Generälen hintergangen. Tränen laufen über seine Wangen, und er ruft aus: "Der Krieg ist verloren!"
Dieser Einsicht hat er sich seit Dezember 1941 - seit der militärischen "Wende vor Moskau" - immer und immer wieder durch Autosuggestion, Hoffnungen auf Wunder und Wunderwaffen sowie das Geschwätz seiner liebedienerischen sogenannten Berater verschlossen. "Aber wenn Sie, meine Herren, glauben, daß ich Berlin verlasse, irren Sie sich gewaltig! Eher jage ich mir eine Kugel durch den Kopf!" Davon wollen ihn goldbetreßte Lakaien aus Partei und Wehrmacht nun doch abhalten. Am Abend dieses Tages ist der "Führer" aber sogar das Führen endgültig leid. Das durch keinen Lagevortrag mehr zu entwirrende militärische Chaos in und um Berlin nimmt er zum Anlaß für eine erste Selbstkapitulation in kleinem Kreise, acht Tage vor dem Selbstmord: "Tun Sie, was Sie wollen! Ich habe keine Befehle mehr."
Joachim Fest schildert die letzten drei Wochen des "Dritten Reiches" - von der Eröffnung der Schlacht um Berlin durch die sowjetische Großoffensive am 16. April 1945 bis zur Schlußschau für das sowjetische Oberkommando in Berlin-Karlshorst am 9. Mai 1945, als der hitlerhörige Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, mit arroganter Miene, Marschallstab und Goldenem NSDAP-Parteiabzeichen auf der Ordensbrust die Kapitulationsurkunde unterzeichnete. Fest weiß natürlich, daß die Überlieferung über das Bunkerleben oft widersprüchlich ist. Im Nachspann seines Buches begründet er daher den Verzicht auf einen wissenschaftlichen Anmerkungsappart mit dem "oftmals heillosen und großenteils nicht mehr aufklärbaren Durcheinander der Zeugenaussagen". Eigentlich müsse ein Chronist "jede noch so geringe Unstimmigkeit verzeichnen". Fest aber folgt statt dessen jeweils der Version, "die von dem oder den glaubwürdigsten Zeugen stammt oder der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt". Seine Rekonstruktion ist spannend geschrieben und wie aus einem Guß, atmosphärisch derartig dicht, daß selbst der Leser, der den "Stoff" längst kennt, sich das Buch in einem Zuge zu Gemüte führen wird.
Neben der Chronik legt Fest eine Art Endabrechnung mit Hitler und seiner Entourage vor, zieht die Summe aus Themen, über die er seit fast vierzig Jahren publiziert hat und von denen er nie mehr losgekommen ist. Er stellt unter anderem den bis Ende April 1945 unbeirrbaren Glauben Hitlers heraus, "daß allein der Wille jede materielle Unterlegenheit wettmache". Er erinnert daran, wie in Deutschland bis zum bitteren Ende jene "idealisierte Lebensverachtung gefeiert wurde, die in der Vergangenheit so viel dunkle Anziehungskraft auf das deutsche Gemüt geübt hatte" - und daran, mit welcher verzweifelten Energie Hitler und seine fanatische Bunkerbesatzung darauf aus waren, "die Niederlage zur Katastrophe auszuweiten. Sollten wir nicht siegen, hatte Hitler schon Anfang der dreißiger Jahre in einer seiner Phantasien über den kommenden Krieg erklärt, ,so werden wir selbst untergehend noch die halbe Welt mit uns in den Untergang reißen'. Jetzt war er dabei, seine Vorhersage wahrzumachen."
Der "gänzliche Mangel an überpersönlichem Verantwortungsbewußtsein, an nüchtern selbstlosem Dienstethos und an historischer Moral" habe Hitler von jedem denkbaren Vorgänger unterschieden: "Mit einer in aller Geschichte beispiellosen Egozentrik hat er die Existenz des Landes mit der eigenen Lebenszeit gleichgesetzt", also neben dem rassenideologischen Vernichtungskrieg auch die Strafaktion gegen das eigene Volk geführt. Aus Hitlers Sicht hatten stets die anderen versagt, hatten ihn verraten. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, beantwortete er sich selbst einfach damit, daß ausgerechnet er es an Härte gegenüber Freund und Feind habe mangeln lassen. Dabei wurden ihm bis zum letzten Atemzug Ergebung und blinde Unterwürfigkeit entgegengebracht.
Keinem der Bunkergenerale kam während der Lagebesprechung vom 22. April 1945 der Gedanke, Hitler bei seinem Wort zu nehmen, daß der Krieg verloren sei. Vielmehr bestärkten sie den "Führer" darin, den vollkommen sinnlosen Kampf fortzusetzen. Unter meterdickem Beton habe sich daher keine wirkliche Tragödie abgespielt, weil nicht einmal in der Welt des Theaters, erst recht aber nicht auf der Bühne der Geschichte "Platz für die Domestiken" sei. In Hitlers Umgebung - so Fests Resümee - gab es "Gefügigkeit über jeden Begriff und alle Verantwortung hinaus. Sie ließ keine Grundsätze mehr erkennen. Was statt dessen in der gesamten Szenenfolge vorherrscht und unzählige Opfer kostete, waren ein in seiner Wahnwelt eingesperrter, niemals zu schreckender Wille auf der einen und allzuviel dressierte Willfährigkeit auf der anderen Seite."
RAINER BLASIUS
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