verbleibenden tausend Jahren nicht geschlafen, sondern fleißig Raumschiffe konstruiert, mit denen ein nennenswerter Teil der Bevölkerung übers ganze All verteilt werden kann. Natürlich kennen wir die Folie für diese Ausgangssituation: Pate gestanden hat die jüdische Diaspora.
In jener fernen Zukunft dauert es bis zur Wiedererrichtung der eigenen Heimstatt erfreulicherweise weniger lang als in unserer Vergangenheit, aber man hat nicht weniger Mühe damit. Als Vertriebene sammeln sich einige ehemalige Erdenbürger in sogenannten Drifter-Kolonien, fliegenden Städten aus miteinander verschweißtem Raummüll, an denen die flotten Kronos-Raumkreuzer der seßhaften Weltallbewohner vorbeiziehen wie an einer alten Hikag-Himmelskutsche. Niedere Arbeiten sind alles, was den mutigen menschlichen Einzelkämpfern bleibt, die außerhalb der Kolonien ihr Glück suchen. In den Kantinen der französisch radebrechenden Kakerlaken-Köche stopfen sie die Kartoffelschalen im Abfallkübel fest, und als große Zerstörer finden sie bisweilen auch noch Beschäftigung: Wer sich schon den eigenen Planeten zerstückeln ließ, taugt immerhin zum Müllzerkleinerer.
So vegetiert auch Cale (auf unserer Abbildung rechts, neben ihm Korso, der dubiose Kapitän des Raumschiffs "Walküre") vor sich hin, ein hübscher Twen, der jedoch von Verbitterung erfüllt ist gegen seinen Vater, den berühmten Wissenschaftler Sam Tucker, der ihm bei der Evakuierung der Erde das Versprechen auf ein Wiedersehen gegeben hatte und sich dann im Verteidigungskampf umbringen ließ. Cale denkt gar nicht daran, sich der Nachkommenschaft einer so mutigen Sippe würdig zu erweisen - er hat sich zum Egoisten entwickelt, dem das Schicksal seiner Spezies egal ist. Als einziges Erbteil des Vaters trägt er einen goldenen Ring.
Der birgt nun einmal keinen Fluch in sich, sondern soll der Menschheit Segen bringen. Denn er enthält den Lageplan der "Titan", einer Art Arche Noah, auf der Sam Tucker ehedem die genetischen Codes sämtlicher Lebewesen der Erde gespeichert hat. Versteckt ist sie in den Eisringen des Planeten Tigarin, der am Ende des Films von Cale den Namen "Bob" erhalten wird. Denn unser naseweises Kerlchen wird zum Retter der Menschheit - was für eine Überraschung!
Wirklich überraschend sind dagegen die Eisringe: eine Szenerie, in der die Trickfilmer Don Bluth und Gary Goldman alle Register ziehen können. Daß die Idee der Spiegeleffekte bei Orson Welles' "Lady von Shanghai" abgeschaut ist - wen kümmert's (und bei wem könnte man besser klauen als bei Welles)? Die große Verfolgungsjagd durch die Eisringe bietet tatsächlich innovative Animationstechnik, was man vom Rest des Films leider nicht behaupten kann.
Natürlich beherrscht vor allem Bluth, der frühere Disney-Chefzeichner, der mit "Mrs. Brisby und das Geheimnis von Nimh" (1982) als Regisseur erste Meriten erwarb, alle Tricks des Mediums. Aber das ist zuwenig. Schon der Rückzug auf klassische Rotoskopie (bei der lebendige Schauspieler als Vorlagen für die gezeichneten Figuren dienen) zeigt die Hilflosigkeit angesichts einer Science-fiction-Handlung, die die phantastische Welt des Zeichentricks mit der der Zukunft zusammenbringt - und beide auslöscht. All die Raumschiffe, Planeten und fremden Lebensformen lassen sich dank avancierter Tricktechnik auch im Realfilm längst erzeugen. Und Stars wie Matt Damon, Drew Barrymore oder Bill Pullman, die den Hauptfiguren im Original ihre Stimmen leihen, hätte man ebensogut direkt agieren lassen können - sie sind eh nach ihrem jeweiligen Klischee besetzt.
ANDREAS PLATTHAUS
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