Fingerspitzengefühl. Con brio.
So dieser erste Satz: "eurofitneß beweisen und extra zur love-parade anreisen, das kann ja nur einem ostler einfallen, d. h. mehreren ostlern zusammen, doch das ist nicht wahr, denn wir sind keine ostler, wir sind österreicher und der love-parade dicht auf der spur." Wir sind also in Berlin. Doch dieses Neue Berlin, dem keine Majuskel zu schade ist, um "angesagt" zu sein, bis es ihm, hoffentlich, einmal die Sprache verschlägt, dieses Neue Berlin wird von Kathrin Röggla vom Rand her aufgerollt. So weit von den Rändern her, dass das Neue an Berlin schnell alt aussieht. Neugierig spürt man dem nach, was darunter und dahinter und daneben zu uns herangetragen wird. Kathrin Röggla lauscht diesem Wörter-Berlin Töne, Dialoge und Szenen ab, wie sie in dieser rabiaten Leichtigkeit bisher noch nicht zu vernehmen waren. Im Berlin der "wohnmaschinen" zum Beispiel, so ein anderer Text, wo es von einem Baumarkt in der Gegend von Grenzallee heißt: "nein, hier bleibt alles in knallhart inländischen verhältnissen: mitvierziger in beobachtungsfreier kleidung, studenten aus dem technischen milieu, kleinfamilien - eben fachleute in totalstimmung erwägen die qualität der lacke und beschläge".
Mit ihrem dritten Buch ist die Autorin in Berlin angekommen. War "abrauschen", ihr zweites Buch, eine Romanreise aus Berlin nach Salzburg, wo der zurückbleibende Ausgangsort wie ein Tagtraum, wie ein lieu de crime und ein lieu de film im Gepäck verstaut war und hervorbrach, wann es ihm nur passte, so erkundet und erkennt "irres wetter" jetzt die Lage der Stadt selbst.
Doch geht fehl, wer glaubt diese einundzwanzig Prosastücke seien nur ein weiteres Elaborat neuer Heimatkunde, ein Abbild halt, schräg zwar, aber Abbild. Die sprachliche Verdichtung, die Übernahme vertrauter Topoi und ihre Legierung mit dem Vokabular schriftferner Szenen und Slangs zeugen von einer kompositorischen Kraft, die aus dem bloß Absonderlichen des Alltags genuine Literatur herzustellen vermag. Unumkehrbar. Selten hat sich ein Autor derart ungehemmt und ungebremst, doch ohne augenzwinkernde Rückversicherung mit dem Leser, auf die Sprache und das Sprechen unserer Tage eingelassen. So gibt nicht von ungefähr die von dem tekkno-Philosophen Konradin Leiner Mitte der neunziger Jahre kartografierte Szenesprache eine Matrix für Kathrin Rögglas Schreibfelder. Andere, weitaus diskretere Felder wären bei Hubert Fichte und Friedericke Mayröcker zu finden.
Doch was sie aus dem "Material" destilliert und wie sie es neu zusammensetzt, sind keine abgehobenen Betrachtungen über gewisse Milieus, keine Binnensoziologien, sondern ist wunderbar flottierende, unangestrengt selbst-reflexive Prosa: "nicht nur auf meinem t-shirt stand: knall und fall. und die gegenstände fingen an zu jucken (sie sind alle bürgerliche-presse-bereit, also schafft sie ab in diesem text!)" heißt es in "so 36", und wenig später: "klicken. mindestens 40 grad hatte es, es roch nach schweiß, rauch, alk und lärm. kollaps, ein wort aus den achtzigern, ein zombiewort, dagegen half nur eins: pan tau!"
Laut gelesen, fällt sofort auf, wie eng diese Texte mit der neuen elektronischen Musik ("elektronik ohne bart" sagt die Autorin) laufen; tatsächlich lässt Röggla in ihren öffentlichen Auftritten und in ihren Hörspielen diese Musik mit einfließen: Sie unterläuft und kontert damit ihre eigene Prosa. Bereits mit ihrem zweiten Buch, mit "abrauschen", hatte sich Kathrin Röggla behende über die "Debütfalle" hinweggesetzt; mit ihrem neuen Buch hat sie einen eindeutigen Fingerabdruck hergestellt; ein unverwechselbarer Sound trägt diese Prosa. Kann man mehr von einem dritten Buch erwarten?
Kathrin Röggla: "Irres Wetter". Residenz Verlag, Salzburg 2000. 168 S., geb., 38,- DM.
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