dessen schiebt er, wenn er nicht gerade Fisch ausnimmt oder Karotten und Tomaten um die Anglerbeute drapiert, seinen grantelnden Vater im Rollstuhl herum. Der Name des Ortes spricht Bände: Aschleben. Wir sind in der ostdeutschen Provinz in den neunziger Jahren.
Wäre da nicht ein Mädchen, blond, langhaarig und gutgelaunt, das den beiden Freunden beim Tagträumen zuhört, vielleicht würden Benno und David nur in der Diskothek herumstehen und kleine grüne Jägermeisterfläschchen in sich hineinkippen. Doch in das Mädchen sind sie beide verliebt, und sie strengen sich an, ihr zu gefallen. Wenn Franziska Petri als Anna ihr großflächiges, noch sehr junges Gesicht den beiden Bewerbern zuwendet und sich zuerst nicht entscheiden kann, wen sie als festen Freund will, dann glaubt man ihr auf Anhieb die jugendliche Unentschlossenheit.
Mit ihren drei Hauptdarstellern hat Vanessa Jopp für ihr Debüt "Vergiß Amerika" eine gute Wahl getroffen. Zu Beginn knistert es zwischen dem Mädchen und beiden Jungs, danach funkt es zwischen zweien, dann wieder ist man Konkurrenz, und später hilft man sich aus der Not. Das Thema Freundschaft beleuchtet "Vergiß Amerika" in allen Schattierungen. Es wirkt fast zufällig, daß Anna sich dann für Benno entscheidet, aber es hat Konsequenzen. Als sich später Spannungen zwischen den beiden einstellen, weil Benno Züge eines Machos annimmt, macht David sich Hoffnung, aus der Rolle des ewigen besten Freundes herauszukommen. Tatsächlich flüchtet Anna zu ihm, doch sie sucht bei David eher Schutz als Liebe.
Der Film ist einerseits eine Dreiecksgeschichte, andererseits - und vor allem - ein Fallbeispiel über die fortschreitende Desillusionierung dreier nicht unbegabter Jugendlicher. Obwohl eigentlich alles schiefgeht, was schiefgehen kann, beharrt diese Geschichte darauf, daß das nicht die Schuld der Protagonisten ist. Es ist die Zeit, die den drei Freunden zustößt. In mancher Hinsicht ist "Vergiß Amerika" das Gegenstück zu Leander Haußmanns "Sonnenallee". Wo bei Haußmann die DDR-Jugend in den siebziger Jahren nostalgisch verklärt wird, fehlt hier die rosarote Brille völlig.
Dem Drehbuch Maggie Perens gelingt es, das Scheitern der drei Hauptfiguren schon beiläufig anzukündigen, während sie selbst noch vom Gelingen träumen. So etwa, wenn die Schauspielerin in spe Anna davon erzählt, wie sie eine Rolle nicht bekommen hat. Judith Kaufmanns Kamera entwirft bereits bei der Darstellung der glücklichen Zeiten des Kleeblatts eine Atmosphäre der Ruhe, in der latente Bedrohung steckt. Selbst die Liebesszenen wirken beklemmend, weil die Zimmer, in denen sie spielen, so klein sind.
Vanessa Jopps erster Spielfilm überzeugt durch die Glaubwürdigkeit der Figuren wie durch seine erzählerische Präzision. Nur manchmal traut die Regisseurin ihren Zuschauern zuwenig zu und sagt deshalb lieber etwas zweimal. Am deutlichsten zeigt dies das Motiv, auf das der Titel "Vergiß Amerika" anspielt. Gemeint ist Bennos Liebe zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die er in jenen amerikanischen Wagen, für die er leider keine Käufer findet, sublimieren möchte. Auch die Filmmusik singt unentwegt "Vergiß Amerika" Doch gleichzeitig fungiert Berlin als Sehnsuchtsort des Films, nicht nur für Annas Traum von der Schauspielerei, sondern auch für David, der sich dort eine bessere Stelle erhofft. Wenn zwei der drei Protagonisten schließlich im Zug sitzen und ihren Heimatort verlassen, denken sie vermutlich: "Vergiß Aschleben". Doch das wird ihnen schwerfallen.
SILKE SCHEUERMANN
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