, der sich nach 1933 zur Emigration nicht entschließen konnte, einige Verrenkungen und Kompromisse abverlangte, was erst in jüngerer Zeit durch Publikationen von unzensierten Fassungen einiger Texte richtig sichtbar geworden ist.
Dieser Tage ist ein Band erschienen, der unter dem Titel "Junge Liebe zwischen Trümmern" und herausgegeben von dem Fallada-Biographen Peter Walther insgesamt 27 bislang fast oder vollständig unbekannte Texte des Autors versammelt. Sie stammen aus allen Schaffensphasen Falladas, von der Schulzeit bis zum Lebensende - der Schriftsteller, geboren 1893 in Greifswald, starb am 5. Februar 1947 im Hilfskrankenhaus Niederschönhausen und schrieb noch in den letzten Monaten einige der dreizehn Texte, die hier aus dem Nachlass erstmals erscheinen. Andere wurden etwa in Tageszeitungen publiziert und später nie wieder aufgelegt, so dass der Band in jedem Fall eine editorische Lücke füllt, wenn auch nicht immer zum Vorteil des Autors: Es sind zu einem erheblichen Teil offensichtliche Gelegenheitsarbeiten eines Erfolgsautors, und gerade wo der angeschlagene Ton unterhaltend sein möchte, geht die Sache schief.
"Die Verkäuferin auf der Kippe", publiziert erstmals 1928 im "Hamburger Echo", ist so ein Fall. Pseudodokumentarisch gibt Fallada hier die eine Hälfte eines Telefonats zwischen zwei jungen Verkäuferinnen wieder, muss aber, damit die Diskussion nachvollziehbar ist, jeweils die eine Beteiligte die Äußerungen der anderen zusammenfassend wiederholen lassen, und das ermüdet dann doch.
Überhaupt sind viele eher skizzierte als ganz ausgeführte Texte enthalten, darunter freilich einer, den der Herausgeber wohl zu Recht als Beginn eines nie beendeten Nachkriegsromans einstuft, und von diesem "Ich, der verlorene Findling", entstanden im letzten Lebensjahr des Autors, hätte man gern mehr gelesen.
Das gilt auch für das vielleicht seltsamste Stück des Bandes, zugleich die aufregendste Entdeckung: In einer kurzen Skizze erzählt Fallada noch einmal die berühmte Geschichte seines gescheiterten Selbstmords in Rudolstadt - als Jugendlicher verabredete er sich mit einem Freund zu einem Duell, das den geplanten Doppelsuizid vertuschen sollte. Der Freund starb von Falladas Hand, er selbst überlebte schwerverletzt, und die nun ans Licht gekommene Skizze widmet sich ausführlich und detailverliebt den Minuten danach: der eigenen Brustwunde, aus der das Blut sickert, den Hilferufen, die er von sich gibt, weil er gelesen hat, dass man das in solchen Fällen tue, und schließlich dem beherrschenden Gefühl des Grauens vor der hinter ihm liegenden Leiche des Freundes.
Hier findet der nicht einmal Zwanzigjährige zu einer Intensität der Beobachtung, die dem späteren Schriftsteller keineswegs ständig zur Verfügung steht. Falladas Schreiben jedenfalls erscheint im Licht dieser und anderer Selbstschilderungen des Bandes permanenten Wechseln unterworfen, so, als suchte er seinen Stil bis zum Ende.
In seinen letzten Stunden im Krankenhaus soll Fallada Jean Paul gelesen haben.
TILMAN SPRECKELSEN
Hans Fallada: "Junge Liebe zwischen Trümmern". Mit unveröffentlichten Erzählungen.
Hrsg. und mit einem Nachwort von Peter Walther. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 298 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
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